Der Winterdienst auf Gehwegen ist oft unzulänglich: Gehwege, Fahrbahnquerungen, ÖPNV-Haltestellen werden gar nicht oder spät geräumt; festgetretener Schnee wird mit Hilfe eines Salz-/ Split- Gemischs zu einem schwer bezwingbaren Ärgernis. Die Einhaltung der in den Gemeindesatzungen festgelegten Räum- und Streupflicht wird seitens der Städte und Gemeinden nur unzureichend überprüft. Konsequenzen für Haus- und Grundbesitzer, die sich um Gefährdungen und Hindernisse durch Eis und Schnee nicht kümmern, sind die Ausnahme.

Der Fachverband Fußverkehr in Deutschland / FUSS e.V. hat für Sie zusammengestellt, wie weit die Räum- und Streupflicht reicht und wie man eine Verbesserung erreichen kann.

Verkehrssicherungspflichten

sind eine Generalklausel mit unscharfen Anforderungen an Haus- und Grundbesitzer und Betreiber von Verkehrsanlagen.

Der Winterdienst auf Gehwegen gehört zu den sogenannten Verkehrssicherungspflichten. Diese sind zivilrechtlicher Natur und in Inhalt und Reichweite in keinem Gesetz konkret geregelt. Sie werden der Generalklausel des Schadensersatzrechts entnommen: Jeder, der eine Gefahrenquelle schafft oder unterhält, muss die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen treffen, um Schäden Anderer zu verhindern (§823 BGB). Besonders verkehrswichtige und gefährliche Stellen sind besonders schnell und zuverlässig zu räumen und zu streuen. Allerdings ist in jedem Einzelfall zu prüfen, ob und wieweit eine rechtliche Verpflichtung besteht, den Gehweg, die Fahrbahnquerung bzw. die ÖPNV-Haltestelle in einem ungefährlichen Zustand zu halten.

Die Pflicht zur Schneeräumung oder zum Streuen ergibt sich auch öffentlich-rechtlich aus den meisten Landes-Straßen- und Wege-Gesetzen. Sie bestimmen in der Regel, dass die Räum- und Streupflicht der öffentlichen Wege den Gemeinden obliegt, dass diese durch eine Ortssatzung die Pflicht aber wiederum den Anliegern auferlegen können. Die Gemeinden haben in unterschiedlichstem Maß davon Gebrauch gemacht. Im unmittelbaren Haltestellenbereich kann die Pflicht neben der Gemeinde und dem Anlieger auch den ÖPNV-Betreiber treffen.

Wer eine Pflicht überträgt, muss in der Regel die Einhaltung dieser Pflicht überwachen. Die Reichweite dieser Überwachungsverantwortung ist allerdings unklar; zumindest nach Maß gabe der Verkehrsbedeutung von Gehwegen, ÖPNV-Haltestellen und Fahrbahnquerungen ist sie unterschiedlich.

In der Rechtsprechung der letzten Jahre wird dem Verkehrsteilnehmer wieder verstärkt eigenverantwortliche Aufmerksamkeit abverlangt; erkennbaren Hindernissen muss ausgewichen werden.

Die Regelungen der Ortssatzung

Die Ortssatzung macht dem Haus- und Grundbesitzer einige Vorgaben, wie er die Räum- und Streupflicht umsetzen muss: Von wann an - an Werktagen und an Sonn- und Feiertagen unterschiedlich - muss der Gehweg geräumt sein? Wie breit muss der geräumte Pfad sein? (Zivilrechtliche Regelung dazu: Auf Gehwegen mit geringem Fußverkehr, jenseits der ÖPNV-Haltestellen, reicht es der Rechtsprechung, wenn ein Streifen geräumt und gestreut wird, der für zwei Fußgänger breit genug ist.)

Eventuell gibt es weitere Festlegungen zur Qualität: Muss auch mit einem abstumpfenden Material gestreut werden? Die Verwendung von Auftausalz ist den Haus- und Grundbesitzern oft per Ortssatzung verboten.

