Die zweite weltweite Straßenverkehrssicherheitswoche der UN (Second UN Global Road Safety Week) vom 6. - 12. Mai 2013 widmet sich der Sicherheit der Fußgänger. Dazu schreibt die Weltgesundheitsorganisation WHO:
Die globale Woche zur Sicherheit der Fußgänger ist eine einmalige Gelegenheit, die Aufmerksamkeit auf die Frage der Sicherheit der Fußgänger zu ziehen. Wir sind alle Fußgänger: Täglich gehen wir zu Fuß zu einem Ziele oder beginnen und enden zumindest unsere Wege zu Fuß. Gehen kostet nichts, braucht keinen Treibstoff, keine Zulassung und keine Registrierung. Gehen ist integraler Bestandteil der Lebensqualität in unseren Gemeinden.
Aufgrund einer mangelnden Aufmerksamkeit für ihre Bedürfnisse und einer Tendenz in den letzten Jahrzehnten, den motorisierten Individualverkehr zu fördern, ist für Fußgänger heute das Risiko erhöht, getötet oder verletzt zu werden und eine Behinderung davonzutragen. Viele Getötete sind Kinder und ältere Menschen. Die Mehrheit der Todesfälle treten in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen auf, wo die rasche Motorisierung zusätzliche Herausforderungen stellt. Aber Fußgängerschutz bleibt ein weltweites Anliegen.
Es gibt nicht die eine universelle Maßnahme, mit der den verschiedenen Risiken der Fußgänger in den verschiedenen Ländern und Lebens-umständen angemessen begegnet werden könnte. Am effektivsten ist, die Geschwindig-keiten der Fahrzeuge einzuschränken, die Fußgänger vom übrigen Verkehr durch Bürgersteige und Zebrastreifen zu trennen, die Sichtbarkeit von Fußgängern zu erhöhen und die Verantwortung im Verhalten aller Verkehrsteilnehmer sicherzustellen. Gesetze, die die Rahmenbedingungen für solche Maßnahmen sind, die Verbesserung der Durch-setzung und die Sicherung der Verknüpfungen mit anderen Verkehrsmitteln können Leben retten.
Gehen reduziert das Risiko von Herz-erkrankung, Schlaganfall, Diabetes, Krebs, Demenz, Depression und Adipositas. Wenn die Benutzung des Autos reduziert wird, nehmen die Luft- und die Lärmbelastung ab – was sich ebenfalls positiv auf die Gesundheit auswirkt. Gehen kann uns gesünder, fitter und schlanker machen und sollte die sicherste, bequemste und angenehmste Option für die meisten Wege werden, die ein Mensch zurücklegen muss.
Den Originaltext finden Sie unter: www.who.int/roadsafety/week/2013/
(Übersetzung von Manfred Bernard, Offenbach)
Beteiligung an der Konsultation
KOM(2009) 279/4
MITTEILUNG DER KOMMISSION
Eine nachhaltige Zukunft für den Verkehr:
Wege zu einem integrierten, technologieorientierten und nutzerfreundlichen System
Stellungnahme
FUSS e.V.
Fachverband Fußverkehr Deutschland
vom 25. September 2009
Zur besseren Einordnung der genannten Abschnitte der Mitteilung:
Abschnitt 1: Einleitung
Abschnitt 2: Bewertung der Verkehrspolitik der letzten Jahre
Abschnitt 3: Trends und Herausforderungen bis Mitte des Jahrhunderts
Abschnitt 4: Sieben strategische Ziele für einen nachhaltigen Verkehr
Abschnitt 5: Empfehlungen über den Einsatz politischer Instrumente
Die Stadt der Zukunft bietet eine zugängliche, integrierte und allumfassende Mobilität.
Die Stadt der Zukunft kann sicher, voller Vertrauen und mit großer Zuverlässigkeit genutzt und genossen werden
Die Stadt der Zukunft ermöglicht seinen Bewohnern frei zu atmen, sich sicher zu bewegen und gesund zu sein.
Die Stadt der Zukunft hat aktive Bürgerinnen und Bürger und wird von einer verantwortlichen Regierung unterstützt
Weitere Informationen unter www.walk21.com.
Übersetzung: Angelika Schlansky, Bremen
The 2012 International Conference on Walking and Sustainable Cities
Mexico City - September 30 - October 4
the city of the future offers an accessible, integrated and inclusive mobility
the city of the future can be enjoyed securely, with confidence and certainty
the city of the future allows its people to breathe, move freely safely and be healthy
the city of the future has active citizens and is supported by responsible government
Hier finden Sie die „Internationale Charta für das Gehen - Für die Schaffung von gesunden, leistungsfähigen und nachhaltigen Städten und Dörfern, in denen Menschen gerne zu Fuß gehen“ als PDF-Download.
Sie möchten die Charta unterzeichnen? Dann benutzen Sie bitte dieses Web-Formular.
Die internationale Konferenz für das Zufußgehen Walk 21 feierte ihr 10-jähriges Jubiläum in New York, in der heimlichen Hauptstadt der westlichen Welt, unter dem Motto „More footprints – less carbon“. New York hat in den letzten Jahren unter dem Bürgermeister Michael Bloomberg erhebliche Anstrengungen unternommen das Zufußgehen, das Radfahren und den Öffentlichen Raum zu stärken. Durch die internationale Presse gingen die Sperrung des Times Square, der mit Stühlen und Tischen versehen wurde und der High-Line Park auf ehemaligen Bahngleisen in Hochlage.
New York ist die größte Stadt der USA. Auf einer Fläche von 812 qkm leben 8,3 Mio. Einwohner, auf der Insel Manhattan ballen sich gar 1,6 Mio. Einwohner auf 58 qkm, das sind fast 30.000 Einwohner pro qkm. In der gesamten Agglomeration leben 18,8 Mio. Menschen. Die hohe Dichte Manhattans erlaubt nur ein geringes Maß an Kfz-Verkehr. Zwar hat sich New York kürzlich gegen eine generelle City-Maut entschieden, aber die schon längere Zeit mautpflichtigen Brücken und Tunnels und die hohen Parkgebühren tun doch das ihre dazu, den Kfz-Verkehr zu bändigen. Wie knapp der Platz ist, sieht man daran, dass In Baulücken parkende Kfz mit automatischen Systemen gestapelt werden.
