Zu Fuß und mit dem Fahrrad: eine Stilfrage?

Neben den Erfordernissen einer qualitätvollen und durchdachten Stadt- und Verkehrsplanung ist die Beachtung von Einstellungen, Emotionen und Werten der Fahrradfahrerinnen und Fußgängerinnen wichtig. Nicht nur Gefahrenpotenziale beim Gehen und Fahrrad fahren stellen für ältere VerkehrsteilnehmerInnen eine Herausforderung dar (vgl. Dirk Böhnke in mobilogisch! 4/06). Sie haben unabhängig von ihren physischen Fähigkeiten nicht unbedingt dieselben Präferenzen in Bezug auf ihre nichtmotorisierte Verkehrsteilnahme.

Fuß- und Rad-Mobilität im Alter

Der Anteil der über 55-Jährigen wird in den nächsten Dekaden deutlich zunehmen, insgesamt wird die Bevölkerung jedoch abnehmen. Dabei stellt sich unweigerlich die Frage, wie in einer älter werdenden Gesellschaft die Bereitschaft und Fähigkeit erhalten werden kann, sich zu Fuß oder mit dem Rad fortzubewegen. Ein hoher Anteil des nichtmotorisierten Verkehrs hat in mehrfacher Hinsicht eine wichtige Bedeutung: Er trägt dazu bei, weniger umwelt- und gesundheitsbelastende Auswirkungen zu erzeugen. Gleichzeitig erhält Gehen und Fahrrad fahren die Gesundheit und Beweglichkeit.

Sind aber die zukünftigen Alten genauso unterwegs, wie die Heutigen? Wie werden sie sich (wir uns) fortbewegen (wollen)? Um hierzu ein Bild zu erlangen, müssen einerseits das heutige Verkehrsverhalten, Szenarien einer zukünftigen Entwicklung und lebensstilspezifische Aspekte nichtmotorisierter Mobilität einbezogen werden.

Mobilität ist nicht nur Verkehr

Wird Mobilität umfassend verstanden, ist sie nicht nur Fortbewegung und Aktivität im Raum, sondern

  • spiegelt vielfältige soziale Aspekte der Verkehrsteilnahme,
  • ist sozial-räumliche Bewegung (zweckbezogene Ativitäten) sowie
  • sozio-kulturelle Bewegung (in oder zwischen gesellschaftlichen Gruppen, Orten).

Mobilität ist Teil unseres Alltagshandelns und zeigt sich in Routinen und Handlungsmustern. Darin spiegeln sich z.T. so genannte kulturelle Orientierungen und unser sozialer Kontext. Das Verkehrsverhalten ist nur ein Teil des Alltagsbedürfnisses ‚Mobilität’. Es ist dabei geprägt von Vorlieben und Präferenzen.

Als Mobilitätsstile werden relativ stabile Muster aus Routinen, Einstellungen, Werten und Handlungen verstanden. Sie können sich im Laufe verschiedener Lebensphasen durchaus verändern oder sich in ihrer Ausprägung verstärken oder abschwächen. Bestimmte Grundorientierungen bleiben aber oft erhalten. U.a drückt sich zum Teil aus, wie wir zu Verkehrsmitteln und zu unserer Verkehrsteilnahme stehen. Mobilitätsstile helfen dabei, das Verkehrsverhalten zu erklären und liefern wichtige Hinweise für die symbolischen Facetten der Mobilität des Einzelnen.

Rad- und Fußmobilität in Deutschland

In der Studie ‚Mobil in Deutschland 2002’ ließ das Bundesverkehrsministerium das Verkehrsverhalten in Deutschland genau untersuchen.

Insgesamt werden 32% aller Wege und 6% der Verkehrsleistung (Personen-km) über nichtmotorisierte Verkehrsarten erbracht (im Vgl. Pkw: 57% bzw. 77%). Der Fußverkehr nimmt dabei innerhalb aller Wege den größten Part ein: 23% aller Wege werden zu Fuß unternommen, mit einer durchschnittlichen Länge von 1,7 km. Die überwiegenden Wegezwecke sind Einkaufen und Erledigungen mit 38% und Wege zu Freizeitaktivitäten (40%). Ausbildungs- und Arbeitswege spielen nur eine untergeordnete Rolle (6-7%). Hinter diesen Aktivitäten verbirgt sich aber auch die sozio-kulturelle Bedeutung des zu Fuß Gehens – sowohl Einkaufen als auch Freizeitaktivitäten dienen nicht nur ganz konkreten Alltagsnotwendigkeiten, sondern der Teilnahme am sozialen Leben, der Zerstreuung, dem Kontakt mit Anderen, dem Kontakt zu Natur und Umfeld.

3/4 der Einwohnerinnen und Einwohner in Deutschland haben ein Fahrrad. Damit werden 9% aller Wege zurückgelegt. Fahrrad fahren ist bekannter Maßen stark jahrezeitlichen Schwankungen unterworfen, im Sommer sind es ca. 10%, im Winter 5-6% aller Wege. Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung kombiniert das Fahrrad und ÖPNV (Bike & Ride oder Fahrradmitnahme), nämlich 3%. Zurückgelegt werden mit dem Fahrrad hauptsächlich Wege zum Einkauf und für Erledigungen (32%) sowie Freizeitaktivitäten (37%). Arbeits- und Ausbildungswege werden etwas öfter als zu Fuß zurückgelegt (9-15%).

Alterspezifische Unterschiede

Beim zu Fuß gehen schwankt über die Lebensphasen hinweg die Intensität kaum – der Grundbedarf an Mobilität wird zu Fuß gedeckt. Die Anzahl der Fußwege ist bei Rentnern überdurchschnittlich hoch, in höheren Altersklassen etwas geringer, jedoch immer noch über dem Durchschnitt.

RentnerInnen unter 75 Jahren sind mehr mit dem Rad unterwegs als Erwerbstätige, über 75 Jährige aber ca. genauso oft wie Erbwerbstätige (ca. 7%). Die Fahrradnutzung ist abhängig von der Pkw-Verfügbarkeit – mit zunehmendem Alter jedoch nicht mehr so extrem. Insgesamt legen Senioren im Vergleich zu Erwerbstätigen weniger Wege zurück, v.a. weniger Pkw-Wege.

Szenarien für die Zukunft

Im Jahr 2006 erstellte eine Forschergruppe des Difu im Auftrag des Verkehrsministeriums eine Studie mit Szenarien zur Verkehrsentwicklung bis zum Jahr 2050. Unabhängig von der Wahl des Szenarios zeigt sich bei der Verkehrsleistung des Fahrrades und zu Fuß Gehens folgendes:

  • Die Verkehrsleistung (Personen-km) von Senioren im nichtmotorisierten Verkehr steigt um rund 50%.
  • Der Pkw-Besitz ist voraussichtlich höher als bei den heutigen Senioren.
  • Die Unterschiede im Führerscheinbesitz (Frauen/Männer) flachen ab.

Daraus lässt sich folgern, dass sich eine leichte Zunahme der Fußwege fortsetzt. Auch setzt sich die leichte Zunahme der Wege mit dem Rad, v.a. bei Rentnern und Arbeitslosen fort. Insgesamt steigt die Bedeutung des nichtmotorisierten Verkehrs. Siedlungsstrukturelle Effekte, wie die Reurbanisierung führen abhängig nach der Ortsgröße zu einem Rückgang der Gesamtverkehrsleistung.

Es findet demnach eine Verschiebung statt, die sich vermutlich nicht nur durch finanzielle und strukturell gegebene Randbedingungen erklärt werden kann. Es ist daher anzunehmen, dass sich heutige Mobilitätsgewohnheiten in Zukunft etwas verändern werden.

Stile nicht-motorisierter Mobilität

Die Rolle lebens- und mobilitätsstilspezifischer Aspekte auf das zu Fuß Gehen und Fahrrad fahren wurde in einer Studie in Berlin untersucht. Dabei wurde eine Typologie nichtmotorisierter Mobilitätsstile entwickelt. Die folgende schlagwortartige Darstellung fokussiert nicht nur die Stile, in denen sich überwiegend Ältere finden. Vielmehr soll die gesamte Breite aufgezeigt werden, denn es ist davon auszugehen, dass Ausschnitte der Grundorientierungen unabhängig vom Alter bedeutsam sind. Lediglich ein explizit auf Jugendliche beschränkter Typ wird hier nicht dargestellt.

