Rezension aus der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Ausgabe Nr. 79/2014
In vielen Ländern erreicht ein nennenswerter Anteil der Bevölkerung nicht die empfohlene Dauer moderat-intensiver Bewegung von 150 Minuten pro Woche bei Erwachsenen bzw. 60 Minuten pro Tag bei Kindern. Die Ursachen hierfür werden nicht nur in individuellen Faktoren (z.B. mangelndem Wissen über die gesundheitlichen Konsequenzen), sondern auch in einer Verhaltensumwelt gesehen, die immer weniger zu einer körperlichen Bewegung anregt.
Der vor allem in den USA und einigen europäischen Ländern entwickelte wissenschaftliche Ansatz der Walkability soll Wege aufzeigen, wie dem Bewegungsmangel mit einer Kombination von verhaltenspräventiven Interventionen (mit Bezug auf die Individuen) und verhältnispräventiven Maßnahmen (mit Bezug auf den sozialen Kontext und die Verhaltensumgebung) entgegengewirkt werden kann. Im Mittelpunkt stehen dabei nicht sportliche Aktivitäten, sondern die leicht- und moderat-intensive Bewegung im Zusammenhang mit Alltagsaktivitäten (Wege zur Arbeit, Spazierengehen etc). Der Sammelband enthält in 29 Kapiteln theoretische, methodische, konzeptionelle und praxisbezogene Beiträge, die diesem anspruchsvollen Ansatz verpflichtet sind.
Walkability geht über das Schaffen von fußgängerfreundlichen Bedingungen in einem verkehrsplanerischen Rahmen hinaus, denn der Begriff der Verhaltensumwelt wird „sozial-ökologisch“ sehr viel weiter gefasst. Er beinhaltet nicht nur die gebaute Umwelt (der Siedlungen und Verkehrsanlagen), sondern auch die soziokulturelle Umwelt, die natürliche Umwelt (z.B. Parks) und die informationsbezogene Umwelt (mediale Vernetzung etc.). Es wird angenommen, dass die objektive Ausgestaltung dieser Umwelten und deren subjektive Bewertung durch die Einwohnerinnen und Einwohner wichtige „Determinanten“ für das Ausmaß der Bewegung im Alltag darstellen. So gesehen sagt Walkability etwas über die Möglichkeit aus, sich im Alltag in einer gegebenen Umwelt ausreichend zu bewegen.
In statistischen Zusammenhangsanalysen wird untersucht, welche Form der Ausgestaltung dieser Umwelt zu mehr Bewegung führt. Im engeren Sinne wurden dabei auf Gemeindeebene fünf Dimensionen identifiziert: Dichte (z.B. Siedlungsdichte), Diversität (Nutzungsmischung), Design (Gestaltung von Siedlungen, Verkehrsanlagen und Aufenthaltsräumen), Erreichbarkeit von wichtigen Aktivitätszielen im Alltag sowie die Distanz zu Haltestellen des ÖPNV. Im weiteren Sinne werden auch ästhetische Qualitäten und Faktoren des sozio-kulturellen Umfeldes (z.B. die Art des Zusammenlebens in einem Quartier) hinzugerechnet. Insbesondere im Ausland wurden auf dieser Basis eine Reihe von Tools entwickelt, die eine Messung der Walkability auf Gemeinde- oder Quartiersebene mit Hilfe von Indizes ermöglichen sollen, um auf dieser Basis Ansatzpunkte für umweltbezogene Interventionen identifizieren zu können.
Der sozial-ökologische Ansatz der Walkability lässt sich zudem aus der im Jahr 2010 präsentierten „Toronto-Charta für Bewegung“ ableiten, die von Ländern, Regionen und Gemeinden ein Engagement für mehr Bewegung, unter anderem im Einflussbereich der gebauten Umwelt, fordert. Diese Charta wurde mittlerweile durch Dokumente zu Umsetzungsstrategien in einzelnen Handlungsfeldern ergänzt (u.a. in den Bereichen Verkehr und Stadtplanung).
Einige der Autoren plädieren dafür, eine solche Bewegungsförderung transdisziplinär - also in der Zusammenarbeit von Wissenschaft, Verwaltungen, weiteren Organisationen sowie Bürgergruppen - umzusetzen und zudem intersektoral anzulegen. Einzelne Formen der politischen und organisatorischen Verankerung eines solchen Ansatzes werden anhand von Fallbeispielen behandelt: z.B. die Funktion eines Fußgängerbeauftragten innerhalb der Stadtverwaltung (Wuppertal), Aktionskreise von Bürgerinnen und Bürgern in Stadtteilen von München und Göttingen, kommunale Gesundheitskonferenzen (in NRW) sowie das Programm einer strukturellen Bewegungsförderung in der Schweiz.
Die Beiträge dieses Sammelbandes geben einen guten Überblick über den Stand der Forschung im Bereich der Bewegungsförderung. Sie legen einen Schwerpunkt auf konzeptionelle Fragen und stellen die wesentlichsten Befunde zu den Zusammenhängen zwischen verschiedenen Einflussgrößen und dem Bewegungsverhalten zusammen, ohne allzu weit in methodische und empirische Details zu gehen. Insofern eignet sich das Buch auch für Personen, die sich neu mit diesem Forschungsfeld beschäftigen möchten.
In den Beiträgen wird häufig, wie in der US-Forschung, ein „transportbezogenes“ Gehen zum Erreichen bestimmter Wegziele (z.B. Einkaufsläden) von einem „freizeitbezogenen“ Gehen unterschieden, was analytisch allerdings grob und im Hinblick auf Gestaltungsmaßnahmen eher nicht zweckmäßig ist. Die theoretische Schwäche des Ansatzes liegt in seinem Hang zu umweltdeterministischen Erklärungen. Der Fokus der empirischen Forschung liegt auf statistischen Querschnittsanalysen (Untersuchung von Zusammenhängen zu einem gegebenen Zeitpunkt). Es liegen noch nicht viele fundierte Begleituntersuchungen von Interventionen in der Bewegungsumwelt vor. Die Befunde in den vorliegenden Studien sind zudem noch uneinheitlich.
Der Vorschlag transdisziplinär und intersektoral abgestimmter Programme der Bewegungsförderung mag richtig sein. Die Herausforderung besteht aber darin, solche komplexen Programme organisatorisch und finanziell zu Stande zu bringen und dauerhaft zu etablieren. Die in den Fallbeispielen präsentierten Erfahrungen sprechen eher dafür, mit enger abgegrenzten Programmen zu beginnen.
Walkability. Das Handbuch zur Bewegungsförderung in der Kommune. Bern 2014 (352 S.)
Jens Bucksch & Sven Schneider
Verlag Hans Huber: Buch (49,95 Euro), eBook (42,99 Euro).
Erstveröffentlichung in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewe-gung, Mai 2014. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.
Autor dieser Ausgabe: Helmut Schad.
Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.fuss-eV.de
Möchten Sie, dass eine aktuelle Fachliteratur mit einem deutlichen Fußverkehrs-Bezug im Kritischen Literaturdienst Fußverkehr besprochen wird, nehmen Sie bitte mit FUSS e.V. Kontakt auf.
Rezension aus der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Ausgabe 78/2013
Victoria Walks ist eine Organisation im australischen Bundesstaat Victoria, die das Zufußgehen aus Gesundheitsgründen unterstützt und dafür öffentliche Mittel erhält. In ihrem Auftrag hat Jan Garrard eine Studie zur Mobilität von Senioren zu Fuß erstellt. Anlass dafür war die Erkenntnis der bisherigen Gesundheitsforschung, wonach die moderate Bewegung zu Fuß gerade für Senioren besonders wichtig ist, weil andere Arten der körperlichen Bewegung in dieser Altersgruppe seltener werden. Zudem ist das Zufußgehen für Senioren ein wichtiges Mittel, um den Gesundheitszustand und das Wohlbefinden zu verbessern, die persönliche Mobilität sicherzustellen und soziale Bezie-hungen aufrecht zu erhalten. Fördermaßnahmen, die dem Erreichen dieser Ziele dienen, sollten allerdings altersgerecht und räumlich spezifisch ausgerichtet sein. Die Studie will das dafür notwendige Wissen bereitstellen.
Die Untersuchung stellt Ergebnisse der Forschung zu hemmenden und fördernden Einflussfaktoren auf die Mobilität von Senioren vor. Sie präsentiert Ergebnisse von Fokus-Gruppen-Diskussionen mit 32 Senioren sowie einer eigenen quantitativen Befragung von 1.128 Senioren. Auf dieser Basis werden in einem zehnseitigen Kapitel strategische Schlussfolgerungen gezogen und Maßnahmenempfehlungen gegeben.
Aus Befunden der umfangreich ausgewerteten Forschung wird gefolgert, dass ein Rückgang des Gehens in höherem Alter weniger mit einer Abnahme der Lust am Gehen, sondern eher mit diversen Barrieren zu tun habe, die im Alter besonders einschränkend wirken. In der Forschung werde bislang aber noch wenig verstanden, welche Faktoren genau das Gehen von Senioren behindern oder fördern.
Die Diskussionen in den Fokus-Gruppen zeigen eindrucksvoll, dass Senioren dem Gehen - auch im Vergleich zu jüngeren Menschen - einen sehr hohen Stellenwert als Element einer eigenständigen Lebensführung im Alter beimessen. Es besteht der Wunsch, möglichst lange aus eigener Kraft mobil sein zu können.
Die diversen Barrieren, wie z.B. stark befahrene Straßen, Beeinträchtigungen durch Radfahrer auf gemeinsamen Wegen, Regen oder schlechte Beleuchtung, führen nach Auskunft von geübten Zufußgehenden nicht automatisch zu einer Abnahme der Gehhäufigkeit. Sie haben vielfältige An-passungsstrategien zur Folge: z.B. Umwege, ein defensives Verhalten im Straßenraum oder die Wahl der Zeiten des Gehens in Abhängigkeit von den Beleuchtungsverhältnissen. Ein für Senioren sehr wichtiger Sicherheitsaspekt ist die Angst zu stürzen. Dem Zustand des Belags sowie der Beleuchtung der Wege messen sie deshalb eine hohe Priorität bei. Den Gehkomfort schränken Kreis-verkehre (wegen der verlängerten Wegstrecke), aber auch schnelle Fahrradfahrende auf gemeinsam genutzten Wegen sowie nicht angeleinte Hunde ein.
Die Ergebnisse der Befragung weisen darauf hin, dass eine Palette vielfältiger, oft auch kleinerer Verbesserungsmaßnahmen erforderlich ist. Neben den im engeren Sinne verkehrstechnischen Faktoren (inklusive Bodenbelag und Beleuchtung) wird von Senioren auch der Sensibilisierung von Autofahrenden und Radfahrenden eine hohe Bedeutung beigemessen.
Für die meisten Senioren ist eine eigenständige Mobilität so wichtig, dass sie nicht extra motiviert werden müssen, zu Fuß zu gehen. Bei den Empfehlungen tritt deshalb das Schaffen von se-niorengerechten Umfeldbedingungen in den Vordergrund. Dabei sollen jene Aspekte beachtet werden, die Senioren wichtiger als anderen Altersgruppen sind: die Gestaltung und der Unterhalt der Wegeinfrastruktur, auch mit dem Ziel, Stürze zu vermeiden; ein rücksichtsvolles Verhalten der anderen Verkehrsteilnehmenden (mit Autos, Rädern, Hunden); die Ästhetik der Wegführung; Sitz- und Schutzgelegenheiten unterwegs sowie öffentliche Toiletten.
Der Politik wird empfohlen, eine Fußverkehrsstrategie zu entwickeln, in der das Gehen in der Siedlungs- und Verkehrsplanung besser verankert und auch mit kleinräumigen Maßnahmen geför-dert wird. Seniorengerechte Siedlungen sollen ein Wohnen in Distanzen bis zu einem Kilometer Entfernung von Aktivitätszentren ermöglichen. Garrard empfiehlt, die Mobilität von Senioren zu Fuß in die Straßensicherheitsstrategie des Bundeslandes zu integrieren und mit einem Finanzierungsprogramm für Fußverkehrsinfrastrukturen zu unterstützen.
Lokalen Verwaltungen wird geraten, ein Programm zur Überprüfung der Fußgängerfreundlichkeit (walkability) der für Senioren wichtigen Gebiete zu etablieren, das u. a. Kriterien zur Belagsgestaltung und Beleuchtung sowie zu Grünzeiten an Ampeln enthält.
Diese gründliche Untersuchung gründet sich methodisch auf mehrere Säulen. Dadurch können verschiedene Aspekte des Themas herausgearbeitet werden. Die durchgeführten Gespräche in Fokus-Gruppen lassen z. B. vielfältige Anpassungsstrategien der Senioren erkennen. Auch wird die im Vergleich zu anderen Altersgruppen hohe Bedeutung des Belags sowie der Beleuchtung als Ri-sikofaktoren für die nicht zu vernachlässigende Sturzgefahr deutlich. Die Studie bietet einen reichen Fundus von empirischen Befunden zur Bedeutung des Zufußgehens bei Senioren. Sie empfiehlt zudem eine Reihe von geeigneten Maßnahmen, mit denen die Mobilität der Senioren zu Fuß sichergestellt und damit auch deren Lebensqualität und Gesundheit gewährleistet werden kann.
