Fußgängerfreundliche Ampelschaltungen müssen Kfz nicht behindern

Um die Wartezeiten der Fußgänger an Ampelanlagen zu reduzieren und eine bessere Akzeptanz des Rotlichtes zu erreichen, versucht man in Graz neue Wege zu gehen und die Signalprogramme anders zu steuern. Es wurden zwei Modellversuche erfolgreich getestet: „Fußgänger stören die Grüne Welle“ und „Dauergrün für Fußgänger“. Ist das nun ein Kniefall der Verantwortlichen vor der Ungeduld der Fußgänger oder wird hier ein Freiraum der Verkehrsingenieure sinnvoll genutzt?

Das Problem der Fußgänger: Die Wartezeit

Jeder kennt die leidige Situation: Als Fußgänger möchten Sie an einer Fußgängersignalanlage – auf österreichisch „Druckknopfampel“ - die Straße queren. Sie müssen sich mittels Druckknopf anmelden, warten bis die Ampel reagiert und auf Grün springt. Ist diese Druckknopfampel in eine Grüne Welle des Autoverkehrs integriert, müssen Sie als Fußgänger noch zusätzlich auf eine Lücke im Autoverkehrsstrom warten.

Reagiert die Ampel nicht schnell genug und entdeckt der ungeduldige Fußgänger eine ausreichende Zeitlücke im Verkehrstrom, ist er versucht, bei Rot die Fahrbahn zu überqueren. Die andere Seite: Autofahrer müssen bei Rot anhalten, obwohl weit und breit kein Fußgänger mehr zu sehen ist, da der Fußgänger schon längst die Fahrbahn gequert hat.

Tradition in der Grazer Verkehrspolitik

Seit mehr als 20 Jahren hat das Prinzip der „Sanften Mobilität“ Tradition, festgeschrieben in den Leitlinien 2000“. Die „sanften“ Verkehrsmittel, also der nichtmotorisierte Verkehr sowie der öffentliche Nahverkehr werden gefördert. Maßnahmen zugunsten des KFZ- Verkehrs werden seither nur mehr im unbedingt erforderlichen Ausmaß gesetzt.

Prioritäten an Lichtsignalanlagen

Unabhängig von der Verkehrspolitik steht für die Steuerung der Lichtsignalanlagen an oberster Stelle die Verkehrssicherheit. Die verkehrspolitisch oberste Priorität hat die Beschleunigung des Öffentlichen Verkehrs, das Prinzip „Wartezeit Null für den ÖPNV“ konnte bereits in sehr hohem Ausmaße (etwa zu 70 – 85%) erreicht werden.

In nächster Priorität sollte die Reduzierung der Emissionen erreicht werden. Dazu wurde die Verbesserung der Grünen Wellen für den Autoverkehr mit adaptiver Netzsteuerung angegangen. Die Emissionen konnten dabei jedoch nicht wirklich reduziert werden, da mit der Flüssigkeit des Autoverkehrs eher die Lust am Autofahren gefördert wurde.

Die Förderung des Fußgängerverkehrs an Ampelanlagen, anfangs auf Maßnahmen der Verkehrssicherheit beschränkt, hat erst in den letzten zwei Jahren einen aktiven Schwerpunkt in der Grazer Verkehrspolitik bekommen, wobei vor allem versucht wird, verfügbare Spielräume zugunsten der Fußgänger zu nutzen und mit Verkehrssicherheitsmaßnahmen zu verbinden.

Herkömmliche Signalprogramme

Während an vollständig signalisierten Knoten Grünphasen und Räumzeiten für die Fußgänger ohne viel Ermessensspielraum in die Gesamtsituation integriert werden müssen, schien ein Potential für wirksame Verbesserungen an Fußgänger-Druckknopfampeln gegeben.

In Graz gibt es als Querungshilfen für Fußgänger 126 Druckknopfampeln. Diese werden in der Regel so gesteuert, dass die Anlage in der Stellung „Dauergrün für den KFZ- Verkehr“ und „Rot für Fußgänger“ verharrt, bis sich ein Fußgänger mittels Druckknopf anmeldet. Nach Ablauf einer Räumzeit wird auf die Grünphase für Fußgänger umgeschaltet.

Anschließend kehrt das Signalprogramm wieder in das Grün der KFZ- Verkehrs (in Deutschland häufig auf „Dunkel“) zurück. Nun muss eine Mindestgrünzeit für den Autoverkehr abgewartet werden, bevor die Anlage wieder für eine neuerliche Fußgängerphase bereit ist. Daraus entstehen die von den Fußgängern nicht gern akzeptierten Wartezeiten.

Besonders lange müssen Fußgänger auf eine Grünphase warten, wenn diese Druckknopfampel in eine Grüne Welle eingebunden und der Rhythmus der KFZ- Pulks abzuwarten ist. Da in Graz Umlaufzeiten - kapazitätsbedingt für den Autoverkehr - bis zu 100 Sekunden Verwendung finden, sind für die Fußgänger Wartezeiten in ebensolcher Größenordnung in Kauf zu nehmen. Daher wurden Alternativen gesucht, diese Mängel an Fußgänger-Druckknopfampeln zu beheben.

Modellversuch „Fußgänger stört Grüne Welle“

Einer dieser Versuche wurde an der stark frequentierten Radroute Neubaugasse unmittelbar an einer Schule durchgeführt. Fußgänger und Radfahrer mussten zum Queren der Keplerstraße bis zu 100 Sekunden warten, weil die Druckknopfampel auf die Grüne Welle des KFZ- Verkehrs mit einer wichtigen, benachbarten Ampelanlage koordiniert war. Als „Zugeständnis“ an die Querenden wurde während des Tages die Grünphase ständig geschaltet, ohne den Druckknopf betätigen zu müssen. Damit konnte wenigstens den zufällig bei Grün eintreffenden Fußgängern eine sofortige Querung ermöglicht werden.

Wunsch der Politik war es, die Wartezeit für Fußgänger/ Radfahrer auf maximal 50 Sekunden zu begrenzen. Daher entschloss man sich für den Modellversuch, diese Fußgängerampel aus dem Koordinierungsverband herauszunehmen und mit Druckknopfanmeldung zu betreiben.

Seitens der Autofahrerlobby herrschten naturgemäß Bedenken, dass die kürzeren Intervalle der Fußgängerphase den ohnehin schon im Staubereich des benachbarten Knotens stockenden Verkehrsfluss unzulässig aufstauen würden.

Auswirkungen

Statt bisher 35 fixen Grünphasen pro Stunde können sich nun Fußgänger/ Radfahrer bis zu 60 Grünphasen pro Stunde anfordern. Die maximale Rotzeit für Fußgänger/ Radfahrer beträgt nur mehr maximal 50 Sekunden.

Neben diesen erwünscht positiven Auswirkungen auf Fußgänger/ Radfahrer wurden aber auch die Auswirkungen auf den KFZ- Verkehr untersucht. Erstaunlicherweise wurde durch die neue Schaltung in der Morgenspitze vor der Druckknopfampel ein um 10% kürzerer und in der Nachmittagspitze sogar ein um 35% kürzerer Rückstau gemessen. Noch dazu war bei diesem Vorher - Nachher Vergleich das Verkehrsaufkommen nachher um 30 bis 40 % größer.

Dieses verblüffende Ergebnis wurde dadurch möglich, dass - besonders am Nachmittag - nicht alle Grünphasen für den Querverkehr benötigt werden und daher der KFZ- Verkehr zeitweise von Fußgänger/ Radfahrer ungestört fließen kann.

Die modellhaft neue Fußgänger/ Radfahren- freundliche Schaltung hat also nicht nur den Fußgängern/ Radfahrern eine deutliche Verkürzung der Wartezeit, sondern auch dem Verkehrsfluss des KFZ- Verkehrs Vorteile gebracht. Bisher ungenutzte Reserven konnten durch diese neue Ampelschaltung sinnvoll genutzt werden.

Folgeprojekte

Inzwischen wurden 18 von 27 in Grünen Wellen gelegene Druckknopfampeln aus der Koordinierung genommen. Dadurch konnten die sehr langen Wartezeiten durchwegs auf maximal 50 Sekunden reduziert werden. An einigen dieser Anlagen wurde dieser Bonus für die Fußgänger jedoch nur außerhalb der Verkehrsspitzen freigegeben. Die störenden Auswirkungen auf den Autoverkehr halten sich in Grenzen. Wie beim Modellversuch werden nicht alle möglichen Fußgängerphasen ausgenutzt.

Grenzen für eine generelle Anwendung ergeben sich allerdings aus Verkehrssicherheitsaspekten bei sehr kurzen Abständen zu signalisierten Knoten und aus der Abwägung der Relation der Verkehrsstärken von KFZ und Fußgänger/ Radfahrern.

Modellversuch „Dauergrün für Fußgänger“

Eine stark frequentierte Fußgänger/ Radfahrer- Achse am Edeggersteg quert im Grazer Citybereich zwei wichtige Cityerschließungsstraßen (Einbahnen). Während in den Verkehrsspitzen die KFZ- Verkehrsstärken höher sind, dominiert am Abend und am Wochenende der querende, nicht motorisierte Verkehr. Daher bietet es sich geradezu an, in Zeiten des schwachen Autoverkehrs die Prioritäten der Ampelschaltung zugunsten der Fußgänger umzudrehen. Der Modellversuch wurde an beiden Kreuzungen ausgeführt.

Die neue Grundidee

An herkömmlichen Fußgängerampeln werden Fußgänger, ausgehend von einem Dauergrün für den KFZ- Verkehr nur nach Anmeldung bedient. Diese Priorität wird im Modellversuch umgedreht: Grundzustand ist „Dauergrün für Fußgänger“ und KFZ müssen sich anmelden. Allerdings brauchen die Autofahrer keinen Druckknopf betätigen, ihre Annäherung wird mittels Induktionsschleifen in der Fahrbahn automatisch registriert.

Die Signalsteuerung

Im neuen Signalprogramm mit dem modellhaft demonstrativen Vorrang für den Fußgängerverkehr werden die sich nähernden KFZ etwa 100 m vor der Fußgängerampel registriert und lösen ein Umschalten in die Grünphase des KFZ- Stromes aus. Bei 40 km/h bekommt das KFZ Grün, ohne anhalten zu müssen.

Während des normalen Werktagsverkehrs ergibt sich aufgrund der permanenten KFZ- Anmeldungen ein fixes Signalprogramm mit einer Umlaufzeit von 40 Sekunden, welches nur kurze Wartezeiten für Fußgänger (maximal 28 Sekunden) verursacht und dem KFZ- Verkehr eine knappe, aber für die Verkehrsstärken ausreichende Freigabezeit ermöglicht.

Das Dauergrün für die Fußgänger kommt in Schwachlastzeiten mit wenig KFZ- Verkehr zum Tragen.

Vorteile für die Fußgänger

Die konventionelle Lösung war mit einer Umlaufzeit von 80 Sekunden in Spitzenzeiten und 60 Sekunden in Schwachlastzeiten eindeutige zugunsten des KFZ- Verkehrs ausgelegt. Fußgänger mussten – trotz mancher längerer Zeitlücken im KFZ- Verkehr – die überdimensioniert langen Grünzeiten des KFZ- Stromes bis zu 80 Sekunden abwarten.

Die modellhaft neue Fußgänger-gerechte Lösung bietet nun Vorteile:

  • Die Wartezeiten der Fußgänger liegen immer unter 30 Sekunden, sodass die Akzeptanz des Wartens der Fußgänger auf die Freigabe sehr groß ist.
  • Komfort und Wertschätzung des nicht motorisierten Querverkehrs steigt auf ein bisher unübliches Ausmaß an.
  • Bei wenig KFZ- Verkehr werden alle Zeitlücken zugunsten einer dauernden Freigabe des Fußgängerverkehrs geschaltet, sodass die Fußgänger gar nicht in Versuchung gebracht werden, das Rotlicht zu missachten.
  • Es ist zu erwarten, dass mit dieser Modelllösung auch die Verkehrssicherheit erhöht wird, Vergleichszahlen liegen noch nicht vor.

Auswirkungen auf den KFZ- Verkehr

  • Der Auslastungsgrad der Grünphasen des KFZ- Verkehrs in den Verkehrsspitzen wird zwar erhöht, erreicht aber – außer im Vorweihnachtsverkehr - keine kritischen Grenzen.
  • Bei wenig KFZ- Verkehr in den Schwachlastzeiten braucht der vereinzelte Autofahrer aufgrund der automatischen Registrierung nur eine Geschwindigkeitsreduktion, aber keinen Halt in Kauf nehmen.
  • Der Priorität und Wertschätzung des nicht motorisierten Verkehrs steht also keine Geringschätzung des motorisierten Verkehrs, sondern eine ausreichende, aber nicht mehr so großzügige Wertschätzung gegenüber.

Folgeprojekte

Diese modellhafte Prioritätsumkehr mit „Dauergrün für die Fußgänger“ kann grundsätzlich an allen ähnlich gelagerten Fußgängerampeln angewandt werden. Derzeit ist man in Graz auf der Suche nach geeigneten Folgeprojekten.

Es sollte jedoch beachtet werden, dass dieses komfortable Dauergrün auch tatsächlich von einer gewissen Mindestanzahl von Fußgängern frequentiert wird. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Autofahrer trotz der geringen Störwirkung allein schon durch das häufige Rotlicht während der Annäherung derartige Steuerungen als reine Schikanen empfinden.

Resümee

Insgesamt kann die Experimentierfreudigkeit mit neuen Steuerungsstrategien für die Fußgängerdruckknopfampeln als gelungen bezeichnet werden. Es wurden nicht nur die Wartezeiten der Fußgänger verringert, auch das Klima der Fußgängerfreundlichkeit hat sich durch diese Maßnahmen verbessert. Die Benachteiligung des KFZ- Verkehrs hält sich in Grenzen, die Störungen von Grünen Wellen sind keineswegs dramatisch, an den Anlagen mit „Dauergrün für Fußgänger“ konnten keine wirklichen Nachteile nachgewiesen werden. Die Modellversuche werden beibehalten und können als Grundsatzlösungen für den weiteren Einsatz gesehen werden.

In Kürze

Um Fußgänger an Druckknopfampeln nicht lange warten zu lassen und Rotgeher zu vermeiden, geht man in Graz erfolgreich neue Wege: Fußgänger dürfen den Verkehrsfluss Grüner Wellen unterbrechen, an einzelnen Modellanlagen kriegen sie sogar „Dauergrün“ und Autofahrer müssen sich anmelden. Die Erfahrungen zeigen, dass sich die Nachteile für den Autoverkehr in Grenzen halten, weil bisher unbeachtete Freiräume der technischen Planung sinnvoll genutzt werden.

 

Dieser Artikel von Winfried Höpfl, der im Grazer Straßenamt das Referat für Lichtsignalanlagen leitet (Email:Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!), ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 1/2010, erschienen. 

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