Die Selbstbestimmt Aktiven

  • schätzen Selbstständigkeit und „kreative“ Selbstorganisation im Bereich der Mobilität.
  • Hohe Aktivität, implizite Einschränkungen (v.a. gesundheitlich), empfinden sich meist nicht als mobilitätseingeschränkt.
  • Verkehrsverhalten: Gehen viel zu Fuß und nutzen oft den ÖPNV, Autonutzung selten, keine Fahrradnutzung
  • Reagieren beim zu Fuß gehen sensibel auf: Enge Wege, Nutzungskonflikte, Interaktion zwischen Autofahrenden und Fußgängern
  • 40-60+, mittlere - hohe soziale Lage

Die Resignierten GeherInnen

  • Sind geprägt durch Mobilitätsverzicht und scheinbare ‚Bescheidenheit’
  • Abhängig von/ angewiesen auf Mitnahmedienste Anderer; Finanzielle und körperliche Einschränkungen
  • Verkehrsverhalten: Kombinationen von zu Fuß gehen und ÖPNV-Nutzung, kaum Pkw verfügbar, keine Radnutzung
  • Zu Fuß gehen hat ablenkende, unterhaltende Funktion, idyllische Orte
  • 50-60+, mittlere - untere soziale Lage

Die Sicherheitsorientierten

  • Organisieren den Alltag meist nach einem ‚inneren Fahrplan’, und mit geringer Spontanität. Bedürfnis nach Verkehrssicherheit ist Ausprägung eines insgesamt stark sicherheitsbezogenen Lebensstils.
  • Verkehrsverhalten: Keine Fahrradnutzung in der Stadt, viel zu Fuß und mit Pkw (Mitfahrer)
  • Sicherheit in öffentlichen Verkehrsmitteln und auf Plätzen wichtig, Überschaubarkeit, Beschaulichkeit
  • 18-60+, mittlere soziale Lage

Die Bequemlichkeitsorientierten

  • sind auffällig indifferent gegenüber nichtmotorisierter Fortbewegung.
  • Langanhaltende und eher starre Routinen, nicht experimentierfreudig
  • Verkehrsverhalten: häufige Pkw- und ÖPNV-Nutzung, Fahrrad fast nur in der Freizeit, auch viel zu Fuß
  • 30-60+, mittlere - hohe soziale Lage

Die StadtgenießerInnen

  • halten ihre Flexibilität, ihr Unabhängigkeitsbedürfnis und den Spaß am unterwegs sein hoch; Differenzierte Wahrnehmung des Stadtraumes (physisch/sozial)
  • Spontan, effizient, wenig festgelegt, viele Aktivitäten und Netze
  • Verkehrsverhalten: Mobilitätsmix, sehr viel Fahrrad und zu Fuß
  • 25-45, mittlere soziale Lage

Bei den begeistert, aber pragmatisch Umweltorientierten

  • spielen Umweltgesichtspunkte im Alltagsvekehr eine große Rolle, sie sind engagiert aber nicht dogmatisch; die Stadt wird als vielfältige Gelegenheitsstruktur wahrgenommen.
  • Effiziente und Kosten-Nutzen-orientierte Mobilitätsorganisation
  • Verkehrsverhalten: Mobilitätsmix – viel Rad, zu Fuß, mit dem Pkw, wenig ÖPNV
  • 30-40, mittlere - gehobene soziale Lage

Die Identifier

  • identifzieren sich mit einem Individualverkehrsmittel um Erlebnis, Selbstdarstellung und Unabhängigkeit auszudrücken.
  • Handlungsroutinen: eingespielte Wege, Alltagsannehmlichkeiten
  • Verkehrsverhalten: hohe Pkw oder Fahrradnutzung, teilweise ÖPNV, kaum zu Fuß
  • 20-40, alle soziale Lagen

Folgerungen

Die verschiedenen Typen haben spezifische Ansprüche an die nichtmotorisierte Fortbewegung, unabhängig vom Alter. Eine Alterung innerhalb der verschiedenen Stile bedeutet nicht, dass sich deren Mobilitätseinstellungen umkehren werden. Die Ergebnisse zeigen, dass die Stile nichtmotorisierter Mobilität dazu herangezogen werden können, um Potenzialgruppen und Handlungsschwerpunkte abzuleiten.

Die häufig zu beobachtende Fokussierung auf die technische Ausgestaltung von Verkehrssystemen und deren Benutzbarkeit sollte auch bei Senioren nicht die symbolischen Bedeutungen von Mobilität außer Acht lassen.

Als Forderung an eine zukunftsorientierten Verkehrs- und Stadtplanungspolitik muss Rad- und Fußmobilität auf jeden Fall weiterhin vor allem zugänglich sein. Das bedeutet für ältere Menschen zu Fuß und auf dem Fahrrad z.B.

  • für die Einen Sicherheit und Barrierefreiheit,
  • für die Anderen schnelleres, reibungsloses Gehen oder radeln,
  • für Dritte ein besonders grünes und ruhiges Umfeld mit hoher Aufenthaltsqualität
  • für Vierte Spaß und unterschiedliche Eindrücke.

In Kürze

Daten zum Verkehrsverhalten der jetzigen älteren Bevölkerung werden herangezogen, um zukünftiges Verhalten abzuschätzen. Unterstützend können Mobilitätsstile aufzeigen, welche Herausforderungen für den nichtmotorisierten Verkehr in einer alternden Gesellschaft liegen.

Weitere Informationen:

  • Mobilität in Dtl. (MID) (2003) - Kontinuierliche Erhebung zum Verkehrsverhalten 2002. Endbericht Bonn/Berlin
  • Kloas, Jutta/Kuhfeld, Hartmut (2006): Fußgänger- und Fahrradverkehr gewinnen an Bedeutung. DIW Wochenbericht 44/2006
  • Oeltze, Stefan/Bracher, Tilman et al.(2007): Mobilität 2050. Berlin
  • Die Studie wurde im Rahmen des Graduiertenkollegs „Stadtökologische Perspektiven europäischer Metropolen“ erstellt. Als Dissertation befindet sie sich derzeit im Begutachtungsverfahren. Nähere Infos zur Veröffentlichung bei der Autorin.
  • Wichtig zum Verständnis: es sind keine Aussagen bzgl. des Anteils der verschiedenen Gruppen an der Bevölkerung möglich.
  • www.isoe.de

 

Dieser Artikel von Jutta Deffner, Mitarbeiterin an der Studie „Mobilität und Lebensstilanalysen“ am Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE), Frankfurt/Main, www.isoe.deDiese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! , ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 2/2007, erschienen.

Einzelhefte von mobilogisch! können Sie in unserem Online-Shop in der Rubrik Zeitschrift bestellen.

Mobilitäts-Biographien

Ob in Talkshows, Politikerreden oder Werbeprospekten für Altersvorsorge: Der demographische Wandel ist in aller Munde. Dabei ist der Unterton oft negativ, und der Wandel „gefährdet“ zumeist, etwa unsere Renten oder Krankenversicherungen. Die Diskussion hat seit einiger Zeit auch die Verkehrsplanung erreicht, hier drohen beispielsweise dem öffentlichen Verkehr massive Einschnitte, wenn die sogenannten Captive Riders (Zwangskunden) verloren gehen. In diesem Artikel soll gegen den Trend der Versuch gewagt werden, dem demographischen Wandel zumindest eine praktische Seite abzuringen: In einer alternden Gesellschaft sind Prognosen für die mittlere Zukunft einfacher zu bewerkstelligen.

Schrumpfung und Überalterung

Die demographische Entwicklung einer Gesellschaft hängt von mehreren Faktoren ab, die wichtigsten lauten dabei:

  • Geburtenrate
  • Lebenserwartung
  • Migration (Ein- und Auswanderung)
  • Die bestehende Bevölkerungspyramide (vor allem: Wie viele Frauen befinden sich mittelfristig im gebärfähigen Alter)

Die aktuelle Pyramide ist offensichtlich bekannt, die Geburtenrate liegt seit mehreren Jahrzehnten recht verlässlich bei rund 1,4 Kindern pro Frau im gebärfähigen Alter, während die Lebenserwartung zwar immer wieder leicht steigt, sich aber in der jüngeren Vergangenheit dennoch als recht gut vorhersehbar erwiesen hat. Setzt man nun eine halbwegs stabile Situation in Deutschland voraus, also z.B. keine Kriege oder Epidemien, so ist die eigentliche Unbekannte in der Prognose die Migration. Diese hängt von mehreren unsicheren Größen ab, unter anderem von der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung in Deutschland sowie in den Quell- und Zielländern.