Senior Victorians and walking: obstacles and opportunities. Final report. Melbourne 2013, 158 S.
Garrard, Jan
Victoria Walks Inc., Melbourne, gratis-download: www.victoriawalks.org.au
Erstveröffentlichung in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Februar 2014. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.
Autor dieser Ausgabe: Helmut Schad.
Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.fuss-eV.de
Möchten Sie, dass eine aktuelle Fachliteratur mit einem deutlichen Fußverkehrs-Bezug im Kritischen Literaturdienst Fußverkehr besprochen wird, nehmen Sie bitte mit FUSS e.V. Kontakt auf.
Die folgenden unkommentierten Literatur-Hinweise zum Fußverkehr sind lediglich nach dem Erscheinungsdatum in
sortiert. Wenn Sie weitere Hinweise geben möchten, nehmen Sie bitte mit uns Kontakt auf.
BMVBS (2011): Ohne Auto einkaufen. Nahversorgung und Nahmobilität in der Praxis. Werktstatt: Praxis Heft 76.
Verkehrsministerium Baden-Württemberg (1998): Leitlinien zur systematischen Verbesserung von Fußwegenetzen.
WHO (2013): Pedestrian safety. A road safety manual for decision-makers and practitioners.
University of the Wes of England & Living Streets (2011): Making the Case for Investment in the Walking Environment. A review of the evidence
The Gallup Organization (2011): Future of transport. Analytical report. Flash Eurobarometer 312. European Commission.
Mayor of London. Transport of London (2004): Making London a walkable city. The Walking Plan for London
Rezension aus der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Ausgabe 77/2013
In kommunalen Mobilitätsstrategien einer Reihe von Städten wird dem Fußverkehr eine wichtige Rolle beigemessen. Selten wird dabei jedoch ein konzeptioneller Ansatz verfolgt, in dem auf lange Sicht hin Verbesserungsmaßnahmen auf der Grundlage der Anforderungen von Einwohnerinnen und Einwohnern ergriffen werden. Ein gutes Beispiel für einen solchen Ansatz stellt das vor rund zehn Jahren begonnene Konzept Nahmobilität für den Münchner Stadtbezirk Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt dar.
Es ist in eine Stadtentwicklungsstrategie eingebettet, die in mehreren Handlungsfeldern eine Stärkung der Nahmobilität verfolgt: Die seit rund 15 Jahren verfolgte Stadtentwicklungsstrategie „kompakt, urban und grün“ hat das Ziel einer Innenentwicklung und Verdichtung; ein Zentrenkonzept für Stadtteil- und Quartierzentren soll die Nahversorgung garantieren; ein flächendeckendes Parkraummanagement soll den Zielverkehr verträglich gestalten; ein auf verschiedene Adressatengruppen ausgerichtetes Mobilitätsmanagement motiviert zur Nutzung von Alternativen zum Pkw.
Der besprochene Buchbeitrag stellt die Organisation sowie den Ablauf des Stadtviertelkonzepts Nahmobilität dar und nimmt eine Bewertung der bisherigen Erfahrungen vor. Der Autor Paul Bickelbacher spricht sich in Abgrenzung zu ähnlichen Begriffen, wie z.B. „aktive Mobilität“, „Basismobilität“ oder „Langsamverkehr“, für den Begriff der „Nahmobilität“ aus, denn darin soll explizit ein Quartiersbezug zum Ausdruck kommen: „Nahmobilität ist die Mobilität zu Fuß, mit dem Fahrrad oder verwandten Verkehrsmitteln wie Roller, Inline-Skates und Rollstuhl, die im Alltag in ihrer Reichweite begrenzt ist und eine aktive Form der Mobilität darstellt, die auf der eigenen Körperkraft beruht.“ Betont werden die mit der Nahmobilität einhergehenden höheren Ansprüche an das städtebauliche Umfeld und die Berücksichtigung der Aktivitätsziele im Wohn- und Arbeitsumfeld.
Als Voraussetzungen für eine attraktive Nahmobilität werden aus diesen Gründen eine Stadtplanung der kurzen Wege, attraktive öffentliche Räume und eine funktionale Wegeinfrastruktur für den Fuß- und Radverkehr angesehen. Bickelbacher schlägt vor, das Konzept der Nahmobilität künftig als dritte Säule neben dem öffentlichen Verkehr und dem motorisierten Individualverkehr zu etablieren. Die Stadt München erarbeitet aktuell einen zweistufigen Grundsatzbeschluss zur Förderung der Nahmobilität bei der Planung aller neuen Stadtquartiere.
Das Stadtviertelkonzept Nahmobilität wurde vor gut zehn Jahren entwickelt. Pilotgebiet ist der südlich der Altstadt gelegene Münchner Stadtbezirk 2 Ludwigsvorstadt-Isarvorstadt (46.000 Einwohner, 440 ha, 30% Anteil der Wege der Einwohner zu Fuß, 23% mit dem Rad). Kennzeichen des Planungsprozesses ist eine intensive Beteiligung der Bevölkerung. In der Phase der Problemanalyse hatten die Bürgerinnen und Bürger mehrfach Gelegenheit, Schwachstellen zu benennen und Anregungen zur Planung abzugeben: im Rahmen einer Auftaktveranstaltung, via Internet, Fax und Telefon sowie auf mehreren Quartiersexkursionen.
Häufig genannte Verbesserungsvorschläge für den Fußverkehr betrafen dabei Querungen. Zusammen mit den von Planern identifizierten Schwachstellen wurden die Bürgervorschläge in den Entwurf eines Maßnahmenkonzepts eingebracht, der in zwei Bürgerforen diskutiert wurde. Für das zweite Forum wurden Bürgerinnen und Bürger per Zufallsauswahl aus der Einwohnermeldedatei ausgewählt, um ein heterogenes Teilnehmerspektrum zu erreichen. In diesen Foren wurden Planungsgrundsätze gewichtet und besonders aufwändige Maßnahmenvorschläge bewertet. Das Ergebnis dieser Foren wurde in einem Bürgergutachten und einem Schwachstellenplan zusammengefasst.
Daraus wurde eine Zielplanung mit anzustrebenden Zuständen für die Nahmobilität abgeleitet. Das von den begleitenden Planern zusammengestellte Konzept mit 230 Maßnahmen wurde verwaltungsintern abgestimmt; realisierbare kurz- und längerfristige Maßnahmen wurden bestimmt. Nur ein Teil davon wurde bislang umgesetzt. Im Fußverkehr ist gut ein Drittel der Maßnahmen in der geplanten oder einer ähnlichen Form realisiert bzw. eine Umsetzung ist konkret geplant.
Aus den Erfahrungen mit diesem Planungsprozess leitet Bickelbacher Empfehlungen für künftige Vorhaben ab: Stadtteilexkursionen mit Bürgerinnen und Bürgern seien besonders aufschlussreich, wenn sie mit ausgewählten Adressatengruppen (z.B. Eltern-Kind-Initiativen) stattfinden. Der Stadtbezirk wird als geeigneter Planungsraum für den Fußverkehr angesehen. Mit Blick auf die Finanzierung könne aber eine Konzentration auf einzelne Bereiche erfolgen, in denen künftig Bau- bzw. Sanierungsarbeiten stattfinden. Das Maßnahmenprogramm solle nicht nur langfristige, sondern auch sofort umsetzbare Maßnahmen enthalten.
Auf Seiten der Verwaltung müssten ausreichende personelle Kapazitäten, eine personelle Kontinuität und eine geeignete Projektstruktur unter Benennung eines federführenden Amtes geschaffen werden. Die Förderung der Nahmobilität solle mit Maßnahmen des Parkraummanagements, des Mobilitätsmanagements und des öffentlichen Verkehrs unterstützt werden.
Der Beitrag zeigt einen exemplarischen Weg auf, die Situation der Zufußgehenden langfristig unter Mitwirkung der Einwohnerinnen und Einwohner zu verbessern. Das entwickelte Konzept zur Förderung der Nahmobilität verspricht Erfolg, weil es maßstabsgerecht auf der Ebene eines Stadtbezirks angesiedelt ist, denn hier findet ein beträchtlicher Teil des Fußverkehrs der Einwohnerinnen und Einwohner statt. Und die Verfahren der Bevölkerungsmitwirkung können auf dieser Ebene praktikabel umgesetzt werden.
Das dargestellte Beispiel zeigt aber auch, in welchen Zeiträumen - zehn Jahre und länger - und mit welchem hohen organisatorischen Aufwand vorgegangen werden muss, wenn vielfältige Defizite bei den Angeboten der Nahmobilität beseitigt werden sollen. In dieser Hinsicht wären in dem besprochenen Beitrag ergänzende Angaben zu den Planungs- und den Umsetzungskosten hilfreich gewesen. Zu den Wirkungen der bereits umgesetzten Maßnahmen werden noch keine Aussagen getroffen. In Zukunft dürften Wirkungsanalysen zur Überprüfung der Zielerreichung der Vielzahl umgesetzter Einzelmaßnahmen zweckmäßig sein. Deren Ergebnis könnte weitere Argumente für die Förderung der Nahmobilität beisteuern.
Nahmobilität als Schlüssel zum Erfolg - Das Beispiel München.
Paul Bickelbacher
Beitrag in: Mager, T. J. (Hrsg., 2013): Mobilität für die Stadt der Zukunft. Köln: kölner stadt- und verkehrs-verlag. 34 Euro, www.ksv-verlag.de
Erstveröffentlichung in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, November 2013. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.
Autor dieser Ausgabe: Helmut Schad.
Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.fuss-eV.de
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Rezension aus der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Ausgabe 76/2013
Ein Schwerpunkt im Unfallgeschehen sind Unfälle von Zufußgehenden, deren Anzahl sich zudem in den letzten Jahren nicht nennenswert verringert hat. Pro Jahr sind (in der Schweiz) immer noch rund 2.500 Fußgängerunfälle festzustellen. Immerhin 38 % davon finden auf Fußgängerstreifen statt (in der Schweiz sind sowohl Fußgängerfurten von Lichtsignalanlagen als auch Fußgängerüberwege mit Zebrastreifen markiert). In Bezug auf die Entstehung dieser Unfälle besteht ein Forschungsbedarf, will man wirkungsvolle Interventionen vornehmen. Aus dieser Motivation heraus hat eine Gruppe von Experten von Fussverkehr Schweiz und der Dienstabteilung Verkehr der Stadt Zürich mit finanzieller Unterstützung des Fonds für Verkehrssicherheit eine detaillierte Analyse der Unfälle von Zufußgehenden in der Stadt Zürich vorgenommen und einen besonderen Fokus auf Fußgängerstreifen gelegt.
Grundlagen dafür waren die Daten des Unfallaufnahmeprotokolls der Verkehrsunfallstatistik der Jahre 2003 bis 2010, die mit weiteren Merkmalen zum Unfallort ergänzt wurden.
Der veröffentlichte Bericht gibt einen Überblick über das Aufkommen an Unfällen auf Fußgängerstreifen, zeigt zeitliche und räumliche Muster auf, geht den infrastrukturellen und örtlichen Umfeldbedingungen nach und arbeitet Unterschiede in der Unfallbeteiligung nach Alter und Geschlecht heraus.
Von den ausgewerteten 1.758 polizeilich erfassten Unfällen von Zufußgehenden in der Stadt Zürich fanden 789 (45%) beim Queren auf dem Fußgängerstreifen einer Lichtsignalanlage (LSA) oder auf einem Fußgängerüberweg (FGÜ) statt. In 23% der Unfälle war eine Lichtsignalanlage in Betrieb. Der typische Unfall von Zufußgehenden geschah also auf einer Strecke (außerhalb eines Knotens) ohne LSA-Regelung.
Die Unfallrate bei Frauen lag höher als bei Männern. Korrigiert mit der höheren Exposition (Teilnahme am Fußverkehr) der Frauen verschwinden die Geschlechterunterschiede aber weitgehend. Was bleibt, ist aber der hohe Anteil der Männer an den in Fußgängerunfälle verwickelten Fahrzeuglenkenden.
Auffallend ist die Unfallhäufung am späten Nachmittag und frühen Abend im Winterhalbjahr, was auf eine Kombination ungünstiger Licht- und Witterungsverhältnisse und hoher Verkehrsbelastungen des Fuß- wie auch des Fahrverkehrs zurückgeführt wird.
Aus dem Fehlen von örtlichen Schwerpunkten wird geschlossen, dass die Unfallursachen nicht primär in einer mangelhaften lokalen Infrastruktur zu suchen sind. An LSA-geregelten Fußgängerstreifen bei ÖPNV-Haltestellen kam es nicht zu einer erhöhten Unfallhäufigkeit.
Ein unvermitteltes Betreten der Fahrbahn durch Fußgänger war, entgegen der öffentlichen Diskussion, kein häufiger Unfallgrund. Im Gegenteil: Die Hälfte der Unfälle geschah auf dem zweiten bzw. weiteren Fahrstreifen. Markant ist auch der hohe Anteil Verunfallter, die aus Sicht der Fahrzeuglenkenden von links kamen. Die Autoren fordern daher, diese Problemsituation vertieft zu analysieren und Maßnahmen zu entwickeln. Dies betrifft z.B. den toten Winkel durch die A-Säule der Autos (Verbindung zwischen Fahrzeugdach und vorderer Spritzwand), Inselschutzpfosten, die Montage von Signalen sowie den Aufmerksamkeitsfokus der Autofahrenden und der Zufußgehenden.
Weitere Empfehlungen betreffen die Ausgestaltung von Sensibilisierungskampagnen, das Erheben von expositionsbereinigten Daten und das Erfassen spezifischer Bedingungen, wie z.B. der Sichtweiten.
In der Arbeit werden die einzelnen möglichen Einflussgrößen und Rahmenbedingungen für Fußgängerunfälle systematisch untersucht. Darüber hinaus werden unterschiedliche Konstellationen von Angebotsbedingungen (Anzahl Fahrstreifen, Gegenverkehr, Vorhandensein einer Insel) in ihren Konsequenzen betrachtet. Zugute kommt diesen differenzierten Analysen die Tatsache, dass die Stadt Zürich über die Unfallstatistik des Bundes hinausgehend zusätzliche Unfallmerkmale erhebt.
Sehr zweckmäßig ist der Ansatz, die verfügbaren Daten zur Exposition einzelner Bevölkerungsgruppen (anhand ihrer Verkehrsleistung zu Fuß und mit Kraftfahrzeugen) zu nutzen. Damit können Fehlschlüsse vermieden und geschlechtsspezifische Unterschiede bei der Unfallverursachung und der -beteiligung genauer unter die Lupe genommen werden. Der Handlungsbedarf wird relativ klar erkennbar. Und es werden bereits Hinweise zu den Handlungsfeldern und möglichen einzelnen Maßnahmen gegeben. Aufgrund der statistisch-analytischen Zielrichtung der Arbeit müssen die Empfehlungen insgesamt freilich noch recht allgemein bleiben.
Die festgestellten komplexen Probleme erfordern weitere maßnahmenbezogene Abklärungen. Insbesondere betrifft dies die hohen Unfallzahlen in den winterlichen Abendstunden und den hohe Anteil von Unfällen mit Zufußgehenden, die aus Sicht der Fahrzeuglenkenden von links kommen. Erkennbar wird auch, dass die Datengrundlagen weiter verbessert werden sollten, insbesondere, was die Routenwahl und die Wahl der Querungsstellen anbelangt, damit die Exposition der Zufußgehenden in unterschiedlichen Querungssituationen noch genauer berücksichtigt werden kann. Bei der Darstellung der Analyseergebnisse zeichnet sich der Bericht durch eine große Detailfülle aus. Das Dokument ist insgesamt aber gut lesbar. Die Argumentation ist in Bezug auf den weiteren Handlungsbedarf gut nachvollziehbar.
Unfälle auf Fussgängerstreifen in der Stadt Zürich. Detailauswertung der Verkehrsunfallstatistik 2003-2010, Zürich 2012: Fussverkehr Schweiz & Stadt Zürich (DAV), 44 S.
Thomas Schweizer, Wernher Brucks, Mathieu Pochon, Christian Thomas
Download gratis als PDF bei: www.fussverkehr.ch
Erstveröffentlichung in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, August 2013. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.
Autor dieser Ausgabe: Helmut Schad.
Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.fuss-eV.de
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Rezension aus der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Ausgabe 43/2005
Die gebaute Umwelt muss für alle Menschen nutzbar sein. Im öffentlichen Raum dürfen Nutzerinnen und Nutzer nicht ausgegrenzt, in ihrer Mobilität beeinträchtigt oder in ihrer Sicherheit und Selbständigkeit eingeschränkt werden. Diskriminierungen durch bauliche Barrieren oder Hindernisse müssen vermieden oder beseitigt werden. Diese Grundsätze stützen sich auf Artikel 8 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft. Die sich daraus ergebenden Anforderungen an behindertengerechte Fußwegenetze sind in einer Richtlinie der Schweizerischen Fachstelle für behindertengerechtes Bauen zusammen gestellt worden, die als Planungshilfe sowie als Grundlage für Normen und gesetzliche Regelungen (in der Schweiz) dienen soll.
Die Broschüre gliedert sich in die baulichen Anforderungen sowie die Grundlagen der Planung. Ergänzt wird dies um einen knappen Anhang zu wichtigen Hilfsmitteln und Orientierungstechniken von Mobilitätsbehinderten.
Die Anforderungen werden im Sinne des Grundsatzes „Design für alle“ formuliert: Die Gestaltung der Fußwegenetze soll allen Nutzergruppen Rechnung tragen. Zusätzliche oder spezielle Maßnahmen für behinderte Menschen werden nur dort verlangt, wo sie aus funktionalen Gründen oder für die Sicherheit im Verkehr (Ampelzusatzgeräte) notwendig sind. Bei den baulichen Anforderungen werden neben den auch in anderen Empfehlungen schon häufiger behandelten Themen der Wegbreite, Belagsgestaltung und Anlage von Fußgängerüberwegen spezifische Aspekte behandelt: z.B. Geländer, Abschrankungen, Baustellensicherung, Informations- und Orientierungssysteme, Leitliniensysteme und der Einsatz der Beleuchtung zur Unterstützung der Orientierung.
Geländer/Abschrankungen: Absturzhöhen über 20 cm sind abzusichern oder taktil und visuell (z.B. Belagswechsel) erkennbar zu machen. Absturzhöhen über 40 cm sind durch Geländer oder Abschrankungen zu sichern. Dabei ist die Tastbarkeit mit dem weißen Stock durch eine Traverse maximal 30 cm über Boden oder einen durchlaufenden, mindestens 3 cm hohen Sockel zu gewährleisten. Auch offene Bachläufe und Wasserflächen sind entsprechend abzusichern, durch Helligkeitskontrast soll der Randstein von der Wasserfläche und dem angrenzenden Bodenbelag hervorgehoben werden. Schranken und Schikanen sind möglichst zu vermeiden. Auf jeden Fall sind Durchfahrbreiten von mind. 170 cm (mit Scooter oder E-Rollstuhl), die Tastbarkeit sowie die Farbmarkierung an Durchgangsschranken zu garantieren. Baustellen und -gruben sind lückenlos mit Latten, Holzwänden oder Drahtgittern abzuschranken, die Absperrelemente müssen tastbar sein (in 30 cm und 90 cm Höhe). Mulden sind wegen ihrer auskragenden Form innerhalb der Abschrankung aufzustellen.
Kreisverkehre: Sicherheit und Orientierung sehbehinderter Personen sind bei Übergängen am Kreisel nicht gewährleistet, weshalb hier grundsätzlich ampelgeregelte Kreuzungen vorzuziehen sind. Wird trotzdem ein Kreisel eingesetzt, soll die Überquerung der Fahrbahn im Abstand von mind. 5 m mit Mittelinsel gesichert, das Auffinden des Fußgängerüberwegs durch feste Abschrankungen zur Fahrbahn oder durch Leitlinien ermöglicht und zusätzlich eine taktile Hinführung durch Leitlinien eingerichtet werden.
Informations- und Leitsysteme: Wichtige Informationen sind nach dem „Zwei-Sinne-Prinzip“ akustisch wie auch visuell anzuzeigen (z.B. Liniennummern und -richtungen auch akustisch). Taktile Beschriftungen sind z.B. an Handläufen anzubringen, an Bahnhöfen und in Parkanlagen werden Reliefpläne für Sehbehinderte empfohlen. Die gestalterischen Elemente sind so einzusetzen, dass sie blinden und sehbehinderten Menschen ermöglichen, sich an einer zusammenhängenden Informationskette zu orientieren. Wichtige Wegverbindungen und Zugänge zu öffentlichen Gebäuden sind visuell und taktil von der übrigen Fläche abzuheben. Die Gestaltung soll einheitlich nach dem „Leitliniensystem Schweiz“ ausgeführt werden, das Standards für Richtungsanzeige, Abzweigungen, Richtungsänderungen und Aufmerksamkeitsfelder (z.B. an Haltestellen) definiert.
Im Kapitel „Grundlagen“ werden Angaben zum Platzbedarf und zu Manövrierflächen von Fahrhilfen gemacht, es werden die Anforderungen an Bedienungselemente (Tastaturen, Automaten) aufgeführt, Standards für Schriftzeichen, Schriftgrößen, taktile Schriften, Reliefschriften und Brailleschriften (Punktschriften), für den Helligkeits- und Farbkontrast sowie Markierungen festgelegt. Licht soll als Orientierungselement eingesetzt werden, z.B. mittels Lichtinseln an Wegkreuzungen und Haltestellen oder mit gezielter Beleuchtung zur plastischen Hervorhebung von Absätzen und Kanten. Ein Schutz vor direkter Beleuchtung und vor indirekter Blendung ist zu gewährleisten.
Die Richtlinien bieten einen umfassenden, komprimierten Überblick der wesentlichen Anforderungen an die Gestaltung von Wegen, Plätzen, Haltestellen, Baustellen, Informations-, Orientierungs- und Leitsysteme, Treppen sowie Liften. Knappe Texte zu jedem Gestaltungsaspekt werden durch aussagekräftige Skizzen ergänzt. Die Richtlinien werden so zu einer äußerst nützlichen Planungshilfe.
Richtlinien „Behindertengerechte Fusswegnetze“, 30 Seiten, Zürich 2003
Eva Schmidt, Joe A. Manser
kostenlos bei der Herausgeberin: Schweizerische Fachstelle für behindertengerechtes Bauen, Kernstrasse 57, CH-8004 Zürich, Tel. 0041 44 299 97 97, e-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!; www.hindernisfrei-bauen.ch
Erstveröffentlichung in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Dezember 2004. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.
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Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.fuss-eV.de
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Rezension aus der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Ausgabe 75/2013
Verkehrsbezogene Daten sind eine wichtige Grundlage für die Identifikation von Problemen, das Bestimmen des Handlungbedarfs und das Ausgestalten geeigneter Maßnahmen der Planung. Außerdem sind sie unerlässlich für das Beobachten der Verkehrsentwicklung und die Wirksamkeitskontrolle von realisierten Maßnahmen. Diese Aufgaben können nicht mehr effektiv umgesetzt werden, wenn die erforderlichen Daten zum Fußverkehr fehlen oder eine ungenügende Qualität aufweisen.
Die Tatsache, dass die Bedeutung des Zufußgehens im Alltagsverkehr lange Zeit unterschätzt wurde, lag nicht zuletzt daran, dass differenzierte verkehrsstatistische Daten mit Priorität nur für den motorisierten Individualverkehr und den öffentlichen Personenverkehr erhoben wurden. Das österreichische Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie hat von Walk-space, dem Österreichischen Verein für FußgängerInnen, eine Zusammenstellung von Daten zum Fußverkehr erarbeiten lassen, die einige der bestehenden Lücken schließen soll. Die per Internet zugängliche Veröffentlichung dokumentiert die Ergebnisse in Form von Tabellen, Grafiken und kurzen textlichen Erläuterungen.
Die Arbeit beleuchtet in sieben Kapiteln die empirischen Grundlagen zum Verkehrsverhalten und zu den Anforderungen der Zufußgehenden, präsentiert Daten zu den Wirkungsbereichen Verkehrssicherheit, Gesundheit, Ökologie und Wirtschaft, geht auf den Zusammenhang von Raumstruktur und Zufußgehen ein und dokumentiert die Anforderungen von mobilitätseingeschränkten Personen. Die Daten aus insgesamt 111 Quellen stammen aus Österreich, Deutschland, der Schweiz und anderen Ländern. Viele der in den Quellen dokumentierten Aussagen sind auch für Leserinnen und Leser außerhalb Österreichs relevant.
Verkehrsverhalten: In den österreichischen Bundesländern geben zwischen 52% und 66% der Personen ab 15 Jahren an, täglich zu Fuß zu gehen. Der Modal-Split (bezogen auf Wege mit dem Hauptverkehrsmittel) bewegt sich in der Bevölkerung ab 6 Jahren, je nach Bundesland, zwischen 16% und 25%. In der Gruppe der unter 10-Jährigen und der über 69-Jährigen ist er am höchsten. Der Anteil des Zufußgehens an den zurückgelegten Kilometern ist in Österreich zwischen 1990 und 2008 allerdings von rund 5,4% auf 3,9% zurückgegangen (Bezug auf Hauptverkehrsmittel).
Vergleichsdaten aus der Schweiz zeigen, dass der Fußverkehr eine größere Bedeutung aufweist, wenn man nicht nur eigenständige Fußwege, sondern die Wegetappen betrachtet (also auch Wege von und zur Haltestelle oder zum/vom Parkplatz). Weitere präsentierte Daten betreffen Wegzwecke, Motive des Zufußgehens und die Weglängenverteilung.
In Bezug auf die Geh-Infrastruktur werden die Bewegungsbreiten, geforderte Mindestbreiten der Gehsteige, Verkehrsqualitätsstufen und Anforderungen an verschiedene Fußverkehrsinfrastrukturen übersichtlich dargestellt.
Daten zur Verkehrssicherheit zeigen, dass der Anteil der verunglückten Fußgängerinnen und Fußgängern an allen Verunglückten in Österreich im Zeitablauf konstant geblieben ist. Dargestellt werden u.a. genauere Daten zu Unfallmerkmalen, Unfallrisiko und internationalen Vergleichen.
