Nach dem es einige Jahre um die ADAC-Kampagne gegen den „Schilderwald“ ruhig blieb, ist sie jetzt von den Medien wieder entdeckt worden. Leider wird in der Berichterstattung diese Kampagne oft in einen inhaltlichen Zusammenhang mit dem neuen Verkehrskonzept „Shared space“ des niederländischen Verkehrsplaners Hans Monderman gebracht. Der hat diese Nachbarschaft aber nicht verdient.
1997 startete der ADAC eine Kampagne, mit der er Kommunen aufforderte, für eine gewisse Zeit möglichst viele Verkehrszeichen zu verdecken, um so zu erproben, welche Schilder tatsächlich nötig seien. Das klingt und klang sehr vernünftig, zumal der ADAC nicht vergaß, Polizei, Straßenverkehrsbehörden und Unfallkommissionen dabei einzubinden.
In diesem Sinne wurde auch im selben Jahr die StVO verändert. Dort taucht nun im Text für die Verkehrsteilnehmer eine Vorschrift für die Verwaltungen auf, dass „Verkehrszeichen... nur dort anzuordnen (sind), wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend geboten ist“. (1) Mit Hilfe dieser Vorschrift kann und konnte viel Gutes bewirkt werden: So mussten viele Kommunen die Benutzungspflichtschilder für schlechte Radwege demontieren, nachdem Radfahrer rechtlich dagegen vorgingen. (2) Vom Aufwand der Schilder kann diese Vorschrift jedoch zweischneidig wirken: Es werden ja nicht nur Gebotsschilder an Radwegen demontiert, sondern stattdessen „Radfahrer frei“- oder andere Zeichen angebracht.
Seit der StVO-Novelle sind viele Behörden sehr vorsichtig bei den Anordnungen für neue Schilder geworden. Konkret beteiligten sich an der Kampagne laut Angaben des ADAC rund 150 Städte und Gemeinden, wobei die mediale Ausstrahlung noch deutlich höher einzuschätzen ist.
Das vom holländischen Verkehrsplaner Hans Monderman in seiner Heimatstadt Drachten bereits umgesetzte Konzept „shared space“ wird nun im Rahmen eines EU-Projekts in mehreren Städten in Europa angewendet (die niedersächsische Kleinstadt Bohmte ist z.B. auch dabei). Shared space verzichtet insbesondere an Kreuzungen auf getrennte Verkehrsflächen, Beschilderung und Ampeln und setzt stattdessen auf „Rechts vor Links“ – oder eine individuelle Lösung: Da die Leute irritiert sind, fahren sie langsamer und einigen sich an den Kreuzungen per Augenkontakt, wer von ihnen Vortritt hat. Das funktioniert: Die Unfallzahlen sind gesunken und die Autos kommen dennoch zügiger durch die Stadt als vorher.
Während shared space als klassische Verkehrsberuhigungsmaßnahme angesehen werden kann, trifft dies auf die „Schilderwald“-Kampagne des ADAC nicht zu. Bei letzterer wird die pauschale Aussage: „Ein Drittel aller Schilder sind überflüssig“ als Zielvorgabe zur Demontage genommen. Im Visier hat der Automobilistenklub bei der Kampagne natürlich seine Klientel, denn diese würden „unter der Schildermenge stöhnen“. (Angeregt dazu werden die Autofahrer natürlich durch die Stimmungsmache des ADAC. Ein perfekter Selbstläufer!)
Gestöhnt wird verständlicherweise nur über Schilder, die einem unangenehme Vorschriften machen, handelt es sich um Service in jedweder Hinsicht, kann man davon selten genug bekommen. So führt der ADAC zwar häufig die 32 Zeichenvarianten an, mit denen das Parken auf Gehwegen geregelt wird. In der Tat sind jedoch nur zwei Prozent der im Rahmen der „Schilderwald“- Kampagne „gefällten“ Verkehrszeichen aus diesem Sortiment. 40-60 Prozent der demontierten Schilder vor Ort sind dagegen Halt- und Parkverbotsschilder. Und diese Anordnungen sollen ja nicht nur andere Verkehrsteilnehmer vor Behinderungen bewahren, sondern haben meist sicherheitsrelevante Beweggründe.