Trifft man unterschiedliche Annahmen für Migration, Lebenserwartung und Geburtenrate, so sind verschiedene Vorhersage-Szenarien denkbar. In der Mehrheit der Szenarien ist bis 2050 mit einer deutlichen Abnahme der Bevölkerung zu rechnen. Das eigentliche Problem liegt jedoch nicht in der Schrumpfung, sondern in der Alterung der Bevölkerung. Abbildung 1 zeigt diese Entwicklung im Mittleren Szenario des Statistischen Bundesamtes: (1) Haben zur Jahrtausendwende die über 50jährigen noch rund ein Drittel der Bevölkerung ausgemacht, so stellen sie 2050 bereits etwa die Hälfte. Umgekehrt sinkt der Anteil der Minderjährigen kontinuierlich, somit bricht auf dem Land dem öffentlichen Verkehr eine wichtige Kundengruppe weg, die Schülerverkehre, was ein zufriedenstellendes Angebot dort noch schwieriger machen dürfte.

Mobilitätsbiographien

Wo bleibt also die gute Nachricht für den Verkehrsplaner? Betrachtet man in Abbildung 1 beispielsweise den Balken für 2030, so werden lediglich rund 20% der Bevölkerung erst in den kommenden 23 Jahren geboren werden – der Rest ist eine gealterte Fassung der heutigen Bevölkerung. Nimmt man ferner an, dass ein erheblicher Teil des Mobilitätsverhaltens bereits in der Kindheit und Jugend geprägt wird, dann können schon heute recht zuverlässige Vermutungen über das Mobilitätsverhalten vieler Bürger im Jahr 2030 getroffen werden. Wenn wir also „Mobilitätsbiographien“ (2) verstehen, so begreifen wir auch einen erheblichen Teil der zukünftigen Verkehrsnachfrage und können somit die Prognosegüte verbessern.

Abbildung 1 „Entwicklung der Altersklassen“

Interessant ist hierfür zuerst die Entwicklung zukünftiger PKW-Verfügbarkeit. Quelle dazu sind eigene Auswertungen der KONTIV 1982 und der MiD 2002 – beides Querschnittserhebungen, in denen mehrere Zehntausend Personen zu ihrem Mobilitätsverhalten befragt wurden. (3) Betrachtet man die Entwicklung der Führerscheinzahlen bei den Frauen, so ergibt sich der Verlauf für 2002 grob aus einer Verschiebung der Kurve von 1982 um 20 Jahre nach rechts. Es handelt sich dabei um einen sogenannten Kohorteneffekt, die Führerscheinzahlen erklären sich also weniger durch absolutes Alter denn durch das jeweilige Geburtsjahr. Verschiebt man die Kurve nun weitere 20 Jahre, dann werden die Seniorinnen der Zukunft zumeist den Führerschein haben. Bei den Männern ist dies schon heute weitgehend der Fall (siehe obere Kurve).

Der Führerschein in der Brieftasche gewährleistet dabei nicht unbedingt auch den PKW im Haushalt – interessant sind in diesem Zusammenhang besonders die jungen Erwachsenen, hier klafft eine gewisse Lücke zwischen Fahrerlaubnis und verfügbarem Fahrzeug. Bemerkenswert ist in dieser Gruppe ferner die Entwicklung der PKW-Verfügbarkeit: Während diese zwischen 1982 und 2002 anstieg, kann in der jüngeren Vergangenheit ein leichter Rückgang der Motorisierung bei den jüngeren Erwachsenen festgestellt werden.(4)

Neben der PKW-Verfügbarkeit ist von besonderem Interesse die Entwicklung des gemessenen Verhaltens. Dazu wurden wieder die KONTIV 1982 sowie die MiD 2002 ausgewertet, ohne Berücksichtigung der Fernreisen (hier definiert als Wege über 100 Kilometer), um statistische Verzerrungen der Alltagsmobilität zu vermeiden. Abbildung 2 zeigt die Entwicklung der zurückgelegten Kilometer (in allen Verkehrsmitteln) abhängig vom Alter bei Frauen. Hierbei stechen drei Dinge ins Auge:

  • Der Verlauf ist 2002 ziemlich ähnlich wie 1982, nur das Niveau ist durchweg höher
  • Mit der Volljährigkeit (und somit dem Führerschein) tritt ein schroffer Anstieg der Mobilitätsnachfrage ein
  • Bereits ab Mitte 20 sinkt die durchschnittliche Mobilitätsnachfrage jedoch wieder.

Abbildungen „Verkehrsleistung pro Person und Tag - Männer und Frauen“

Bei Männern zeigt sich ein anderer Verlauf der Mobilitätsentwicklung: Während auch hier zur Volljährigkeit ein starker Sprung zu beobachten ist, bleibt die Mobilitätsnachfrage bis jenseits der 50 auf einem hohen Niveau und beginnt erst dann zu sinken. Auffallend außerdem: Die Kurven von 1982 und 2002 liegen nicht sonderlich weit auseinander, in einzelnen Altersklassen lag in den achtziger Jahren die Nachfrage sogar oberhalb der Kurve für 2002.

Als weitere Vergleichsgröße bietet sich die Zahl der Wege an, unabhängig von ihrer Länge. Während auch hier leichte biographische Effekte beobachtet werden können, so ist die Wegezahl doch deutlich schwächer beeinflusst von Untersuchungsjahr, Alter und Geschlecht. Die Varianz der zurückgelegten Kilometer erklärt sich somit vor allem durch unterschiedliche Weglängen.

Führerscheinerwerb und Rentenalter

Zum Abschluss sollen zwei Ereignisse näher beleuchtet werden, welche bei Betrachtung der Abbildung 2 und Abbildung 3 anscheinend großen Einfluss auf die Verkehrsnachfrage haben: Führerscheinerwerb und Rentenalter. Dazu wird das Deutsche Mobilitätspanel untersucht. (5) In dieser Erhebung werden Personen bis zu drei Jahre in Folge befragt; treten zwischen den Befragungen Änderungen ein, können deren Auswirkungen auf das Verhalten analysiert werden. Im Datensatz von 1994 – 2004 können insgesamt 101 Personen identifiziert werden, welche zwischen zwei Jahren den Führerschein bestehen, ebenso viele gehen zwischen zwei Jahren in Rente.

Der Führerscheinerwerb geht dabei einher mit einer deutlichen Steigerung der Mobilität: Die Probanden legen durchschnittlich rund fünf Kilometer pro Tag mehr zurück, die PKW-Nutzung steigt sogar um rund 12 Kilometer pro Person und Tag. Mit dem neuen Führerschein sind die Probanden also nicht nur mehr unterwegs, sie verlagern auch massiv von anderen Verkehrsmitteln aufs Auto.

Nicht so deutlich sind dagegen die Effekte bei Renteneintritt: Der Rückgang der gesamten Mobilität liegt lediglich bei gut 2 Kilometer pro Tag, er ist ferner nicht „signifikant“, kann also statistisch nicht von Zufallsschwankungen unterschieden werden. Es kann jedoch ein moderater und signifikanter Rückgang der PKW-Nutzung festgestellt werden: Neu-Rentner legen durchschnittlich 4 Kilometer pro Person und Tag weniger mit dem Auto zurück.