Nur 50 % der Haushalte in Ney York besitzen einen Pkw, auf der ca. 20 km langen Insel Manhattan sind es nur 25 %. Das ist auch Spitze im Vergleich mit europäischen Städten und völlig untypisch für die USA, wo über 90 % der Haushalte mindestens ein Kfz aufweisen. Während in den USA ca. 90 % mit dem Kfz zur Arbeit fahren, benützen die New Yorker dafür nur zu 35 % das Kfz und legen über 30% der Wege zur Arbeit zu Fuß oder mit dem Rad zurück.
New York hat mit einer Länge von 369 km und 421 Stationen das größte U-Bahn-Netz der Welt. Es gibt viele viergleisige Strecken, bei denen auf den mittleren beiden Gleisen Expresslinien verkehren, die nur die bedeutenden Stationen bedienen. Das Netz und die Fahrzeuge sind in die Jahre gekommen und stark reparaturbedürftig. Das U-Bahn-Netz wird ergänzt durch Busse (die Niederflurtechnik steckt noch in den Anfängen) und Vorortzüge die in den beiden großen unterirdischen Kopfbahnhöfen Pennsylvania Station und Grand Central Station enden.
Ein großes Problem ist – trotz des üppigen Central Parks – der Mangel an Freiflächen. Die Uferbereiche des East River oder des Hudson River sind weitgehend mit Stadtautobahnen verbaut. Die New Yorker Stadtverwaltung unternimmt hier große Anstrengungen diese Stadtautobahnen mit neuen Parks zu überbauen. Dabei verläuft die Straße meist nicht im Tunnel sondern wird lediglich überdacht, so dass sich ein Balkon zum Wasser hin ergibt.. Damit wird zugleich der Lärmschutz für die umgebende Bebauung verbessert.
Mit ein Ausdruck dieses Freiflächenmangels ist auch das spektakuläre Projekt High Line Park in Chelsea. Er befindet sich auf einer über zwei km langen Stahlkonstruktion in Hochlage, die in den 30er Jahren für Güterzüge gebaut wurde. Der letzte Zug verkehrte 1980. Knapp 20 Jahre später begannen Anwohner sich für den Erhalt und die neue Nutzung als Öffentlicher Raum in Form eines Parks einzusetzen. Diesen Sommer wurde der erste Teil eröffnet. Er spielt mit den die Gleise überwuchernden Grün. Die 9 m über dem Straßenniveau verlaufende ehemalige Gleistrasse ist eine Oase der Ruhe oberhalb des geschäftigen Treibens auf den Straßen und eröffnet ungewohnte Blickperspektiven.
New Yorks Bürgermeister Michael R. Bloomberg, der erstmals 2001 wenige Monate nach dem Anschlag am 11. September und zum dritten Mal (weil das Stadtparlament ausnahmsweise eine dritte Amtszeit genehmigte) im Jahr 2009 gewählt wurde, hat sich mit seinem „plaNYC - a greener, greater New York“ ehrgeizige Ziele gesetzt. Dies gilt auch für die Kommissarin für Verkehr und damit Leiterin des Department of Transportation (NYCDOT) Janette Sadik-Khan, die mit ihrem Plan für nachhaltige Straßen im Jahr 2007 erstmals ein klares und detailliertes verkehrspolitisches Programm für New York City verkündete. Die wichtigsten Ziele sind
Die New Yorker ließen sich vom Kopenhagener Architekten und Stadtplaner Jan Gehl beraten. Es entstand ein neuer Straßengestaltungshandbuch (street design manual) und ein Platzprogramm. Die bekanntesten Beispiele sind die Umgestaltung des Broadways und die neue Fußgängerzone am Times Square. Auf dem Broadway wurden ein durchgängiger Radstreifen und punktuelle Aufenthaltsflächen auf Kosten von mindestens zwei Fahrspuren geschaffen. Am Times Square gibt es nun eine große Platzfläche. Viele Maßnahmen sind einfache Provisorien. Die neuen Aufenthaltsflächen werden durch einen dünnen farbigen Belag hervorgehoben, der auf den Asphalt aufgebracht wird. Darauf werden Stühle, Tische, Sonnenschirme und große Pflanzkübel gestellt – fertig. Die Bordsteine bleiben zunächst wo sie sind. Die New Yorker nutzen die neu entstandenen Gelegenheiten gerne und lassen sich vom Lärm vorbeibrausender Autos nicht stören.
Die neu geschaffenen Plätze und Aufenthaltsbereiche werden nach der einmaligen Herstellung durch die städtische Behörde an Bürger- und Geschäftsstraßenvereine übergeben, die sich um den Unterhalt kümmern und z.T. die Bereiche auch kulturell bespielen. Sie beschäftigen ggf. auch eigene Sicherheitskräfte. Ein Vorgehen, das für Öffentliche Räume in Europa wohl eher kein Vorbild ist.
Im Jahr 1990 galt New York mit 2.000 Morden als Hauptstadt der Kriminalität. Bloombergs Vorgänger Rudolph Giuliani verfolgte konsequent seine Strategie „Null-Toleranz“ indem er auch kleinste Delikte ahndete und die Gerichte Straftäter innerhalb von 24 Stunden verurteilten. Das füllte die Gefängnisse, kostete viel Geld und führte verstärkt auch zu Übergriffen der Ordnungshüter. Letztendlich war die Strategie jedoch erfolgreich. New York ist heute die sicherste Großstadt der USA. Bei einem Thema scheiterte Bloomberg dann doch: Wenn die Autokolonne durchgefahren ist, gehen New Yorks Fußgänger mehrheitlich bei rot über die Ampel.