Hätte der ADAC wirklich etwas gegen zu viele Verkehrsschilder, würde er die Abschaffung aller Gehweg-Park-Schilder fordern und stattdessen die klare Vorschrift verlangen: „Das Parken ist auf Gehwegen untersagt“. Ebenso wäre ein generelles Tempo 30 in Kommunen sehr schildersparend, denn dann müssten nur noch die wenigen Ausnahmen per Verkehrszeichen geregelt werden. Solche Lösungen will der ADAC jedoch nicht. Er verlangt sogar nach mehr und größeren Verkehrszeichen: Wegweisungs- und Informationstafeln sollen nach seinem Willen gerne auch mit Übergröße aufgestellt werden. Das jedoch macht den Autoverkehr noch schneller. Ein weiterer wesentlicher Unterschied zu shared space!
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Dieser Artikel von Stefan Lieb ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 4/2006, erschienen.
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Duisburg wertet sein Stadtzentrum auf. Der Fokus auf städtebaulichen Missständen und Potentialen ermöglicht auch die Umsetzung verkehrsbezogener Projekte, die ansonsten kaum Realisierungschancen hätten. Seit 2007 besteht dort der mutigste und interessanteste Anwendungsfall für eine Verkehrsberuhigten Bereich in Deutschland.
Im Rahmen eines Gestaltungswettbewerbs wurde der König-Heinrich-Platz, der Bereich zwischen Fußgängerzone und Theater, unter Einbeziehung der am Platzrand liegenden Landfermannstraße neu gestaltet (vgl. mobilogisch! 01/08). Der Gremienbeschluss, die von ca. 20.000 Kfz/Tag befahrene Hauptverkehrsstraße gestalterisch zu integrieren, wurde von der Verwaltung übertroffen: Sollten ursprünglich Tempo 30 und eine mittig gelegene Fußverkehrsampel eingerichtet werden, wurde stattdessen kurz vor Inbetriebnahme vom Baudezernenten ein Verkehrsberuhigter Bereich (Zeichen 325) angeordnet. Damit hat der Fußverkehr auf ganzer Platzlänge Vorrang vor den Fahrzeugen.
Durch eine Mitteltrennung im Straßenzug treten zwar „nur“ ca. 10.000 Kfz pro Fahrgasse auf. Dennoch handelt es sich um eine Größenordnung, die weit über den Verkehrsmengen der übrigen deutschen Anwendungsfälle liegt – und denen der planerischen Empfehlungen. Juristisch handelt es sich nicht um eine „Fahrbahnteiler“, sondern um den Teil einer Mischfläche. Ausgehend von der eigentlich geplanten Betriebsweise liegt das Platzniveau einige Zentimeter über den gepflasterten Fahrgassen, welche durch Schrägborde abgegrenzt sind. Motivation für den Betrieb als Mischfläche war der Erfolg der niederländischen Shared-Space-Projekte. Während dort der Fahrzeugverkehr bevorrechtigt ist, ist der Duisburger Ansatz fußverkehrsfreundlicher.
Tatsächlich ähneln die Verkehrsabläufe auf der Platzüberfahrt denjenigen bei Shared-Space-Projekten, obwohl die rechtlichen Rahmenbedingungen unterschiedlich sind. Verhaltensbestimmend ist offenbar der optische Eindruck. Viele Fahrzeuge fahren mit einer verträglichen Geschwindigkeit von schätzungsweise 20 bis 35 km/h und verlangsamen bzw. halten, wenn Fußgänger/ innen queren bzw. queren wollen. Wer selbstbewusst quert oder an der Fahrgasse steht und den Arm herausstreckt, kommt auch bei hoher Fahrzeugdichte über die Fahrbahn. Allerdings gibt es auch etliche Fußgänger/innen, die verunsichert sind und je nach Situation warten oder rennen.
Grundsätzlich betritt der Fußverkehr die Fahrgassen bei starkem Kfz-Verkehr lediglich zum Quergehen. Die in Duisburg vorgeschriebene Schrittgeschwindigkeit für den Fahrzeugverkehr wird nur von wenigen unbehinderten Kfz eingehalten (unrepräsentative Stichprobe: ca. zehn Kfz/Stunde). Selten, aber trotzdem noch zu häufig, treten hier Raser auf, die mit Geschwindigkeiten von ca. 40 bis 50 km/h auf querende Fußgänger/innen zufahren und sich dabei offenbar im Recht fühlen (unrepräsentative Stichprobe: ca. 3 Kfz/Stunde).