Im unmittelbaren Haltestellenbereich trifft die Räum- und Streupflicht auch den ÖPNV-Unter nehmer und erstreckt sich i. d. R. über die Zeit des in der Ortssatzung festgelegten Winterdienstes hinaus. An diesen Stellen muss ggf. sogar unabhängig vom Streuplan wiederholt gestreut werden, meint der Bundesgerichtshof.

Viele Gerichte vermischen voreilig die Räum- und Streupflicht nach dem Straßengesetz mit der zivilrechtlichen. Gelegentlich wird dann noch die Pflicht der Gemeinde mit derjenigen verwechselt, die von ihr auf den Anlieger übertragen worden ist. Das hat dann u. U. fälschlich zur Folge, dass nach einem Blick in die Ortssatzung der Prozess beendet ist, nur weil in der Satzung den Anliegern das Räumen und Streuen erst ab 7:00 Uhr auferlegt wird, der Pendler aber schon um 6:45 Uhr an seiner - längst intensiv genutzten - Haltestelle gestürzt ist.

Oder dass in der Ortssatzung von den Anliegern nur ein schmaler freier Streifen auf dem Gehweg verlangt wird und damit die Haltestellenbereiche fast vollständig aus der Betrachtung fallen. Nicht immer ist den Gerichten dabei klar, dass die zivilrechtlich begründete Räum- und Streu pflicht der Gemeinde und der ÖPNV-Betreiber weiter reicht als die öffentlich-rechtliche Pflicht der Gemeinde und diese wiederum weiter als die Räum- und Streupflicht der Anlieger.

Ist die Pflicht im Landesgesetz oder in der Ortssatzung geregelt, haftet der Pflichtige im Falle des Unfalles wegen des Verstoßes gegen diese spezielle Schutznorm, es erübrigt sich der Rück griff auf die Generalklausel „Verkehrssicherungspflicht“. Liegt aber kein Verstoß gegen die örtliche spezielle Schutznorm vor, etwa weil sie diese konkrete Verkehrfläche oder diese Uhrzeit nicht erfasst, ist der Rückgriff auf die Generalklausel keineswegs abgeschnitten.

Was kann der Fußgänger tun?

Die Verkehrssicherungspflicht gibt dem Fußgänger erst im Schadensfall eine Handhabe und dann nur, wenn er die unfallursächliche Gefahr nicht so rechtzeitig erkennen konnte, dass er einen Unfall und etwaige Schäden abwenden konnte. Auf erkennbare Gefahren muss man sich einstellen. Ein Mitverschulden kann dem Fußgänger vorgeworfen werden, wenn er unaufmerksam war.

Das komplexe Geschehen im Haltestellenbereich begründet höhere Anforderungen sowohl an die Verkehrssicherungspflicht als auch an die eigene Vor- und Umsicht des Verkehrsteilnehmers. Kinder dürfen in gewissem Rahmen unvernünftig sein, ohne Schadensersatzansprüche zu verlieren.

Rechtliche Ansprüche an eine Qualitätssicherung gibt es nicht. Für die zivilrechtliche Verkehrspflicht gibt es keine starren Uhrzeit-Grenzen. Die Tageszeit, zu der geräumt werden muss, richtet sich nach dem Verkehrsbedürfnis. Die haftungsrechtlich relevante Verkehrszeit rund um eine Haltestelle kann erheblich von der anderer Gehwege abweichen. Zeitlich oder räumlich seltener genutzte Flächen und Wege stehen beim Winterdienst hinten an. Bei anhaltendem Schneefall oder sich ständig erneuerndem Glatteis darf man als Passant und ÖPNV-Nutzer nicht zu viel erwarten. Aber auch der Sicherungspflichtige muss Prioritäten zugunsten starker und gefährdeter Verkehre setzen.

Die Verkehrssicherungspflicht besteht unabhängig davon, ob dem Pflichtigen das konkrete Problem bekannt ist oder nicht. Bei der Einrichtung der Verkehrsanlagen hat der Pflichtige alle potenziellen Probleme zu bedenken. Die Haftung wird also nicht davon berührt, ob zuvor ein Hinweis eines Bürgers eingegangen ist. Gleich wohl ist es sinnvoll, eine Gefahrenstelle der Verwaltung mitzuteilen. Erstens hat man ein eigenes Interesse daran, dass die Gefahrenstelle beseitigt wird. Das spricht dafür, sich möglichst an die Gemeinde, an den ÖPNV-Betreiber und an den Anlieger zu wenden und auf die Gefahr hinzuweisen. Zweitens ist die Haftung wegen verletzter Verkehrssicherungspflicht eine Haftung aus Verschulden - hat man das Problem aber schon früher mitgeteilt, ist dem Pflichtigen vor Gericht jede Ausrede dahin abgeschnitten, man habe die Gefahr weder gekannt noch kennen müssen.

Aus der Sicht eines engagierten Fußgängers wäre es erfreulich, könnte man die Behörde schon zur Beseitigung der Gefahrenquelle zwingen, bevor ein Unfall passiert ist. Einen dafür nötigen Anspruch des Bürgers, der verkehrssichernde Maßnahmen erzwingen könnte, hat die Rechtsprechung jedoch nur in sehr seltenen Fällen anerkannt. Eine vorbeugende Wirkung durch Einklagbarkeit von Maßnahmen zur Verkehrssicherung besteht daher praktisch nicht.

Wichtig ist trotzdem, präventiv tätig zu werden und die Gemeinde oder den ÖPNV-Betrieb auf nicht hinnehmbare Glätte und Schneehaufen hinzuweisen. Dort gilt es die jeweiligen Ansprechpartner herauszufinden und das Problem / die Gefahr und die Erwartung an eine Abhilfe klar darzustellen, evtl. Fotos als Dokumentation des Zustands dem Ansprechpartner zu mailen. Immer ist es erforderlich, Datum (inkl. Uhrzeit), Name des Gesprächspartners und Inhalt des Gesprächs zu notieren, bei Mangel an Resonanz diese Notiz dem Ansprechpartner zuzusenden.

Damit wird nicht nur der Handlungsdruck an die Stadt- bzw. Gemeindeverwaltung erhöht, sondern auch die Beweislage im Schadensfall verbessert: Die Tatsache, dass der Verkehrsteilnehmer gestürzt ist, begründet für sich allein nicht den Beweis des ersten Anscheins für die Verletzung der Streupflicht; denn die Lebenserfahrung lehrt, dass Unfälle infolge Winterglätte auch auf Wegen vorkommen, die genügend geräumt oder gestreut sind. Viele Gestürzte verlieren den Prozess, weil sie den Zustand der Unfallstelle zur Unfallzeit nicht beweisen können. Passanten als Zeugen gibt es nur selten und Fotos vom Unfallort liegen kaum jemals vor. Im Nachhinein nachzuweisen, wie genau zu der Zeit an genau dem Ort die Schnee- und Eislage war, ist oft unmöglich.

Präventive Aktivitäten sollten mit einem Blick in die Ortssatzung beginnen: Sind die Regelungen aus Sicht eines engagierten Fußgängers ausreichend? Sind qualitative Gesichtspunkte neben der Gefahrenabwehr berücksichtigt? Festgetretener Schnee, der mit Hilfe eines Salz-/ Split- Gemischs aufgeweicht wurde, ist zwar nicht mehr glatt, aber sehr mühsam zu begehen – für ältere Menschen evtl. gar nicht. Lässt die Ortssatzung den Griff zum Streusand mit Salzbeimischung zu an Stelle der – natürlich mühsameren - Benutzung des Schneeschiebers?

Die Ortssatzung ist nicht unveränderlich. Über örtliche Gemeindevertreter / Stadtverordnete lässt sich eine Änderung in Gang setzen. Parallel dazu Pressearbeit zu betreiben, hilft weiter. Und hier helfen gute Fotos aus dem letzten Winter. Diese präventiven Aktivitäten benötigen einen monatelangen Vorlauf vor dem nächsten Winter. Wichtig ist, Änderungen der Ortssatzung bekannt zu machen – nicht nur mittels der amtlichen Bekanntmachungen, sondern mit einer Medienkampagne, bei der der Nutzen der verbesserten Ortssatzung nicht zu kurz kommt: Der entspannte, bequeme und gesicherte Spaziergang durch eine verschneite Stadt auf gut geräumten Gehwegen.

Weitere Informationen:

 

Dieser Artikel von Manfred Bernard auf der Grundlage einer Expertise von Dr. Dietmar Kettler im Auftrag des FUSS e.V. ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 4/2007, erschienen. 

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Die Straßenverkehrs-Ordnung und deren Verwaltungsvorschriften konzentrieren sich auf den rollenden Verkehr. Daran hat auch die jahrelange teilweise sehr intensive Lobbyarbeit des FUSS e.V. nichts Grundsätzliches verändert. Dennoch waren diese Bemühungen teilweise im Detail erfolgreich und müssen unbedingt weitergeführt werden. Zu diesem Themen-Komplex bieten wir Ihnen recht ausführliche und „laienverständliche“ Informationen:

Es ist das Recht der Fußgänger, Gehwege, Querungsanlagen und auchHaltestellenbereiche auch bei ungünstigen Witterungsbedingungen benutzen zu können, deshalb gibt es die sogenannte "Verkehrssicherungspflicht":

Der derzeitige „Handwerkskasten“ der deutschen Straßenverkehrs-Ordnung und der Verwaltungsvorschriften ist einengend und hält zumindest teilweise nicht mit der europäischen Weiterentwicklung der Regeln oder der Neuentdeckung von sogenannter „Regellosigkeit“ Schritt. In den folgenden Beiträgen finden Sie eine kritische Auseinandersetzung aus der Sicht des Fußverkehrs:

Autofahrer/innen verhalten sich häufig nicht regelkonform und schon gar nicht beim "nur mal kurz parken".

Verstärkter Einsatz Verkehrsberuhigter Bereiche

Verkehrsberuhigte Bereiche beinhalten automatisch die Erlaubnis, dass auf der Verkehrsfläche gespielt wird. Strenge oder ängstliche Straßenverkehrsbehörden nehmen dies zum Anlass, entsprechende Anordnungen in Straßenraumsituationen mit stärkerem Kfz-Verkehr abzulehnen. Daher gibt es außerhalb von Wohngebieten starke lokale Unterschiede beim Einsatz dieser fußverkehrsfreundlichen Regelung.

Schweiz: Alternatives Bei-Spiel

In den Schweizer Begegnungszonen ist das Spielen auf der Straße nicht mehr automatisch erlaubt. Das soll durch den Verzicht des Ball-Symbols auf dem blauen Verkehrszeichen ausgedrückt werden. Die Zulässigkeit richtet sich nach einer allgemeinen Schweizer Verkehrsregel (VRV): Demnach darf für Spiele „die für die Fussgänger bestimmte Verkehrsfläche und auf verkehrsarmen Nebenstrassen (z.B. in Wohnquartieren) der gesamte Bereich der Fahrbahn benützt werden, sofern die übrigen Verkehrs-teilnehmer dadurch weder behindert noch gefährdet werden“ (VRV Art. 50). Die entsprechenden Straßen sind also nicht gekennzeichnet. Die Spielenden bzw. etwaige Aufsichtspersonen entscheiden selber, ob ein Straßenabschnitt ge-eignet ist.

Spielraum in Deutschland

Letztlich bestimmt sich die Praxis in Deutschland ebenso, obwohl die für „Spiele“ freigegebenen Straßen (Z 325) bzw. Fahrbahnen (Z 250 + Zusatzschild „Spielstraße“) hierzulande ausdrücklich beschildert sind (§ 31 StVO). Kinder achten ohnehin nicht auf die Schilder. Sie spielen auch auf Straßen mit klassischer Fahrbahn, wenn dort nur wenig Auto gefahren wird. Das wird rechtlich geduldet: „Gegen Kinderspiele sollte (...) nicht eingeschritten werden“ bei Wohnstraßen und anderen „Straßen ohne Verkehrsbedeutung, auf denen der Kraftfahrer mit spielenden Kindern rechnen muss“ (VwV-StVO zu §31). Diese „brauchen (...) nicht zu ,Spielstra-ßen' erklärt werden. Auch das Zeichen 136 [Kinder] ist dort in der Regel entbehrlich“ (ebenda).

In stärker oder stark befahrenen Verkehrsberuhigten Bereichen (z.B. Duisburg, Landfermann-straße) dagegen wäre das Spielen zwar ausdrücklich durch das Zeichen 325 erlaubt; trotzdem gibt es keine Konflikte, weil niemand auf die Idee käme, hier zu spielen.

Dennoch wird in Deutschland die mit Z 325 verbundene Kinderspiel-Erlaubnis oft als Ablehnungsgrund vorgebracht, wenn außerhalb von Wohnquartieren oder auf stärker befahrenen Straßen ein Verkehrsberuhigter Bereich vorgeschlagen wird. Zur Vermeidung dieser haftungsrechtlichen Bedenken könnte eine Anpassung an die Schweizer Regelungen erfolgen.

 

Dieser Artikel von Arndt Schwab ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 4/2008, erschienen.

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Winterdienst auf Geh- und Radwegen

Sicherlich wird es hinsichtlich der Schneemassen einen Winter wie den letzten nur selten über uns kommen. Winter mit viel Glatteis wird es jedoch -gerade im innerörtlichen Bereich – noch häufig geben. Da können die Kommunen nicht allein auf den Klimawandel setzen und auf milde Temperaturen hoffen. Hatten wir gedacht.

Konsequenzen der Kommunen

Besonders stark betroffen von den winterlichen Bedingungen waren Kommunen in den nördlichen und östlichen Bundesländern. Bei diesen Gemeinden hakten wir nach, welche Konsequenzen sie daraus für die Zukunft gezogen haben. Laut der Antworten wurden dieses Jahr nach dem winterlichen Verkehrschaos die BürgermeisterInnen und Verwaltungen nur in Ausnahmefällen vorbeugend aktiv. Einzige Maßnahme einiger Städte (z.B. Bremen mit seinem grünen Umwelt- und Verkehrssenator) scheint die Vergrößerung des Salzvorrates zu sein – was kaum im Interesse der Unmotorisierten ist.

Dabei sind die Probleme der Unmotorisierten doch deutlich erkennbar: Dass das maschinelle Fegen deutlich weniger effektiv ist als direktes händisches Räumen unmittelbar nach dem Schneefall, ist mittlerweile allen offensichtlich. Die zuständigen Fachabteilungen wissen es schon lange: Ein Großteil faktisch völlig glatter Gehwege ist somit sozusagen vorschriftsmäßig glatt. Ebenso ist die Delegierung des Winterdienstes auf Gehwegen an kleine und kleinste Firmen völlig unökonomisch und unökologisch: Für jeweils ein paar Meter Straßenfront fahren Kehrfahrzeuge kreuz und quer durch die Stadt, erzeugen unnötigen Verkehr und arbeiten an den „Schnittstellen“ an den Grundstücksgrenzen faktisch oft gegeneinander. Und selbstverständlich sorgen sie nicht dafür, dass Fußgänger die Fahrbahnen queren können.

Rechtliche Ungleichbehandlung

Diese Probleme sprechen für einen einheitlichen, effizienten Winterdienst auf den kommunalen Gehwegen. Warum aber ist „der Staat“/ die Kommune für die Schnee- und Eisbeseitigung auf der Fahrbahn zuständig und verkehrssicherungspflichtig? Warum jedoch nicht im Winter für die Geh- (und Rad)wege?

Nach den Straßen- und Wegegesetzen der Länder sind die Kommunen berechtigt, die Räum- und Streupflicht für die Gehwege durch Satzung/ Rechtsverordnung den Grundstücksanliegern aufzuerlegen. Die Ministerien haben dazu Mustervorlagen, damit die Kommunen das auch rechtlich richtig machen.

Die Kommunen müssten die Pflichten für Geh- und Radwege nicht abwälzen. Und die Länder müssten den Kommunen diese Abwälzrechte gar nicht erst geben. Vermutlich denkt niemand mehr darüber nach, ob das sinnvoll ist - allenfalls in dem Sinne, dass es die Kommunen selbst heute und bis auf Weiteres sowieso nicht bezahlen könnten. Die meisten Anwender und die Politiker meinen wahrscheinlich, dass das seit Menschengedenken so ist und so etwas hat Beharrungskraft... Realistisch gesehen ist eine Veränderung dieser Situation in Zeiten leerer öffentlicher Kassen also kaum aussichtsreich. Fußgänger und Radfahrer müssen also mit den Winterdienstsatzungen der Kommunen klar kommen bzw. diese verbessern.

Unmotorisierte Opfer?

In den Medien konnten wir Anfang des Jahres neben liegengebliebenen Kfz auch Fußgänger betrachten, die vorsichtig über Glatteis balancierten. Das Ausmaß an Mobilitätseinschränkungen, der Verkehrsunfallzahlen und der wirtschaftlichen Schäden durch die Behinderung des Fußverkehrs wurde jedoch nicht dargestellt. Was auch schwierig ist, denn leider werden keine zentralen Statistiken für Unfälle infolge „Sturz auf Glatteis“ erstellt oder Berechnungen über die finanziellen Auswirkungen durchgeführt.

Keine Unfallzahlen

Eine grobe Rechnung am Beispiel Berlins für den Winter 2009/ 2010 kann dennoch einen Überblick über das enorme quantitative Ausmaß der Verletzungen geben: Wenn man laut Medienmeldungen von 100 Verletzten pro Unfallklinik und Tag an Tagen mit starker Glätte und 10 Verletzten pro Unfallklinik und Tag an Tagen mit geringer Glätte ausgeht, so scheint ein mittlere Verletztenzahl von wenigstens 50 Personen plausibel. Bei 13 Krankenhäusern mit einer unfallchirurgischen Station ergibt das eine Gesamtzahl von 50 x 50 x 13 = 32.500 Verletzten. Das deckt sich etwa mit den Angaben der Krankenkasse KKH-Allianz, nach der für die ersten 30 Tage des Jahres in Berlin etwa 20.000 gesetzlich Versicherte nach einem Sturz mit Arm- oder Beinbrüchen oder offenen Wunden ins Krankenhaus mussten.

In dieser Abschätzung kommen nicht diejenigen vor, die „nur“ zu einem niedergelassenen Arzt gingen oder ihre Verletzungen privat versorgten. Noch nicht einmal die gesetzlichen Berufsgenossenschaften, die ansonsten mit wesentlich exakteren Erfassungen der Unfallzahlen als z.B. die Polizei aufwarten kann, haben im Oktober 2010 einen Überblick über den vergangenen Winter. In einer Pressemitteilung vom 20.9.2010 konnten diese Versicherer nur angeben, dass „es fast 30 Prozent mehr Wegeunfälle im ersten Halbjahr 2010 als im entsprechenden Vorjahreszeitraum gab.“

Das Statistische Bundesamt konnte uns immerhin mitteilen, dass die durch Schnee und Eis bedingten Unfälle mit Personenschaden im Winter 2010 um 50% zugenommen haben – und das bei insgesamt abnehmenden Unfallzahlen im Vergleich zum Vorjahreszeitraum! Das heißt wahrscheinlich, dass viele Verkehrsteilnehmer auf Wege verzichtet hatten/ verzichten mussten und auf jeden Fall deutlich vorsichtiger sich verhielten: und dennoch stiegen die wintertypischen Unfälle so immens! (Der Anteil der „winterlich verunfallten“ Fußgänger und Radfahrer wird vom Statistischen Bundesamt nur kostenpflichtig ausgewertet.)

Kosten für die Bürger

Den Schaden tragen aber nicht nur die unmittelbar betroffenen gestürzten Bürgerinnen und Bürger: Die Krankenkasse KKH-Allianz bezifferte die Kosten für jede stationäre Aufnahme nach einem Glatteisunfall mit durchschnittlich 4.000 Euro, für komplizierte Brüche sogar mit 15.000 Euro. Damit läge die Summe der Behandlungskosten in Berlin schon bei 130 Millionen Euro, die von der Solidargemeinschaft getragen werden muss. Wieviel davon per Regress von Gerichten später anderen Verursachern zugeordnet werden kann, steht in den Sternen. Hier muss jeder Geschädigte gegenüber dem Gericht seinen Fall für sich belegen, mit Zeugen, Fotos und Beschreibungen, inwieweit er der Glätte nicht ausweichen konnte. Es ist nicht zu erwarten, dass ein nennenswerte Anzahl von Glattteis-Opfern sich nach ihrem Sturz um solche Details kümmern konnte.

Zu den Behandlungskosten kommt aus volkswirtschaftlicher Sicht der Arbeitsausfall: In vielen Berichten ist davon die Rede, dass überdurchschnittlich viele junge Menschen von Knochenbrüchen betroffen waren. Eine Beschäftigungsquote von wenigstens 50 Prozent Vollzeitäquivalent bei den Verletzten erscheint als Annahme realistisch. Für die Dauer des Verlusts der Arbeitskraft muss mit mindestens vier Wochen gerechnet werden. Hinzu kommen anfallende Maßnahmen für Reha und Physiotherapie sowie die Behandlung von Spätfolgen. Bei der hohen Zahl der Verletzten ist auch davon auszugehen, dass darunter Fälle von dauerhafter Einschränkung der Erwerbstätigkeit sind. Eine durchschnittliche Dauer von sechs Wochen Arbeitsausfall scheint günstig geschätzt. Damit ergeben sich bei einem Ansatz von 10 Euro Arbeitsausfall pro Stunde weitere 78 Millionen Euro an volkswirtschaftlichen Kosten. Viele kleine Betriebe werden in Krisenzeiten die Zusatzkosten infolge von Arbeitsausfall oder Auftragswegfall kaum kompensieren können, bei der Vielzahl der Verletzten ist daher davon auszugehen, dass mittelbar auch Insolvenzen die Folge von Arbeitsausfällen waren.

Zusammen mit den Behandlungskosten sind das als unterer Schätzwert knapp 210 Millionen Euro, die die nicht beseitigte Glätte die Berlinerinnen und Berliner gekostet haben könnten. Unter Verwendung genauerer Daten kann man sicher auch auf höhere Werte kommen.

Da unsere Frage bei Berufsgenossenschaften und Krankenkassen, ob bzw. im welchen Umfang sie sich die Kosten für die Behandlung der Unfälle von den für den Winterdienst Verantwortlichen erstatten ließen, alle unbeantwortet blieben, bedeutet das wohl: Die Versicherten, nicht die Verantwortlichen mussten zahlen!

Eigentum verpflichtet, allerdings nicht zu effektivem Winterdienst

Die privaten Grundeigentümer in Berlin wurden faktisch aus der Pflicht entlassen, für eine ausreichende Verkehrssicherheit vor ihren Grundstücken zu sorgen. Mit Stand 18.02.2010 war von etwa 6.200 Bußgeldverfahren gegen privaten Eigentümer wegen unzureichender Wahrnehmung der Räumpflichten die Rede. Dazu kommen ca. 2.000 Ersatzvornahmen. Das sind 125 bzw. 40 pro Tag seit Beginn der Glätte.

Aber auch finanziell ließ man sich hier etwas entgehen: Die durchschnittliche Höhe der Bußgelder wird mit 1.000 Euro angegeben. Es wurden sicherlich nicht annähernd die Hälfte aller Fälle von Räumpflichtverletzungen in der Stadt mit einem Bußgeld belegt, die gefühlte Quote würde wohl unter zehn Prozent liegen. Somit liegt das Potenzial für den Berlin zustehenden, aber infolge Personalmangels und / oder fehlendem politischen Willen nicht beigetriebenen Geldern zwischen 6 und 30 Millionen Euro.

Kleine Erfolge und Stillstand

Positives gibt es evtl. aus Berlin zu vermelden. Die Hauptstadt des Winter-Chaos’ vom Januar 2010 will das Straßenreinigungsgesetz verschärfen: Das Eis darf z.B. nicht mehr nur „bestreut“, sondern muss entfernt werden. Außerdem wurden die Zuständigkeiten besser geordnet: Die Stadtreinigung räumt jetzt die Haltestellen – nach besseren Standards als es bislang die Verkehrsbetriebe taten. Sehr wichtig war, dass die HauseigentümerInnen die Verantwortung nicht mehr an eine Reinigungsfirma übertragen können. Nun sollen die Besitzer direkt haftbar gemacht werden, was auch deren Druck auf die Firmen erhöhen wird. – Die Verabschiedung der Gesetzesreform ist jedoch noch unsicher, da nicht nur Oppositions- sondern auch Koalitionspartner die Vorschriften als zu weitreichend ansehen.

Die Reform ist tatsächlich in einigen Punkten immer noch lächerlich: Gehwege an Hauptstraßen müssen jetzt auf anderthalb Meter Breite geräumt werden, was in den Winterdienstsatzungen anderer Städte bereits auf Nebenstraßen Standard ist. So müssen sich entgegenkommende GehwegnutzerInnen weiterhin auf 80% der Berliner Straßen mit einem Meter begnügen. Das kann mit einem Rollstuhl oder Kinderwagen ganz schön eng werden. Sollten auch in Ihrer Kommune Hauseigentümer- und Mieterverbände gegen entsprechende Vorgaben protestieren, helfen Ihnen Zahlen der Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit und Umweltschutz: 50 cm mehr Gehwegbreite erhöhen die monatlichen Betriebskosten um etwa 2,5 Cent pro m² Wohnfläche!

Zu der Unterausstattung der Ordnungsämter und dem laxen Umgang mit den Verstößen kamen oft Erschwernisse hinsichtlich der Beurteilung der Pflichtverletzung, die sich aus der unzureichenden Gesetzgebung ergaben: Statt unter Berücksichtigung einer angemessenen Frist Schnee- und Eisfreiheit vorzuschreiben, war in der Regel nur deren „Bekämpfung“ Vorschrift. Die Stadt Halle setzte dagegen bereits im letzten Winter 30 Politessen zusätzlich für die Kontrolle der Winterdienstpflichtigen ein.

Für die nächste Winterperiode wurde in Halle ein Maßnahmenpaket hinsichtlich der Erweiterung des Winterdienstes auf öffentlichen Straßen insbesondere im Bereich von Krankenhäusern, Behinderteneinrichtungen, Seniorenheimen, Schulen und Kindereinrichtungen erarbeitet. Darüber hinaus ist auch eine Erweiterung der Tourenpläne des Winterdienstes auf Fußgängerbereiche in den Außenbezirken ohne Anlieger und auf Bushaltestellen in diesen Gebieten, wo der Winterdienst durch Anlieger erfahrungsgemäß nicht durchgängig gewährleistet wird. Die Mehrkosten für dieses Maßnahmenpaket betragen ca. 500.000 Euro. Das entspricht einer Erhöhung der Kosten gegenüber den vergangenen Winterperioden um rund 35 %. Diese Erweiterung steht momentan jedoch unter dem Vorbehalt der Finanzierung.

In Rostock hält man die Straßenreinigungssatzung für ausreichend, auf ihrer Grundlage wurde jedoch eine „Anpassung“ vorgenommen. So sollen die Räumarbeiten auf Geh- und Radwegen, die bislang erst nach dem Schneefall vorgenommen werden mussten, bereits ab 5 cm Schneehöhe gestartet werden. Außerdem wurde als „Task force“ bei außergewöhnlichen Witterungssituationen eine „Arbeitsgruppe Winterdienst“ einberufen. Auch das setzt sich positiv von Berlin ab, wo das Winterchaos lange nicht als Chefsache angesehen wurde. – Für Unmotorisierte bleibt noch viel zu tun, wollen sie nicht jeden Winter auf der Strecke bleiben. Wir empfehlen: Wenden Sie sich an Verwaltungen und Gemeinderatsfraktionen und fordern präventiv Nachbesserungen!

Ich danke Carl F. Waßmuth für seine Hinweise!

In Kürze

Nur wenige Kommunen haben aus dem letzten Winterchaos Konsequenzen gezogen und den Winterdienst verbessert. Bei den Entscheidungen bleiben die volkswirtschaftlichen Kosten der Unfälle Unmotorisierter unberücksichtigt.

 

Weitere Informationen:

 

Dieser Artikel von Stefan Lieb ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 4/2010, erschienen.

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