Obwohl Radfahrerinnen und Radfahrer in New York nach wie vor eher noch exotisch sind, hat das NYC Department of Transportation in den letzten drei Jahren 200 Meilen (ca. 320 km) neue Radrouten errichtet. Dies ist in den Straßen Manhattans, die meist nur in einer Richtung befahren werden, mittels großzügiger Radstreifen auf Kosten von Fahrspuren und Parkplätzen erfolgt. Wenn in der Straße ein Bus verkehrt sind die farbig hervorgehobenen Streifen am linken Fahrbahnrand angeordnet, sonst am rechten. Ausdruck der New Yorker Sicherheitsphilosophie ist es, dass der geradeausfahrende Radverkehr und abbiegender Kfz-Verkehr nicht gleichzeitig grün bekommen. Von Nutzern kritisiert wird die Tatsache, dass die für Zweirichtungsverkehr ausreichend breiten Streifen nur in der Fahrtrichtung des Kfz-Verkehrs befahren werden dürfen. Mit der Einrichtung des Radstreifens werden in der Regel auch Lieferzonen vorgesehen, um die Gefahr des Verparkens des Radstreifens zu verringern. Zudem werden z.T. Bäume gepflanzt, Fahrradständer und kleine Aufenthaltsbereiche sowie standardmäßig Mittelinseln errichtet, um die Querungssituation für den Fußverkehrs zu verbessern.
Innerhalb der letzten drei Jahre hat die Zahl der New Yorker, die zur Arbeit radeln, um 45 % zugenommen. Am Rande der Klimakonferenz in Kopenhagen erhielt Bloomberg vom Europäischen Radfahrerverband ECF eine Auszeichnung für seine Fahrradförderung.
Bei so viel neuem Schwung für den Fuß- und Radverkehr fand die Walk 21 zur richtigen Zeit am richtigen Ort statt. Mit 530 Besuchern konnte sie einen neuen Teilnehmerrekord verbuchen. Während New York sich mit europäischen Städten messen kann, ist das Zufußgehen in vielen Teilen der Vereinigten Staaten und Kanada ein Trauerspiel. Häufig ist es bereits ein Erfolg, wenn die Bevölkerung in der Freizeit zum Zufußgehen bewegt werden kann. Die Tatsache eines Paradigmenwandels zeigte aber der Immobilienfachmann Chris Leinberger auf. Demnach verlieren derzeit Häuschen am autogerechten suburbanen Stadtrand (drivable suburban) an Wert gegenüber urbanen städtischen Lagen (walkable urban). Nachdem nach dem zweiten Weltkrieg mit zunehmender Motorisierung das Häuschen im Grünen beliebt wurde, setze seit etwa 1990 eine Trendwende ein, dessen Pendel zunehmend mehr in Richtung städtische Gebiete umschlägt. Neben den Immobilienpreisen ist dieser Wertewandel auch bei vielen Fernsehserien / Seifenopern erkennbar. Die Protagonisten bewegen sich nun vermehrt im städtischen Milieu.
Auch Lateinamerika entdeckt den Fuß- und Radverkehr. Beim Eröffnungsplenum stellte Bürgermeister Marcelo Ebrard dar, wie Mexiko-Stadt mit neuen Mobilitätsstrategien (Schnellbussystem, Ausbau des Radverkehrsnetzes und bessere Bedingungen für Fußgänger) gegen den täglichen Stau vorgehen möchte. Mexiko-Stadt steht hier noch ziemlich am Anfang. Große Erfolge können bereits Bogota und Curitiba vorweisen. Das in Curitiba entwickelte Bussystem mit Haltestellen wie sie einem U-Bahn-System entsprechen, wurde von Bogotá übernommen und als Transmilenio-Bus-System eingeführt. Weiter berichtete Gil Peñalosa bei einem Abendempfang, dass nach einem ersten erfolgreichen Versuch die Bürger von Bogotá per Bürgerentscheid einen autofreien Tag in der Gesetzgebung verankert haben. Claudia Adriazola erläuterte den Prozess der Einführung einer Fußgängerzone in Arequipa in Peru.
Interessant waren wie immer die Darstellungen aus Kopenhagen. Die Stadt will nicht nur den Fuß- und Radverkehr massiv fördern, sondern hat – wie bereits auf der Walk 21 in Barcelona 2008 vorgestellt – u.a. aus Gründen des sozialen Zusammenhalts – das Ziel, dass sich die Bürgerinnen und Bürger häufiger draußen aufhalten. 20 % mehr Zeit sollen sie in fünf Jahren im Öffentlichen Raum verbringen. Aus Stockholm war die zweite Bürgermeisterin Kristina Alevendal angereist, um die Reurbanisierungsstrategie ihrer Stadt zu präsentieren. Stockholm wurde von der Europäischen Kommission für 2010 zur Europäischen Umwelthauptstadt Europas ernannt.
Beeindruckend war der Plenumsvortrag des britischen Arztes William Bird, der eindrücklich den Zusammenhang zwischen Zufußgehen, Bewegungsmangel und Fettleibigkeit belegte. Neben Lebensstilen konnte er auch aufzeigen, dass sich ein attraktives Freiflächenangebot positiv auf die körperliche Aktivität und damit auf die Gesundheit auswirkt. Kathlen Elsig beleuchtet die weltweite Lage zur Verkehrssicherheit. Gerade in vielen Ländern der Dritten Welt wird das Problem der „vulnarable road users“ ausgeblendet, d.h. der Fuß und Radverkehr. Dies war auch Thema der internationale Fußgängervereinigung IFP (International Federation of Pedestrians), die sich am Rande der Konferenz traf.
Am Tag vor der Konferenz fand ein eintägiger, vom Schweizer Daniel Sauter organisierter, Workshop zur Messung des Fußverkehrs statt. Hier geht es nicht nur um die Zählung des Fußverkehrs, sondern um „Input“ (z.B. investierte Mittel), „Output“ (damit umsetzbare Maßnahmen) und „Outcome“ (z.B. Zahl der Fußgänger): Ich würde hier gerne auch den „Benefit“ für die gesamte Gesellschaft ergänzen.
Während Skandinavien und Großbritannien zahlreich vertreten waren, lag die deutsche, französische und Italienische Beteiligung traditionell niedrig bei jeweils zwei TeilnehmerInnen. Unsere südlichen Nachbarn Österreich und die Schweiz waren etwa doppelt so stark vertreten. Vielleicht wird das bei der räumlich näheren Konferenz vom 17.-19.11.2010 in Den Haag besser. Dort wird das Thema Verkehrssicherheit eine zentrale Rolle spielen.
Ganz persönlich fand ich es spannend in dieser Stadt – meist zu Fuß – unterwegs zu sein. Sie hat etwas von London und Mexiko-Stadt gleichzeitig und ist selten leise. Die hohe Dichte und Nutzungsintensität sorgen für Abwechslung. Ein besonderes Erlebnis ist der Gang über die Brooklyn-Bridgde, die von vielen New Yorkern gerne im Alltag zu Fuß und mit dem Rad genutzt wird. Nicht versäumen sollte man den Blick vom Empire State Building auf die Stadt hinab und die Umrundung Manhattans mit dem Schiff.
Dieser Artikel von Paul Bickelbacher, der selbstständig als Stadt- und Verkehrsplaner arbeitet, sich bei FUSS e.V: und in der SRL engagiert und für die Grünen im Münchner Stadtrat sitzt, ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 1/2010, erschienen.
Einzelhefte von mobilogisch! können Sie in unserem Online-Shop in der Rubrik Zeitschrift bestellen.
Das Europäische Parlament,
A. in der Erwägung, daß den Problemen der städtischen Ballungsgebiete im 4. Aktionsprogramm der EG für den Bereich der Umwelt eine wachsende Bedeutung beigemessen wird; unter Hinweis darauf, daß der Schutz des Fußgängerverkehrs wirksam zum Wohlergehen der Bürger, zur Wiederaufwertung der Ballungsgebiete und zur Erhaltung der geschichtlichen und städtebaulichen Werte sowie der Umwelt beitragen kann,
B. in der Erwägung, daß jeder einmal Fußgänger ist und der Fußgängerverkehr in Stadtgebieten einen erheblichen Anteil am Verkehrsaufkommen hat (zwischen 25 und 45%) und vor allem die schwächsten Verkehrsteilnehmer umfaßt (Kinder, ältere Menschen),
C. in der Erwägung, daß Fußgänger in jeden 3. tödlichen Verkehrsunfall verwickelt sind und daß fast die Hälfte der Todesfälle bei Kindern auf solche Unfälle zurückzuführen ist,
D. in der Erwägung, daß die zahlreichen Verkehrsunfälle zum überwiegenden Teil auf zu schnelles Fahren zurückzuführen sind,
E. in der Erwägung, daß die gesellschaftliche Ideologie ,,Priorität für den Autoverkehr auf allen Gebieten", die Stadtstruktur, den Straßenzustand und die Flut von Privatfahrzeugen die Bewegungsmöglichkeiten der Fußgänger einschränken und die schwächsten Verkehrsteilnehmer, insbesondere Behinderte und Schwerbehinderte, die einen erheblichen Teil der europ. Bevölkerung ausmachen, von der Nutzung der öffentlichen Verkehrswege ausschließen,
F. in der Erwägung, daß der wachsende Anteil von älteren Menschen an der Bevölkerung das Problem des Schutzes der Fußgänger sowohl in quantitativer wie qualitativer Hinsicht verschärfen wird,
G. in der Erwägung, daß in den Städten, vor allem in den historischen Stadtkernen und in Industriegebieten, die Fußgänger wegen der hohen Luftverschmutzung und Lärmbelastung untragbaren Fortbewegungsbedingungen ausgesetzt sind und daß die Kinder diejenigen Fußgänger sind, die den Autoabgasen, vor allem Blei, am stärksten ausgesetzt und von Gehörschäden und Schädigungen des vegetativen Nervensystems aufgrund ihrer Gestalt und ihrer physischen Anfälligkeit am stärksten bedroht sind,
H. in der Erwägung, daß die Fußgängerzonen gegenüber den Bebauungsflächen und den Autoverkehrsstraßen lediglich als Restflächen betrachtet werden,
I. in der Erwägung, daß mit Ausnahme weniger Länder Maßnahmen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit (Werbekampagnen, gesetzliche Maßnahmen, Erhaltung und Verbesserung der städtischen Infrastruktur) vorwiegend auf die Autofahrer ausgerichtet waren und daß in der Ausbildung und in Programmen zur Fahrschulausbildung kaum ein Verhalten gefördert wird, das den Fußgängern Rechnung trägt,
J. in der Erwägung, daß immer mehr Bevölkerungsgruppen die Umstellung auf eine menschenwürdige und umweltfreundliche Verkehrsentwicklung für dringend erforderlich halten,
1. ist der Auffassung, daß eine Politik zugunsten der Fußgänger den Angelpunkt für eine Politik darstellen muß, die darauf ausgerichtet ist, eine neue und menschlichere ,,Stadtmentalität" zu schaffen, weshalb sie zur grundlegenden Komponente der verkehrspolitischen, stadtplanerischen und baulichen Maßnahmen der Mitgliedsstaaten werden muß;
2. verabschiedet zu diesem Zweck folgende Europäische Charta der Fußgänger:
I. Der Fußgänger hat das Recht, in einer gesunden Umwelt zu leben und die öffentlichen Straßen und Plätze zu angemessenen Bedingungen für die Sicherheit seiner körperlichen und seelischen Gesundheit frei zu benutzen.
II. Der Fußgänger hat das Recht, in Stadt- und Dorfzentren zu leben, die Menschen- und nicht autogerecht gestaltet sind und über Einrichtungen zu verfügen, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad leicht erreichbar sind.
III. Kinder, ältere Menschen und Behinderte haben ein Anrecht darauf,daß die Stadt einen Ort der Sozialisierung darstellt und ihre ohnehin schwache Stellung nicht noch weiter untergraben wird.
IV. Behinderte haben ein Recht auf spezifische Maßnahmen, die ihnen jede nur irgendmögliche selbständige Mobilität gewähren, und zwar durch Anpassung der öffentliche Verkehrswege, verkehrstechnische Systeme und öffentliche Verkehrsmittel (Leitmarkierungen, Warnzeichen, akustische Signale, behindertengerechte Busse, Straßenbahnen und Züge).
V. Der Fußgänger hat einerseits Anrecht auf möglichst ausgedehnte städtische Zonen, die ganz auf seine Bedürfnisse abgestellt sind und nicht bloße ,,Fußgängerinseln" darstellen, sondern sich in die allgemeine Struktur der Stadt harmonisch einfügen, und andererseits hat er Anspruch auf kurze, logische und sichere Wege, die miteinander verbunden und ihm allein vorbehalten sind.
VI. Der Fußgänger hat insbesondere Anspruch auf:
a) die Einhaltung der von wissenschaftlicher Seite als tolerierbar angesehenen Normen für Abgase und Lärmentwicklung bei Kraftfahrzeugen;
b) den allg. Einsatz umweltfreundlicher und leiser Fahrzeuge im öffentlichen Verkehr;
c) die Schaffung von grünen Lungen auch durch innerstädtische Aufforstung;
d) Geschwindigkeitsbegrenzungen und eine strukturelle Neueinteilung der Straßen und Kreuzungen, um Fußgänger- und Fahrradverkehr wirksam zu schützen;
e) ein Verbot der Werbung, die zu einer falschen und gefährlichen Nutzung von Kraftfahrzeugen auffordert;
f) wirksame Signalanlagen, die auch für Blinde und Gehörlose wahrnehmbar sind;
g) besondere Maßnahmen, die den Aufenthalt auf Straßen sowie deren Zugang und Benutzbarkeit sicherstellen;
h) Anpassung der Form und Ausstattung der Kraftfahrzeuge mit dem Ziel, die gefährlichsten Teile zu entschärfen und die Signalanlagen wirksamer zu gestalten;
i) Einführung eines Systems der im Verhältnis zum Risiko stehenden Haftpflicht in dem Sinne, daß derjenige, der das Risiko schafft, die finanziellen Folgen tragen muß (wie z.B. in Frankreich seit 1985);
j) Einführung einer Fahrschulausbildung, die auf ein Fahrverhalten ausgerichtet ist, daß Fußgängern / langsamen Verkehrsteilnehmern Rechnung trägt.
VII. Der Fußgänger hat ein Recht auf freie und uneingeschränkte Mobilität, die sich mit Hilfe der integrierten Nutzung von Verkehrsmitteln erreichen läßt. Er hat insbesondere Anspruch auf:
a) ein umweltfreundliches, engmaschiges öffentliches Nahverkehrssystem, das den Bedürfnissen aller Bürger, auch der Behinderten, entgegenkommen muß;
b) die Einrichtung einer Infrastruktur für Fahrräder im gesamten Stadtgebiet;
c) die Einrichtung von Parkflächen, die so angelegt sind, daß sie die Mobilität des Fußgängers und den Genuß architektonischer Werte nicht beeinträchtigen.
VIII. Jeder Staat hat die Pflicht, durch bestmögliche Mittel detaillierte Informationen über die Rechte der Fußgänger und über humane und umweltfreundliche Verkehrsalternativen zu verbreiten; dies gilt auch für die Schul- und Vorschulerziehung."
3. fordert die EG-Kommission auf, einen Europatag für die Rechte des Fußgängers durchzuführen, den Inhalt dieser Charta zu verbreiten und einen Vorschlag für eine entsprechende Richtlinie vorzulegen;
4. fordert die Mitgliedsstaaten auf, alle erforderlichen Maßnahmen zur Verwirklichung der Ziele der Charta zu treffen und die tatsächliche Anwendung der geltenden Vorschriften zum Schutz der Fußgänger, insbesondere der Gemeinschaftsrichtlinien betreffend die Schadstoffemission von Kraftfahrzeugen und das Verbot von bleihaltigem Benzin genau zu kontrollieren und Verletzungen dieser Vorschriften streng zu ahnden;
5. hält die Einsetzung einer Arbeitsgruppe bei der EG-Kommission für zweckmäßig, die sich mit der Kartierung der gefährlichsten und in ihrer Funktion am stärksten beeinträchtigten Stadtgebiete befaßt und geeignete Lösungen für jeden Einzelfall erarbeitet;
6. beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der EG-Kommission, den Regierungen der Mitgliedstaaten und den betroffenen Organisationen zu übermitteln.
beschlossen zu Straßburg, den 12.Okt.1988
Die Lebensqualität in Ballungsräumen und Großstädten, wo rund 80% aller Europäer leben, wird erheblich durch den Straßenverkehr gemindert, der die Gesundheit der Bevölkerung gefährdet sowie die natürliche und die bebaute Umwelt schädigt. Auf den Straßenverkehr entfallen nach EU-Angaben 40% der CO2-Emissionen und 70% der Emissionen sonstiger Schadstoffe. Der Europäische Rat hat demgegenüber das Ziel festgelegt, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 20% zu reduzieren. Ohne Anstrengungen im Stadtverkehr ist das nicht zu erreichen.
Ohne Unterstützung und Zusammenarbeit auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene können Städte allein die ihnen gemachten Vorgaben, die teils wie bei Lärm und Feinstaub einklagbar sind, nicht einhalten. Zur Halbzeit bislang des fast ausschließlich am Fernverkehr ausgerichteten Weißbuches Verkehr kündigte die EU-Kommission deshalb im vergangenen Jahr das Grünbuch Stadtverkehr an. Auf seiner Grundlage wird jetzt ein Aktionsplan ausgearbeitet. Er soll nach der Konsultation von Bürgern und Interessengruppen im Herbst 2008 mit einer Reihe konkreter Maßnahmen – einschließlich Terminen und Zuständigkeiten- veröffentlicht werden.
Obwohl für die größten Umweltprobleme Kraftstoffe aus Öl klar benannt werden, weil deren Verbrennung CO2, Luftschadstoffe und Lärm erzeugt, ist das Diskussionspapier keine Kampfansage an das Auto. Vielmehr wird die Optimierung aller Verkehrsarten - einschließlich PKW und LKW- angestrebt. Die Vorschläge decken den Personen- und Güterverkehr gleichermaßen ab. Saubere und energieeffiziente Fahrzeugtechnologie, alternative Kraftstoffe und intelligente Verkehrslenkungssysteme werden ausführlich erörtert.
Alle Beteiligten sind eingeladen, bis zum 15. März 2008 die Grundzüge der Mobilitätspolitik europäischer Städte mitzugestalten. Die EU-Kommission hat hierfür 25 Fragen formuliert, um Stellungnahmen zu erleichtern. Für verkehrsökologische Initiativen dürften folgende Fragen besonders wichtig sein:
1. Was kann getan werden, um Gehen, Radfahren und den ÖPNV als echte Alternativen zum Auto zu fördern? Gehen und Radfahren sollten vollständig in die Entwicklung und Beobachtung der städtischen Mobilitätspolitik integriert werden. Das schließt den Ausbau angemessener Infrastruktur für Radfahrer und Fußgänger ein. Die Zugänglichkeit zum ÖPNV muss auch für Behinderte, ältere Menschen und Familien mit kleinen Kindern gewährleistet sein. Die besonderen Anforderungen von Touristen, die Städte häufig bereisen, sind bei der Planung einzubeziehen.