Weil sich einige Autofahrer/innen so verhalten, als ob sie die (Neu-)Regelung nicht kännten oder nicht erkannt hätten, sollten beide Eingangssituationen besser betont werden. Bislang geschieht dies nur durch Verkehrsschilder, Belagwechsel und „Papp-Polizisten“. Aufgrund der direkt zuführenden großzügigen Straßen sind die bisherigen Elemente zu wenig, um auf die besonderen Verkehrsregeln hinzuweisen.
Zu prüfen wären etwa die Nachrüstung fahrdynamisch wirksamer Aufpflasterungen sowie Veränderungen bei den jeweils hinter dem Verkehrsberuhigten Bereich befindlichen Lichtsignalanlagen (LSA; Abstand ca. 70 bzw. 150 m). Sie sind bislang schon auf der Platzfläche erkennbar. Dies wirkt beschleunigend auf den Fahrzeugverkehr. Zudem lenken grüne Ampelsignale vom Verkehrsgeschehen im Verkehrsberuhigten Bereich und dem dort gegebenen Fußverkehrsvorrang ab. Soweit die beiden LSA nicht ganz entfallen können (z.B. Ersatz durch Kreisverkehrsplätze), sollte erwogen werden, zumindest das grüne Lichtzeichen zu entfernen (Umwandlung in „Dunkelanlagen“, Abweichung von der Ampelrichtlinie RiLSA 1992 / 2003).
Wenn die von FUSS e.V. entwickelte Idee der Flexibilisierung der Höchstgeschwindigkeitsanordnungen in Verkehrsberuhigten Bereichen in die StVO aufgenommen wird (siehe Spalte rechts), könnte dem Fahrzeugverkehr im Duisburger Fall auch gestattet werden, situations-angepasst bis zu 20 km/h zu fahren.
Dieser Bericht basiert auf einer Ortsbesichtigung in der nachmittäglichen Hauptverkehrszeit an einem repräsentativen Werktag im Mai 2008.
Ein neu eingerichteter Verkehrsberuhigter Bereich in Duisburg zeigt erstmals in Deutschland, dass permanenter Fußverkehrsvorrang in einem Straßenabschnitt auch mit hohen Kfz-Mengen kombiniert werden kann. FUSS e.V. macht Vorschläge, den grundsätzlich sehr positiven Ansatz zu optimieren.
Dieser Artikel von Arndt Schwab ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 3/2008, erschienen.
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„Man müsste viel mehr für die Fußgänger tun, aber Sie wissen ja, Fußgänger haben keine Lobby.“ Solche Aussagen von vermeintlich „gutwilligen“ Kommunal- oder gar Bundespolitikern kann entgegnet werden: Der FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland betreibt seit über zwei Jahrzehnten Lobbyarbeit, erstellt Fachinformationen und ist an der Umsetzung von modellhaften Projekten beteiligt, die das Gehen im Alltag und in der Freizeit fördern.
Die Einstellung von Politik und Verwaltung zum Fußverkehr kann als „immerhin ambivalent“ bezeichnet werden. „Immerhin“, weil noch vor 25 Jahren Fußgänger in der öffentlichen Diskussion allenfalls als Unfallopfer Erwähnung fanden, nicht aber als Verkehrsart wahrgenommen wurden. In der Zwischenzeit scheint sich auch in Deutschland der Gedanke zu entwickeln, dass der Erhalt und Ausbau des Fußwegeanteiles im städtischen Nahverkehr durchaus klimapolitische Relevanz hat.
„Ambivalent“ bleibt das Verhalten auf Kommunal, Länder- und Bundes-Ebene dennoch, weil man dem Fußverkehr durchaus hohe Wirksamkeit im Sinne der Luftreinhalte-, Lärmminderungs- und Verkehrssicherheitspolitik zugesteht, gleichzeitig aber für Bauprojekte oder Öffentlichkeitsarbeit keine nennenswerten personellen und fiskalischen Kapazitäten bereit stellt. Selbst die meist kostengünstigen Maßnahmen machen aber Haushaltsmittel erforderlich. Einige Kommunen haben dies erkannt, bekommen allerdings bisher noch nicht die notwendige Rückendeckung von Land und Bund durch eine Modifizierung des Gesetzes zur Gemeindeverkehrsfinanzierung, die auch gerade kleinteilige Baumaßnahmen ermöglichen muss. Außerdem sind auf Bundesebene nach wie vor die Stärkung der Fußgängerrechte, Änderungen in den Verwaltungsvorschriften, Richtlinien und Empfehlungen sowie unterstützende Image-Kampagnen einzufordern.
Vier Beispiele sollen Entwicklungen und auch bisherige Grenzen der Verbesserung der Gehwege und der Querungsanlagen in den letzten Jahren dokumentieren:
Seit den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts wurde einem Fußgänger laut Fußgänger-Richtlinie eine Breite von 55 Zentimetern plus 20 cm als Bewegungsraum zugebilligt. Daraus ergab sich eine Mindestbreite für Gehwege von 1,50 Metern und diese wurde sehr häufig als der Normalfall angesehen. Dabei blieb es annähernd 40 Jahre lang, bis dann endlich im Jahre 2002 von der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen FGSV die “Empfehlungen für Fußverkehrsanlagen EFA“ herausgebracht wurden und seither Fußwege 2,50 Meter und mehr breit sein müssen. FUSS e.V. war daran beteiligt und begrüßte diese Richtlinie mit der Pressemitteilung “Mehr Dynamik beim Gehen erlaubt.“ Sieht man sich aber die Gehwegbreiten in deutschen Kommunen an, fragt man sich, ob die EFA bei Adam in der Verwaltung, mittlerer Jahrgang, Autofahrer, angekommen ist.
1987 startete der FUSS e.V. mit seiner Aktion “Der tägliche Fußgängerdreikampf: Warten - Sprinten - Seitensprung.“ eine bundesweite Kampagne für fußgängerfreundlichere Ampeln. 1992 wurden die “konfliktfreie Ampel“, “Rundumgrün“ und sogar die “Diagonalquerung“ in die Richtlinien für Lichtsignalanlagen RiLSA aufgenommen. Es hat dann allerdings bis zum Jahre 2000 gedauert, bis die erste Diagonalquerung in Deutschland eingeführt wurde, und bei dieser einen blieb es bisher. In den noch nicht veröffentlichten „Richtlinien für Lichtsignalanlagen RiLSA 07“ sollen die Einsatzgrenzen für „Rundum-GRÜN für Fußgänger“ eingeengt werden, obwohl diese Regelung „die mögliche Gefährdung der Fußgänger durch abbiegende Fahrzeuge“ vermeidet und damit die Hauptunfallursache. Der Begriff „Diagonalquerung“ soll wieder aus deutschen Richtlinien verschwinden.
Die Einführung des Grünen Blechpfeiles an Ampeln erfolgte wesentlicher schneller als die der „konfliktfreien Ampelschaltung“. Als der FUSS e.V. 1992 das Thema aufgriff, wurde er von US-amerikanischen Fachleuten unterstützt und von einigen deutschen Fachleuten gewarnt, sich nicht zu “verrennen“. Man ging davon aus, dass sich dieser verkehrspolitische Unsinn in wenigen Monaten von selbst erledigen würde und konnte sich nicht vorstellen, dass man die „konfliktfreie Ampel“ und gleichzeitig den „Grünen Pfeil“ einführen könnte. 1994 wurde dann der Grünpfeil Bestandteil der StVO, obwohl seine Sicherheitsprobleme bekannt waren. Seit der Einführung werden in bundesdeutschen Städten grüne Blechpfeile als vermeintliche „Stau-Lösung“ montiert und aus Verkehrssicherheitsgründen wieder abgeschraubt.
1994 meldete der FUSS e.V.: “Zebrastreifen wird in diesem Jahr 30 Jahre alt - Fußgängerschutzverein fordert mehr und bessere Fußgängerüberwege!“ und stand damit noch ziemlich allein. Zehn Jahre später aber hatten wissenschaftliche Untersuchungen die Aussagen des Verbandes allesamt bestätigt. Im Jahr 2001 wurden die Einsatzgebiete für Fußgängerüberwege durch die neuen „Richtlinien für die Anlage und Ausstattung von Fußgängerüberwegen R-FGÜ 01“ des Bundesverkehrsministeriums erweitert und in einigen deutschen Städten kann mittlerweile von einer Renaissance der Zebrastreifen gesprochen werden. In der Bundeshauptstadt wird zur Zeit eine Änderung der Einrichtungskriterien vorbereitet, um Zebrastreifen auch bei noch mehr Fußgängerverkehrsaufkommen einrichten zu können, als dass derzeit nach der R-FGÜ zulässig wäre.
FUSS e.V. fordert seit vielen Jahren eine Änderung der Straßenverkehrs-Ordnung in eine Straßen-Nutzer-Ordnung und war maßgeblich daran beteiligt, dass sich die Rot-Grüne-Bundesregierung in ihr Koalitionspapier geschrieben hatte, die StVO im Sinne von mehr Verkehrssicherheit für Fußgänger verändern zu wollen. 2001 versuchte dann aber das Bundesverkehrsministerium mit einer Novellierung der StVO unter dem Motto „Weniger Verkehrszeichen – bessere Beschilderung“ durch die Hintertür höhere Geschwindigkeiten im Stadtverkehr zu ermöglichen, die besondere Förderung des ÖPNV und die Bewegungsmöglichkeiten von Fußgängern einzuschränken, das Spielen auf Straßen gänzlich zu untersagen und die Einführung straßenabschnittsübergreifender Verkehrsberuhigung zu erschweren. Der heftigste Widerstand kam vor sieben Jahren vom FUSS e.V. und es gelang, dass der damalige Entwurf „versandete“, aber offensichtlich nicht in Vergessenheit geriet. Ende März 2008 wurde den Verbänden ein erneuter Novellierung-Entwurf vorgelegt, gleichermaßen umfangreich und verkehrspolitisch höchst brisant.
„Die Entwürfe… dienen“ laut Aussage des Bundesverkehrsministeriums BMVBS „der Reduzierung von Verkehrszeichen, der Steigerung der Attraktivität des Radverkehrs, der Lebensqualität in Innenstädten und sind eine anwenderfreundliche Überarbeitung der Verkehrszeichenregelungen.“ Zumindest diese vier Kernaussagen können auch als wichtige Ziele der Verkehrsverbände bezeichnet werden. Leider konnte sich das BMVBS auch bei diesem zweiten Anlauf nicht dazu durchringen, die Erhöhung der Verkehrssicherheit als eines der wesentlichen Ziele hervorzuheben. Das ist ernüchternd. Doch immerhin darf sich der FUSS e.V. darüber freuen, dass seine Eingabe aus dem Jahr 2001 berücksichtigt wurde und in der Verwaltungsvorschrift zu den §§39 bis 43 unter Ziffer I., Punkt 2 (also unter „…ferner liefen“) nach dem Satz: „Die Flüssigkeit des Verkehrs ist mit den zur Verfügung stehenden Mitteln zu erhalten.“ als zweiter Satz eingefügt werden soll: „Dabei geht die Verkehrssicherheit aller Verkehrsteilnehmer der Flüssigkeit des Verkehrs vor.“
Ernüchterung kommt auf, wenn es um die „von Teilen des Radverkehrs geforderte“ Aufhebung der Benutzungspflicht von Radwegen geht: „Bund und Länder halten (sie) im Interesse der Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer nicht für angezeigt. Die schwächeren ungeschützten Radfahrerinnen und Radfahrer (bedürfen) daher eines eigenen Verkehrsraumes, der nicht nur freiwillig, sondern zwingend zu benutzen ist. Beispiele unzulänglich ausgestatteter Radwege oder Radwegeführungen im Kreuzungsbereich mahnen, die erforderlichen Veränderungen und Verbesserungen vorzunehmen, sind aber nicht geeignet, die Radwegebenutzungspflicht an Straßen mit hoher Verkehrsbelastung oder -bedeutung dem Grunde nach in Frage zu stellen.“ Gleichzeitig sollen die 1997 eingeführten „(Soll-)Breitenangaben für die Anordnung einer benutzungspflichtigen Fahrradverkehrsanlage“ aufgehoben werden. Nach einer „sachgerechte(n) Abwägung im Einzelfall“ durch die zuständigen Behörden sollen wieder Fahrradweg-Schilder auf Gehwegen aufgestellt werden können und diese Wege sind dann benutzungspflichtige Radwege. Mit „größeren Handlungsspielräumen“ könnten Behörden Zustände schaffen, die in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts bundesweit zur Gründung von Fahrrad- und Fußgängerinitiativen und 1997 zur StVO-Novelle führten.
