Begehbare Mittelstreifen verbessern die Überquerbarkeit von Straßen auf einem längerem Abschnitt. Sie eignen sich daher besonders dort, wo die Fahrbahn nicht nur punktuell, sondern linear überschritten wird. Obwohl fußverkehrsorientierte Mittelstreifen ein ideales Instrument zur Aufwertung von Einkaufsstraßen sind und schon 1990 erfolgreich in Hennef realisiert wurden, gibt es erst relativ wenige Anwendungsfälle. Hier werden einige Beispiele vorgestellt:
Die Frankfurter Straße in Hennef (Sieg; ca. 45.000 Ew.) wurde schon 1990 umgebaut. Es handelt sich um die Ortsdurchfahrt einer Landesstraße, die viele Läden und öffentliche Einrichtungen aufweist (DTV 2005: 10.500 Kfz/Tag; DTV 2000: 14.500 Kfz). Vor dem Umbau war die Haupteinkaufsstraße vierstreifig. Neben der seither nur noch ca. 7,50 m breiten Fahrbahn (inkl. Mittelstreifen) befinden sich Pkw-Parkstreifen. Die Gehwege sind ca. 4,50 m breit.
Spektakuläres Element sind die etwa alle 30 m mitten auf der Fahrbahn stehenden Straßenleuchten mit ihrem massiven Sockel. Sie schützen und betonen den niveaugleich gepflasterten Mittelstreifen (Natursteinpflaster). Jener hat eine Breite von ca. 1 m und weitet sich grundsäzlich alle 15 m auf ca. 2 m auf. Trotz der ansonsten schmaleren Breite ergibt sich durch die punktuellen Ausweitungen ein Korridor von etwa 2 m, der als Überquerungshilfe dient, da dort nur im Ausnahmefall Kfz fahren. Das geschieht etwa bei der Vorbeifahrt an Fahrzeugen, die in zweiter Reihe halten.
Wenn auch überall gequert werden kann und soll, gibt es zwei, drei durch Belagwechsel betonte Stellen, die eine Bündelung und eine besondere Würdigung des Fußverkehrs veranlassen sollen. Das städtebaulich integrierte und planerisch nach wie vor sehr beachtliche Konzept wird kommunalpolitisch immer wieder kontrovers diskutiert.
Gerade die Grünen sehen Kinder und Alte benachteiligt und fordern die Einrichtung von Fußgängersignalanlagen und Zebrastreifen. Sie sprechen von „oft mehrere[n] Minuten“ langen Wartezeiten im Berufsverkehr und einer geringen Anhaltebereitschaft des Fahrzeugverkehrs. Zur Versachlichung der Diskussion wurde von der Stadt eine fachliche Evaluierung beauftragt, die zu Redaktionsschluss noch nicht veröffentlicht war. Wegen der straßenrechtlichen Klassifizierung ist es bis heute nicht gelungen, die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h auf 30 km/h zu senken. Zum Ausgleich ist das Radfahren auf den Gehwegen erlaubt.
Die Stadt Ulm ist Spitzenreiterin beim Einsatz fußverkehrsorientierter Mittelstreifen. Vier Straßen im Stadtgebiet wurden in den letzten zehn Jahren entsprechend umgestaltet.
Prominentester Ulmer Anwendungsfall ist die „Neue Straße“ im Zentrum (DTV: 13.000 Kfz/ Tag). Auf ca. 100 m Länge besitzt sie einen multifunktionalen Mittelstreifen von ca. 2 m Breite. Neben einem kleinen Höhenunterschied von ca. 2 bis 3 cm hebt sich dieser durch die Oberflächenstruktur (Großplatten) und -farbe (dunkelgrau) von den angrenzenden (hellgrauen) Beton-Fahrstreifen ab. Gestalterisch und bautechnisch wird dies durch einen schmalen Metallstreifen akzentuiert. Der Mittelstreifen hat drei Aufgaben: 1.) Querungshilfe, 2.) unmarkierter Linksabbiegestreifen (Grundstücke, Seitenstraßen) und 3.) Vorbeifahrmöglichkeit an haltenden Fahrzeugen.
Nur am Anfang und Ende gibt es kleine Einbauten: Kurze aufmontierte „Verkehrsinsel-Köpfe“, die jeweils das Verkehrszeichen 222 „rechts vorbei“ tragen (unbeleuchtet, Standardgröße). Der Fußverkehr kommt mit der Querungshilfe gut zurecht; trotz Bevorrechtigung halten viele Autos an. Auch wenn Fahrzeuge einmal nicht den Vorrang abtreten, verbessert der Mittelinseleffekt die Überquerbarkeit der Straße enorm. Schließlich sind immer nur Lücken eines Fahrzeugstroms abzuwarten. Selbstbewusst auftretenden Fußgänger/innen gelingt es fast immer, den Vorrang zu gewinnen. Entspannend wirkt sich die Begrenzung der Fahrgeschwindigkeit auf 30 km/h aus.
Ähnliche Mittelstreifen hat die Stadt Ulm auch in zwei weiteren Innenstadtstraßen eingesetzt (Frauen- und Donaustraße) sowie im Stadtteil Wiblingen („Anger“, Kombination mit kleinem Kreisverkehrsplatz). Dort sind die Mittelstreifen meist 3 cm angehoben und mit Kleinpflaster befestigt. In der Donaustraße gibt es zusätzlich Schutzstreifen für den Fahrradverkehr.
Während die meisten deutschen Verkehrs- und Stadtplaner/innen nichts von den hiesigen Beispielen gehört oder gesehen haben, kennt und diskutiert fast die ganze Schweizer Fachwelt die eidgenössischen Mittelstreifen-Projekte in den Berner Vororten Wabern und Köniz. Durch engagierte Präsentationen auf internationalen Tagungen sind diese Projekte teilweise sogar international bekannt. Beide Vorhaben liegen in Dörfern von ca. 7.000 Ew., die unmittelbar mit der Hauptstadt verwachsen sind (wobei Wabern verwaltungsmäßig zur „Gemeinde Köniz“ gehört). Beide Projekte betreffen Einfahrtsstraßen in die Hauptstadt und verfügen über kleine Kreisverkehrsplätze (Geschwindigkeitsdämpfung). In beiden Fällen finden sich, wie schon in Hennef, die Leuchtenmasten auf einem niveaugleichen Mittelstreifen. Unterschiede gibt es bei der zulässigen Höchstgeschwindigkeit (Wabern: 50, Köniz 30 km/h) und der sonstigen Gestaltung.
In Wabern existieren auf einem langen Teilabschnitt der Senftigenstrasse Straßenbahngleise. Diese befanden sich vor dem Umbau auf eigenem Gleiskörper in Mittellage, nun liegen sie in den Kfz-Fahrstreifen (wo „das Tram“ nun durch eine lichtsignalgeregelte Schleuse unbehindert vor dem Kfz-Verkehr herfährt). Der gewonnene Raum kam insbesondere dem Fahrrad- und Fußverkehr zugute. Ersterer profitiert von den Schutzstreifen am Fahrbahnrand, letzterer von dem Mittelstreifen aus stabilen Betonplatten. Zwischen den Leuchten sind auf dem Mittelstreifen noch niedrige, dicke Metallpoller untergebracht. Sie tragen kleine stadtgeschichtliche oder geografische Informationstafeln.
Der Mittelstreifen ist mit ca. 1,40 m Breite nicht für alle Fußgänger/innen als Querungshilfe geeignet. Daher wurden an einigen Stellen Zebrastreifen beibehalten (sowie an einem LSA-Knotenpunkt auch Furten). Im Vergleich zum signalisierten Vorher-Zustand hat die durchschnittliche Wartezeit des Fußverkehrs durch die Zebrastreifen abgenommen. Der 1996/97 erfolgte Umbau bedingte keine Leistungseinbußen für den Kfz-Verkehr (DTV: ca. 15-20.000 Kfz/Tag). Dieses Projekt hat es sogar geschafft, in die 2007 erschienene deutsche Richtlinie zur Anlage von Stadtstraßen (RASt 06) aufgenommen zu werden.
Im Schweizerischen Köniz wurde die Schwarzenburgstrasse (DTV: 16.000 Kfz/Tag) samt „Blauäcker“-Platz 2000-04 umgebaut. Der Mittelstreifen-Abschnitt ist niveaugleich ausgeführt. Die Fahrbahn wird durch Pflasterrinnen oder, wo Parken ausgeschlossen werden soll, durch niedrige Edelstahlpoller von den ebenfalls bituminierten Gehwegen getrennt. Der etwa 2 m breite Mittelstreifen besteht aus hellem Ortsbeton. Er beinhaltet die Entwässerung und die Straßenbeleuchtung. Ergänzend wurden punktuell quadratische Betonscheiben aufgelegt, die den Fahrzeugverkehr optisch und funktional auf die regulären Fahrstreifen lenken.
Auffällig ist ein besonders zuvorkommendes Verhalten des Kfz-Verkehrs gegenüber dem querenden Fußverkehr. Trotzdem bedauert Fussverkehr Schweiz die Rücknahme der Zebrastreifen. Die Ausweisung einer stark befahrenen Ortsdurchfahrt als Tempo-30-Zone war anfangs heftig umstritten und Neuland für die Schweiz, hat sich aber bewährt. Bei der Diskussion weiterer zentraler Anwendungsfälle gelten sogar zwei sonst oft als Gegenargumente angeführte Aspekte als Voraussetzung: Die möglichst dichte ÖPNV-Bedienung (mit Haltestelle!) und ein hohes Kfz-Aufkommen. Beide gewährleisten ein niedriges Durchschnittstempo. Weiteres Erfolgskriterium ist eine hohe Anzahl von Fußverkehrsquerungen, die möglichst verteilt auftreten sollten. Der Fahrzeugverkehr fährt tatsächlich überwiegend in einem Geschwindigkeitsspektrum von 30 bis 40 km/h. Dank Tempo-30-Regelung kann auf Radverkehrsanlagen verzichtet werden.
Ein Schönheitsfehler des Mittelstreifens, hoffentlich ohne Sicherheitsrelevanz, ist seine Nutzbarkeit zur Vorbeifahrt an Linienbussen im Haltestellenbereich. Übrigens wurden auch einige kürzere Seitenstraßenabschnitte mit Mittelstreifen versehen, die z.T. nur durch Linienmarkierung und Baken (auf sporadisch aufgebrachten Großbetonplatten) gebildet werden.
Die Wilsdruffer Straße in Dresden trennt den Altmarkt vom Neumarkt (wo die Frauenkirche steht). Sie ist eine bedeutende Achse für alle Verkehrsarten, nicht zuletzt für den ÖPNV (DTV: ca. 21.000 Kfz/Tag). Wie die Neue Straße in Ulm ist sie in den 1950er Jahren mit sehr großer Bauflucht (bis zu 60 m) in den kriegszerstörten Altstadtbereich geschnitten worden. Vor rund 10 Jahren wurde der befahrene Teil des Straßenraumes neu geordnet. Dabei wurde je ein Richtungsfahrstreifen der ehemals vierstreifigen Straße aufgeben. Zudem wurde der mittig gelegene Gleiskörper der zweigleisigen Straßenbahn-Strecke gepflastert und zu einer linearen Querungshilfe aufgewertet.
Der leicht erhabene Gleisbereich (Förderbedingung in Sachsen) ist durch Markierungslinien auf beiden Seiten um Schutzzonen für den querenden Fußverkehr „erweitert“ worden. Vor kurzem wurde ein Teilabschnitt sogar baulich verbreitert (Pflaster-Ausweitung). Die Geschwindigkeit des Kfz-Verkehrs ist auf 30 km/h begrenzt. Freie Querungen sind i.d.R. sicher und angenehm möglich. Wer gesicherte barrierefreie Querungsmöglichkeiten benötigt, findet solche an beiden Enden der Straßenbahnhaltestellen. Der übrige gewonnene Raum der aufgegebenen Fahrstreifen wurde zu Radfahrstreifen ummarkiert. Inzwischen steht sogar das reguläre Parken am Fahrbahnrand zur Disposition. Da neue Parkgaragen in Betrieb gegangen sind, soll die Nutzung auf Halten, Liefern, Taxis oder Reisebusse beschränkt werden.
In der Nähe des Londoner Hyde Parks liegt die Kensington High Street (DTV: ca. 22.000 Kfz/ Tag). Sie bildet als Einkaufsstraße mit Gastronomienutzungen ein Stadtteilzentrum. Die Straße wurde 2001-03 umgebaut, wobei die Vierstreifigkeit (zwei Fahrstreifen pro Richtung) beibehalten wurde. Sie war vorher unruhig gegliedert und lud nicht zum Überqueren ein; das war nur an den LSA zulässig und wurde sonst durch Absperrgeländer ausgeschlossen. Jetzt gibt es einen ca. 3 m breiten Mittelstreifen, der zum freien Queren benutzt werden kann. Darüber hinaus dient er überwiegend als Fahrradabstellfläche. Teilweise entfällt der Mittelstreifen zugunsten von mittig gelegenen Rechtsabbiegestreifen (Linksverkehr!).
In Großbritannien wird das Beispiel als sehr gelungen gefeiert. Denn zum einen hat sich der Fahrstil entschärft, zum anderen die Nutzungsdichte in den Seitenräumen stark vergrößert. Aus diesen Gründen ordnen führende Vertreter der Shared-Space-Idee das Projekt sogar der entsprechenden Philosophie zu (Hamilton Baillie, Willem Foorthuis). Das verwundert, weil der Straßenraum ein konventionelles Trennprinzip und sehr viele normale Verkehrseinrichtungen aufweist: Lichtsignalanlagen (LSA), Verkehrszeichen und Markierungen. Unabhängig von dieser Frage der „Klassifizierung“ zeigt sich auch hier der positive Einfluss von Mittelstreifen. Es haben sich spürbare Verbesserungen für den Fußverkehr ergeben, und darüber hinaus auch für die private und die gewerbliche Anliegerschaft
Mittelstreifen sind ein hervorragendes Instrument zur Attraktivierung von Straßen mit hohem Querungsbedarf auf einem längeren Abschnitt. Es ist verwunderlich, dass sie nicht häufiger eingesetzt werden. Völlige Konflikt- und Unfallfreiheit können sie jedoch auch nicht garantieren. Dennoch sind sie fußverkehrsfreundlicher als Shared-Space-Ansätze ohne Beschilderung oder „normale Straßen“, erfordern aber auch eine Straßenraumbreite von mindestens 16 m. Die Rücksicht des Kfz-Verkehrs kann durch Senkung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h (oder weniger) gefördert werden.
Dieser Artikel von Arndt Schwab (Koblenz, Vorstand FUSS e.V) ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 2/2009, erschienen.
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