Die neuartige Gesellschaft des langen Lebens ist eine Herausforderung auch für die Verkehrssicherheitsarbeit. Dieser Satz ist vom Verfasser, baut aber keineswegs auf das deutsche Gemüt auf, sondern auf eine exotische Sichtweise: In Japan spricht man nicht wie in Deutschland entmutigend von der “Überalterung der Gesellschaft” und den zahlreichen “Problemen”, sondern von den Vorteilen und Herausforderungen, die sich aus dem längeren Leben der Menschen ergeben.
1. Das Großartige ist nicht, dass die Menschen immer älter werden, sondern, dass sie immer länger gesund und fit bleiben können oder zumindest könnten.
Das haben sehr viele Menschen noch nicht begriffen. Sie streben lediglich ein langes Lebensalter an; das aber kann langweilig bis elendig sein. Der Schriftsteller Midas Dekkers bringt das in seinem lesenwerten Buch “An allem nagt der Zahn der Zeit - Vom Reiz der Vergänglichkeit” folgendermaßen auf den Punkt: “Wenn man einmal alt ist, ist es zu spät, um alt zu werden. Wer alt werden will, muss jung damit anfangen. Das Rezept ist bekannt: nicht rauchen, sich mehr bewegen und sich anders ernähren.”
2. Kontinuierliche Bewegung und Beweglichkeit sind zu pflegende Schätze für ein eigenständiges und erfülltes Leben bis ins hohe Alter.
Die beiden Hauptwünsche von alternden Menschen dürften wohl lauten: möglichst lange “klar im Kopf” bleiben und möglichst lange “gut zu Fuß” sein. Darauf aufbauend die Bürger zu mehr Bewegung zu motivieren, muss auch eine kommunale Aufgabe im Sinne der Unfall- und Gewaltprävention sein. Es ergibt keinen Sinn, alten und recht unbeweglichen Menschen über Trainingsprogramme vermitteln zu wollen, dass sie vor einer Fahrbahnquerung erst nach rechts und dann nach links schauen müssen. Überspitzt formuliert: Wenn das Sichtfeld sich altersbedingt verengt, muss der Mensch wenigstens den Kopf bewegen können. Beweglichkeit ist eine Grundvoraussetzung für Sicherheit.
3. Gerade im Alter wird die Alltagsbewegung, die Mobilität im direkten Lebensumfeld, immer bedeutungsvoller.
Die demografische Entwicklung zu berücksichtigen heißt unter anderem auch, dass die Alltagsbewegung in Zukunft mindestens gleichberechtigt mit dem Sport betrachtet und auch gefördert werden muss. Beides sind Eckpfeiler der Gesundheitspolitik.
4. Für die meisten Menschen erhöht sich der Anteil des Zu-Fuß-Gehens im Alter, und das ist gut so.
Ältere Menschen legen in der BRD pro Jahr durchschnittlich 400 km zu Fuß zurück. In den USA sind es zum Vergleich lediglich 45 km. Der Radverkehr spielt bei älteren Menschen in der Regel eine geringere Rolle. Allerdings ist in ausgesprochen radfahrfreundlichen Städten die Zahl auch älterer Radfahrer erstaunlich hoch. In der Bundesrepublik legten Ältere im Durchschnitt ca. 160 km pro Jahr per Fahrrad zurück, in den Niederlanden sogar 800 km, in den USA dagegen nur 3,5 km.
5. Angst vor einem Verkehrsunfall ist mit zunehmendem Alter für Viele ein Faktor, der den Lebensalltag mitbestimmt und der die Mobilität stark einschränken kann.
Obwohl es auf diesem Gebiet einen unverändert großen Forschungsbedarf gibt, sind die angstverursachenden Faktoren bekannt:
6. Verkehrserziehung und Mobilitätstraining älterer Menschen können mithelfen, die körperlichen und geistigen Kompetenzen zu erhalten und zu stärken, sind aber allein nicht zielführend.
Untersuchungen von Kinderverkehrsunfällen ergaben eindeutig, dass die Unkenntnis von Verkehrsregeln keine vorrangige Unfallursache darstellt. Die generell für alle Sicherheitsfragen geltende Prioritäten zur Gefährdungsverminderung (sogenannte “3-E-Formel”: engineeringenforcement- education) treffen selbstverständlich auch auf die Unfallverminderung von Senioren zu: An erster Stelle müssen bauliche und technische Maßnahmen stehen (engineering), an zweiter die Einführung und Durchsetzung sicherheitsrelevanter Normen (enforcement) und an dritter Stelle die Erziehung und Bildung (education).
7. Maßnahmen zur
können - vergleichbar mit der Schulwegsicherung - nur über eine intensive Mängelerfassung im direkten Kontakt mit der Zielgruppe umgesetzt werden.
Es ist nicht sinnvoll, für eine Kommune altenspezifische Verkehrskonzepte aufzustellen. Ein erster Schritt wäre es, dass Stadt- und Verkehrsplanung, das Ordnungsamt, die Verantwortlichen für Soziales und Sport, die Seniorenbeauftragten und örtlich tätige Vereine gemeinsam mit den Betroffenen Mängel-Listen erstellen. Die schrittweise Behebung der Mängel, begleitet von kreativen Kampagnen für die Sicherheit und Annehmlichkeit des Gehens, wird die Bewohner stärker an ihre Stadt binden und ist darüber hinaus eine positiv herauszustellende Bemühung für das Stadtmarketing.
Empfohlen wird eine umfassendere Betrachtung der Aufgaben der Verkehrssicherheitsarbeit für die ältere Generation im Zusammenhang mit dem Erhalt der Beweglichkeit, der Zufriedenheit im Lebensumfeld und dem guten Gefühl, durch eigene Mobilität Lebensaufgaben bewerkstelligen und eigene oder familiäre Wünsche erfüllen zu können.
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Dieser Artikel von Bernd Herzog-Schlagk (Leicht verändertes Impulsreferat gehalten vor dem Forum Verkehrssicherheit Land Brandenburg, Lenkungsgruppe Umfeld, am 7.Juni 2006 in Beelitz) ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 2/2006, erschienen.
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