Die Fußgänger spielen auf dem ersten Blick bei der geplanten Novellierung der StVO keine Rolle; die Verfasser des Entwurfes sind offensichtlich davon ausgegangen, dass die zu fördernde „Lebensqualität in Innenstädten“ durch eine gute Verkehrsteilnehmer-Mischung auf den Gehwegen erreicht werden kann. Durch die Verordnung würden weitere Verkehrsteilnehmer in die „Geh-meinschaft“ aufgenommen. So soll der bisherige rechtsfreie Raum für Inline-Skater beseitigt werden, indem man sie eindeutig den Fußgängerverkehrsflächen zuweist. Darüber hinaus „soll nicht eingeschritten werden,….(wenn) ein Erwachsener ein Kind bis zum vollendeten 8. Lebensjahr mit dem Fahrrad auf dem Gehweg begleitet,…“ Dies könnte sich in der Praxis als ein Durchbruch für eine verordnete Akzeptanz des Radelns auf Gehwegen entwickeln. Wer soll prüfen, ob zum radelnden Erwachsenen nicht auch ein Kind gehört? Kinder sollten nicht alleine auf der Fahrbahn mit relevantem Pkw-Verkehr fahren, aber Eltern sollten gemeinsam mit ihren Kindern das Fahren auf Fahrbahnen üben können.
Wird das Befahren von Gehwegen durch Personenkraftwagen zugelassen, so darf bisher „nur Schrittgeschwindigkeit gefahren werden.“ (6 km/h) Die neue Formulierung lautet: „erforderlichenfalls ist die Geschwindigkeit an die jeweilige Verkehrsart anzupassen…“. Wenn man mit 50 km/h auf einem Gehweg ankommt, Fußgänger bemerkt und mit 30 km/h an ihnen vorbeifährt, hat man sich angepasst. Das aber ist beileibe keine Schrittgeschwindigkeit.
Wie schon beim ersten Versuch der Novellierung vorgesehen, sollen die Einsatzkriterien für Bereiche mit erhöhter Lebensqualität vermindert werden: Können derzeit noch neben Straßenabschnitten oder Straßen „alle Straßen eines abgegrenzten Gebietes“ zu verkehrsberuhigten Bereichen umgestaltet werden, sollen es zukünftig allenfalls „kleinräumige Bereiche“ sein. Die „Vorsorge für den ruhenden Verkehr“ soll als zusätzliche Hürde aufgebaut werden. Durch die vorgeschlagene ersatzlose Streichung der damit angestrebten Ziele „Erhöhung der Verkehrssicherheit – Gesichtspunkte des Städtebaus, insbesondere des Wohnumfeldes durch Gestaltung des Straßenraumes“ wird das Vorhaben ausgehöhlt. Mit diesen Vorgaben schwindet die Hoffnung, dass in Deutschland die aus der Schweiz kommende und kürzlich auch in Frankreich eingeführte „Begegnungszone“ in die StVO aufgenommen werden könnte.
Es wird die Lebensqualität in Innenstädten für Familien mit Kindern kaum erhöhen, wenn der Absatz in der Verwaltungsvorschrift entfällt, dass in „Wohnstraßen und auch andere(n) Straßen ohne Verkehrsbedeutung…gegen Kinderspiele…nicht eingeschritten werden“ sollte. Ersetzt werden soll es durch die Floskel, dass „die Straßenverkehrsbehörden…die Schaffung von Spielplätzen anregen“ sollten. Auch die Regelung, dass „wo die Benutzung von Skiern oder Schlitten ortsüblich ist“ nicht einzuschreiten ist, soll ebenfalls entfallen.
Ob die Bundesregierung ihr Hauptziel erreichen kann, Verkehrszeichen einzusparen, ist mehr als fragwürdig, da sie sich an zahlenmäßig bedeutsamen Verkehrszeichen nicht heranwagt. Es ist nicht geplant, das Zeichen „Parken auf Gehwegen“ (315) aus der StVO herauszunehmen oder in §3 Geschwindigkeit „50 km/h“ durch „30 km/h“ zu ersetzen und damit wirklich zahlreiche Verkehrszeichen (274, Tempo 30) verschrotten zu können.
„Um zu einer effektiveren Wirkung der Durchsetzungsmaßnahmen zu gelangen, stehen zwei Ansatzpunkte zur Verfügung. Es sind dies die Intensität der Verkehrsüberwachung und die Wirksamkeit der Sanktionen, wobei letztere maßgeblich von ihrer Höhe abhängt.“ So lautet die Begründung des Bundesverkehrsministeriums für die Veränderung des Bußgeldkataloges, die bereits zum 1.1.2008 in Kraft treten sollte, doch wegen erheblichen Medienrummels und vehementen Einsprüchen der Autolobby verschoben wurde. Vom FUSS e.V. wurde in die Diskussion eingebracht, dass im Gegensatz zu den geplanten Erhöhungen der Sanktionen für „Raser und Drängler“ die im Bußgeldkatalog enthaltenen Regelsätze für Verstöße gegenüber Fußgängern, Radfahrern und öffentlichen Verkehrsmitteln weiterhin niedrig gehalten oder sogar um bis zu 20 % gesenkt werden sollten. Am 21. Mai wurde der neue Bußgeldkatalog vom Bundeskabinett beschlossen, indem die geplanten Bußgeldsenkungen nicht mehr enthalten sind. Ein Erfolg der Lobbyarbeit, zumal die fehlende „Rücksichtsnahme auf schwache Verkehrsteilnehmer“ und das „Fehlverhalten an Fußgängerüberwegen“ von 50,- bzw. 60,- auf immerhin 80,- Euro angehoben werden sollen.
Angesichts der hohen Zahl der Fußgängerverkehrsunfälle in Deutschland bleibt es allerdings weiterhin ein Skandal, das Parken an unübersichtlichen Straßenstellen, in 5-Meter-Bereichen an Kreuzungen und Einmündungen oder auf Gehwegen mit Behinderung von Fußgängern als „geringfügige Ordnungswidrigkeiten ohne nennenswerte Bedeutung für die Verkehrssicherheit“ zu bezeichnen und die dafür vorgesehenen Bußgelder zwischen 10,- und maximal 35,- Euro beizubehalten. Nach Auffassung des Ministeriums wäre die Anhebung der Regelsätze um etwa 30 % allein schon als Angleichung an die seit der letzten Festlegung gestiegenen Lebenshaltungskosten notwendig.
Nach wie vor nehmen die durch den Kraftfahrzeugverkehr verursachten Fußgänger- und Radfahrerunfälle in den kommunalen Unfallstatistiken Spitzenplätze ein. Ursache sind mehrheitlich Verstöße gegen die Straßenverkehrs-Ordnung durch die Kraftfahrer. Dennoch werden Sachbeschädigungen an Kraftfahrzeugen mit höheren Bußgeldern belegt als Behinderungen oder gar Gefährdungen von Menschen zu Fuß oder mit dem Rad. Dies ist ein falsches Signal an autofahrende Bürger und auch an die Ordnungskräfte der Kommunen.
Die positiven Ansätze der Fußverkehrsförderung durch Modellvorhaben und Öffentlichkeitsarbeit mussten in diesem Beitrag weitgehend außen vor bleiben, weil derzeit höchst aktuelle Veränderungen in der Straßenverkehrs-Ordnung, den Verwaltungsvorschriften und den Richtlinien anstehen. In den letzten Jahrzehnten ist einiges für die Sicherheit und den Gehkomfort von Fußgängern durch Lobbyarbeit erreicht worden, doch leider werden immer wieder gute Ansätze zur Disposition gestellt und die bisherigen Vorlagen aus dem Bundesverkehrsministerium weisen keinesfalls darauf hin, dass eine Förderung des Fußverkehrs angestrebt wird.
Dieser Beitrag von Bernd Herzog-Schlagk, Bundesgeschäftsführer des FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, erschien in der Zeitschrift VERKEHRSZEICHEN, Heft 3, 2008.
Richtlinien, Empfehlungen oder Merkblätter für die Gestaltung von Gehwegen und Querungsanlagen sind nicht einklagbar, gelten aber z.B. bei einem Prozess nach einem Unfall als „Stand der Technik“. Ihre Praxisumsetzung und auch positiven Veränderungen haben einen entscheidenden Einfluss auf Verkehrssicherheit und Gehkomfort. Machen Sie sich sachkundig und setzen Sie sich gemeinsam mit dem FUSS e.V. als Bürger/in für Verbesserungen ein, folgend ein paar Hilfestellungen: