Attraktive, nutzungsgemischte (inner)städtische Quartiere mit hohen Aufenthaltsqualitäten im öffentlichen Raum, mit Freiflächen zum Verweilen, zum Kommunizieren und mit Spielmöglichkeiten für Kinder sind wesentliche Aspekte, die den Verbleib der Bevölkerung in der Stadt, aber auch den Zuzug aus dem Umland fördern. Eine Stadt der kurzen Wege, die durch Dichte und Nutzungsmischung optimale Voraussetzungen für den Rad- und Fußverkehr bietet, wird seit vielen Jahren intensiv in Wissenschaft und Praxis von Stadtplanern, Verkehrsplanern, Politik und Verwaltungen nicht nur diskutiert sondern ist in vielen innerstädtischen Quartieren bereits gebaute Realität.
Die Attraktivität dieser Quartiere belegt die hohe Wohnungsnachfrage in den nutzungsgemischten gründerzeitlichen Altbauquartieren in vielen Großstädten, aber auch die kompakten und lebenswerten Mittel- und Kleinstädte. Trotz vieler guter Beispiele setzt sich die weitere Suburbanisierung in vielen Regionen, Kreisen, Städten und Gemeinden weiterhin fort, als sei der Zusammenhang zwischen Siedlungsentwicklung und Verkehr - mit seinen negativen ökonomischen, sozialen und ökologischen Folgen - nicht bekannt oder als könne oder wolle man gegen die bestehenden Siedlungsstrukturen nicht angehen. Diese Städte und Gemeinden könnten zukünftig die Verlierer im interregionalen oder -kommunalen Wettbewerb um Arbeitsplätze und Wohnbevölkerung sein.
Es gibt viele gute Gründe, sich weiterhin mit der Stadt der kurzen Wege auseinanderzusetzen: der demografischen Wandel, der verstärkt dazu führen wird, über einen Umbau des Siedlungsbestands nachzudenken, die bereits heute teilweise zu beobachtende Reurbanisierung und die damit verbundene Nachfrage nach attraktivem städtischen Wohnraum, die Diskussion um Segregation und ungleiche Mobilitätschancen sozial benachteiligter Gruppen, sowie nicht zuletzt die Erhöhung von Verkehrskosten im Vergleich zu den Wohnkosten, die zu einer veränderter Wohnstandortwahl führen. Darüber hinaus wird in vielen Kommunen im Rahmen von Luftreinhalteplänen oder freiwilligen Klimaschutzkonzepten intensiv über Maßnahmen nachgedacht, die zu einer Verkürzung von Wegen bzw. den Umstieg auf umweltschonenden Verkehrsmittel beitragen. Grundvoraussetzung ist hierbei Stadtentwicklung und Verkehr integriert zu betrachten, um durch Nutzungsmischung und angemessener städtebaulicher Dichte Nahmobilität fördern zu können.
Nahmobilität fördern beinhaltet nicht nur durch Nutzungsmischung die Voraussetzungen zu schaffen um Wege im Quartier zu Fuß oder mit dem Rad zurücklegen zu können, sondern auch die Aufenthaltsqualität in Quartieren zu steigern, indem der öffentliche Raum aufgewertet wird - beispielsweise durch die Anlage von Grünbereichen sowie Freiflächen zur Kommunikation und zum Spielen.
Die Vorteile für die Wohnbevölkerung und die Kommunen durch eine konsequente und umfassende Nahmobilitätsförderung sind vielfältig. Zu nennen sind: die Aufwertung des öffentlichen Raums, die Erhöhung der Verkehrssicherheit, die Stärkung der lokalen Nahversorgung und damit auch der sozialen Funktion des Nahraums, die Entlastung von Kfz-Verkehr und damit die Reduktion von Luftschadstoffen, CO2 und Lärm. Dies sowie mehr zu Fuß und mit dem Rad zurückgelegte Wege tragen zur Gesundheitsförderung der Bevölkerung bei. Darüber hinaus erhöhen sich die Mobilitätschancen sozial schwächerer Gruppen, da sie ihre Ziele zu Fuß und mit dem Rad erreichen können. Eine gute Nahmobilitätsförderung führt zu einem Imagegewinn nach innen und außen sowie zu einer hohen Lebensqualität im Quartier und in der Stadt. Der Erfolg: eine zufriedene Wohnbevölkerung und Standortvorteile im Wettbewerb um Wohnbevölkerung und Arbeitsplätze.
Eine konsequente Nahmobilitätsförderung ist nicht ohne Einschränkungen für den MIV möglich, aber eine repräsentative Studie des Bundesministeriums für Umwelt und Reaktorsicherheit zum Umweltbewusstsein aus dem Jahr 2006 mit 2.034 Personen sollte den Politikern und den Verwaltungen in den Kommunen Mut machen. Auf die Frage zu ihrer Einstellung zu folgenden Themen äußerten sich 86% positiv zu mehr verkehrsberuhigten Bereichen, 85% zum Ausbau des Radwegenetzes, 81% für mehr Raum für Fußgänger zum Flanieren und 63% dafür die Innenstadt für den Autoverkehr zu sperren. Doch woher nimmt man die Flächen für mehr Fuß- und Radverkehr, für Aufenthaltsflächen und Grünbereiche zum Kommunizieren und Spielen?
Um neue Flächen für Aufenthalt und Kommunikation zu schaffen, ist es notwendig, in weit stärkerem Maß als bisher Parkraummanagement und Parkraumbewirtschaftung zu betreiben bzw. fließenden und ruhenden Verkehr aus bestimmten sensiblen Bereichen ganz zu verbannen. Die Forderung nach Kostenwahrheit für das Parken im öffentlichen Raum wurde in der Arbeitsgruppe intensiv diskutiert. Die theoretischen Möglichkeiten einer wesentlich höheren Abschöpfung von Parkgebühren werde bisher von den Städten nicht genutzt und sollten intensiver betrieben werden. Die Verwaltungsgebühr, die für das Anwohnerparken erhoben werden darf, unterscheidet sich zwar in ihrer Höhe von Stadt zu Stadt, aber sie entspricht keinesfalls den tatsächlichen Kosten der Nutzung eines Stellplatzes im öffentlichen Straßenraum. Hier sind längst noch nicht alle Möglichkeiten abgeschöpft, um Parkraum zu verteuern oder zu reduzieren.
Nahmobilitätsförderung besitzt ein sehr hohes CO2-Reduktionspotenzial – sofern unterstützende siedlungsstrukturelle Bedingungen gegeben sind. Allerdings liegen gerade zu den Wirkungen von siedlungsstrukturellen Maßnahmen kaum konkrete Angaben zu CO2-Einsparungen vor. Die Auswertung verschiedener Klimaschutzkonzepte sowie Studien des Umweltbundesamtes zeigt, dass Reduktionspotenziale verschiedener Maßnahmen der Nahmobilitätsförderung differenziert zu betrachten sind. Sie werden im Folgenden kurz skizziert.
Verlagerungspotenziale auf den Fußverkehr sind vorhanden, allerdings werden diese in allen Studien als sehr gering eingestuft. In vielen Studien werden keine Aussagen dazu getroffen. Langfristige Wirkungen werden unterstellt, da eine gute Fußgängerinfrastruktur dazu beiträgt, den generellen Umstieg auf emissionsärmere Verkehrsmittel zu fördern.
Sehr hohe Potenziale zur CO2-Reduktion liegen in der Förderung des Radverkehrs, da mehr als die Hälfte der Pkw-Fahrten unter fünf Kilometer liegen und auf diesen Strecken kaum Zeitvorteile durch den Pkw bestehen. Ließen diese sich nur um 30% reduzieren, könnten 2 Mio t/Jahr CO2 eingespart werden. Allerdings müsste dazu jeder Einwohner in Deutschland jährlich 998 km mit dem Rad zurücklegen (heute 300 km). Eine Studie der CE Delft weist nach, dass die Verbesserung der Fahrradinfrastruktur zu einer deutlichen Verringerung von CO2 führt. Wenn zum Beispiel durch eine entsprechende Fahrradpolitik einer Stadt 2.500 Menschen fünf Kilometer am Tag weniger Auto fahren und stattdessen das Fahrrad nutzen, spart dies im Jahr eine Kilotonne CO2. Auch in den betrachteten deutschen Klimaschutzkonzepten werden die Wirkungen durch Radverkehrsförderung sehr hoch eingeschätzt und langfristig weitere Potenziale – insbesondere in Kombination mit dem ÖPNV - erwartet werden.
Die Quantifizierung von Maßnahmen ist hierbei aufgrund der Wechselwirkungen mit weiteren Maßnahmen schwierig. Langfristige Wirkungen könnten erzielt werden über Regionalplanung und kommunale Konzepte, die eine Reduktion von Distanzen zur Folge haben. Der Effekt der Stadtplanung auf die CO2-Reduktion wird in den unterschiedlichen Quellen von „niedrig“ (Maßnahmen der Stadtentwicklung, städtebauliche Maßnahmen zur Verkehrsvermeidung) bis „hoch“ (Abstimmung von Zielkonzepten zum Verkehr und zur städtebaulichen Entwicklung) eingeschätzt.
Generell wird das Reduktionspotenzial von Maßnahmen zur Verbesserung des Mobilitätsverhaltens als „niedrig“ eingestuft, es wird jedoch eine „hohe“ Wirkung im Bereich des betrieblichen Mobilitätsmanagements unterstellt. Generell haben Maßnahmen in diesem Bereich eine eher langfristige Wirkung, da lediglich ein Anstoß zur Veränderung des Mobilitätsverhaltens gegeben werden kann, die Resultate jedoch nur mit einiger Verzögerung sichtbar werden. In Dresden wurden im betrieblichen Mobilitätsmanagement große Erfolge erzielt. So wurden dort innerhalb weniger Jahre die Zahl der mit dem Rad zur Arbeit fahrenden Mitarbeiter bei Infineon von 30 auf 1.000 durch Infrastrukturmaßnahmen erhöht, die Mobilitätskosten je Mitarbeiter um 350 Euro gesenkt und je Beschäftigtem 450 kg CO2/ Jahr reduziert.
Insgesamt bleibt festzuhalten, dass eine konsequente Nahmobilitätsförderung einen sehr großen Beitrag zur CO2-Reduktion leisten kann. Hierzu bedarf es aber als Grundvoraussetzung einer Förderung von Nutzungsmischung und verträglicher Dichte. Doch wie kann dies sichergestellt werden? Am Themenfeld Einzelhandel wurde darüber in der Arbeitsgruppe diskutiert.
Selbst in städtischen Quartieren fehlt es häufig bereits an Nahversorgungseinrichtungen und im ländlichen Raum stellen sich die Probleme für die Gemeinden besonders schwierig dar. Statt zu Fuß gehen zu können müssen für den Einkauf weite Wege mit dem Pkw zurückgelegt werden. Unterstützt wird dieses entfernungsintensive Verkehrsverhalten zusätzlich durch die vielen vorhandenen und auch heute noch geplanten Ortsumfahrungen, die es ermöglichen, bei konstantem Reisezeitbudget weitere Wege zurückzulegen bzw. sie zurücklegen zu müssen. Die Forderung der Arbeitsgruppe hierzu lautet: statt die hohen Kosten des Pendelns zu subventionieren und Ortsumfahrungen zu bauen müssen diese Mittel in Erhalt bzw. Wiederansiedlung von Einzelhandel investiert werden.
Welche Lösungsmöglichkeiten sich bieten, nutzungsgemischte Quartiere zu schaffen bzw. den Erhalt sowie die Wiederansiedlung von Geschäften für den täglichen Bedarf zu fördern oder bestehende Strukturen positiv zu beeinflussen und der Bevölkerung somit Alternativen zu langen Pkw-Fahrten anzubieten wurde in der Arbeitsgruppe mit folgenden Ergebnissen diskutiert. Die Gründung von Arbeitsgruppen aus Politik, Einzelhändlern, Wirtschaftsförderung und Bürgern kann über freiwillige Vereinbarungen dazu beitragen, in Innenstädten bzw. Fußgängerzonen zu einer Reduzierung von Mieten zu kommen, die es ortsansässigen Einzelhändlern ermöglichen, gegenüber den Filialisten zu bestehen. Auch in kleinen Gemeinden können Läden durch Mietsubventionen gestärkt oder Ersatz durch rollende Läden und Sparkassen geschaffen werden.
Die Steigerung der Aufenthaltsqualität als indirekte Maßnahme in Form von Partnerschaften zwischen Einzelhändlern, Eigentümern und Kommunen kann dazu dienen, mehr Bürger dazu zu bewegen ihre Einkäufe im Quartier bzw. in ihrer Stadt zu erledigen. In kleinen Gemeinden kann über eine konsequente Ausübung des Baurecht die Verlagerung des Einzelhandels aus den Ortskernen an den Rand verhindert werden. Gleichzeitig müssen die Ortskerne sichtbar und gestärkt sowie die Aufenthaltsqualität dort erhöht werden.
Zwei Beispiele aus dem Ausland zeigen weitere Möglichkeiten auf: Nahversorgungsmanagement als Beispiel aus der Schweiz. Ähnlich einem Wohnungsbaufond, der preiswert Grundstücke erhält, um kostengünstigen Wohnungsbau zu realisieren (beispielsweise in ehemaligen Industriegebieten) und dafür verpflichtet wird, gleichzeitig dort auch Nahversorgung zu schaffen. Ein anderes Beispiel ist es, bei Bauanträgen das Verkehrsmengenrisiko auf die Verkehrserzeuger zu übertragen. Der Investor muss neben den Baukosten für die Infrastruktur auch für die gesamten Kosten durch den erzeugten Verkehr aufkommen. Integrierte Standorte sind somit preiswerter als Standorte auf der „grünen Wiese“.
Grundvoraussetzung für die Umsetzung einer Stadt der kurzen Wege bzw. der Nahmobilitätsförderung ist das Verständnis der Wechselwirkungen von Siedlungs- und Verkehrsentwicklung in Verwaltung und Politik. Eine integrierte Siedlungsentwicklung versteht Nahmobilitätsförderung als Basis für attraktive familien- und seniorenfreundliche Quartiere, Gemeinden und Städte. Sie findet breite Zustimmung in der Bevölkerung, erfordert in der Umsetzung aber auch ein entsprechendes finanzielles und personelles Engagement der Städte und Gemeinden. Städte und Gemeinden mit einer hohen Lebensqualität sind das aber allemal wert, wie die vielen Beispiele aus dem In- und Ausland zeigen. Regelmäßig sind die Vorzeigestädte in Sachen Nahmobilität wie Freiburg, Münster, Kopenhagen oder Amsterdam bei der Wahl der weltweit lebenswertesten Städte ganz weit vorne.
Dieser Artikel von Gernot Steinberg ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 2/2009, erschienen.
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Die positiven Wirkungen des Gehens auf die Luftqualität, das Klima, den Lärm, den Energieumsatz, den Flächenverbrauch etc. sind so selbstverständlich, dass sie in der populären und der Fach-Literatur nicht näher erläutert werden und für die öffentliche Diskussion und die Medien offensichtlich nicht erwähnenswert sind. Folgende Beiträge sind sich dem Thema annähernde Betrachtungen:
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