Im Kapitel Bewegung und Gesundheit werden der Energieverbrauch für das Gehen, mittlere Gehgeschwindigkeiten sowie die positiven gesundheitlichen Effekte aufgezeigt. Es wird darauf hingewiesen, dass der menschliche Körper auf 30-40 km Bewegung pro Tag ausgelegt ist.
Betrachtete wirtschaftliche Aspekte umfassen die Kosten für verschiedene Fußverkehrsinfrastrukturen, ausgewählte Nutzen-Kosten-Verhältnisse (norwegische Daten) sowie den Zusammenhang zwischen Umsatz und Fußverkehrsstärken.
Im Kapitel Raumstrukturen wird der Zusammenhang zwischen Straßenraumgestaltung, Aufenthaltsqualität, Sozialkontakten und Lebensqualität dargestellt.
Mit Bezug auf mobilitätseingeschränkte Personen werden die Arten der Mobilitätseinschränkung, der Modal-Split und die gewünschten Mobilitätsformen dieser Personengruppe dokumentiert.
Das Vorhaben des österreichischen Bundesministeriums, eine große Bandbreite relevanter Befunde zum Fußverkehr kompakt darzustellen, verdient Anerkennung. Eine ähnliche Datenzusammenstellung wäre für Deutschland ebenfalls notwendig. Die wesentlichen Bereiche werden beleuchtet und auf spezifische Bevölkerungsgruppen, wie mobilitätseingeschränkte Personen, wird detaillierter eingegangen.
Die in Grafiken und Tabellen dokumentierten Daten geben nicht nur einen statistischen Überblick über das Thema, viele Darstellungen können auch als Informationsgrundlage für spezifische Planungsaufgaben herangezogen werden. Der Komplexitätsgrad der Darstellungen variiert, je nach verfügbarer Quelle, recht stark. Textliche Kommentierungen werden nur sehr knapp vorgenommen. Bei einem Teil der Daten und Grafiken wären zusätzliche Erläuterungen hilfreich.
Fussverkehr in Zahlen. Daten, Fakten und Besonderheiten. Wien 2013, 130 S.
Dieter Schwab, Martina Strasser, Harald Frey, Stefan Müllehner, David Schwab
BMVIT - Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie, Wien: www.bmvit.gv.at -> Verkehr -> Fuß- und Radverkehr -> Publikationen (gratis)
Erstveröffentlichung in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Mai 2013. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.
Autor dieser Ausgabe: Helmut Schad.
Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.fuss-eV.de
Möchten Sie, dass eine aktuelle Fachliteratur mit einem deutlichen Fußverkehrs-Bezug im Kritischen Literaturdienst Fußverkehr besprochen wird, nehmen Sie bitte mit FUSS e.V. Kontakt auf.
Rezension aus der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Ausgabe 74/2013
Das Internationale Transport Forum (ITF) arbeitet als zwischenstaatliche Organisation von 54 Mitgliedsländern unter dem Dach der OECD. Es sieht sich als „strategischer Think Tank“ in Bezug auf die globale, länderübergreifende Verkehrspolitik und will die Politiken in den einzelnen Mitgliedsländern unterstützen. Im Jahr 2012 wurde ein ITF-Forschungsbericht zum Themenkreis „Fussgängersicherheit, städtischer Raum und Gesundheit“ herausgegeben, der auf der Arbeit eines interdisziplinären Gremiums von über 30 Experten aus 19 Ländern beruht. Ausgewertet wurden von dieser Gruppe Veröffentlichungen, die sich mit der Verbesserung von Umwelten für das Zufußgehen auseinandersetzen (so unter anderem die COST-Studie 358 zu den Qualitätsanforderungen von Zufussgehenden, siehe Krit. Lit. Fuss 69/2011). Das Zielpublikum des Berichts wird in Fachleuten sowie Entscheidungsträgern auf den Ebenen der Mitgliedsstaaten gesehen.
Der Bericht behandelt in acht Kapiteln die Ausgangslage für die Förderung des Zufußgehens, stellt vergleichend die aktuelle Situation in einer Reihe von Ländern dar, zeigt die verschiedenen Nutzen des Fußverkehrs auf, dokumentiert umfassend die wichtigsten Planungsprinzipien und steckt den Rahmen für eine Fußverkehrsstrategie ab. In einem abschließenden Kapitel werden die wichtigsten Empfehlungen griffig in einem 12-Punkte-Programm zusammengefasst.
Bemerkenswert ist die zentrale These des Berichts, wonach der Fußverkehr aufgrund seiner Potenziale und gesellschaftlichen Nutzen eine wichtige Position auf der politischen Agenda der nationalen staatlichen Ebenen einnehmen sollte (in Deutschland also der Bundesebene). Damit wird der Behauptung widersprochen, der Fußverkehr sei lediglich ein lokales Thema, das nur die Gemeinden anpacken sollten. Begründet wird dies damit, dass der Fußverkehr ein Kern-Element einer Verkehrspolitik ist, die auf Probleme wie den Klimawandel, die Abhängigkeit von fossilen Treibstoffen, Umweltverschmutzung und die starke Zunahme des motorisierten Verkehrs reagieren muss. Zudem wird der positive Beitrag für die Gewährleistung der Mobilität einer alternden Bevölkerung und den Erhalt der Gesundheit der Bevölkerung hervorgehoben. Und der Fußverkehr wird als eine Voraussetzung für belebte und lebenswerte Städte angesehen.
Aufgrund dieses vielfältigen Nutzens wird von den Mitgliedsländern mit Nachdruck („imperativ“) die Entwicklung und Umsetzung von Fußverkehrsstrategien gefordert. Staatliche Stellen und Verwaltungen werden aufgefordert, im Prozess der Strategieentwicklung und -umsetzung eine aktive und führende Rolle zu übernehmen. Ihre Aufgabe soll darin liegen, den Rahmen für alle fußverkehrsbezogenen Aktivitäten in den jeweiligen Ländern zu setzen. Auf dieser Basis soll jeweils auf der nationalen Ebene ein Prozess der Zusammenarbeit zwischen allen relevanten Ministerien und Fachstellen etabliert werden, der idealerweise von einer koordinierenden Organisation geführt wird. Als Produkt dieser Arbeit soll ein nationaler Fußverkehrsplan entwickelt werden, der auf der Bundesebene koordinierend wirkt und eine Leitlinie für Verwaltungen der Kommunen darstellt.
Er soll dazu führen, dass auch auf der Gemeindeebene Fußverkehrspläne von professionellen Fachkräften entwickelt werden. Die Trägerschaft wird bei vorhandenen oder noch zu schaffenden Verwaltungsstellen gesehen. Diese Pläne sollen neben den „technischen“ Inhalten auch die Art der öffentlichen Mitwirkung und die Finanzierung von Maßnahmen bezeichnen. Zudem wird es als notwendig angesehen, Nicht-Regierungsorganisationen finanziell zu unterstützen, damit sie die Interessen und Anforderungen der heterogenen Anspruchsgruppen der Zufußgehenden bündeln und in den Entwicklungsprozess einbringen.
Darüber hinaus soll auf der nationalen Ebene ein Kompetenzzentrum eingerichtet werden, das Wissen in Bezug auf die effektive Förderung des Zufußgehens entwickelt und für den Planungsprozess nutzbar macht (z.B. mittels einer Dokumentation guter Beispiele und der Entwicklung von Normen und Standards).
Diese Kernaktivitäten sollen von begleitenden Politiken unterstützt werden: einer Stadtplanung, die die Abhängigkeit der Menschen vom Auto reduziert; einer starken Berücksichtigung des Fußverkehrs in der Verkehrssicherheitspolitik sowie der Gesundheitspolitik; einer verbesserten Ausbildung und einer Weiterbildung von Fachleuten, inklusive des Schaffens von Arbeitsstellen für Fußverkehrsexperten. Auch eine bessere Integration des Fußverkehrs in Planungsinstrumente, Verkehrsmodelle, Datenerhebungen und Gestaltungsrichtlinien soll erreicht werden.
Die Analysen und Empfehlungen repräsentieren gut den Stand der Fachdiskussion. Inhaltlich wird der Bogen weit gespannt. Die Themen Gesundheit, Wohlbefinden und Sicherheit erhalten ein starkes Gewicht - auch aufgrund des zentralen Arguments, wonach staatliche Stellen eine Verantwortung bei der Entwicklung des Fußverkehrs übernehmen sollen, weil sich auf diese Weise nicht nur ökonomische, sondern auch gesundheits-, gesellschafts- und umweltpolitische Ziele erreichen lassen. Zu den notwendigen Akteuren einer so ausgerichteten Förderpolitik zählen dann nicht nur die Politik und Verwaltung auf der Gemeindeebene. Dies erweitert das Feld der möglichen strategischen Ansätze enorm. Das hohe Renommee der OECD und des ITF kann dabei helfen, eine solche neue strategische Ausrichtung der Fußverkehrsförderung mit Vertretern des Bundes und der Länder zu diskutieren.
Die Empfehlungen sind naturgemäß noch aus einer recht hohen „Flughöhe“ formuliert, denn sie richten sich an einen internationalen Leserkreis. Für die Politik in den einzelnen Ländern müssen sie weiter konkretisiert werden. Eine Hilfe bieten aber die in jedem Kapitel eingefügten „guten Beispiele“ aus einzelnen Ländern. An die wissenschaftlich Interessierten richtet sich die elfseitige Literaturliste. Die wichtigen Botschaften („key messages“) und die zentralen Empfehlungen sind zusätzlich noch einmal in knappen Kapiteln zusammen gefasst.
Pedestrian Safety, Urban Space and Health. Research Report. Paris: OECD Publishing, 113 S.
International Transport Forum (2012)
http://www.oecdbookshop.org, 21 EUR eBook, 30 EUR Brosch.
Erstveröffentlichung in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Februar 2012. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.
Autor dieser Ausgabe: Helmut Schad.
Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.fuss-eV.de
Möchten Sie, dass eine aktuelle Fachliteratur mit einem deutlichen Fußverkehrs-Bezug im Kritischen Literaturdienst Fußverkehr besprochen wird, nehmen Sie bitte mit FUSS e.V. Kontakt auf.
Rezension aus der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Ausgabe 73/2012
Teil der Kampagne „Roads to Respect“ des Europäischen Verkehrssicherheitsrats ETSC war auch ein Projekt in der Stadt Weimar: der Fußgängerüberweg Taubacher Strasse. Daniel Wanzek führte in diesem Zusammenhang eine detaillierte Analyse dieses „Zebrastreifens“ durch, identifizierte Mängel, schlug Lösungen zur Verbesserung der Situation vor und begleitete die in einer ersten Runde umgesetzten Maßnahmen.
Darüber hinaus untersuchte er weitere 22 Fußgängerüberwege in Weimar und wählte zwei Überwege für eine zusätzliche Detailanalyse aus: Belvederer Allee und Ettersburger Straße. Die Arbeit soll exemplarisch aufzeigen, wie mit solchen standortsensiblen Analysen kurz- und mittelfristige Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit und der Akzeptanz dieser Art von Querungshilfen abgeleitet werden können.
Die Arbeit beginnt mit einem Überblick zur Planungsgeschichte des „Zebrastreifens“ (offiziell: Fußgängerüberweg - FGÜ). Zudem werden die Hauptergebnisse wichtiger Forschungsarbeiten der letzten zehn Jahre zu FGÜ rekapituliert. Diese Ausführungen zeigen den Zwiespalt auf, in dem die Verkehrsforschung einerseits und die Behörden der Verkehrsplanung in den Gemeinden andererseits stecken. Die Forschungsergebnisse zeigen, dass Fußgängerüberwege eine effektive, relativ kostengünstige und auch sichere Querungshilfe darstellen können, wenn bestimmte Gestaltungselemente und begleitende Maßnahmen umgesetzt werden: z.B. Mittelinseln, eine zusätzliche Beleuchtung, das Freihalten der Sichtachsen, eine Kontrolle der zulässigen Höchstgeschwindigkeit (die möglichst auf unter 50 km/h begrenzt werden sollte).
Diese Maßnahmen sind für die Verkehrssicherheit insgesamt wichtiger als die in der Richtlinie für die Anlage von Fussgängerüberwegen R-FGÜ 2001 definierten Einsatzgrenzen. Denn diese orientieren sich an den Verkehrsstärken des Fußverkehrs und des motorisierten Verkehrs, sind dabei aber so eng definiert, dass sie eine Neueinrichtung von Überwegen an vielen Stellen gar nicht mehr ermöglichen. In der Verkehrsplanung vor Ort ergibt sich zudem das Problem, dass auch die bestehenden Zebrastreifen eine Reihe der oben erwähnten Kriterien für eine hohe Verkehrssicherheit nicht erfüllen und „nachgerüstet“ werden müssten. An den 22 in Weimar untersuchten FGÜ kommen z.B. Mittelinseln und vorgezogene Seitenräume sehr selten vor.
Auch der von D. Wanzek detailliert untersuchte FGÜ an der 6,50 m breiten Taubacher Straße (mit 100 Fußgängern und rund 750 Kfz in der Spitzenstunde) weist eine Reihe von Mängeln auf: Lage hinter einer Kuppe, auf einer langen Geraden, eingeschlossen von zwei T-Kreuzungen; erkennbar nur aus weniger als 100 Metern Entfernung (dies ist unter der Mindestsichtweite, die die R-FGÜ bei 50 km/h vorschreibt). Die Ausstattung ist ohne Mittelinsel und auch nicht behindertengerecht; die Beleuchtung ist nicht ausreichend.