Hirtz hat am Institut für Verkehrswesen zum Renteneintritt weitere Untersuchungen vermittels der Daten des Deutschen Mobilitätspanels durchgeführt und unter anderem festgestellt: Die Verhaltensänderung hängt signifikant vom Alter bei Renteneintritt und dem Umfang der Erwerbstätigkeit ab, nicht jedoch vom Geschlecht. Im Laufe der Rente scheint es eine Art nachgelagerten Effekt der Mobilitätsabnahme zu geben, so geht die Verkehrsnachfrage deutlich zurück, wenn z.B. der Partner stirbt.(6)

Zusammenfassung und Ausblick

In einer alternden Gesellschaft bietet das Verständnis der Verkehrsnachfrage über ein Menschenleben („Mobilitätsbiographie“) Vorteile für die Prognose zukünftiger Entwicklungen der Verkehrsnachfrage. Auffallend sind vor allem zwei Effekte: Der starke Anstieg der zurückgelegten Kilometer beim Führerscheinerwerb sowie der Rückgang ab einem bestimmten Alter – bei Frauen anscheinend deutlich früher als bei Männern. Dieser Rückgang findet nicht notwendig zeitgleich mit Renteneintritt statt, sondern ist häufig nachgelagert. Deutlich unabhängiger von Alter, Geschlecht und Beobachtungsjahr ist die Zahl der zurückgelegten Wege.

Auch wenn die Seniorinnen und Senioren der Zukunft den Führerschein haben, sprechen die Ergebnisse dafür, dass ab einem gewissen Alter gleichwohl die Verkehrsnachfrage zurückgeht. In einer alternden und schrumpfenden Gesellschaft scheint es somit wahrscheinlich, dass die Verkehrsleistung schon mittelfristig eher zurückgeht als steigt.

Quellennachweise:

  1. Statistisches Bundesamt (2003): Bevölkerung Deutschlands bis 2050. 10. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung. Wiesbaden.
  2. Für eine detaillierte Diskussion des Begriffs „Mobilitätsbiographien“ siehe zum Beispiel Lanzendorf, M. (2003): Mobility Biographies. A new perspective for understandig travel behaviour. IATBR Konferenz, Luzern
  3. www.KONTIV2002.de
  4. Siehe dazu z.B.: Flexibilität bestimmt Motorisierung. Shell PKW-Szenarien bis 2030. Shell Deutschland Oil, 2004.
  5. www.mobilitaetspanel.de
  6. Hirtz, G. (2006): Einfluss biographischer Ereignisse auf das Mobilitätsverhalten. Diplomarbeit am Institut für Verkehrswesen, Karlsruhe.

 

Dieser Artikel von Peter Ottmann ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 2/2007, erschienen.

Einzelhefte von mobilogisch! können Sie in unserem Online-Shop in der Rubrik Zeitschrift bestellen.

Die demografische Entwicklung ist ein aktuelles Thema, ihre Auswirkungen auf die zukünftige Verkehrsmittelwahl wird derzeit allenfalls in Fachkreisen diskutiert:

Es folgen Beiträge, die sich damit beschäftigen, welche Ansprüche sich aus einer alternden Gesellschaft für die Stadt- und Verkehrsplanung ergeben:

Mobil bleiben bis ins hohe Alter bedeutet mehr Verkehrssicherheit durch Infrastrukturmaßnahmen, Verhaltensanpassungen und durch Beweglichkeit und Gesundheit:

Folgende Beiträge sollen Menschen im Un-Ruhestand ermuntern:

Hier finden Sie weiterführende Literatur:

Wie mit einfachen Mitteln die Mobilität älterer Menschen erleichtert werden kann

Gegenwärtig sind ältere Menschen auf der Suche nach neuen Wohnformen und Wohnstandorten. Ein wichtiges Kriterium bei der Wohnungswahl ist die Erreichbarkeit von Einrichtungen, Geschäften und auch Grünanlagen. Das “Wohnen im Grünen” hat demgegenüber an Attraktivität verloren, da es zumeist zur tagtäglichen Versorgung mit weiten Wegen verbunden ist. Der Blick nur ins “Grüne” ist für ältere Menschen auf Dauer langweilig.

Am Beispiel der Umgebung der Seniorenwohnanlage “Haus im Viertel” in Bremen-Steintor ist untersucht worden, welche Verkehrsbedingungen die Bewohnerinnen und Bewohner der Seniorenwohnanlage vorfinden, was sich bereits zum Positiven verändert hat und welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, damit sich Senioren sicher und umwegefrei in der Stadt fortbewegen können, mit und ohne Rollstuhl.

Verkehrssituation

Der fließende Autoverkehr im Wohnstraßenbereich ist für Senioren kein Problem, da dank der Einführung der Tempo 30-Zonen in diesem Bereich sehr langsam gefahren wird.

Die Bürgersteige sind im Prinzip frei, wenn man von Mülltonnen an bestimmten Tagen und parkenden Fahrrädern einmal absieht. Beidseitiges Parken (aufgesetzt auf den Bürgersteigen) wurde in den schmalen Wohnstraßen vor Jahren durch Poller unterbunden; in diesen Straßen wird heute einseitig geparkt, und zwar auf der Fahrbahn.

Der Pkw-Besatz pro Einwohner ist im Jahr 2004 im Steintor mit 329/ 1.000 Einwohnern relativ gering. Der Bremer Durchschnitt liegt bei 442/ 1.000. Dennoch ist der Parkdruck im eng bebauten Steintor noch zu hoch. Geparkt wird häufig in den Kreuzungsbereichen, was für Rollstuhlfahrer bedeutet, dass sie nicht über die Straße kommen, auch wenn die Bordsteine hier abgesenkt sind. Wegen der hohen Bordsteinkante ist auf den übrigen Gehwegstrecken das Queren für Rollstuhlfahrer nur an Ausfahrten möglich, vorausgesetzt, hier wird nicht geparkt.

Kopfsteine & Radfahrer

Ein großes Problem für Senioren sind die Radfahrer auf den Gehwegen, auch wenn sie sich – wie in der Hauptgeschäftsstraße - legal auf so genannten “Bordsteinradwegen” fortbewegen. Senioren werden durch Radfahrer häufig erschreckt und verunsichert.

Das Kopfsteinpflaster auf der Fahrbahn ist für Radfahrer unbequem und bei Regenwetter auch gefährlich; deswegen weichen Radfahrer häufig auf die Gehwege aus und verunsichern damit ältere Menschen.

Das Kopfsteinpflaster hat weitere Nachteile für Senioren: Beim Überqueren der Fahrbahn sind die Unebenheiten des Kopfsteinpflasters Stolperfallen, darüber hinaus können die Räder von Rollstuhl und Rollator in den breiten Fugen hängen bleiben.

Falsch parken

Das illegale Parken ist eines der Hauptprobleme für Senioren: Ein einziger falsch parkender Pkw im Verlauf einer Straße genügt, um die ganze Straße für Rollstuhlfahrer unpassierbar zu machen. Es gibt Straßen, die für Senioren, auch wenn sie nicht auf den Rollstuhl angewiesen sind, regelrecht “abgeschrieben” sind: “Da gehen wir nicht, da kommen wir nicht durch”. Kämen Autos nicht durch, würde der Abschleppdienst anrücken!

Parkende Fahrräder auf den Gehwegen sind für Senioren ebenfalls problematisch, vor allem für Blinde, die zur Orientierung mit dem Stock freie Zaun- und Mauersockel benötigen.

Im Steintor gibt es nur wenige Bänke bzw. sie sind nicht gleichmäßig genug verteilt. Trotz all dieser Hindernisse, die jüngere Menschen nicht stört – sie kennen es nicht anders -, sind im Steintor viele Menschen zu Fuß unterwegs. Es gehört zur Tradition der Viertelbewohner, vor allem am Samstagvormittag, auf der Geschäftsstraße zu promenieren und auf den Märkten einzukaufen. Man sieht und wird gesehen, man bleibt stehen, um einen alten Bekannten zu begrüßen und ein paar Worte zu wechseln. Die vielen Cafés bieten Gelegenheit, eine längere Unterhaltung sitzend fortzuführen. Der Fußverkehr ist die Stärke des Viertels. Er trägt wesentlich zur Belebung des Viertels bei und auch zur Sicherheit selbst in den Abendstunden. Und genau diese Quirligkeit wird auch von älteren Menschen geschätzt, da sie ihnen Gelegenheit gibt, mit anderen Menschen spontan in Kontakt zu treten.

Was ist zu tun?

Angesichts der relativen Zunahme der Menschen über 60 ist es notwendig, den öffentlichen Raum auf Hindernisse zu untersuchen, die ältere Menschen daran hindern, jeden Tag vor die Tür zu gehen. Der tägliche Weg im Freien ist für ältere Menschen besonders wichtig. Ein Spaziergang gliedert den Tag, ist der Gesundheit zuträglich und bietet die Möglichkeit, soziale Kontakte zu pflegen und/oder aufzubauen.