2. Sollten für die Festlegung „grüner Zonen“ europaweite Kriterien gelten? Zahlreiche Städte haben Fußgängerzonen, Tempolimits, Stadtmautgebühren u.v.m. zum Schutz von Lebensqualität und Umwelt eingeführt. Einige Interessengruppen sehen darin die Gefahr, einen Flickenteppich von Gebieten mit neuen „Grenzlinien“ in Europa zu schaffen und fordern einheitliche Regelungen.
3. Wie kann eine bessere Koordinierung zwischen dem Nah- und Fernverkehr und der Flächennutzungsplanung erreicht werden? Der Trend zur Stadtrandbesiedlung erhöht das Verkehrsaufkommen. Eine geringe Bevölkerungsdichte verteuert zudem den Betrieb des öffentlichen Personenverkehrs. Die EU-Kommission fragt deshalb, wie eine bessere Integration von Stadt-, Sozial, Wirtschafts- und Verkehrsentwicklung möglich ist.
4. Wie können Städte bei der Verbesserung der Straßenverkehrssicherheit unterstützt werden? Alle Menschen sollten in Städten sicher leben und sich sicher bewegen können. Das persönliche Risiko als Fußgänger, Radfahrer, Fahrer eines PKW oder LKW sollte minimal sein. Derzeit sind die Unfallrisiken ungleich verteilt. Besonders betroffen sind die Schwächsten - Fußgänger und Radfahrer. Ihr Risiko, bei einem Unfall getötet zu werden, ist sechsmal höher als das von Autoinsassen.
5. Welchen Mehrwert könnte die zielgerichtete Unterstützung zur Finanzierung eines umweltfreundlichen Nahverkehrs längerfristig haben? Alle Beteiligten auf lokaler, regionaler, nationaler und europäischer Ebene müssen zur Finanzierung des umweltfreundlichen und stadtverträglichen öffentlichen Verkehrs beitragen. Parkgebühren und Stadtmautgebühren werden ausdrücklich als ein nützliches Finanzierungsinstrument neben anderen genannt. Die erforderlichen Investitionen in den ÖPNV werden jedoch im wesentlichen von den Kommunen gedeckt. Auch die Nutzer des Nahverkehrs müssen einen angemessenen Preis entrichten.
Im Grünbuch Stadtverkehr werden noch keine konkreten Maßnahmen vorgestellt. Vielmehr soll eine Debatte in Gang gesetzt werden, um Mehrheiten für bestimmte Lösungen zu gewinnen und neue Koalitionen zu bilden. Niemand sollte deshalb darüber enttäuscht sein, dass in diesem Diskussionspapier keine Strategie im Clausewitz'schen Sinne als planmäßiges Handeln zur Umsetzung von Zielen zu erkennen ist.
Dieser Artikel von Christian Kölling ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 4/2007, erschienen.
Einzelhefte von mobilogisch! können Sie in unserem Online-Shop in der Rubrik Zeitschrift bestellen.
Die Europäische Kommission hat eine Mitteilung zur Zukunft des Verkehrs veröffentlicht (1) und bis Ende September 2009 waren alle interessierten Kreise aufgerufen, sich an einer Konsultation zu beteiligen. In einem 2001 vorgelegten Weißbuch und dessen Aktualisierung 2006 wurden Weichenstellungen für die europäische Verkehrspolitik bis zum Jahre 2010 vorgeschlagen. Zum einen sollen diese durch die Mitteilung evaluiert, zum anderen aber soll die künftige Entwicklung im Bereich der europäischen Verkehrspolitik bis 2020 angerissen werden. Die Studie enthält zahlreiche bedenkenswerte Ansätze und ist folgend mit Anmerkungen aus der Stellungnahme des FUSS e.V. angereichert.
In der Mitteilung wird herausgestellt, dass „die europäische Verkehrspolitik die … Ziele (aus dem Weißbuch) größtenteils erreicht hat, indem sie einen erheblichen Beitrag zur Entwicklung der europäischen Wirtschaft und ihrer Wettbewerbsfähigkeit leistete, Marköffnung [sic!] und Integration erleichterte, hohe Qualitätsstandards für Sicherheit, Gefahrenabwehr und Passagierrechte setzte und die Arbeitsbedingungen verbesserte.“ Dass die Marktöffnung „generell zu größerer Effizienz und geringeren Preisen geführt“ hat, wird nicht etwa durch die Preisgestaltung für die Haushaltsführung der europäischen Bürger belegt, sondern peinlicherweise mit der offensichtlichsten Fehlinvestition durch Steuergelder: „Dies wird im Luftverkehr deutlich, wo dieser Prozess am weitesten vorangeschritten ist.“ (1992-2008 Streckenanstieg um 120 %, mehr als ein Drittel Billigfluggesellschaften).
Nach diesem Loblied folgt dann auch die Ernüchterung: „Die Fortschritte in Bezug auf die mit der Strategie für nachhaltige Entwicklung verfolgten Ziele waren hingegen eher begrenzt … das europäische Verkehrssystem (ist) in mehrfacher Hinsicht noch nicht auf dem Pfad der Nachhaltigkeit.“ Obwohl die Luftverschmutzung verringert werden konnte, „besteht weiterhin Handlungsbedarf, vor allem zur Verringerung der Emission von Stickoxiden und der für die menschliche Gesundheit besonders gefährlichen Feinstaubpartikel (PM10)…“. Festgestellt wurde, dass „die Treibhausgasintensität des Verkehrs… durch die Nutzung umweltfreundlicherer Energiequellen nicht erheblich verringert“ wurde, noch immer werden zu 97 % fossile Brennstoffe benutzt. Die Verkehrsunfälle konnten reduziert werden, mit 39.000 Verkehrstoten im Jahr 2008 ist allerdings zu erwarten, dass die angestrebte Halbierung bis 2010 nicht erreicht werden kann. Beklagt wird zudem, dass „der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur zu einem Verlust an Lebensräumen für Tier- und Pflanzenarten sowie zur Zersiedlung der Landschaft geführt“ hat. Der Lärm wird in der Analyse nicht erwähnt.