Die Lösungsvorschläge des Autors umfassen kurzfristige sowie mittel- bis langfristige Maßnahmen. Die meisten der kurzfristigen Maßnahmen wurden bereits umgesetzt, Angaben zu den Kosten liegen deshalb vor. Vorgeschlagen wurde folgendes: Ein Zurückschneiden des Straßenbegleitgrüns, um Sicht auf Verkehrszeichen und querende Zufußgehende zu erhalten (realisiert für 200 Euro); die Installation eines Gefahrzeichens (angebracht wurde Verkehrszeichen 133 „Achtung Fußgänger“ 100 m vor dem Überweg, mit einem Galgenausleger für 300 Euro); Piktogramme 40 m bzw. 25 m vor dem FGÜ (300 Euro); die Anordnung von Tempo 30 100 m bzw. 50 m vor dem FGÜ; das Absenken der Bordsteine auf 3 cm (1.500 Euro); die Installation einer Geschwindigkeitsanzeigetafel an einer Straßenlaterne (ca. 2.500 Euro); die Verbesserung der Beleuchtung am Zebrastreifen (500 Euro).
Ein beleuchteter Peitschenmaste mit dem Richtzeichen 350 „Fußgängerüberweg“ konnte nicht eingerichtet werden, da wegen vorhandener Leitungen ein Platz für die Fundamente nicht zu finden war. Mit den realisierten Maßnahmen ist die Kfz-Geschwindigkeit an diesem FGÜ deutlich gesunken (auf V85 von 40 km/h).
Als weitere Empfehlungen schlägt D. Wanzek vor, die Einsatzgrenzen für Fußgängerüberwege zu überarbeiten, damit wieder vermehrt Überwege eingerichtet werden, denn deren Vorkommenshäufigkeit steigert nach einer difu-Studie die Verkehrssicherheit. Zudem sollen die Belange von älteren und mobilitätseingeschränkten Zufußgehenden in Form einer barrierefreien Gestaltung berücksichtigt werden.
Besondere Bedeutung misst er auch der Öffentlichkeitsarbeit bei. Erwähnt werden das Karlsruher 12-Schritte-Programm des Didaktikmodells „Verkehrserziehung vom Kinde aus“ und das Pilotprojekt „Kinderzebrastreifen“ des ADAC, in dessen Rahmen Kinder in Köln Zebrastreifen mitgestalten konnten. Betont wird auch die Notwendigkeit von Vorher-Nachher-Analysen zu realisierten Verkehrssicherheitsmaßnahmen.
Die vom Autor entwickelten Vorschläge zur Erhöhung der Verkehrssicherheit gründen sich auf Auswertungen von Unfalldaten, aber auch systematische Vor-Ort-Analysen zu Lage, Bau, Beleuchtung und Sichtbeziehungen an FGÜ. Diese Vorgehensweise kann gut auf andere Städte übertragen werden. Die exemplarisch für drei FGÜ formulierten Lösungsvorschläge zeigen die Vielfalt der möglichen Verbesserungsmaßnahmen und die überwiegend geringen Kosten von kurzfristig zu realisierenden Maßnahmen auf. Es wird aber auch deutlich, dass ein nennenswerter Teil der FGÜ in der Stadt Weimar einer Verbesserung bedarf. Die unterbreiteten Empfehlungen sind gut nachvollziehbar, was auch an den einbezogenen Fotos und den Perspektivskizzen liegt.
Verkehrssicherheit an Fussgängerüberwegen in Weimar. Studienarbeit, Bauhaus-Universität Weimar, Fakultät Bauingenieurwesen. Weimar 2012, 126 S.
Wanzek, Daniel
Beim Autor: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!
Erstveröffentlichung in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, November 2012. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.
Autor dieser Ausgabe: Helmut Schad.
Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.fuss-eV.de
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Rezension aus der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Ausgabe 72/2012
In der verkehrspolitischen Diskussion wird meistens nicht bestritten, dass mit dem Zufußgehen ein gesundheitlicher Nutzen verbunden ist. Die Größenordnung dieses Nutzens ist aber nicht bekannt. Dies ist vor allem dann hinderlich, wenn in ökonomischen Bewertungen von Verkehrsinvestitionen eine Reihe anderer Nutzen, z.B. Reisezeitverkürzungen, quantifiziert und in Geld ausgedrückt, die Nutzen für die Gesundheit aber vernachlässigt werden. Manchmal wird auch argumentiert, die gesundheitlichen Nutzen der Bewegung zu Fuß seien zwar vorhanden, für die Gesellschaft seien die Kosten aus den Unfällen der Zufußgehenden im Vergleich dazu aber höher. Ob dies der Fall ist, kann nur mit belastbaren Daten zu den gesundheitlichen Nutzen der Bewegung zu Fuß gesagt werden.
Mit dem Werkzeug des „health economic assessment tools HEAT“ gibt es seit 2011 eine Möglichkeit, diese Lücke für den Fußverkehr zu schließen. Ein Leitfaden zur Anwendung dieses Werkzeugs wurde vom Europabüro der Weltgesundheitsorganisation WHO herausgegeben (Quelle a). Die Methode wurde von einer Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern hauptsächlich aus Groß-Britannien, der Schweiz und Finnland erarbeitet und von weiteren Experten begleitet. Die Fördermittel kamen vor allem von staatlichen Stellen aus Groß-Britannien, der Schweiz und von der WHO. Das entwickelte Berechnungswerkzeug ist als Applikation über das Internet zugänglich. Erste Anwendungen liegen für die Schweiz vor (Quelle b).
Im besprochenen Leitfaden sind die Methodologie, die einzelnen Schritte und die Anwendungsgebiete des Werkzeugs in Form einer Synthese der Arbeiten dokumentiert. Als Anwender werden vor allem Verkehrsplaner, Interessengruppen und Gesundheitsökonomen ins Auge gefasst. Das Tool kann zum Einsatz kommen, wenn die Wirksamkeit geplanter neuer Verkehrsinfrastrukturen für Zufußgehende im Bereich Gesundheit abgeschätzt wird. Es bietet hierbei auch die Möglichkeit, Kosten-Nutzen-Analysen durchzuführen, indem die Kosten der geplanten Maßnahmen einbezogen werden. Damit können z.B. verschiedene Planungs- oder Entwicklungsszenarien bewertet werden. Es können aber auch die gesundheitlichen Wirkungen von bereits realisierten Maßnahmen zu Gunsten des Fußverkehrs evaluiert werden, wenn Informationen über die Vorher- und die Nachher-Situation vorliegen.
Grenzen: Diese Anwendungen sind methodenbedingt allerdings auf ein durchschnittliches Verhalten und eine „durchschnittliche“ Bevölkerung bezogen. Sie erlauben es nicht, den gesundheitlichen Nutzen für ganz spezifische Bevölkerungsgruppen (z.B. überdurchschnittlich bewegungsaktive Sportler), für einzelne Events (z.B. Sportereignisse), für nicht regelmäßige Bewegungsaktivitäten oder für langsames Gehen (Bummeln) zu ermitteln. Auch können sie nur auf eine Population erwachsener Personen im Alter zwischen 20 und 74 Jahren bezogen werden, da für Kinder und Jugendliche geeignete Grundlagenanalysen zu Gesundheitseffekten noch nicht vorliegen. Belastbare Studien gibt es zudem nur für den Zusammenhang von Zufußgehen und Sterblichkeit (Mortalität) vor, weitere mögliche Effekte in Bezug auf Krankheiten (Morbidität) können bislang noch nicht zuverlässig abgeschätzt werden. Der gesundheitliche Nutzen wird deshalb eher unter- als überschätzt.
Im Kern basiert die Abschätzung auf der Ermittlung des relativen Sterberisikos, das sich in Abhängigkeit vom Ausmaß des (regelmäßigen) Zufußgehens in der Bevölkerung verändert. Bei Personen, die z.B. täglich rund eine halbe Stunde (29 Minuten) zu Fuß gehen, vermindert sich das Sterberisiko im Vergleich zu Personen, die praktisch nicht zu Fuß gehen, um 22%. Das reduzierte Sterberisiko wird in „verhinderte Todesfälle“ umgerechnet, die dann mit einem ökonomischen Ansatz für den „Wert eines statistischen Lebens“ in geldwerte Nutzen ausgedrückt werden. Dieses Verfahren ist im Verkehrsbereich auch in anderen Kosten-Nutzen-Analysen üblich.
Vorgehensschritte: Zur Berechnung des Gesundheitsnutzens werden folgende Eingaben gemacht: a) die aus Erhebungen stammenden Daten zum Zufußgehen, entweder die mittlere Dauer pro Person und Tag, die zurückgelegte mittlere Distanz oder die Anzahl Schritte; b) die Größe der betroffenen Bevölkerung respektive die Nutzerzahl einer spezifischen Fußwegeinfrastruktur; c) eine Angabe, ob die Wirkung auf alle Nutzerinnen und Nutzer oder nur auf einen speziellen Nutzerkreis bezogen wird (z.B. die durch eine Massnahme zusätzlich zum Gehen bewegten Personen); d) die Dauer, bis die volle Wirkung einer Maßnahme erreicht sein wird (Standardeinstellung sind fünf Jahre); e) Justierung einzelner Parameterwerte, z.B. ein landesüblicher Ansatz für den „Wert eines statistischen Lebens“ (EU: 1,5 Mio Euro mit Stand 1998; CH: 3,19 Mio. CHF); f) für Kosten-Nutzen-Analysen außerdem die Kosten einer Planungsmaßnahme oder einer Kommunikationskampagne.
Das Instrument berechnet als Schlüsselgröße den mittleren jährlichen Gesundheitsnutzen, falls Kosten einbezogen wurden auch den Nutzen-Kosten-Quotienten.
Das Bewertungswerkzeug „HEAT for walking“ stellt eine sehr nützliche Innovation dar. Schon die Ermittlung des Nutzens der aktuellen Bewegung zu Fuß verdeutlicht die große Bedeutung dieser Fortbewegungsart, wie erste Abschätzungen für die Schweiz zeigen (Götschi & Kahlmeier 2012: 4.700 verhinderte Todesfälle, rund 2.800 Franken Gesundheitsnutzen pro erwachsener Person und Jahr). Die Möglichkeit einer projekt- und kampagnenbezogenen Anwendung hilft vor allem Verkehrsplanern, diese lange vernachlässigte Nutzendimension in die Projektbewertung zu integrieren. Die Anwendung ist vergleichsweise einfach und mit wenig Aufwand möglich. Besondere Sorgfalt muss allerdings den Input-Daten zur Gehdauer und Anzahl der betroffenen Bevölkerung beigemessen werden. Der Leitfaden weist die Leserinnen und Leser zu Recht auf die Notwendigkeit einer guten Qualität der Erhebungsdaten hin.
Health economic assessment tools (HEAT) for walking and cycling und Economic assessment of transport infrastructure and policies. Copenhagen 2011 (40 S.)und Ökonomische Abschätzung der volkswirtschaftlichen Gesundheitsnutzen des Langsamverkehrs in der Schweiz. Zürich 2012 (36 S.)
WHO – Europe (Hrsg.) und Götschi, Thomas; Kahlmeier, Sonja
www.heatwalkingcycling.org und Universität Zürich: ISPM, www.ispm.uzh.ch/arbeitsbereiche/panh.html
Erstveröffentlichung in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, August 2012. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.
Autor dieser Ausgabe: Helmut Schad.
Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.fuss-eV.de
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Rezension aus der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Ausgabe 71/2012
Seit den 1970er Jahren wird in Deutschland versucht, die Situation für Zufußgehende und Radfahrende in Wohngebieten mit verkehrsberuhigten Bereichen und Tempo 30-Zonen zu verbessern. Eine Verkehrsberuhigung von Wohnstraßen, die den hohen Ansprüchen von Bewohnern und Besuchern an den Aufenthalt gerecht wird, existiert allerdings nur inselhaft. Dies liegt auch an den straßenverkehrsrechtlich hohen Anforderungen, die der Einrichtung von verkehrsberuhigten Bereichen zugrunde liegen. Anders stellt sich die Situation in der Schweiz dar. Seit dem Jahr 2002 besteht mit der sogenannten Begegnungszone, entwickelt aus dem Pilotversuch einer „Flanierzone“ in Burgdorf – eine kostengünstige Möglichkeit zur Verkehrsberuhigung innerhalb und außerhalb von Wohngebieten. In Deutschland wurde dieses Modell erstmalig im Frankfurter Nordend, einem gründerzeitlichen Wohnquartier, getestet.
Jan Diesfeld untersuchte in seiner Diplomarbeit die Wirkung dieser Begegnungszonen am Beispiel von zwei Frankfurter Straßen. In der vorliegenden Arbeit werden die dabei gewonnenen Erkenntnisse in die aktuelle Diskussion über Begegnungszonen in Deutschland eingeordnet und differenzierte Empfehlungen unterbreitet.
Die umfangreiche Arbeit stellt in einem theoretisch-konzeptionellen Teil die hohen Anforderungen an Wohnstraßen dar, rekapituliert die in Deutschland umgesetzten Konzepte der Verkehrsberuhigung und erläutert die Schweizer Begegnungszone. Der empirische Kern der Arbeit umfasst umfangreiche Analysen der Lenau- und der Rotlintstraße in Frankfurt.
Die untersuchten Fälle werden in Bezug auf folgende Ziele bewertet: Bewegungsmöglichkeiten für Fußgänger und Radfahrer, Verkehrssicherheit und Attraktivität der Aufenthaltsflächen. Die Analysemethoden umfassten Orterkundungen, Fotoanalysen, Straßenraumbeobachtungen, Verkehrszählungen, Geschwindigkeitsmessungen sowie Anlieger- und Experteninterviews.
Die Ergebnisse werden mit den Wirkungen anderer Formen des verkehrsberuhigten Bereichs (intensive Umgestaltung, Freiburger Konzept, Berliner Umsetzung) sowie mit der Schweizer Begegnungszone verglichen.
Die v85-Geschwindigkeiten liegen in beiden Straßen über 20 km/h. Gründe dafür können sein, dass nicht niveaugleich ausgebaut wurde, geschwindigkeitsdämpfende Maßnahmen nicht in dichter Abfolge vorkommen und Aufenthaltsaktivitäten im Fahrbahnbereich selten sind. In Bezug auf die Verkehrssicherheit wird die Lenaustraße mit ihren Gehwegnasen, einer ausgebauten Mittelinsel und einem separierten Aufenthaltsbereich positiver als die baulich kaum veränderte Rotlintstraße beurteilt.
Eine ausgeprägte Nutzung des gesamten Straßenraums durch Fußgänger war – anders als in verkehrsberuhigten Bereichen mit niveaugleichen Mischflächen an anderen Orten – nicht feststellbar. Die Frankfurter Begegnungszonen gleichen in dieser Hinsicht eher Tempo 30-Zonen. Von Jan Diesfeld wird aber die große Bedeutung der punktuell eingerichteten Gehwegnasen hervorgehoben, an denen sich Zufußgehende einen Vortritt verschaffen. Die Aufenthaltsqualität wird in den beiden Frankfurter Begegnungszonen, wie schon in Berliner verkehrsberuhigten Bereichen und in den meisten Schweizer Begegnungszonen, durch den ruhenden Kfz-Verkehr stark beeinträchtigt. Das Schaffen eines vom Kfz-Verkehr separierten Aufenthaltsbereiches im Bereich Lenaustraße / Nordendstraße ist ein Erfolgsfaktor. Im Vergleich der beiden Straßen schneidet die Lenaustraße mit ihren punktuellen Maßnahmen deutlich positiver als die kaum veränderte Rotlintstraße ab.
In der vorliegenden Form stellt die Lenaustraße gewissermaßen einen „vereinfachten“ verkehrsberuhigten Bereich dar, der Zufußgehenden im Vergleich zu Tempo 30-Zonen deutliche Vorteile bietet. Der Einsatz dieser einfach anzuwendenden, kostengünstigen Form der Verkehrsberuhigung wird in jenen Gebieten empfohlen, in denen verkehrsberuhigte Bereiche bisher nicht zur Anwendung kommen konnten. Jan Diesfeld plädiert deshalb für die Einführung der Begegnungszone in die StVO. Er schlägt vor, in der VwV-StVO zwei Anwendungsbereiche zu unterscheiden: 1. ein niveaugleicher Ausbau, der im Falle von anstehenden Neu- und Umbaumaßnahmen in Straßen vorgenommen wird. 2. eine Umsetzung mit einfacheren, aber flexibel wählbaren Maßnahmen in bestehenden Wohnstraßen.
Er spricht sich für wissenschaftlich begleitete Tests solcher Lösungen in unterschiedlichen Straßenräumen aus, auf deren Basis ein Einsatz- und Maßnahmenkatalog entwickelt werden soll. Nach den Frankfurter Ergebnissen sind die Verringerung der Flächen für den ruhenden Verkehr, gezielte punktuelle Maßnahmen zur Erhöhung der Aufenthaltsqualität (Aufenthaltsbereiche, Sitzgelegenheiten) und der Sicherheit (z.B. Gehwegnasen) geeignete Maßnahmen. Anlieger sollten, wie in der Schweiz, Initiativen zur Einrichtung von Begegnungszonen unterbreiten und bei der individuellen Ausstattung und Möblierung mitwirken können. Zur Einführung der Begegnungszone empfiehlt der Autor begleitende Informationskampagnen. Wirkungskontrollen sollen vorgeschrieben werden.
Das Untersuchungsdesign umfasst mehrere Vergleiche: Die beiden Frankfurter Begegnungszonen werden untereinander und außerdem mit Tempo 30-Zonen, verkehrsberuhigten Bereichen und Begegnungszonen in der Schweiz verglichen. Damit werden die konzeptionellen Unterschiede zwischen diesen Arten der Verkehrsberuhigung elegant herausgearbeitet und zweckmäßige Empfehlungen zum Einsatz der Begegnungszone in Deutschland formuliert.
Der Vergleich mit dem Erfolgsmodell der schweizer Begegnungszone zeigt den hohen Stellenwert einer Planungskultur auf, die Raum für flexible, ortsbezogene Lösungen unter starker Partizipation der Bewohnerschaft zulässt. Das umfangreiche Quellenverzeichnis mit vielen Hinweisen (und Links) auf Materialien auch aus der Schweiz rundet die gelungene Diplomarbeit ab. Die Arbeit ist noch nicht veröffentlicht, eine Kurzfassung ist aber in Vorbereitung. Ihr kann man jetzt schon viele Leser in den Planungsämtern und -büros wünschen.
Verkehrsberuhigung mit Begegnungszonen. Analyse und Bewertung eines Verkehrsversuches in Frankfurt am Main. Unveröffentlichte Diplomarbeit TU Dortmund, Fakultät Raumplanung, 2011, 139 S.
Jan Diesfeld
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Autor dieser Ausgabe: Helmut Schad.
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Rezension aus der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Ausgabe 70/2012
Die 6. Internationalen Wuppertaler Verkehrstage im Jahr 2010 waren dem Fußverkehr auf der städtischen Ebene gewidmet. Seit Januar 2012 liegt ein Tagungsband mit insgesamt 17 Beiträgen vor. In sieben Kapiteln werden die Entwicklung des Fußverkehrs, Ansätze zur Verbesserung der Situation von Zufußgehenden und Visionen zur zukünftigen Entwicklung dargestellt. Ausführlich behandelte Gruppen stellen Kinder und Jugendliche sowie Senioren dar. Bei den maßnahmenbezogenen Ansätzen liegt ein Schwerpunkt auf Image- und Informationskampagnen. Die Autoren stammen überwiegend aus Deutschland. Zwei englische Experten stellen das Programm „smarter travel choices“ und die Zukunftsstudie „visions 2030“ vor.
Rico Wittwer verweist auf die schwierige Ausgangslage für den Fußverkehr in der Stadtplanung: Eine nahräumliche Erreichbarkeit kann immer weniger garantiert werden. Dies spiegelt sich im Rückgang des Anteils der zu Fuß zurückgelegten Wege: von rund einem Drittel im Jahr 1976 auf ein Viertel im Jahr 2008. In Bezug auf die Straßengestaltung wurden mit der Richtlinie für die Anlage von Straßen im Jahr 2007 zumindest wieder städtebauliche Anforderungen an die Maßstäblichkeit eingeführt, wie sie aus dem gründerzeitlichen Städtebau bekannt sind.
Viele qualitative Anforderungen an die Gehwege müssen allerdings noch erfüllt werden, wie Andreas Schmitz betont. Vor allem die Zielkonflikte, die sich aus einer Führung des Radverkehrs auf Fußverkehrsflächen ergeben, sind aus seiner Sicht unbedingt zu vermeiden.
Ein anderes Problem stellt die starke Zunahme der unselbständigen Mobilität von Kindern und Jugendlichen dar: Der Anteil der im Auto beförderten Schüler (zur „Auto-Schule“) oder der von den Eltern zu Fuß begleiteten Schüler (zur „Begleitungs-Schule“) ist deutlich angestiegen (A. Redecker/B. Frauendienst). Einfluss auf dieses relativ neue Verhaltensmuster hat auch die Lage einer Schule. Obwohl die Schulwegsicherung eine staatliche Aufgabe ist, gibt es nur in vier Bundesländern Regelungen dazu (Bernd Herzog-Schlagk).
Als Beispiel eines Ansatzes, der die subjektive Wahrnehmung und die entwicklungsspezifischen Besonderheiten von Kindern einbezieht und damit ein Gegengewicht zum rein technischen Engineering schafft, erwähnt W. Funk das Netzwerk Verkehrssicheres Nordrhein-Westfalen.
Mit Bezug auf die Mobilität von Senioren stellt H.J. Kaiser einen differenzierten Ansatz vor, der die individuellen, umweltbezogenen und sozialen Bedingungen der Verkehrsbeteiligung berücksichtigt. Er schlägt differenzierte Beratungsangebote für Senioren vor, die neben einer Diagnose der Situation auch eine Aufklärung, Beratung und Unterstützung beinhalten sollen.
Ausführlich wird die in vier Städten im Jahr 2009 umgesetzte Kommunikationskampagne „Kopf an: Motor aus“ dargestellt. Wegen dieser Kampagne gehen 19% der EinwohnerInnen häufiger zu Fuß, wie das Monitoring der Kampagne ergab (O. Reutter). Werner Brög kritisiert diese Kampagne aus methodisch-konzeptioneller Sicht. Er empfiehlt, solche Kampagnen auf differenzierte Analysen von Erwartungen und Erfahrungen der EinwohnerInnen aufzubauen und Vorher-Nachher-Messungen des faktischen Verhaltens vorzunehmen.
Umfangreiche Erfahrungen liegen in Groß-Britannien mit dem Mobilitätsmanagement im Rahmen des Ansatzes „smarter travel choices“ vor, das ebenfalls stark auf Kommunikation basiert (Phil Goodwin). Mit einer konsequenten Umsetzung über mehrere Jahre und Mitteln in Höhe von etwa 12 Euro pro Einwohner und Jahr konnten in Modellgemeinden beträchtliche Zunahmen im Fußverkehr erreicht werden (+9 bis 14% bei den Wegen und +14 bis 33% bei den Distanzen).
Heiner Monheim plädiert für andere, positive Begriffe in der Fachsprache, die den Fußverkehr besser als aktiven und effizienten Verkehr charakterisieren. Für Erhebungen stellt er fünf Regeln auf: unter anderem das Erfassen von allen Etappen zu Fuß, von Bewegungs- und auch von Aufenthaltszeiten im öffentlichen Raum sowie das Beobachten und nicht nur Zählen der Zufußgehenden.
Das laufende Projekt „visions 2030“ definiert Zielzustände für den Fußverkehr und untersucht verschiedene Wege, diese zu erreichen (Miles Tight). Die Defizite herkömmlicher Verkehrsprognosen werden mit dieser Art von Szenarien überwunden. In Bezug auf den Anteil der Fußwege am Gesamtverkehr werden deutliche Steigerungen erwartet: bis 40% gegenüber 28% im Jahr 2006.
Das oftmals schwierige Unterfangen, Tagungsbeiträge in interessante Artikel zu überführen, ist in diesem lesenswerten und ansprechenden Band gelungen. Die einzelnen Themenkomplexe werden in unterschiedlicher Breite behandelt. Das relativ starke Gewicht auf Kommunikationsansätzen ist angesichts der häufig noch recht materiell-technischen Ausrichtung der Fachdiskussion begrüßenswert. Die kontroverse Diskussion der Kampagne „Kopf an: Motor aus“ und die Darstellung der Kampagne „smarter travel choices“ lassen gut erkennen, welche Herausforderungen und potenziellen Chancen derartige Förderansätze darstellen.
Angesichts des Titels hätte man sich noch weitere, auf die zukünftige Entwicklung bezogene Beiträge gewünscht, beispielsweise zu neuen Mobilitätskulturen und zum Verankern des Fußverkehrs in Planungsprozessen. Das vorgestellte Projekt „visions 2030“ ermuntert dazu, eingetretene Pfade der konventionellen Verkehrsprognostik zu verlassen und die Planung vom gewünschten Ziel her aufzuziehen.
Zu Fuss in die Stadt der Zukunft.
Volker Albrecht & Carmen Hass-Klau (Hrsg.)
Kirschbaum Verlag, Bonn, 2012. ISBN 978-3-7812-1824-6, Preis: 29,50 Euro
Erstveröffentlichung in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Februar 2012. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.
Autor dieser Ausgabe: Helmut Schad.
Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.fuss-eV.de
Möchten Sie, dass eine aktuelle Fachliteratur mit einem deutlichen Fußverkehrs-Bezug im Kritischen Literaturdienst Fußverkehr besprochen wird, nehmen Sie bitte mit FUSS e.V. Kontakt auf.
Rezension aus der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Ausgabe 69/2010
Das europäische COST-Programm* hat die koordinierte Zusammenarbeit von Forschern über mehrere Länder hinweg zum Ziel. Verkehr und städtische Entwicklung zählen dabei zu einem geförderten Themenfeld. In diesem Rahmen fanden sich Experten aus 20 Ländern im vierjährigen COST-Projekt 358 „Pedestrians‘ Quality Needs“ (PGN) zusammen. Im November 2010 veröffentlichten sie einen Schlussbericht und fünf Themenberichte ihrer Arbeit, der mehrere Ziele zugrunde lagen: ein verbessertes Verständnis der Bedürfnisse und Anforderungen von Zufußgehenden, das Entwickeln von Steuerungsinstrumenten, um diese Anforderungen bei der Gestaltung des öffentlichen Raum und der Verkehrsinfrastrukturen umzusetzen sowie der Wissenstransfer in diesem Themenbereich.
Das Projekt orientiert sich an einem Systemansatz, in dem die Zufußgehenden im Mittelpunkt stehen, aber auch umfangreiche Analysen des sozialen Kontextes, der raumstrukturellen und der infrastrukturellen Bedingungen ihrer Mobilität vorgenommen werden und politische Ansätze zur Berücksichtigung der Bedürfnisse der Zufußgehenden auf mehreren Ebenen entwickelt werden.
Der politische Prozess der Qualtitätsverbesserung zu Gunsten des Gehens wird in neun Schritten konzipiert. Ausgangspunkt ist die Identifikation der Bedürfnisse der Zufußgehenden (1). Es werden hierzu mehrere Bedürfnisansätze präsentiert, unter anderem jenen von Chaloupka und Risser: soziale Motive des Kontakts und des Austauschs, Einfachheit des Gehens, Komfortbedürfnisse, Witterungsschutz, Sicherheitsbedürfnisse, die Möglichkeit spontaner Mobilität, ästhetische Bedürfnisse sowie Interoperabilität mit anderen Verkehrsangeboten.
Im Anschluss folgt die Identifikation der mit den Bedürfnissen verbundenen Anforderungen (2) und deren Strukturierung oder Hierarchisierung (3). Anschließend findet eine Evaluation des aktuellen Systems statt (4) und die Aneignung des vorhandenen Systems durch die Zufußgehenden und deren Zufriedenheit wird ermittelt (5). Danach soll bestimmt werden, wie die Zufriedenheit der Zufußgehenden gesteigert werden kann und wie man die Unterstützung von weiteren Anspruchsgruppen erreichen kann (6).Im Anschluss daran sollen Erfolg versprechende Maßnahmen entwickelt (7), deren potenzielle Wirksamkeit abgeschätzt (8) und auf dieser Basis ein Umsetzungsplan (9) entwickelt werden.
Es wird ein Bewertungsmodell entwickelt, das verschiedene Einfluss- und Wirkungsgrößen in einen Zusammenhang bringt: Inputs = die verschiedenen Formen der Einflussnahme(z.B. politische Beschlüsse, finanzielle und personelle Ressourcen); outputs = die dadurch geschaffenen Produkte oder Angebote in den Bereichen Erreichbarkeit, Infrastrukturen, Information; outcomes = die auf dieser Basis geschaffenen neuen Zustände in Bezug auf die Geh-Praxis, Unfälle, Interaktionen zwischen Menschen sowie Zufriedenheit und Einstellungen; impacts = resultierende Wirkungen in anderen Bereichen, wie z.B. Gesundheitseffekte, wirtschaftliche oder ökologische Effekte. Den damit zusammenhängenden Aufgaben bei der Messung des Fußverkehrs ist ein eigener Teilbericht gewidmet, der auch Vorschläge für Mess-Kriterien in den vier genannten Feldern des Beurteilungsmodells enthält.
In den erarbeiteten Berichten wird umfangreiches Grundlagenmaterial bereitgestellt. Es lohnt sich daher bei einzelnen Themen eher auf die Teilberichte als auf den stark zusammengefassten Synthesebericht zurückzugreifen. Die Teilberichte setzen sich allerdings selbst wieder aus einzelnen, manchmal nur schwach verbundenen Einzelbeiträgen zusammen. Wertvoll sind insbesondere jene Texte zu Themen, für die bislang noch kaum Veröffentlichungen vorlagen (B4: Messen des Fußverkehrs, B2: einzelne Untersuchungen zu Bedürfnissen der Zufußgehenden). Die Ausrichtung der Planung an dem konzipierten vierstufigen Einfluss-Wirkungsmodell kann zu einer systematischen Herangehensweise beitragen. In der Praxis muss sich zeigen, ob der entwickelte neunstufige Prozess zur Qualitätsverbesserung praktikabel ist. Er erfordert bis zur Entwicklung eines konsistenten Maßnahmenplans eine Reihe aufwändiger Zwischenschritte.
Pedestrians‘ Quality Needs. Final Report of the COST project 358.74 Seiten.Cheltenham: Walk 21 (mit CD).
Methorst, R., Monterde i Bort, H., Risser, R., Sauter, D., Tight, M. & Walker, J. (Hrsg.).
download:www.walkeurope.org
* COST: Coopération européenne dans le domaine de la recherche scientifique et technique; ist ein europäischer Rahmen zur Koordination von nationalen Forschungsaktivitäten.
Erstveröffentlichung in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, November 2011. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.
Autor dieser Ausgabe: Helmut Schad.
Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.fuss-eV.de
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Rezension aus der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Ausgabe 68/2011
Auf der Ebene der Schweizer Kantone sind Richtpläne das zentrale Instrument der Raumplanung. Mit ihnen wird eine koordinierte räumliche Entwicklung der verschiedenen Sachgebiete (Verkehr, Siedlung, Infrastrukturen etc.) vorgenommen und ein Rahmen für die Entwicklung der Gemeinden gesetzt. Als Bestandteil dieses Planungsprozesses erarbeiten einige Kantone für das Gebiet der Verkehrsplanung eigene Verkehrsrichtpläne, die den Gesamtverkehr oder einzelne Verkehrsträger zum Gegenstand haben.
Im Kanton Genf hat die Regierung am 31. März 2011 einen Richtplan (plan directeur) für den Fuß- und Radverkehr (mobilité douce = sanfte Mobilität) angenommen. In ihm sind die Strategie und wichtige Aktionsfelder für die Jahre 2011 bis 2014 festgelegt. Er ergänzt die beiden schon bestehenden Teilpläne für den öffentlichen Verkehr und den Straßenverkehr. Der Plan wurde von einer Regierungsdelegation und Verwaltungsstellen unter Mitwirkung eines Planungsbüros erarbeitet. Es erfolgte dabei eine Konsultation der Gemeinden; in einer technischen Arbeitsgruppe waren außerdem die Fachverbände für den Fuß- und Radverkehr sowie die ÖPNV-Betriebe einbezogen. Das Dokument wird noch dem Kantonsparlament zur Abstimmung vorgelegt. Die hier besprochene, attraktiv aufgemachte Broschüre informiert über die Ausgangslage, die Strategie und wichtige Aktionsfelder der Planung zu Gunsten des Fuß- und Radverkehrs. Sie richtet sich an die 465.000 Einwohner in den 45 Gemeinden des Kantons (davon 190.000 in der Stadt Genf) sowie an Behörden und Unternehmen.
Die Planung wird mit der Feststellung einer zu geringen Berücksichtigung des Fuß- und Radverkehrs in mehreren Bereichen begründet: Bei den geplanten Verkehrsprojekten, im Bewusstsein der Bevölkerung, in den kantonalen Gesetzen sowie im alltäglichen Umgang mit Fußgängerinnen und Fußgängern auf den Verkehrsflächen. Als Kernelement der formulierten Strategie wird denn auch eine Einstellungsänderung bei den maßgeblichen Akteuren im Verkehrsbereich angestrebt. Es werden drei allgemeine strategische Ziele formuliert:
(1) Der Fuss- und Radverkehr soll neben dem motorisierten Individualverkehr (MIV) und dem öffentlichen Verkehr (ÖV) als eine gleichrangige dritte Säule behandelt werden. (2) Er soll so attraktiv gestaltet werden, dass er einen Beitrag zur Entlastung der Infrastrukturen des MIV und des ÖV insbesondere in den Spitzenstunden leistet und außerdem dabei hilft, das Potenzial für den öffentlichen Verkehr besser auszuschöpfen - dies auch, um die Wirksamkeit aktueller Bahnbauten zu garantieren. (3) In der Planung soll die Koordination zwischen den Akteuren auf kantonaler und kommunaler Ebene verbessert werden.
In der Strategie werden quantitative Wirkungsziele formuliert: Kurzfristig soll der Anteil des Fußverkehrs an den Wegen der Bevölkerung bis 2014 um 0.5 Prozentpunkte auf 36.5% gesteigert werden. Bis 2030 wird ein Anteil von 39% angestrebt (Rad: 7.7%).
Der formulierte Aktionsplan umfasst bis zum Jahr 2014 umsetzbare Maßnahmen in sieben Feldern; vier davon betreffen den Fußverkehr. Die Maßnahmen werden in Maßnahmenblättern beschrieben, in denen jeweils das Ziel, die bestehenden Grundlagen, die neuen Maßnahmen und die nächsten Umsetzungsschritte dargestellt werden.
Qualitätsverbesserung: Der Richtplan soll gewährleisten, dass überall im Kantonsgebiet hohe Standards für den Fußverkehr erfüllt werden und das Wegenetz über die Gemeindegrenzen hinweg kohärent ist. Dazu dient ein GIS-Tool, in dem alle Planungen für den Fußverkehr dargestellt werden. Die Lichtsignalsteuerung an Knoten sowie die Gestaltung öffentlicher Räume sollen überprüft werden. Überlegungen werden auch zur Planung an Schnittstellen des ÖV und zur Überquerung großer Verkehrsinfrastrukturen (Autobahnen etc.) angestellt. Das Wanderwegenetz wird bis in die Stadtzentren hinein fortgeführt.
Erhalt der Funktionsfähigkeit: Eine Informationskampagne bereitet verstärkte Kontrollen des Gehwegparkens vor. Eine Kommission nimmt sich der Behinderungen an Baustellen sowie denen durch den Lieferverkehr an. Auch die Standards zum Unterhalt der Wege (Winterdienst etc.) werden überprüft.
Koordination und Partizipation: Im Internet soll für Gehende eine Möglichkeit zum Vorbringen von Reklamationen und Vorschlägen geschaffen werden. Zudem wird eine Plattform für den Dialog zwischen Kanton, Gemeinden, Verbänden und Verkehrsbetrieben während der Umsetzung des Plans eingerichtet. In einem Leitfaden für Planer werden die Grundsätze für eine neue gemeinsame Planungskultur zu Gunsten des Fuß- und Radverkehrs festgehalten.
Projektstruktur: Im Amt für Mobilität (direction général de la mobilité) wird eine Leitung für den Fuß- und Veloverkehr etabliert; deren Aufgaben werden in einem Pflichtenheft festgelegt und Budgets für die Begleitung bestimmt.
Mit den vergleichsweise geringen Ausgaben des Aktionsplans verspricht man sich, die vorhandenen Verkehrsflächen effizienter nutzen zu können. Neben diesem verkehrlichen Nutzen werden positive Wirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung erwartet.
Als etabliertes kantonales Planungsinstrument hat das Dokument einen hohen Grad an Verbindlichkeit. Das Schaffen einer eigenen Verwaltungsstelle vergrößert die Chancen einer wirkungsvollen Umsetzung der geplanten Maßnahmen. Zu begrüßen ist die Festlegung von Zielwerten für den Anteil des Fußverkehrs am Gesamtverkehr der Bevölkerung. Der Zeitraum für die Umsetzung der entwickelten Maßnahmen bis 2014 ist allerdings anspruchsvoll und scheint eher knapp bemessen zu sein. Unklar ist, inwieweit die finanziellen Ressourcen hierfür tatsächlich bereitgestellt werden. Die Strategie ist dort noch defensiv formuliert, wo sie die Förderung des Fuß- und Radverkehrs vor allem als Instrument zur Entlastung des MIV und des ÖV ansieht. Das Herausstellen dieses Arguments kann mit Blick auf die Vorlage im Parlament politisch-taktische Gründe gehabt haben. Man hätte sich aber noch weitere Argumente gewünscht, die eigenständige Nutzen des Fußverkehrs herausstellen.
Plan directeur de la mobilité douce. 34 S., Genf 2011
Etat de Genève, Direction générale de la mobilité(Hrsg.)
download:www.ge.ch/mobilite. Preis: gratis
Erstveröffentlichung in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, August 2011. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.
Autor dieser Ausgabe: Helmut Schad.
Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.fuss-eV.de
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Rezension aus der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Ausgabe 67/2011
Fussverkehr Schweiz erarbeitet Informationsblätter und Broschüren für die verschiedenen Akteure, die sich mit dem Zufußgehen von Seiten der Politik, der Planung und der Verbände professionell beschäftigen. Als Mitgliederverband kommen seine Informationsmaterialien aber auch den Zufußgehenden selbst zugute. Eine eigene Informationsbroschüre wendet sich an alte Menschen, Angehörige, Betreuungspersonen und Fahrzeuglenkende. Die Broschüre setzt sich mit den verschiedenen Aspekten der Mobilität im hohen Alter auseinander und gibt auf dieser Basis Empfehlungen zum Verhalten ab, die sich an ältere Fußgängerinnen und Fußgänger sowie an Fahrzeuglenkende richtet.
Damit soll das verkehrsrelevante Wissen in diesen Personengruppen verbessert und ein Beitrag zur Verkehrssicherheit im Alter geleistet werden. Die Broschüre macht nur knappe Aussagen zu einzelnen Verkehrsinfrastrukturen. Die Erarbeitung wurde fachlich von mehreren Stellen begleitet: unter anderem von der Schweizer Beratungsstelle für Unfallverhütung, dem Verband Heime Schweiz, dem Verein Altavita und der Stadt Zürich.
Hervorgehoben wird, dass das Zufußgehen für die Autonomie, Lebensqualität und Lebenslust im Alter besonders wichtig ist. Zudem dient es der Gesundheit im Alter, denn es beugt den häufigsten chronischen Erkrankungen vor und lindert bei bereits erkrankten Menschen die Beschwerden. Auch der altersbedingte Muskelabbau wird reduziert, was Stürzen vorbeugt.
Die Zahl der getöteten und schwer verletzten Seniorinnen und Senioren ist in der Schweiz im Vergleich zu jüngeren Altersklassen sehr hoch: Bei über 80jährigen liegt das Risiko um das achtfache über dem der 40- bis 64jährigen.
Alte Menschen sollen den Altersprozess bewusst wahrnehmen und sich auf typisch vorkommende Beeinträchtigungen einstellen: vermindertes Hörvermögen, Abnahme der Sehfähigkeit, langsame Informationsverarbeitung, abnehmende Beweglichkeit, die Wirkung von Medikamenten sowie die Demenz als eine krankhafte Form der Abnahme des Denkvermögens.
Die Empfehlungen zur Verkehrsteilnahme als Fußgängerinnen und Fußgänger gehen von diesen Beeinträchtigungen aus und geben Tipps, wie man damit umgehen sollte. Zum Beispiel wird empfohlen, die Beweglichkeit mit täglichen Spaziergängen oder gymnastischen Übungen zu erhalten. Auch sollten Gewohnheiten in Bezug auf risikobehaftetes früheres Verhalten überprüft werden. Zu einer guten Vorbereitung wird das Tragen heller Kleidung und/oder Reflektoren sowie angepasster Schuhe gezählt.
Recht breiten Raum nehmen Aussagen zur Querung an Fußgängerüberwegen ein. Hier soll die Querungsabsicht mit einer klaren Körperhaltung signalisiert werden, auch ein Handzeichen wird empfohlen. Insgesamt werden hier viele Empfehlungen abgegeben, die zur Vorsicht mahnen: so zum Beispiel das Achten auf mögliches Fehlverhalten von abbiegenden Autofahrern auf Fußgängerfurten. Bei Fehlen von Fußgängerüberwegen wird geraten, nur dort zu queren, wo mehr als 50 Meter Sicht auf die Fahrbahn in beiden Richtungen besteht.
Fahrzeuglenkenden, auch Radfahrern, werden Ratschläge in Bezug auf Rücksicht und Geduld gegenüber alten Menschen gegeben. Auf die häufigste Unfallursache, Kollisionen am Fußgängerüberweg, wird hingewiesen. Auch wird angeraten, auf die von links kommenden Fußgängerinnen und Fußgänger besonders acht zu geben. Denn mehr als die Hälfte aller Getöteten wird in der Straßenmitte oder auf der zweiten Fahrbahnhälfte angefahren, weil sie sich oft im toten Winkel zwischen Frontscheibe und Seitenscheibe bewegen.
Für alle wichtigen Wege werden sichere Querungsmöglichkeiten mit Mittelinsel und abgesenkten Randsteinen gefordert. Betreuungspersonen und Verantwortliche in Heimen werden aufgefordert, Schwachstellen im Netz den Verantwortlichen in den Gemeinden zu melden.
Der Text ist einfach und klar verständlich, die einbezogenen Fotos überwiegend aussagekräftig. Mit einer Auflage der Broschüre und einem dazu gehörigen Faltblatt von 305.000 Exemplaren ist eine grosse Verbreitung möglich. Ein Grußwort des Kabarettisten Emil rundet die gelungene Broschüre ab und dürfte die Akzeptanz in der Zielgruppe noch erhöhen.
Zu Fuss im Hohen Alter. Sicher im Strassenverkehr. 31 S., Zürich 2010
Niedermann, Enrique; Thomas, Christian und Schweizer, Thomas
Bezug: www.fussverkehr.ch, Fussverkehr Schweiz, Klosbachstrasse 48, 8032 Zürich, Tel. 0041 43 488 40 30. Preis: gratis
Erstveröffentlichung in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Mai 2011. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.
Autor dieser Ausgabe: Helmut Schad.
Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.fuss-eV.de
Möchten Sie, dass eine aktuelle Fachliteratur mit einem deutlichen Fußverkehrs-Bezug im Kritischen Literaturdienst Fußverkehr besprochen wird, nehmen Sie bitte mit FUSS e.V. Kontakt auf.
Rezension aus der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Ausgabe 66/2011
Die Sammlung und Dokumentation von guten Beispielen im Fußverkehr ist eine Möglichkeit, die Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren und zur Nachahmung in anderen Gemeinden anzuregen. Mit diesen Zielen hat der österreichische Verein für Fußgänger und Fußgängerinnen „Walk-space.at“ die besten Einreichungen seines Wettbewerbs Walk-space Award 2010 in einer Broschüre dokumentiert. Ähnlich wie schon seit Jahren Fussverkehr Schweiz führt walk-space mit seinem „Award“ eine Prämierung innovativer Lösungen in Gemeinden durch. Dieser Wettbewerb wird unter anderem von einigen österreichischen Bundesländern, Städten, Städte- und Gemeindebund sowie dem Lebensministerium unterstützt.
Für die Ausschreibungsrunde 2010 wurden insgesamt 99 Projekte eingereicht, von denen 46 in der Best-Practice-Broschüre eingehender dargestellt werden. Bewertung und Auswahl der Projekte geschah in Zusammenarbeit mit einer vierzehnköpfigen Fachjury. Projekte konnten in acht Kategorien eingereicht werden; am häufigsten geschah das in den Kategorien „Platzgestaltung“ und „Straßenräume“.
Für jedes der in der Broschüre ausgewählten Projekte werden die Projektziele aufgeführt, es wird eine knappe Projektbeschreibung gegeben und anhand von Wirkungskriterien wird beschrieben, welchen Nutzen das Projekt in den folgenden Bereichen bringt: Umweltbedingungen, Verkehrssicherheit, Gesundheit und Bewegung, Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum, Berücksichtigung des Nachhaltigkeitsgedankens, Gestaltungsqualität, Effekt auf Nahversorgung, Wirtschaft und Tourismus, Komfort sowie Nutzerfreundlichkeit. Zusätzlich wird eine Synthese in Form einer Kurzbewertung vorgenommen, in der bei einigen Projekten auch zu verbessernde Aspekte aufgeführt werden. Hinweise auf weiterführende Links runden die jeweils einseitige Darstellung ab.
Projekte in der Kategorie Platzgestaltung wurden nicht nur in größeren Städten wie Wien und Innsbruck, sondern auch in ländlichen Gemeinden prämiert. Am Wiltener Platzl in Innsbruck wurde z.B. positiv bewertet, dass eine lang gezogene Sitzbank Platz zum konsumfreien Sitzen bietet. Die Gestaltung des Dorfplatzes in Zweinitz enthält einen Basketballkorb und Bodenmarkierungen, die zum Spiel motivieren sollen (Hockey, Rollerblade, Basketball) und die so eine Mehrfachnutzung der Fläche ermöglichen.
Fußwegenetze: Im Rahmen eines umfassenden Netzansatzes wurde die Anlage von Fußverkehrsdurchgängen in Wien in Flächennutzungs- und Bebauungsplänen verankert. In einer Begleitforschung wird die Wirkung umgesetzter Maßnahmen gemessen. Auf dem Jenny-Steiner-Weg in Wien (Neubau) wurde ein attraktiver Durchgang mit Pflanzbeeten und Holzflächen für den Aufenthalt angelegt.
In die Kategorie Straßenräume fallen Erweiterungen von Fußgängerzonen, Straßenumgestaltungen sowie Shared spaces, wie z.B. auf einer Durchgangsstraße in Gleinstätten/ Steiermark.
Schulwegkonzepte: In einen Per-Pedes-Pass in Stuhlfelden / Salzburg können Schulkinder die Tage abstempeln lassen, an denen sie zu Fuß zur Schule gehen; mit 25 bzw. 50 Stempeln erhalten Sie dann kleine Geschenke von Aktionspartnern. In Enns/OÖ wurde ein Schulweg-Rap aufgenommen und ein Video gedreht. In Workshops lernen die Kinder darüber hinaus spielerisch den Umgang mit ihrer Mobilität. In den Ländern Tirol und Burgenland wurden Pedibusse eingeführt. In Innsbruck ist eine Kleinkindergruppe mit der „Ri-Ra-Rausgehraupe“ sicher zu ihrem Spielplatz unterwegs.
Die Kategorie Querungen enthält vor allem Fußgängerbrücken. Innovativ ist ein Dauergrün für Fußgänger auf einer Fußgängerachse in Graz zu Zeiten des schwachen Autoverkehrs.
In der Kategorie multi- und intermodale Schnittstellen wurde eine Kampagne in Innichen/ Tirol prämiert: Touristen und Einkäufer wurden mit einer Postkarte über die Möglichkeiten informiert, das Dorf zu Fuß zu erkunden. Ausgezeichnet wurden auch der neu gestaltete Bahnhof Dirnbirn/Vorarlberg, die multimodale Mobilitätsplattform Anachb.at sowie der Mobilitätstag für Senior/innen in Salzburg.
Kategorie Gehen und Gesundheit: In Graz wurden Bus-Passagiere von Guides dazu motiviert, gemeinsam zur nächsten Haltestelle zu laufen anstatt zu warten. In Stockerau/NÖ wurde ein Buggy Walk&Workout für junge Mütter ins Leben gerufen, bei dem der Kinderwagen als Trainingsgerät benutzt wird. Gaschurn in Vorarlberg wurde für den Ausbau eines ganzjährigen Netzes von verschiedenen Wegetypen, inklusive Leitsystem, ausgezeichnet (von Lauf- und Nordic Walking-Strecken bis hin zu Schneeschuwegen). In Zwettl/NÖ wurde ein Wanderblog „Zwalk-Wanderungen rund um Zwettl“ eingerichtet, der laufend mit neuen Routen aktualisiert wird.
Projekte zur Bewusstseinsbildung umfassen unter anderem die temporäre Umwandlung der St. Julien-Strasse in Salzburg in einen Aufenthaltsbereich für Fußgänger (unter anderem mit Hilfe von 500 Quadratmetern Rollrasen). In Wien Wieden wurde ein Gehsteigfestival mit verschiedenen Gehsteig-Installationen durchgeführt. Ausgezeichnet wurde auch eine Methodenentwicklung für Begleituntersuchungen, die am Beispiel des Elterleinplatzes in Wien entwickelt wurde.
Erfreulich ist die große Resonanz des Wettbewerbs. Dafür dürfte unter anderem die breite Unterstützung verantwortlich sein, die der walk-space-Award von öffentlichen Verwaltungen, vom Städte- und vom Gemeindebund sowie von der Wirtschaftskammer erhält. Ein ähnlich organisierter Wettbewerb sollte auch in Deutschland oder einzelnen deutschen Bundesländern durchgeführt werden. Das hier gewählte Verfahren kann als Beispiel dienen. Die Art der Projektdarstellung ist in der gerafften Form aussagekräftig, die Art der grafischen und bildlichen Darstellung ist attraktiv und die Bewertungen zum Nutzen der einzelnen Projekte sind meistens nachvollziehbar.
Ab und zu ergeben sich allerdings Unschärfen bei der Bewertung mit den Kriterien Umwelt, Nachhaltigkeit und Gestaltung. Positiv ist hervorzuheben, dass der Gesundheitseffekt der Bewegung als eigenes Kriterium für die Projektbewertung eingeführt wurde. Auch erweist es sich als Vorteil, dass Projekte nicht nur in Kategorien eingereicht werden können, die infrastrukturbezogene Planungen im engeren Sinne betreffen. Die Kategorien „multi- und intermodale Schnittstellen“, „Gehen und Gesundheit“ und „Bewusstseinsbildung / Prozesshaftes“ vereinigen immerhin rund ein Viertel der eingereichten Projekte auf sich.
Walk-space AWARD `10. Gute Lösungen für FussgängerInnen in Städten und Gemeinden. Top 46 Projekte in Österreich. Okt. 2010, Wien: walk-space.at, 59 S.
Dieter Schwab, Martina Strasser, Gisa Ruland
Bezug: www.walk-space.et, Bennogasse 10/22, A-1080 Wien, 18 Euro + Versandkosten
Erstveröffentlichung in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Februar 2011. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.
Autor dieser Ausgabe: Helmut Schad.
Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.fuss-eV.de
Möchten Sie, dass eine aktuelle Fachliteratur mit einem deutlichen Fußverkehrs-Bezug im Kritischen Literaturdienst Fußverkehr besprochen wird, nehmen Sie bitte mit FUSS e.V. Kontakt auf.