Der Kfz-Parkverkehr im öffentlichen Raum ist im Laufe der letzten 10 Jahre nahezu halbiert worden. Das hat die Attraktivität des Viertels nicht gemindert; die seit Jahren gleich bleibende Bevölkerungszahl und das im Vergleich zu Bremen geringe Durchschnittsalter der Bevölkerung im Steintor lassen diesen Rückschluss zu.

Es ist sinnvoller, die Alternativen zur Pkw-Benutzung zu stärken als nach zusätzlichem Parkraum Ausschau zu halten, der mit hohen Kosten für die Stadt verbunden ist. Für Menschen, die in der Stadt wohnen und arbeiten und weniger als 10.000 km im Jahr fahren, ist die Benutzung eines CarSharing-Fahrzeuges günstiger als die Haltung eines privaten Pkws.

Das Viertel ist mit ÖPNV optimal erschlossen. Der ÖPNV sollte stärker beworben werden.

Der gegenwärtige Fahrbahnbelag aus Großsteinpflaster ist für Radfahrer und Rollstuhlfahrer ungeeignet. Die Rollgeräusche der Autos sind hier weit höher als auf Asphalt – auch das spricht gegen das Kopfsteinpflaster. Bei aller Ästhetik des Großpflasters (wenn es neu verlegt worden ist!) sollte bedacht werden, dass diese sich im Allgemeinen nicht dem Fußgänger auf dem Gehweg erschließt - parkende Autos versperren die Sicht darauf! Kopfsteinpflaster sollte eher die Ausnahme sein als die Regel – auch im Viertel!

Um das Fahrradparken auf den Gehwegen abzubauen, müssen mehr Fahrradparkplätze geschaffen werden. Es ist zu empfehlen, mehr Fahrradbügel im Bereich der Parkstreifen einzubauen, auch in den Wohnstraßen.

In der Hauptgeschäftsstraße ist darauf zu achten, Schautafeln durch attraktive Schaufenstergestaltung zu kompensieren. Tische und Stühle auf den Gehwegen sind eine Bereicherung hinsichtlich der Lebendigkeit des Viertels, und bisher wird dadurch der Fußverkehr nicht sonderlich behindert. Es ist darauf zu achten, dass das auch so bleibt.

Die Gehwegflächen der Nebenstraßen sind zu sanieren und von störendem Grün zu befreien. Auch wenn Bänke im Verruf stehen, vermehrt von Jugendlichen und “Nicht-Sesshaften” aufgesucht zu werden - Jugendliche und Obdachlose dürfen nicht aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden. Je integrierter sie sich fühlen, desto eher werden sie bereit sein, auf nachbarschaftliche Belange Rücksicht zu nehmen. Je mehr Sitzgelegenheiten es gibt, desto besser verteilen sich diese Personengruppen, die möglichen “Störungen” verringern sich insgesamt.

Zum Service für Fußgänger zählt auch, dass öffentliche Toiletten in ausreichender Menge vorhanden sind. Sie fehlen im Steintor. In Verden haben Stadt und Gastronomie eine für beide Seiten nützliche Vereinbarung getroffen: Einige gastronomische Betriebe stellen ihre Toiletten der Öffentlichkeit zu Verfügung, die Stadt bezahlt die Reinigung. Dieses Modell ist auch für Bremen wünschenswert.

Zusätzliche Verbesserung: Schaffung eines Wegenetzes

Die Straßen im Viertel sind gut vernetzt, es gibt keine Sackgassen. Lediglich die Hauptverkehrsstraßen sind für Fußgänger Barrieren, da sie das enge Wegenetz der Fußgänger zerschneiden. Dieser Mangel lässt sich durch mehr Querungsanlagen beheben, die so beschaffen sein können, dass sie den Verkehrsfluss kaum beeinträchtigen.

In Deutschland sind die Zebrastreifen seit den 60er Jahren nach und nach abgeschafft worden. In allen anderen europäischen Ländern haben sich die Fußgängerüberwege (Zebrastreifen) bewährt und erhalten.

Die Wiedereinführung der Zebrastreifen wird durch eine Richtlinie (1) aus dem Jahr 2001 erleichtert. Dort werden Zebrastreifen zum Schutz der Fußgänger ausdrücklich empfohlen. Diese Richtlinie ist vom Land Bremen übernommen worden. Rechtlich ist es also möglich, überall dort Zebrastreifen anzulegen, wo es für notwendig erachtet wird. Dies gilt auch für Bundesstraßen und Straßen mit Schienenverkehr. Straßenbahnen sind gegenüber querungswilligen Fußgängern grundsätzlich bevorrechtigt, auch an Zebrastreifen.

Es ist wissenschaftlich widerlegt, dass Zebrastreifen besonders unsicher sind. Entscheidend für die Sicherheit von Fußgängern ist die Aufmerksamkeit der Autofahrer, und diese kann u.a. durch die Menge der Querungshilfen erhöht werden.

Zu einer Verbesserung des Wegenetzes für Rollstuhlfahrer gehört darüber hinaus, dass nicht nur an den Kreuzungen, sondern an allen Straßen jeweils gegenüber der Einmündung von Nebenstraßen die Bordsteine abgesenkt und von parkenden Autos freigehalten sind.

Bereits Erreichtes weiterentwickeln

Der Beirat Mitte/Östliche Vorstadt in Bremen hat in den letzten 10 Jahren viel für die Bewegungsfreiheit der Fußgänger getan. Dazu zählt das Verkehrszellenkonzept, die Unterstützung von CarSharing, die Befürwortung von Pollern gegen aufgesetzt parkende Autos, die Bemühung um Absenkung vieler Bordsteine und vor allem der Einsatz für eine Verbreiterung der Bürgersteige in der Hauptgeschäftsstraße. Das alles war mit vielen Auseinandersetzungen und Diskussionen verbunden, einem demokratischen Prozess der Willensbildung also.

Was jetzt im Untersuchungsgebiet zur Mobilitätsförderung älterer Menschen noch fehlt, sind im Vergleich zum bereits Erreichten kleine Maßnahmen mit großem Nutzen auch für all jene, die sich im Prinzip gerne in der Stadt zu Fuß fortbewegen, um etwas zu erleben, sich zu orten und bis ins hohe Alter fit zu halten.

Weitere Informationen:

  1. Zu diesem Thema ist die folgende 18-seitige Broschüre erschienen:
    Gekaplan, Dipl. Ing. Angelika Schlansky (Verf.), FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland (Hrsg.): Wege der Älteren in der Stadt, Empfehlungen zur Erleichterung der Mobilität älterer Menschen im öffentlichen Raum – am Beispiel Bremen-Steintor, Oktober 2005, als PDF
  2. Richtlinien für die Ausstattung von Fußgängerüberwegen (R-FGÜ 2001) Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen, Bonn 2001

 

Dieser Artikel von Angelika Schlansky ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 1/2006, erschienen.

Einzelhefte von mobilogisch! können Sie in unserem Online-Shop in der Rubrik Zeitschrift bestellen.

Ältere Menschen rücken im Zusammenhang mit der Verkehrssicherheitsarbeit in Deutschland immer mehr in den Vordergrund. Die Folgen von Straßenverkehrsunfällen mit Beteiligung von Senioren werden von Unfallforschern als „alarmierend“ bezeichnet. Allerdings ist die ältere Generation zum einen im Gegensatz zur Zielgruppe Kinder nicht mehr über eine Pflicht-Institution (Kindergarten, Schule) anzusprechen, zum anderen will sie in der Regel zum Thema Verkehrssicherheit auch nicht gerne Ratschläge annehmen. Die Aussage „Ich hatte noch nie einen Unfall“ wird zum schlagenden Argument und möglicherweise bei fehlender Aufmerksamkeit über die eigene körperliche Entwicklung zur Falle. FUSS e.V. hat mit www.senioren-sicher-mobil.de eine neue Website ins Netz gestellt, in der herausgearbeitet wird, dass Verkehrssicherheitsarbeit zukünftig inhaltlich und auch organisatorisch breiter aufgestellt werden muss.