Eindringlich wird dargestellt: „Die Milderung der negativen Umweltauswirkungen des Verkehrs wird immer dringender.“ Bei der Erreichung des Zieles der „Verringerung der Treibhausemissionen in der EU um 20 % gegenüber dem Niveau von 1990“ kommt dem Verkehr „eine Schlüsselrolle zu.“ „Die Umwelt ist weiterhin der wichtigste Politikbereich, auf dem weitere Verbesserungen notwendig sind.“
Aber wie ist das zu erreichen, wenn weiterhin jede Verbesserung durch den steigenden motorisierten Verkehr zunichte gemacht und für die kommenden Jahre z.B. durch Zuwanderung und interne Mobilität der Waren- und Personenverkehr beträchtlich zunehmen wird? „… bei der Verlagerung von Verkehrsaufkommen auf effizientere Verkehrsträger, … waren nur begrenzte Fortschritte zu verzeichnen.“ Immerhin wird begrüßt, dass „der Rückgang des Schienenverkehrsanteils offenbar gestoppt werden konnte.“ Für den recht wesentlichen Stadtverkehr fiel den Verfassern lediglich auf, dass „in vielen Städten der Anteil des Fahrrads am Verkehrsträgermix in den letzten Jahren erheblich“ angestiegen ist. Der etwaige Rückgang des Fußverkehrs wurde nicht erwähnt. Der Anstieg des Radanteiles wäre ja in diesem Zusammenhang nur interessant, wenn damit gleichzeitig Verluste beim motorisierten Individualverkehr MIV einher gingen.
Die Kommission nennt im Anschluss an die Analyse sechs „Trends und Herausforderungen“:
Die weitergehende Verstädterung hat eine signifikante Größenordnung und bietet auch eine Chance, die Probleme z.B. der Luftverschmutzung und der Klimabelastung kompakter anzugehen. Auf den Nahverkehr entfallen schon jetzt „40 % der CO2-Emissionen und 70 % der Emissionen sonstiger Schadstoffe im Straßenverkehr.“ FUSS e.V. regte an, die Zukunftsstudie dahingehend zu überarbeiten, dass Nah- und Fernverkehre für eine differenzierte Ausformulierung der strategischen Ziele für die Zukunft der europäischen Verkehrspolitik deutlicher benannt werden und dadurch eine detailliertere Fokussierung auf notwendige Maßnahmen im Stadtverkehr ermöglicht wird.
Die Kommission folgerte aus den Trends: „Die unmittelbarste Priorität scheint dabei die bessere Integration der verschiedenen Verkehrsträger zu sein, um so die Gesamteffizienz des Verkehrssystems zu verbessern und die Entwicklung und Einführung innovativer Technologien zu beschleunigen.“ Im ersten Satzteil scheint noch die notwendige Verlagerung auf effizientere und nachhaltigere Verkehrsmittel mitzuklingen, der darauf folgende Ansatz ist allerdings für den Stadtverkehr kaum nachvollziehbar.
Aber der Verkehrssektor ist aus Sicht der EU in erster Linie ein Wirtschaftszweig (7 % des europäischen BIP, über 5 % der Arbeitsplätze) und da sind technologieorientierte Ansätze ein Aufputschmittel, egal, ob sie etwas zum nutzerfreundlichen und nachhaltigeren System beitragen oder nicht.
Nach der Bewertung der Verkehrspolitik der letzten zehn Jahre und der erwarteten Weiterentwicklung formuliert die Kommission folgende sieben „politische Ziele für einen nachhaltigen Verkehr“:
Im Gegensatz zur deutschen Straßenverkehrs-Ordnung (siehe Artikel in dieser ml) steht „ein qualitativ hochwertiger und sicherer Verkehr“ an erster Stelle. Damit ist u.a. gemeint: „Mehr Sicherheit in der städtischen Umwelt kann dazu führen, dass die Bevölkerung in stärkerem Maße den öffentlichen Verkehr oder das Fahrrad nutzt oder zu Fuß geht, was nicht nur mit einer Verkehrsentlastung und geringeren Emissionen verbunden wäre, sondern sich auch positiv auf die Gesundheit und das Wohlbefinden auswirken würde.“ Da dies ein Satz ist, den man gerne mal zitiert, hier die Quelle: Abschnitt 4.1, Randnummer 43. Da die Aussage „Die Infrastruktur sollte stets gewartet sein, und Verbesserungsmaßnahmen sollten koordiniert werden.“ direkt darauf folgt, sollte man annehmen, dass damit auch die Infrastruktur für den ÖPNV, den Fuß- und den Radverkehr gemeint ist.
Bereits in der zweiten Priorität steht „ein ökologisch nachhaltigerer Verkehr“ (also ein „nachhaltigerer“ und nicht ein „nachhaltiger“). Hier werden ein „sparsamer Umgang mit endlichen Ressourcen“ besonders herausgestellt und neben den Maßnahmen zur Verminderung der Luftschadstoff- und Treibhausgasemissionen auch die Lärmbelastung genannt.
In den folgenden beiden Punkten geht es um die „Wahrung der Führungsstellung der EU bei Verkehrsdiensten und –technologien“ und um die „Fähigkeit zur Anpassung an die Innovation und neue Markterfordernisse“. Gemeint sind damit „intelligente Systeme für den Straßenverkehr“ sowie „Verkehrsmanagementsysteme für den Schienenverkehr und den Luftverkehr“, also letztlich die Förderung der Wirtschaft.
In der sechsten Zielvorgabe geht es um die „Verkehrssteuerung durch intelligente Preisbildung“. Man erhofft sich als Laie, dass die EU die folgende Aussage auch mit konkreten Maßnahme-Vorstellungen verbindet: „Wie in jedem anderen Wirtschaftssektor ist auch im Verkehr wirtschaftliche Effizienz nur dann möglich, wenn die Preise alle von den Nutzern tatsächlich verursachten – internen und externen – Kosten widerspiegeln. … Die Verkehrsunternehmen und Bürger sind nicht immer in der Lage, aus mehreren Transportalternativen die volkswirtschaftlich und ökologisch beste Option auszuwählen, bei einer korrekten Anlastung der externen Kosten sämtlicher Verkehrsträger und Verkehrsmittel würden sie jedoch mit der Entscheidung für die billigere Lösung automatisch die richtige Wahl treffen.“ Bravo, nur wurde diese Aussage nicht mehr bei den konkreten Empfehlungen aufgegriffen.
Die siebente Zielvorgabe betrifft die „Verbesserung der Zugänglichkeit“. Hier wird erst einmal beklagt, dass „viele öffentliche Dienste … im Bestreben nach Effizienzsteigerung zunehmend zentralisiert“ wurden und dass diese „Tendenz zur Konzentration von Tätigkeiten. Wegen einer Verschlechterung der Zugangsbedingungen `Zwangsmobilität` in großem Umfang zur Folge“ hatte (hat, haben wird). Diese Aussage betrifft zweifellos eines der Zentralprobleme der Verkehrserzeugung, kommt im Abschnitt „Ziele“ ein wenig spät in die Zielgerade, endet aber immerhin in der Aussage, dass Behörden „bei Flächennutzungsplänen oder Standortentscheidungen“ die „Folgen für den Mobilitätsbedarf von Kunden und Beschäftigten“ berücksichtigen sollten (könnten, müssten) – eher ein frommer Wunsch als eine tatkräftige letzte prioritäre Zielvorgabe der europäischen Verkehrspolitik.
Im letzten Abschnitt, es geht um „die verfügbaren politischen Instrumente…, um diese Ziele zu erreichen und Nachhaltigkeit zu verwirklichen“, sackt die Mitteilung zur Frage der Maßnahmen in Ballungsräumen geradezu sturzflugartig ab. Bedauert wird lediglich, dass „die Rolle der EU bei der Regulierung des Nahverkehrs …. aus Gründen der Subsidiarität begrenzt“ ist. Angefügt wird, dass die EU durchaus „einen Rahmen bereitstellen (kann), innerhalb dessen die lokalen Behörden leichter Maßnahmen treffen können“. Solche Leitlinien folgen dann auch, allerdings taucht die Förderung des ÖPNV-, Fuß- und Radverkehrs nicht auf, sondern der „Ausbau der Infrastruktur“, um „Staus und Zeitverluste zu vermeiden.“ Staus sollen verhindert werden, durch „Verkehrs- und Stauinformationen“ (Abteilung Wirtschaftsförderung), die „Beseitigung von Engpässen“ (sprich weiterer Straßenbau) und die „Ermittlung von grünen Korridoren“ womit nicht etwa grüne Wege für Fuß und Rad gemeint sind). Dabei sind Staus ein Fieberthermometer, um aufzuzeigen, wo notwendig ist, was bei der Analyse als bisher noch nicht ausreichend umgesetzt bezeichnet wurde: eine Verlagerung des Verkehrsaufkommens.
FUSS e.V. beklagte die einseitige Betrachtungsweise: Wenn in diesem Abschnitt Aussagen zum Stau im MIV (zur „Verringerung von Umweltverschmutzung“) getroffen werden, ist zu fragen, warum es nicht auch z.B. eine Aussage geben kann, die eine Reduzierung der Tempi in Ballungsräumen empfiehlt, wo in absehbarer Zeit 84 % der Europäer leben werden.
Man ist (siehe Analyse) auch mit den Tempo-30-Regelungen nicht recht weitergekommen, weil die Maßnahmen zur Senkung der Geschwindigkeiten bisher in der Regel auf das Nebenstraßennetz und häufig auf das Aufstellen von Verkehrszeichen beschränkt blieben, die Probleme aber überall in der Stadt und konzentriert in den Hauptverkehrsstraßen auftreten. Wieso werden keine Verkehrsberuhigungsmaßnahmen empfohlen, mit denen die Ziele Verkehrssicherheit, soziale und ökologische Nachhaltigkeit konsequenter erreicht werden könnten, als dies bisher geschah? Wieso stellt man einen punktuellen Anstieg des Radverkehrs fest, folgert aber nicht daraus, dass die Infrastruktur und Netzgestaltung für die drei Verkehrsarten im Umweltverbund verbessert werden sollten, wenn man auf diesem Weg weitere Erfolge erzielen will?
Korrekt hervorgehoben wird, dass „Aufklärungs-, Informations- und Sensibilisierungskampagnen… eine wichtige Rolle …spielen, (um) das künftige Verbraucherverhalten zu steuern und Entscheidungen für nachhaltige Mobilität zu fördern.“ Wir werden diesen Part wohl weiterhin auch in Richtung EU-Kommission spielen müssen.
Die Europäische Kommission bereitet ein zweites Weißbuch 2010 über die Zukunft des Verkehrs vor. Sie analysiert in ihrer Mitteilung offen, dass die Ziele des Weißbuches 2001 bis jetzt im Bereich der Nachhaltigkeit weitgehend verfehlt worden sind und dass man insbesondere bei der Verlagerung von Verkehrsströmen auf umweltfreundliche Verkehrsträger nicht weitergekommen sei; bietet aber letztlich althergebrachte und bisher erfolglose Instrumente: mehr Technologie, Stauminderung und Ausbau der Straßeninfrastruktur.
Dieser Artikel von Bernd Herzog-Schlagk ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 4/2009, erschienen.
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Europa wächst zusammen und immer mehr EU-Beschlüsse auch in den Bereichen Verkehr, Umwelt und Gesundheit werden auf nationaler Ebene umgesetzt, oder auch nicht, so wie z.B. die Europäische Charta der Fußgänger, die schon am 12. Oktober 1988 in Straßburg vom Europäischen Parlament verabschiedet wurde:
Darüber hinaus findet jedes Jahr an einem anderen Ort die weltweite Konferenz Walk21 statt. Die Proklamation können Sie auf der Website www.walk21.com unterzeichnen.
Weltweite Initiativen zur Förderung oder Absicherung des Fußverkehrs sind selten, deshalb möchten wir wenigstens darauf hinweisen: