Die internationale Konferenz für das Zufußgehen Walk 21 feierte ihr 10-jähriges Jubiläum in New York, in der heimlichen Hauptstadt der westlichen Welt, unter dem Motto „More footprints – less carbon“. New York hat in den letzten Jahren unter dem Bürgermeister Michael Bloomberg erhebliche Anstrengungen unternommen das Zufußgehen, das Radfahren und den Öffentlichen Raum zu stärken. Durch die internationale Presse gingen die Sperrung des Times Square, der mit Stühlen und Tischen versehen wurde und der High-Line Park auf ehemaligen Bahngleisen in Hochlage.

New York ist die größte Stadt der USA. Auf einer Fläche von 812 qkm leben 8,3 Mio. Einwohner, auf der Insel Manhattan ballen sich gar 1,6 Mio. Einwohner auf 58 qkm, das sind fast 30.000 Einwohner pro qkm. In der gesamten Agglomeration leben 18,8 Mio. Menschen. Die hohe Dichte Manhattans erlaubt nur ein geringes Maß an Kfz-Verkehr. Zwar hat sich New York kürzlich gegen eine generelle City-Maut entschieden, aber die schon längere Zeit mautpflichtigen Brücken und Tunnels und die hohen Parkgebühren tun doch das ihre dazu, den Kfz-Verkehr zu bändigen. Wie knapp der Platz ist, sieht man daran, dass In Baulücken parkende Kfz mit automatischen Systemen gestapelt werden.

Nur 50 % der Haushalte in Ney York besitzen einen Pkw, auf der ca. 20 km langen Insel Manhattan sind es nur 25 %. Das ist auch Spitze im Vergleich mit europäischen Städten und völlig untypisch für die USA, wo über 90 % der Haushalte mindestens ein Kfz aufweisen. Während in den USA ca. 90 % mit dem Kfz zur Arbeit fahren, benützen die New Yorker dafür nur zu 35 % das Kfz und legen über 30% der Wege zur Arbeit zu Fuß oder mit dem Rad zurück.

New York hat mit einer Länge von 369 km und 421 Stationen das größte U-Bahn-Netz der Welt. Es gibt viele viergleisige Strecken, bei denen auf den mittleren beiden Gleisen Expresslinien verkehren, die nur die bedeutenden Stationen bedienen. Das Netz und die Fahrzeuge sind in die Jahre gekommen und stark reparaturbedürftig. Das U-Bahn-Netz wird ergänzt durch Busse (die Niederflurtechnik steckt noch in den Anfängen) und Vorortzüge die in den beiden großen unterirdischen Kopfbahnhöfen Pennsylvania Station und Grand Central Station enden.

Ein großes Problem ist – trotz des üppigen Central Parks – der Mangel an Freiflächen. Die Uferbereiche des East River oder des Hudson River sind weitgehend mit Stadtautobahnen verbaut. Die New Yorker Stadtverwaltung unternimmt hier große Anstrengungen diese Stadtautobahnen mit neuen Parks zu überbauen. Dabei verläuft die Straße meist nicht im Tunnel sondern wird lediglich überdacht, so dass sich ein Balkon zum Wasser hin ergibt.. Damit wird zugleich der Lärmschutz für die umgebende Bebauung verbessert.

Mit ein Ausdruck dieses Freiflächenmangels ist auch das spektakuläre Projekt High Line Park in Chelsea. Er befindet sich auf einer über zwei km langen Stahlkonstruktion in Hochlage, die in den 30er Jahren für Güterzüge gebaut wurde. Der letzte Zug verkehrte 1980. Knapp 20 Jahre später begannen Anwohner sich für den Erhalt und die neue Nutzung als Öffentlicher Raum in Form eines Parks einzusetzen. Diesen Sommer wurde der erste Teil eröffnet. Er spielt mit den die Gleise überwuchernden Grün. Die 9 m über dem Straßenniveau verlaufende ehemalige Gleistrasse ist eine Oase der Ruhe oberhalb des geschäftigen Treibens auf den Straßen und eröffnet ungewohnte Blickperspektiven.

New Yorks Bürgermeister Michael R. Bloomberg, der erstmals 2001 wenige Monate nach dem Anschlag am 11. September und zum dritten Mal (weil das Stadtparlament ausnahmsweise eine dritte Amtszeit genehmigte) im Jahr 2009 gewählt wurde, hat sich mit seinem „plaNYC - a greener, greater New York“ ehrgeizige Ziele gesetzt. Dies gilt auch für die Kommissarin für Verkehr und damit Leiterin des Department of Transportation (NYCDOT) Janette Sadik-Khan, die mit ihrem Plan für nachhaltige Straßen im Jahr 2007 erstmals ein klares und detailliertes verkehrspolitisches Programm für New York City verkündete. Die wichtigsten Ziele sind

Die New Yorker ließen sich vom Kopenhagener Architekten und Stadtplaner Jan Gehl beraten. Es entstand ein neuer Straßengestaltungshandbuch (street design manual) und ein Platzprogramm. Die bekanntesten Beispiele sind die Umgestaltung des Broadways und die neue Fußgängerzone am Times Square. Auf dem Broadway wurden ein durchgängiger Radstreifen und punktuelle Aufenthaltsflächen auf Kosten von mindestens zwei Fahrspuren geschaffen. Am Times Square gibt es nun eine große Platzfläche. Viele Maßnahmen sind einfache Provisorien. Die neuen Aufenthaltsflächen werden durch einen dünnen farbigen Belag hervorgehoben, der auf den Asphalt aufgebracht wird. Darauf werden Stühle, Tische, Sonnenschirme und große Pflanzkübel gestellt – fertig. Die Bordsteine bleiben zunächst wo sie sind. Die New Yorker nutzen die neu entstandenen Gelegenheiten gerne und lassen sich vom Lärm vorbeibrausender Autos nicht stören.

Die neu geschaffenen Plätze und Aufenthaltsbereiche werden nach der einmaligen Herstellung durch die städtische Behörde an Bürger- und Geschäftsstraßenvereine übergeben, die sich um den Unterhalt kümmern und z.T. die Bereiche auch kulturell bespielen. Sie beschäftigen ggf. auch eigene Sicherheitskräfte. Ein Vorgehen, das für Öffentliche Räume in Europa wohl eher kein Vorbild ist.

Im Jahr 1990 galt New York mit 2.000 Morden als Hauptstadt der Kriminalität. Bloombergs Vorgänger Rudolph Giuliani verfolgte konsequent seine Strategie „Null-Toleranz“ indem er auch kleinste Delikte ahndete und die Gerichte Straftäter innerhalb von 24 Stunden verurteilten. Das füllte die Gefängnisse, kostete viel Geld und führte verstärkt auch zu Übergriffen der Ordnungshüter. Letztendlich war die Strategie jedoch erfolgreich. New York ist heute die sicherste Großstadt der USA. Bei einem Thema scheiterte Bloomberg dann doch: Wenn die Autokolonne durchgefahren ist, gehen New Yorks Fußgänger mehrheitlich bei rot über die Ampel.

Obwohl Radfahrerinnen und Radfahrer in New York nach wie vor eher noch exotisch sind, hat das NYC Department of Transportation in den letzten drei Jahren 200 Meilen (ca. 320 km) neue Radrouten errichtet. Dies ist in den Straßen Manhattans, die meist nur in einer Richtung befahren werden, mittels großzügiger Radstreifen auf Kosten von Fahrspuren und Parkplätzen erfolgt. Wenn in der Straße ein Bus verkehrt sind die farbig hervorgehobenen Streifen am linken Fahrbahnrand angeordnet, sonst am rechten. Ausdruck der New Yorker Sicherheitsphilosophie ist es, dass der geradeausfahrende Radverkehr und abbiegender Kfz-Verkehr nicht gleichzeitig grün bekommen. Von Nutzern kritisiert wird die Tatsache, dass die für Zweirichtungsverkehr ausreichend breiten Streifen nur in der Fahrtrichtung des Kfz-Verkehrs befahren werden dürfen. Mit der Einrichtung des Radstreifens werden in der Regel auch Lieferzonen vorgesehen, um die Gefahr des Verparkens des Radstreifens zu verringern. Zudem werden z.T. Bäume gepflanzt, Fahrradständer und kleine Aufenthaltsbereiche sowie standardmäßig Mittelinseln errichtet, um die Querungssituation für den Fußverkehrs zu verbessern.

Innerhalb der letzten drei Jahre hat die Zahl der New Yorker, die zur Arbeit radeln, um 45 % zugenommen. Am Rande der Klimakonferenz in Kopenhagen erhielt Bloomberg vom Europäischen Radfahrerverband ECF eine Auszeichnung für seine Fahrradförderung.

Bei so viel neuem Schwung für den Fuß- und Radverkehr fand die Walk 21 zur richtigen Zeit am richtigen Ort statt. Mit 530 Besuchern konnte sie einen neuen Teilnehmerrekord verbuchen. Während New York sich mit europäischen Städten messen kann, ist das Zufußgehen in vielen Teilen der Vereinigten Staaten und Kanada ein Trauerspiel. Häufig ist es bereits ein Erfolg, wenn die Bevölkerung in der Freizeit zum Zufußgehen bewegt werden kann. Die Tatsache eines Paradigmenwandels zeigte aber der Immobilienfachmann Chris Leinberger auf. Demnach verlieren derzeit Häuschen am autogerechten suburbanen Stadtrand (drivable suburban) an Wert gegenüber urbanen städtischen Lagen (walkable urban). Nachdem nach dem zweiten Weltkrieg mit zunehmender Motorisierung das Häuschen im Grünen beliebt wurde, setze seit etwa 1990 eine Trendwende ein, dessen Pendel zunehmend mehr in Richtung städtische Gebiete umschlägt. Neben den Immobilienpreisen ist dieser Wertewandel auch bei vielen Fernsehserien / Seifenopern erkennbar. Die Protagonisten bewegen sich nun vermehrt im städtischen Milieu.

Auch Lateinamerika entdeckt den Fuß- und Radverkehr. Beim Eröffnungsplenum stellte Bürgermeister Marcelo Ebrard dar, wie Mexiko-Stadt mit neuen Mobilitätsstrategien (Schnellbussystem, Ausbau des Radverkehrsnetzes und bessere Bedingungen für Fußgänger) gegen den täglichen Stau vorgehen möchte. Mexiko-Stadt steht hier noch ziemlich am Anfang. Große Erfolge können bereits Bogota und Curitiba vorweisen. Das in Curitiba entwickelte Bussystem mit Haltestellen wie sie einem U-Bahn-System entsprechen, wurde von Bogotá übernommen und als Transmilenio-Bus-System eingeführt. Weiter berichtete Gil Peñalosa bei einem Abendempfang, dass nach einem ersten erfolgreichen Versuch die Bürger von Bogotá per Bürgerentscheid einen autofreien Tag in der Gesetzgebung verankert haben. Claudia Adriazola erläuterte den Prozess der Einführung einer Fußgängerzone in Arequipa in Peru.

Interessant waren wie immer die Darstellungen aus Kopenhagen. Die Stadt will nicht nur den Fuß- und Radverkehr massiv fördern, sondern hat – wie bereits auf der Walk 21 in Barcelona 2008 vorgestellt – u.a. aus Gründen des sozialen Zusammenhalts – das Ziel, dass sich die Bürgerinnen und Bürger häufiger draußen aufhalten. 20 % mehr Zeit sollen sie in fünf Jahren im Öffentlichen Raum verbringen. Aus Stockholm war die zweite Bürgermeisterin Kristina Alevendal angereist, um die Reurbanisierungsstrategie ihrer Stadt zu präsentieren. Stockholm wurde von der Europäischen Kommission für 2010 zur Europäischen Umwelthauptstadt Europas ernannt.

Beeindruckend war der Plenumsvortrag des britischen Arztes William Bird, der eindrücklich den Zusammenhang zwischen Zufußgehen, Bewegungsmangel und Fettleibigkeit belegte. Neben Lebensstilen konnte er auch aufzeigen, dass sich ein attraktives Freiflächenangebot positiv auf die körperliche Aktivität und damit auf die Gesundheit auswirkt. Kathlen Elsig beleuchtet die weltweite Lage zur Verkehrssicherheit. Gerade in vielen Ländern der Dritten Welt wird das Problem der „vulnarable road users“ ausgeblendet, d.h. der Fuß und Radverkehr. Dies war auch Thema der internationale Fußgängervereinigung IFP (International Federation of Pedestrians), die sich am Rande der Konferenz traf.

Am Tag vor der Konferenz fand ein eintägiger, vom Schweizer Daniel Sauter organisierter, Workshop zur Messung des Fußverkehrs statt. Hier geht es nicht nur um die Zählung des Fußverkehrs, sondern um „Input“ (z.B. investierte Mittel), „Output“ (damit umsetzbare Maßnahmen) und „Outcome“ (z.B. Zahl der Fußgänger): Ich würde hier gerne auch den „Benefit“ für die gesamte Gesellschaft ergänzen.

Während Skandinavien und Großbritannien zahlreich vertreten waren, lag die deutsche, französische und Italienische Beteiligung traditionell niedrig bei jeweils zwei TeilnehmerInnen. Unsere südlichen Nachbarn Österreich und die Schweiz waren etwa doppelt so stark vertreten. Vielleicht wird das bei der räumlich näheren Konferenz vom 17.-19.11.2010 in Den Haag besser. Dort wird das Thema Verkehrssicherheit eine zentrale Rolle spielen.

Ganz persönlich fand ich es spannend in dieser Stadt – meist zu Fuß – unterwegs zu sein. Sie hat etwas von London und Mexiko-Stadt gleichzeitig und ist selten leise. Die hohe Dichte und Nutzungsintensität sorgen für Abwechslung. Ein besonderes Erlebnis ist der Gang über die Brooklyn-Bridgde, die von vielen New Yorkern gerne im Alltag zu Fuß und mit dem Rad genutzt wird. Nicht versäumen sollte man den Blick vom Empire State Building auf die Stadt hinab und die Umrundung Manhattans mit dem Schiff.

Weitere Informationen:

 

Dieser Artikel von Paul Bickelbacher, der selbstständig als Stadt- und Verkehrsplaner arbeitet, sich bei FUSS e.V: und in der SRL engagiert und für die Grünen im Münchner Stadtrat sitzt, ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 1/2010, erschienen.

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