Neben den Kindern gehören ältere Menschen zu den am stärksten betroffenen Opfern von Verkehrsunfällen. Im Jahr 2008 waren etwa 20 % der Einwohner in Deutschland 65 Jahre alt oder älter; dagegen waren knapp ein Viertel aller getöteten VerkehrsteilnehmerInnen, über die Hälfte der getöteten FußgängerInnen sowie die Hälfte der getöteten RadfahrerInnen im Seniorenalter. Seit 1996 steigt die Verunglückten-Zahl im Vergleich zum gesamten Unfallgeschehen überproportional an. Die demografische Entwicklung ist bekannt. Wenn jetzt nicht intensiv gegengesteuert wird, könnte die Zahl der Straßenverkehrsopfer wieder zunehmen, obwohl die europäischen Staaten sich zum Ziel gesetzt haben, von 2010 bis 2020 die Zahl der Verkehrstoten in Europa zu halbieren.

Stolperstein: „Gesundheit“

Auch deshalb hat der Fachverband Fußverkehr Deutschland FUSS e.V. im Jahr 2010 von der Verkehrslenkung Berlin (VLB) der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin den Auftrag bekommen, die gemeinsame Website der Unterzeichner der Berliner Charta für die Verkehrs­sicherheit www.berlin-sicher-mobil.de durch Angebote und Hintergrundinformationen im Bereich der Senioren-Verkehrssicherheitsarbeit anzureichern. Dies erst, nachdem der Verband den „Stolperstein“ überwand und dazu bereit war, im Förderantrag aus der Formulierung „Verkehrssicherheit, Gesundheit und Mobilität bis ins hohe Alter“ den Begriff „Gesundheit“ herauszunehmen. Dies sei nicht Aufgabe der Stadtentwicklung, sondern die der Senatsverwaltung für Gesundheit.

Interessanterweise kamen aufgrund der Nachfragen insbesondere aus den Bezirksverwaltungen Hinweise zur Gesunderhaltung und zu Bewegungs­trainings als Angebote zur Verbesserung der Verkehrssicherheit von älteren Menschen. Aufgenommen wurde davon in der gemeinsamen Website bisher nichts, es wird allerdings auf die Informationen auf der Website www.senioren-sicher-mobil.de hingewiesen, die allein in der Verantwortung des FUSS e.V. liegt. Dies soll hier nicht „nachtragend“ notiert sein, sondern beispielhaft aufzeigen, dass es immer auch eine Aufgabe von Verbänden sein muss, themenübergreifende Verknüpfungen herzustellen, wenn Verwaltungen die Hände gebunden sind oder es auch nur gefühlte Probleme mit einer die Verwaltungsgrenzen überschreitenden Herangehens­weise gibt.

Aus der Mitte Juli 2011 vom Berliner Senat verabschiedeten „Fußverkehrsstrategie für Berlin“ wird hervorgehen, dass das Gehen die Gesundheit verbessert, nicht aber, dass die Gesunderhaltung eine der Grundlagen ist, im Straßenverkehr zu überleben - es sei denn, man bewertet die Aussage „sichert die Mobilität bis ins hohe Alter“ auch als eine Verkehrssicherheitsaussage. Insgesamt sind das vage Andeutungen, die kaum dazu führen werden, bei Verkehrssicherheitskonzepten z.B. das Thema Erhalt der Beweglichkeit als ein echtes Standbein einzufügen. Es scheint mitunter so, als ob die Begriffe „Verkehrssicherheit“ und „Gesundheit“ verwaltungstechnisch bedingt aus zwei Welten sind. Das ist insbesondere im Hinblick auf die ältere Generation absurd.

Der Konflikt ist formalistisch, weil wohl niemand daran zweifelt: Ein Mensch mit Problemen bei der Überwindung von Kanten und Stufen, wie z.B. an Bordsteinkanten, ist deutlich mehr gefährdet im Straßenverkehr als ein Mensch, der darüber überhaupt nicht nachdenkt und durch seine Laufbewegung tatsächlich fast immer am Bordstein so ankommt, dass kein Zwischenschritt notwendig ist. (Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht? Nein, gut so. Dann gehören Sie noch zu den Menschen, bei denen es mit automatischer Steuerung funktioniert.)

Durch Bewegung Mobilität erhalten

Im bundesdeutschen Rahmen stehen nicht nur „harte“ Maßnahmen wie technische Weiterentwicklungen am Fahrzeug und Verbesserungen der Infrastruktur im Fokus der Anstrengungen, sondern vor allem Gesundheit, Ernährung und Bewegung. Zur Förderung dieser Faktoren für Mobilität hat sich das Bundesministerium für Gesundheit bereits 2007 im Eckpunktepapier „Gesunde Ernährung und Bewegung – Schlüssel für mehr Lebensqualität“ positioniert. Dort heißt es:

„Im Alltag der Menschen, im Wohnum­feld, am Arbeitsplatz, in Kindergärten und Schu­len oder in Seniorenheimen, müssen ausreichend attraktive Bewegungsmöglichkeiten vorhanden sein. Das Wohnumfeld muss so gestal­tet sein, dass es genügend Bewegungsanreize schafft. Dazu zählen abwechslungsreiche Spiel­plätze, sichere und reizvolle Fuß- und Fahrrad­wege, wohnortnahe Einkaufsmöglichkeiten und attraktive Parks. Auch müssen Sport- und ande­re Bewegungsangebote leicht erreichbar sein.“

Eines der zentralen Ziele ist es, „bis 2010 … das Bewegungsverhalten nachhaltig zu verbessern.“ Im Eckpunktepapier steht allerdings nicht, dass diese Maßnahmen auch zur Erhöhung der „Verkehrssicherheit“ beitragen würden, weil das Ministerium mit einer solchen Wortwahl wohl beim zuständigen Bundesminister für Verkehr anecken würde.

Übrigens: Im Rahmen der Kampagne „IN FORM – Deutschlands Initiative für gesunde Ernährung und mehr Bewegung“ wird deutlich hervorgehoben, dass „Strukturen geschaffen [werden müssen] die es Menschen ermöglichen, einen gesundheitsförderlichen Lebensstil zu führen.“ Bedauerlicherweise sind die Träger, das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und das Ministerium für Gesundheit für Infrastrukturmaßnahmen, nicht zuständig. Vom Verkehrsministerium BMVBS ist nicht bekannt, ob sie Kommunen in Vorhaben unterstützen, diese Strukturen zu schaffen.

Verkehrssicherheitsberatung durch Ärzte

Im Oktober 2010 legte nun der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung in seiner Stellungnahme ein Gesamtkonzept zur Erhöhung der Straßenverkehrssicherheit in Deutschland vor. Im Hinblick auf die zunehmende Teilnahme älterer Kraftfahrerinnen und Kraftfahrer im Straßenverkehr wird darin ausgeführt:

„Da der Alterungsprozess sehr individuell verläuft und Defizite durch Erfahrung und Anpassung des Verkehrsverhaltens kompensiert werden können, andererseits jedoch die Einsicht in zurückgehende Leistungsmöglichkeiten im Alter vielfach schwerfällt, ist eine zielgruppengerechte und persönliche Beratung von zentraler Bedeu­tung. Älteren Kraftfahrern sollten Anreize gegeben werden zur verstärkten Prüfung ihrer Leistungsfähigkeiten. Gestärkt werden sollte die Rolle der Ärzte in der Verkehrssicherheitsberatung Älterer, da sie von den Senioren als kompetente und vertrauenswürdige Ansprechpartner geschätzt werden.“ Auch hier wird also im Zusammenhang mit der Verkehrssicherheitsarbeit nicht der Begriff „Gesundheit“ verwendet, aber immerhin mit den Ärzten der Gesundheitssektor angesprochen.

Übrigens: Diese Verknüpfung reifte im Zusammenhang mit der Erarbeitung des „Weißbuches zur Straßenverkehrssicherheit 2011-2020“ der Europäischen Kommission, weil dort die deutsche Bundesregierung die Abgabe des Führerscheins aus Altersgründen verhindern wollte. Die Einbindung des Gesundheitssektors in die Verkehrssicherheitsberatung war also nicht als allgemeine und logische Verknüpfung gedacht, sondern als weicher Kompromiss für eine ganz individuelle Entscheidung über die eigene Verkehrstüchtigkeit.

Themenverknüpfung notwendig

Aufgrund der eklatanten Zunahme der weltweit im Straßenverkehr getöteten Menschen (2004: 1,27 Mio., Prognose 2030: 2,4 Mio. Straßenverkehrstote pro Jahr) schlug die Weltgesundheitsorganisation der UN (WHO) 2009 „in einem weiter greifenden Ansatz die Koordination der Verkehrsunfallverhütung mit der Verletzungs- und Schadensprävention in anderen Lebensbereichen […] vor.“ (z.B. Community Safety-Programme). Wesentlich ist bei diesem Ansatz die Kooperation mit Institutionen des Gesundheitswesens. Im Dezember 2009 wurde z.B. das Land Brandenburg als erstes deutsches Bundesland als Mitglied des internationalen Netzwerkes der „Safe Communities“ (Sichere Gemeinden) der Weltgesundheitsorganisation WHO zertifiziert, in dem auch der FUSS e.V. mit Verkehrssicherheits-Projekten integriert ist (vgl. Meldung in der mobilogisch 1-10).

Mindestens ein „E“ zu wenig

Im Alter zwischen 50 und 60 Jahren verdrängen oder erkennen die meisten Menschen ihre ersten Anzeichen körperlicher Alterungsprozesse deutlicher, als dies in den Lebensjahren davor war. Häufig beginnt das mit dem Nachlassen der Seh- (z.B. im Nahbereich, Blendempfindlichkeit, etc.) oder Hörfähigkeit (z.B. Probleme mit der Trennung gleichzeitiger unterschied­licher Geräuschquellen). Auch ermüden Körper schneller und die Aufmerksamkeit lässt eher nach. Mit Hilfsmitteln (Lesebrille, Hörgerät, Gehhilfen, Veränderungen am Fahrzeug) oder Verhaltensänderungen (z.B. weniger bei Dunkelheit unterwegs, bedächtigere Geschwindigkeiten, usw.) lassen sich viele dieser ganz natürlichen Veränderungen ausgleichen. Durch mehr Bewegung in der Freizeit und im Alltag (z.B. Treppen steigen, zu Fuß gehen, Fahrrad fahren) kann diese Entwicklung entschleunigt (Prävention) oder teilweise sogar rückgängig gemacht (Therapie) werden.

Diese Zusammenhänge werden auch in der zur Verminderung oder Behebung von Sicherheitsmängeln in allen Lebens- und Arbeitsbereichen verwendeten sogenannten „3-E-Formel“ weitgehend ausgeblendet:

  • Planerische und technische Maßnahmen (engineering),
  • legislative Maßnahmen, Kontrolle und Überwachung (enforcement) und
  • erzieherische und kommunikative Maßnahmen (education).

Wenn ich das richtig sehe, ist es u.a. Bernhard Schlag (Verkehrspsychologe TU Dresden) zu verdanken, mit den zusätzlichen Begriffen

  • Anreizsysteme (encouragement) und
  • Kosten (economy)

die Formel auf die „5-E der Verkehrssicherheitsarbeit“ erweitert zu haben. Die beiden „E“s waren zwar zusammen gefasst, aber da „Anreiz“ und „Kosten“ wie Zuckerbrot und Peitsche sind, sollen sie hier auch getrennt erscheinen. Mit diesen Begriffen wurde anerkannt, dass die Verkehrsmittelwahl einen entscheidenden Einfluss auf die Verkehrssicherheit hat und das zum Umsteigen auf den verkehrssicheren Umweltverbund motiviert werden kann.

Die Begriffserweiterung wird sich wahrscheinlich in unserer Generation nicht mehr durchsetzen, weil so etwas seine Zeit braucht und weil die Werbebranche uns erzählt, dass 3 Begriffe das Optimum sind, auf die man alles in dieser Welt zusammenfassen können muss (siehe „quadratisch. praktisch. gut“). Und dennoch wurde der Erhalt der Beweglichkeit und Gesundheit durch die Verkehrsteilnehmer selbst bisher nicht als „Maßnahme“ aufgenommen, weil die Bürger allenfalls als Zielgruppe, aber kaum als eigenständig handelnde Wesen betrachtet werden. Darüber hinaus fand sich vielleicht auch kein weiteres „E“, denn selbstverständlich muss auch dies in englisch ausdrückbar sein. Dazu fand ich den Satz „A bit of exercise will do you good“ (Etwas Bewegung wird dir gut tun.) und spätestens damit wird die „6-E-Formel für die Verkehrssicherheit“ in die Geschichte eingehen mit zusätzlich:

  • Körperliche Betätigung, Bewegung (exercise).

Damit ist möglicherweise ein ernsthaftes Versäumnis bisheriger Verkehrssicherheitsstrategien zu beseitigen.

Wer bis ins hohe Alter mobil sein, sowie Eigen­unfälle (Stürze) und Straßenverkehrsunfälle ver­meiden möchte, sollte sich über die relevanten Verkehrsregeln für das möglichst konfliktfreie Miteinander informieren, einige Verhaltens-Tipps beherzigen, welche für die an sich selbst festgestellten Veränderungen relevant sind und gleichzeitig möglichst viel dazu beitragen, um körperlich und geistig fit zu bleiben. In den gewonnenen Jahren sollte man die Verantwortlichen bedrängen, die beiden anderen „E“s umzusetzen, d.h. sichere Infrastrukturen zu schaffen und die Einhaltung der Sicherheitsregeln auch durchzusetzen.

Fazit

In der Medienberichterstattung über Verkehrsunfallfolgen ist es nach wie vor verpönt, darüber zu sprechen oder zu schreiben, dass die Betroffenen damit ihre Gesundheit eingebüßt haben, also krank sind (sie wurden „verletzt“ oder „schwerverletzt“) oder gar tot („sie erlagen ihren Verletzungen“). Allenfalls in der wissenschaftlichen Literatur findet man Hinweise und Belege dafür, dass die Verkehrsunfallfolgen unser Gesundheitssystem ganz beträchtlich belasten. Dennoch hat die Verkehrssicherheitspolitik in der öffentlichen Diskussion offenbar recht wenig mit der Gesundheitspolitik zu tun; die Themen sind politisch, verwaltungsmäßig und auch von den Programmen her weitestgehend getrennt. Das ist nicht nachvollziehbar und fatal, insbesondere dann, wenn man sich Gedanken über die Verkehrssicherheitsarbeit macht und dabei die Bemühungen der Gesundheitsprävention nicht einbezieht.

Dabei ist das Risiko, an einem Unfall beteiligt zu sein, ganz entscheidend von dem physischen und psychischen Zustand der Unfallbeteiligten abhängig. Den Verkehrsteilnehmern wird zwar empfohlen, den Beipackzettel ihrer Medikamente genau zu lesen, ob sie aber fit sind und sich fit halten, wird nicht gefragt. Die Bewegung als eine der wesentlichen Beiträge zur Gesundheits-Prävention wird in der Regel zur Vorbeugung von Krankheiten, zur Verminderung der Sturzgefahr oder gegen die Fettleibigkeit empfohlen, nicht aber auch als ein Beitrag zur Minderung des Risikos, an einem Verkehrsunfall beteiligt zu sein. So wird auf der einen Seite ein Vortrag über die Gefahren im Straßenverkehr, bei dem die Zuhörerinnen und Zuhörer sitzen, Kaffee trinken und Kuchen essen als Verkehrs­sicherheitsarbeit angesehen. Auf der anderen Seite aber zum Beispiel nicht die Gymnastik, die letztlich dazu führen kann, dass ein älterer Mensch im Stande ist, seinen Kopf so zu wenden, dass er später am Straßenrand stehend in Blickkontakt mit den Fahrerinnen und Fahrern des rollenden Verkehrs treten kann.

In Kürze

FUSS e.V. liefert mit seiner neuen Website www.senioren-sicher-mobil.de nicht nur eine umfassende Hintergrundinformation, sondern fragt z.B. wie hoch das Verkehrsunfall-Risiko für Senioren ist, ob sie häufiger Unfälle verursachen als anderen Generationen oder welchen Stellenwert die Mobilität für ältere Menschen hat. Da in mobilogisch Infrastrukturmaßnahmen im Sinne aller nichtmotorisierten Verkehrs­teilnehmer ein kontinuierliches Schwerpunktthema sind, wurde in diesem Beitrag die Fragestellung behandelt, ob der Erhalt der Gesundheit und der Beweglichkeit nicht eine zentrale Fragestellung auch im Rahmen der Verkehrssicherheitsarbeit sein müsste.

Info:

www.senioren-sicher-mobil.de erläutert die Begriffe „Senioren“, „Sicherheit“ und Mobilität“ und vermittelt Hintergrundwissen über die Verbesserung der Verkehrssicherheit, den Zusammenhang von Bewegung und Gesundheit mit der eigenen Sicherheit, seniorenfreundliche Infrastrukturmaßnahmen, die Verkehrsmittelwahl, das Verkehrsverhalten älterer Menschen, Verhaltens-Tipps für die Teilnahme am Straßenverkehr sowie eine Auswahl von Projekten und Angeboten für Senioren und Multiplikatoren deutschlandweit und in den Bundesländern.

Die Website bietet eine Zusammenstellung politischer und planerischer Zielvorgaben und Konzepte (Beschlüsse, politisch/strategische Ziele, Verwaltungsrichtlinien, etc.), auf die Sie Ihre Gemeinde, Stadt, Ihr Bundesland oder die Bundesregierung immer wieder hinweisen sollten. Ein Literatur-Register rundet die Informationen ab. Auf der Website finden Sie alle Quellenangaben zu diesem Beitrag.

 

Dieser Artikel von Bernd Herzog-Schlagk ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 3/2011, erschienen.

Einzelhefte von mobilogisch! können Sie in unserem Online-Shop in der Rubrik Zeitschrift bestellen.

„Alt wird man wohl,
wer aber klug?“(1)

Zahlreiche Senioren von heute gehören zu den Pionieren des Kfz-Verkehrs von gestern. Als Überlebende des 2. Weltkrieges haben sie größtenteils die Massenmotorisierung begrüßt und viele, ja sehr viele von ihnen haben schon vorher jede neue Straße voller Freude registriert. Es soll noch heute Menschen unter den Senioren geben, die einem gerade mal 12 Jahre lang regierenden ”Führer” trotz aller scheußlichsten Untaten zugute halten, dass er ”Autobahnen” gebaut hat.

Aber gleich nach dem Wegräumen des Schutts von der Straße ging es auch schon los mit der Totalmobilisierung. Der Slogan ”Freie Fahrt für freie Bürger” war ein Befreiungsakt, das eigene Auto das höchste Glücksgefühl. Mann wollte vergessen und hielt sich am Steuerknüppel fest. Die Frau hatte sich Steine klopfend am Aufbau ausreichend emanzipiert, jetzt wurde sie wieder zur ”Mit”fahrerin.

Betrachtet man die Statistiken der Autofahrer nach der Altersstruktur, ist erkennbar, dass viele Senioren noch heute an dieser ”Freiheit” festhalten, obwohl oder vielleicht auch gerade weil sie nicht mehr richtig gehen, sehen oder hören können; das Autofahren ist für sie selbst immer noch das Sicherste. Auch wegen der vielen Kriminellen und Ausländer, die bei eintretender Dunkelheit sofort zuschlagen würden, wenn man als Senior kein Schutzblech hätte. So sind unsere Senioren. Sind sie so?

Die ältere Generation hat versucht, die Leiden im Krieg und in den Nachkriegszeiten durch Konsum und Auto auszugleichen. Das ist sehr verständlich. Doch muss hinzugefügt werden, dass sie der Fluch der Autobesessenheit nun einholt, so dass sie wiederum die Leidtragenden sind. Eine mehrfach betrogene Generation bekommt die Folgen der Massenmotorisierung zu großen Teilen als Fußgänger zu spüren: Auf den Bürgersteigen ist kein Durchkommen, die Zebrastreifen sind nahezu abgeschafft, die Wege zur nächsten Ampel oder zur Haltestelle sind weit und vor allem, das Queren der Straße ist gefährlich, lebensgefährlich.

Da hilft der Hinweis nur wenig weiter, dass die Menschen im Alter von 65 Jahren aufwärts rein statistisch bei den Verkehrsverletzten unterrepräsentiert und beim Anteil der Verkehrstoten mit ca. 16 % fast genau mit ihrem Bevölkerungsanteil betroffen sind. (2) Wieso sollte sich auch eine ängstliche 80jährige Frau beim Versuch einer Fahrbahnquerung dafür interessieren, dass der vor Lebenskraft nur so sprühende 30jährige Lenker des Motorrades ein dreimal so hohes Todesrisiko hat? (3)

Auf die Gefahren des Straßenverkehrs, auf Barrieren und Beschwernisse reagieren ältere Menschen in der Regel mit dem Rückzug. Die Tatsache, dass die Verkehrsteilnahme im Alter sehr stark abnimmt, lässt die Risikobetrachtungen in einem ganz anderen Licht erscheinen:

Das Fußgänger-Unfallrisiko der erwachsenen deutschen Wohnbevölkerung nimmt etwa bis zum 65. Lebensjahr kontinuierlich ab, steigt etwa bis zum 75. Lebensjahr wieder an und nimmt dann für Menschen im Alter von über 75 Jahren erschreckende Höchstwerte an.

Bezogen auf die Einwohnerzahl der Altersgruppe steigt die Zahl der Verunglückten etwa ab dem 65. Lebensjahr auf das Doppelte. Viel dramatischer ist die Entwicklung bei der Zahl der Verunglückten, bezogen auf die Zeit der Verkehrsteilnahme. Als Fußgänger gehören ältere Menschen ab 65 Jahren zu den am stärksten unfallgefährdeten Verkehrsteilnehmern. Die Angst dieser Generation vor einem Verkehrsunfall ist also mehr als berechtigt.

Etwa 35.000 Menschen im Alter ab 65 Jahren verunglücken jährlich im Straßenverkehr. In den Mobilitäts-Tageszeiten älterer Menschen wird ca. alle 10 Minuten in Deutschland ein Mensch ab 65 verletzt oder getötet. Warum gibt es keinen Aufschrei, dass es so nicht weitergehen darf?

Die Verminderung der Kraftfahrzeug-Geschwindigkeiten im Stadtverkehr und Einschränkungen des Kfz-Verkehrs auf ein stadtverträgliches Maß hätten für ältere Fußgänger große Vorteile:

  • Auf freien Bürgersteigen geht es sich angenehmer und sicherer.
  • Mehr Straßenbahnen und Busse könnten ihnen längere Fußwege abnehmen.
  • Gibt es wieder mehr Geschäfte in der Nachbarschaft, so sind Selbstversorgung und Unabhängigkeit länger möglich.

Wäre das Gehen in unseren Straßen angenehmer, könnten sich vereinsamte Senioren leichter ”unter´s Volk mischen”. Gibt es mehr Fußgänger, können Senioren sich sicherer vor Überfällen fühlen. Sie finden dann auch häufiger Hilfestellungen beim Überqueren der Straße. Sicher lassen sich nicht alle Unannehmlichkeiten des Alters beseitigen. Aber die schöneren Seiten des Alters sind dann eher zu erleben, wenn wir uns öfter ohne Blechpanzer begegnen.

Im Sinne des von den Seniorenverbänden eingebrachten Manifestes ”Schafft den Ruhestand ab!” brauchen wir querdenkende Senioren, die noch unruhig genug sind, um diese Dinge mit anzupacken. Für sich selbst, für ihre Kinder, für die Enkelkinder.

Quellennachweise:

  1. Johann Wolfgang von Goethe: Faust
  2. Verkehr in Zahlen 1998 für das Jahr 1997
  3. vgl. A.F. Fritzsche: Wie gefährlich leben wir? Risikokatalog. Verlag TÜV Rheinland, 1992

 

Dieser Artikel von Angelika Schlansky und Bernd Herzog-Schlagk ist ein Auszug aus der Veröffentlichung: SENIOREN zu FUSS - Aufsätze, Dokumente und Zwischenrufe, FUSS e.V. (Hrsg.), 2000

Die Veröffentlichung „Senioren zu Fuß“ ist bei uns für 4,50 Euro zzgl. Porto zu beziehen. Sie können Sie in unserem Online-Shop in der Rubrik Broschüren > Fußverkehr-Senioren bestellen.