Häufig treffen bei uns Klagen ein, dass das Falschparken auf Geh- und Radwegen zunehmen würde. Gründe seien u.a. die mangelnde Überwachung wegen Personalabbaus bzw. sogar Anweisungen „von oben“ das Falschparken zu tolerieren. FUSS e.V. hat darauf mit einer Pressemitteilung (siehe Kasten am Schluss des Beitrags) und mit einer Bitte an (überwiegend grüne) Fraktionen in Großstädten und Landtagen reagiert, den zuständigen Behörden Kleine Anfragen bzgl. des Falschparkens zu stellen. Im folgenden dokumentieren und kommentieren wir die Reaktionen der Verwaltungen.
Im September schickten wir Muster für drei Fragen an die Fraktionen. Angeschrieben hatten wir Fraktionen in 40 Gemeinderäten, verteilt auf alle Bundesländer außer den Stadtstaaten und an Adressaten in allen 16 Länderparlamenten.
Unser erster Vorschlag für eine Frage lautete: Hat die Verwaltung Kenntnis darüber, ob das illegale Parken auf Geh- und Radwegen aufgrund der durch die Personalreduzierung in den letzten Jahren geringeren Überwachungs-Kapazität oder aus anderen Gründen auf den jeweiligen Verkehrsflächen zugenommen hat?
Selbstverständlich wollte hier keine Kommune zugeben, dass sie für diesen Bereich nicht genügend Personal einsetzen würde (zumal dieses sich ja durch die mehr eingenommenen Verwarnungsgelder „selbst finanzieren“ würde). Also wurden folgende Antwortvarianten gewählt:
Unausgesprochenes Fazit: Man macht alles richtig, die Zustände sind jedoch leider falsch.
Unser Fragevorschlag lautete: Wie viele Bußgeldbescheide wegen der Ordnungswidrigkeit „Unzulässig geparkt auf Geh- bzw. auf Radflächen“ haben die Polizei und die Ordnungskräfte jährlich in den letzten fünf Jahren ausgestellt und in wie vielen Fällen hat die Polizei Fahrzeuge von den jeweiligen Verkehrsflächen z.B. aus dringenden Verkehrssicherheitsgründen in diesem Zeitraum entfernen lassen?
Diese Frage konnte von vielen Gemeinden nicht zufriedenstellend beantwortet werden, da keine oder unzureichende Statistiken geführt werden. Fazit: Ein Problem, dessen Umfang ich nicht kenne, ist eine unbekannte Größe und daher eher vernachlässigbar.
Entscheidend für die unbewusste Beurteilung ist natürlich auch die Begriffswahl. So hat z.B. der Begriff „Schwarzfahrer“ sofort einen Hauch von kriminell und unterstellt Vorsatz. Klar, er betrügt das Unternehmen um das Fahrgeld und nimmt evtl. auch einen Sitzplatz anderen Fahrgästen weg, die es nötiger hätten als er. Da sind 40 Euro „erhöhtes Beförderungsentgelt“ evtl. gerechtfertigt. „Falschparker“ dagegen hat was Menschliches, das kann jedem passieren, nobody is perfect. Für diese lässliche Unaufmerksamkeit, die die Mobilität anderer Menschen ver- wenn nicht behindert und Unfälle verursachen kann, sind lediglich 25-30 Euro fällig.
„Gibt es in der Gemeinde seitens der zuständigen Behörden Anweisungen oder seitens der Polizei Hinweise an die Diensthabenden, bei ordnungswidrig auf Geh- oder Radwegen abgestellten Fahrzeugen nur eingeschränkt einzuschreiten?“, lautete unser Vorschlag für die „frechste“ Frage an die Stadtverwaltungen. Hintergrund waren Berichte betroffener Fußgänger und Radfahrer, dass angesprochene Ordnungskräfte vor Ort das zugegeben bzw. angedeutet hätten. Selbstverständlich wurde unsere Frage niemals mit „ja“ beantwortet, jedoch ergaben sich Hinweise auf die Praxis.
In Halle/ Saale wird durch die Verwaltung formal logisch geantwortet, dass die Behörden sich „grundsätzlich auf Unfallschwerpunkte“ konzentrieren. Inwieweit eine Überwachung des ruhenden Verkehrs notwendig erscheint, werde „auf Basis der vor Ort gewonnenen Erkenntnisse beurteilt.“ Da bei der Unfallerfassung die Ursache ruhender Verkehr eher wenig von den aufnehmenden Polizisten berücksichtigt wird, (so wird dieser Fehler eher den Fußgängern angelastet, da diese „plötzlich hinter einem Hindernis auf die Fahrbahn“ traten), ist die Notwendigkeit der Überwachung des ruhenden Verkehrs eher gering. Und so gibt es dann „sinkende Fallzahlen“ zu verzeichnen, die eine Ahndung des Falschparkens noch weniger zwingend erscheinen lassen.
Einen geradezu zynischen Hintergrund erhält die Antwort der Stadt Potsdam aufgrund eines durch einen Falschparker verursachten tödlichen Unfalls einer Radlerin. Die Verwaltung hatte am 7.10. geantwortet, dass es selbstverständlich keine Anweisungen zum Wegsehen gäbe, sondern „ganz im Gegenteil sind die Inspektoren sogar besonders sensibilisiert“. Drei Wochen später, nach dem Unfall, gab die Polizei laut Pressemeldungen bekannt, dass nun alle Streifenbeamten angehalten werden würden, das Parken auf Radwegen verstärkt zu ahnden. – Vorher hat man also schon alles Nötige getan, hinterher auch und zwar noch mehr.
Anders in Karlsruhe, hier zitierte die grüne Fraktion in ihrer Fragebegründung eine Antwort der Verwaltung aus dem Februar, „dass der gemeindliche Vollzugsdienst lediglich ‚gravierende Verstöße‘ beanstandet“ und folgerte daraus: „In vielen Fällen wird illegales Parken von der Stadtverwaltung also offenbar toleriert.“ Die Verwaltung bestätigte diese „Toleranz“ in der aktuellen Antwort: „In der Praxis wird in den meisten Straßen in Karlsruhe mit zwei Rädern auf dem Gehweg geparkt. Dies kann nur unter bestimmten Voraussetzungen geduldet werden, da es nicht der Straßenverkehrsordnung entspricht.“ Diese euphemistische Definition illegalen Verhaltens wird präzisiert, insofern es „nur dort geduldet werden kann, wo dies zur Aufrechterhaltung des fließenden Verkehrs erforderlich ist... Parken ‚ohne Not‘ auf dem Gehweg ist somit nicht erlaubt.“ Die Not der Pkw-Fahrer wird auf die Fußgänger verlagert, denen in Karlsruhe „eine Mindestrestbreite von 1,20m“ verbleibt.
Schließlich verweist die Verwaltung auf einen rechtlichen Umstand, der konkrete Ansagen der oberen Behörden hinsichtlich der Überwachung des Falschparkens an die Vollzugsdienste generell unnötig macht: „Die Ahndung erfolgt immer unter den Gesichtspunkten des Opportunitätsprinzips.“
Das Opportunitätsprinzip ist die juristische Handlungsfreiheit innerhalb eines rechtlichen Rahmens („pflichtgemäßes Ermessen“). Es gilt, solange nicht eine gesetzliche Regelung etwas anderes besagt. Das Opportunitätsprinzip beschreibt das Handeln einer Ordnungsbehörde im Falle einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und/oder Ordnung. Die Ordnungsbehörde kann, muss aber nicht eingreifen. Hier gilt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Auch beim Verwarnungsverfahren gegen Falschparker nach dem Ordnungswidrigkeitengesetz herrscht das Opportunitätsprinzip (siehe § 47 OWiG). Dort wird beschrieben, dass Verfolgungsbehörde wie auch Gericht mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft die Ahndung jeweils einstellen dürfen.
Während das Falschparken als Problem in den Kommunen zumindest erkannt wird, lassen die Länder ihre Gemeinden damit allein: Alle antwortenden Landesbehörden fühlten sich nicht zuständig und verwiesen auf die Kommunen.
Die Ausmaße des Problems sind nicht in Ansätzen erkennbar. Da erstens nur ein kleiner Teil der Delikte erfasst wird, ist die Dunkelziffer mit Sicherheit größer als die erfasste Zahl der Fälle. Verwarnungsgeldverfahren ziehen zweitens kein Bußgeldverfahren nach sich, die Unterlagen werden höchstens sechs Monate aufgehoben. Erfassen die Kommunen diese Fälle nicht statistisch, sind sie aus dem Bewusstsein der Verantwortlichen verschwunden.
Wir hatten 40 Fraktionen auf Landes- und Kommunalebene gebeten, den zuständigen Verwaltungen Kleine Anfragen zum Thema Parken auf Geh- und Radwegen zu stellen. Wie nicht anders zu erwarten, wichen die Antwortenden aus oder bestritten eine Zunahme des Problems. Jedoch gab es Hinweise, wie das Problem vor Ort nicht erkannt werden muss und wie das Wegschauen der Ordnungskräfte funktioniert.
Nach Einschätzung des Fachverbandes Fußverkehr Deutschland, FUSS e.V., hat sich das Problem der Falschparker auf Geh- und Radwegen in den letzten Jahren verschärft. Belegt wird diese Einschätzung mit den stark ansteigenden Verkaufszahlen der „Parke nicht auf unseren Wegen“-Aufklebern.
Dieser Artikel von Stefan Lieb ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 1/2011, erschienen.
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Das Inline-Skater-Urteil vom 19.3.2002 aus Karlsruhe richtet sich nach Auffassung des FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland gegen die Mehrheit der Verkehrsteilnehmer, die sich im zunehmenden Maße auf den Straßen-Restflächen drängeln. Die noch immer gemeinhin als Bürgersteige bezeichneten Streifen haben eine seit Jahren zunehmende Dichte von Gehbehinderten, Fußgängern mit und ohne Gepäck, Kinderwagen, Kindern auf Fahrrädern, Rollern und Skatern, wobei sich die Geschwindigkeit in dieser Reihenfolge etwa verfünffacht. Dies wäre vergleichbar mit einer gefahrenen Geschwindigkeit eines Pkw von 150 km/h in einer Tempo 30 -Zone.
Nachdem das Oberlandesgericht Oldenburg in seinem Urteil vom August 2000 (Aktenzeichen 9 U 71/99) eindeutig festgestellt hatte, dass von einer Ungefährlichkeit des Inline-Skaten für Fußgänger nicht auszugehen ist, setzte sich nunmehr der Bundesgerichtshof weitestgehend über diese Fragestellung hinweg. Die Begündung, dass Inline-Skater auf Gehwegen sicherer seien als auf der Fahrbahn ist nach Auffassung des FUSS e.V. eine Rechnung, die ohne den Wirt gemacht wurde; und der Wirt auf Gehwegen ist nun einmal der Fußgänger.
Die Inline-Skater sind, das wird in der BGH-Urteilsbegründung zugegeben, deutlich schneller als gesunde Fußgänger und sie haben einen erheblich längeren Bremsweg als Radfahrer. Dennoch wird die Gefahr für beide Verkehrsteilnehmer hingenommen.
Tatsache ist aber, dass Inline-Skating überhaupt erst mit halbwegs sicherer Balance ab einer Geschwindigkeit von 6 km/h gefahren werden kann. Nach der StVO ist aber davon auszugehen, dass „besondere Fortbewegungsmittel“, die den Gehweg benutzen, allenfalls Schrittgeschwindigkeit fahren.
Nach Ansicht des FUSS e.V. gehören Inline-Skater auf vernünftig breite Radwege, wenn es die in einer Straße nicht gibt, auf die Fahrbahn. Der Aufforderung des Bundesgerichtsshofes an den Gesetzgeber, die Einordnung der Inline-Skater zu klären, kann sich der FUSS e.V. in diesem Sinne nur anschließen.
Presseerklärung vom 20. März 2002.
Querungsanlagen für den Fußverkehr werden „normalerweise“ aus der Sicht des „flüssigen“ Individualverkehrs betrachtet und häufig lediglich zusätzlich als punktuelle Hilfestellung für den Bedarf querender Fußgänger eingerichtet. Der FUSS e.V. hat nun für ein immerhin etwa 150 Kilometer langes Fußwegenetz in der Bundeshauptstadt Berlin 400 Querungsstellen untersucht und der Senatsverwaltung Vorschläge für ein Angebot sicherer und komfortabler Wegeabschnitte unterbreitet.
In Berlin entsteht das Wegesystem: „20 grüne Hauptwege“. Mit insgesamt rund 500 Kilometern Spazierwegen, Promenaden, durchgrünten Straßenräumen, Gehwegen, aber auch Fahrbahnquerungen ist dieses Projekt in seiner flächenmäßigen Ausdehnung und Netzdichte in Deutschland einmalig. Es wurde im Rahmen des Landschaftsprogrammes des Senats für Stadtentwicklung 1994 vom Senat und dem Berliner Abgeordnetenhaus beschlossen und wird seit 2003 von einer breiten Basis von Bürgern und Verbänden unterstützt. Etwa 150 Flaneurinnen und Flaneure des Bürgerprojektes „Netzwerk für 20 grüne Hauptwege in Berlin“ (FUSS e.V. und BUND Berlin) haben das Wegenetz analysiert und für bisher noch nicht zugänglichen Abschnitte temporäre Umwege vorgeschlagen. Anfang 2008 erschien erstmals eine Übersichtskarte im piekart-Verlag mit der in den Verwaltungen abgestimmten Wegeführung aller grünen Hauptwege.
Verkehrssichere und komfortable Straßenquerungen sind eine entscheidende Grundlage für den Erfolg dieses anspruchsvollen Vorhabens, ein Fußwegenetz für die Alltags- und Freizeitmobilität der Bewohner dieser Stadt und ihrer Gäste zu schaffen. Deshalb hat der FUSS e.V. mit Unterstützung durch die Verkehrslenkung Berlin (VLB) der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Querungsanlagen im Verlauf der 20 grünen Hauptwege untersucht und Vorschläge für Verbesserungs-Maßnahmen formuliert. Diese entsprechen den Intentionen des 2003 vom Senat vorgelegten und vom Parlament beschlossenen Stadtentwicklungsplanes Verkehr.
Für etwa ein Drittel des Netzes - das gesamte Innenstadtgebiet und vier „Ausläufer“ in die Himmelsrichtungen - wurde eine Schwachstellen-Analyse „Fußverkehr-Audit“ („Pedestrian Audit“) durchgeführt. Dabei wurde untersucht,
Da von einem hohen Anteil mobilitätseingeschränkter Personen ausgegangen wird, hatte die Barrierefreiheit einen hohen Stellenwert.
Obwohl der FUSS e.V. der Stadtverwaltung ein zunehmendes Augenmerk für die Belange des Fußverkehrs bestätigt, offenbarte diese erste Betrachtung von Querungsanlagen in einem Netzzusammenhang zahlreiche Gefahrenstellen und Hindernisse für die Benutzerinnen und Benutzer. Für das Untersuchungsgebiet wurden ca. 500 Empfehlungen für Verbesserungsmaßnahmen formuliert. Davon betreffen allerdings etwa 13 % die Fragestellung, ob nicht allein durch eine Korrektur im Wegeverlauf - und sei es nur der Wechsel der Straßenseite - eine Verbesserung der Bedingungen für Verkehrssicherheit und Komfort erreicht werden kann. Diese Vorschläge sind kostenneutral. Etwa 25 % der Vorschläge beziehen sich auf Markierungen von Fußgängerkaps bzw. Park- und Fahrstreifen, gehören also zu den kostengünstigen und kurzzeitig umsetzbaren Maßnahmen. Unter den aufwändigeren Maßnahmen wurde mit insgesamt 70 Vorschlägen am häufigsten der Bau eines Fußgängerkaps (Gehwegvorstreckung) empfohlen, aber auch Mittelinseln (6), Plateaupflasterungen (4) und Teilaufpflasterungen (7). Insgesamt wurde lediglich an 14 Stellen die Anlage eines Fußgängerüberweges und an 17 Stellen die Einrichtung oder eine Erweiterung der Lichtsignalanlage empfohlen.
Wegebegehungen mit mehrfachen Ortsbesichtigungen und Beobachtungen ergaben, dass häufig nicht die Knotenpunkte mit der Querung einer stark befahrenen Straße problematisch waren, sondern Straßen mit mittelstarkem und häufig unangemessen schnellem Kraftfahrzeugverkehr. Als unerwartet gefährlich oder unkomfortabel eingestuft wurden teilweise Straßenabschnitte von geringerer Bedeutung für den Kraftfahrzeugverkehr. Diese Aussagen treffen auf die Innenstadt und auch auf die untersuchten äußeren Bereiche zu. Bei letzteren kommen als Problembereiche Querungen über sogenannte „Ausfallstraßen“ hinzu, die vom Kraftverkehrsaufkommen gar nicht so herausragend stark befahren sein müssen.
Eine erste grobe Kosteneinschätzung für die Gesamtheit der kostenmäßig erfassbaren Maßnahmenvorschläge ergab für das Untersuchungsgebiet einen Bedarf von etwa 1,5 Millionen Euro bzw. einen durchschnittlichen Kostenfaktor von ca. 10.000,- Euro pro Kilometer Wegelänge. Hochgerechnet auf das gesamte Wegesystem würde sich ein Kostenbedarf von ca. 5 Millionen Euro ergeben. Ein zeitlicher Realisierungshorizont könnte a) auf die in der Studie angegebenen Dringlichkeiten von Verbesserungsmaßnahmen für das Gesamtnetz aufbauen, b) durch Schwerpunktsetzung auf einzelne grüne Hauptwege festgelegt oder c) durch eine Kombination dieser beiden Möglichkeiten entwickelt werden. Eine bezirksbezogene Umsetzungsstrategie würde zwar einen Wettbewerbseffekt beinhalten, wäre aber von Einwohnern und Gästen kaum als ein Fußwegeförderungs-Konzept einzuordnen und auch nicht als Stadtmarketing-Konzept darstellbar. Deshalb hat der FUSS e.V. der Senatsverwaltung empfohlen, z.B. zwei der 20 grünen Hauptwege als Modellvorhaben in das Handlungskonzept „Fußverkehr“ im Rahmen des Stadtentwicklungsplanes Verkehr (ab 2009) zu integrieren und dafür einen Innenstadt-Weg und einen Weg vom Stadtkern zur Stadtgrenze auszuwählen.
Da Verkehrssicherheitsmaßnahmen für den Fußverkehr in der Regel punktuell erfolgen und somit nicht als Konzept wahrnehmbar und darstellbar sind, hat der FUSS e.V. den auf den ersten Blick waghalsigen Vorschlag unterbreitet, alle Bordsteine im direkten Verlauf der grünen Hauptwege in Berlin mit einer hellgrünen Farbe zu markieren.
In Berlin gibt es ein teilweise überdimensioniertes Leitsystem für den Kraftfahrzeugverkehr und in den letzten Jahren wurde nun endlich auch ein Orientierungssystem für den Radverkehr geschaffen. Doch geht es um die Frage der Orientierung für den Fußverkehr, kommt immer wieder das Gegenargument, man wolle keinen weiteren „Schilderwald“. Es wäre in der Tat auch ein praktisches Problem, ein städtisches Fußwegenetz mit einer Gesamtlänge von etwa 500 Kilometern eindeutig und halbwegs lückenlos zu markieren. Der Vorschlag unterstützt deshalb die Vorstellung, möglichst nicht noch mehr Schilder im Straßenverkehr aufzustellen. Dagegen soll die nach den Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen RASt 2006 (6.1.8.4 Einfärbung der Bordsteinkanten) vorgeschlagene Hervorhebung der Bordsteine aus Sicherheitsgründen aufgegriffen und systembezogen vorgenommen werden. Durch dieses „liegende Leitsystem“ wären weitere Markierungen und Wegweisungen in der Hauptsache nur noch in größeren Grünanlagen notwendig, um den richtigen Ausgang zu finden und dort wiederum durch das „Bordsteinorientierungssystem“ empfangen zu werden.
Es ist in der Tat so, dass es in Deutschland derzeit nichts Vergleichbares gibt. Insofern wäre dies ein Alleinstellungsmerkmal auch im Rahmen des Berlin-Marketing. Das derartige netz- bzw. linienbezogene Bewerbungs-Methoden Charme haben, zeigen z.B. die Erfolge mit dem „Ostertor-Weg“ in Bremen oder der „Leipziger Notenspur“. Bei ca. 800 notwendigen Bordsteinmarkierungen ergäben sich im Untersuchungsgebiet Kosten von ca. 240.000,- und hochgerechnet für das gesamte Vorhaben von ca. 800.000,- Euro. Damit ließe sich mit einem durchaus verträglichen Aufwand eine enorme Signalwirkung erreichen und eine für das Stadtmarketing herausragende Aussage für „die fußgängerfreundliche Stadt Berlin“ darstellen.
Ein Nachteil der Umsetzung könnte sich daraus ergeben, dass dieser Vorschlag nicht von einer gesondert beauftragten und mit viel Geld bezahlten Marketing-Agentur unterbreitet wurde, sondern im Verlauf einer Netzbetrachtung des verkehrspolitisch orientierten Fachverbandes FUSS e.V. entstanden ist.
Die 20 grünen Hauptwege sollen ein zusätzliches und attraktives Angebot darstellen und können und sollen nicht den Fußverkehr auf ein straßenferneres Wegenetz bündeln. Die vorliegende Analyse erlaubt allerdings aufgrund der Größenordnung und der Auswahl des Untersuchungsgebietes auch Rückschlüsse auf die Qualität und die Schwachstellen der Querungsanlagen in der gesamten Stadt. Die folgend nur kurz dargestellten fünf latenten Gefahren an Querungsanlagen in Berlin dürften auch in anderen deutschen Städten relevant sein.
Eine der Grundlagen der Studie war ein Aussage aus einem Forschungsbericht aus der Schweiz, die in Fragen der Förderung des Fußverkehrs einige Schritte weiter ist: „Die Erfahrung aus der bisherigen Förderpraxis zeigt, dass Einzelmaßnahmen, wie sie in der Regel realisiert werden, zu keiner spürbaren Veränderung des Mobilitätsverhaltens führen. Ein möglicher Ansatz zur signifikanten Erhöhung des Anteils der Wegeetappen des Fuss- und Veloverkehrs liegt darin, im Sinne einer stimmigen Kombination von Einzelmaßnahmen Maßnahmenpakte zu bilden.“
Die Umsetzung und Weiterentwicklung der 20 grünen Hauptwege in Berlin sind erklärtes Ziel der Landesregierung und werden in absehbarer Zukunft ein Herausstellungsmerkmal des Stadtmarketings sein. Dieses Ziel ist nur erreichbar, wenn die Qualität der Grün- und Erholungswege und der Verkehrsflächen gleichermaßen schrittweise verbessert werden. Die von FUSS e.V. durchgeführte Schwachstellen-Analyse ist die in Deutschland bisher umfangreichste Untersuchung von Querungsanlagen, die an einem städtischen Wegesystem vorgenommen wurde. Das Ergebnis spricht für die Effizienz des Fußverkehrs: Etwa 5 Millionen Euro würden ausreichen, um das insgesamt 500 Kilometer lange Wegenetz für Fußgänger sicherer, komfortabler und attraktiver zu machen.
Dieser Artikel von Bernd Herzog-Schlagk ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 1/2009, erschienen.
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Wenn es nach den Vorstellungen der Bundesregierung und der Verkehrsministerien der Länder geht, wird in absehbarer Zeit die letzte Stufe des Parkens auf Gehwegen eingeleitet: Die verstärkte flächenhafte Markierung von Parkflächen auf Gehwegen ohne das zusätzliche Aufstellen von Verkehrszeichen, die das Parken lediglich in Einzelfällen erlauben.
Die zunächst als eine „Übergangsregelung“ eingeführte Erlaubnis des Abstellens von Kraftfahrzeugen auf Gehwegen wurde aufgrund der Stellplatzknappheit in den Städten recht schnell zur gängigen Praxis. Die heute zugelassenen 32 Varianten des „legalen Parkens“ (Zeichen 315 der Straßenverkehrs-Ordnung StVO) nahmen in einem Maße überhand, dass immer mehr Autofahrer davon ausgehen, dass das Parken auf Gehwegen generell zugelassen ist.
Bereits in dem 1964 dem Bundestag vorgelegten „Bericht der Sachverständigenkommission über eine Untersuchung von Maßnahmen zur Verbesserung der Verkehrsverhältnisse der Gemeinden“ wurde unmissverständlich ausgesagt, dass das „Parken auf Gehwegen ..nur noch als Übergangslösung geduldet werden (kann).“ 1964. Was würden Sachverständige aus den heutigen Zuständen folgern?
Den Vorschlag von der gemeinsamen Arbeitsgruppe Fußverkehr der Vereinigung für Stadt-, Regional- und Landesplanung e.V. SRL und des FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, das Zeichen 315 aus der StVO zu streichen, fegte der dafür in Deutschland zuständige Bund-Länder-Fachausschuss mit der Anmerkung vom Tisch, dass das legale Gehwegparken „ohnehin nur als hilfsweise Lösung in Einzelfällen“ angesehen wird.
Dagegen führte die populistische ADAC-Kampagne „Lichten des Schilderwaldes“ zur Bildung einer Arbeitsgruppe mit dem Ziel „Weniger Verkehrszeichen - bessere Beschilderung“. Diese legte Anfang des Jahres 2001 zahlreiche zumeist autoorientierte Änderungsvorschläge vor, die auch schon vom Bund-Länder-Fachausschuss abgesegnet sind. In der geplanten StVO-Novellierung findet man zur Fragestellung, wie die Anzahl der Gehwegparkschilder reduziert werden kann, folgenden neuen Satz: „Einer Parkstandsmarkierung bedarf es... zur Zulassung des Gehwegparkens ohne Anordnung der Zeichen 315“. Diese feinsinnige Formulierung kann von den Kommunen durchaus als eine Aufforderung angesehen werden, in Zukunft statt der Anordnung weiterer Zeichen verstärkt mit weißer Farbe zu arbeiten.
Wenn die Bundesregierung wirklich ernsthaft die Anzahl von Verkehrszeichen verringern will, dann soll sie in die Verwaltungsvorschriften ganz harte Regeln einführen, nach denen wirklich nur noch in Ausnahmefällen auf Gehwegflächen geparkt werden darf oder sie soll dieses Verkehrszeichen gänzlich aus der StVO streichen.
Presseerklärung vom 05. Juli 2001.
Die noch Ende 2007 erwartete Zulassung von Motorfahrzeugen auf Gehwegen ist vom Tisch, doch die Karten werden unterm Tisch weiter gemischt. Im November letzten Jahres teilte Minister Tiefensee dem FUSS e.V. mit, dass er nicht beabsichtigt, eine Rechtsverordnung zu erlassen. Im Dezember beschloss der Bundesrat, dass er genau diese vom Ministerium erwartet. Im August wurden die Verbände um Stellungnahmen zum Verordnungs-Entwurf gebeten, nach der die Länder letztlich entscheiden können, was sie wollen. Bundesverkehrspolitik a´ la Tiefensee.
Es ist bisher noch nie vorgekommen, dass die Fußgängerlobby hätte sagen können: Wir haben es geschafft und uns mit unserer Forderung 100%ig durchsetzen können. Beim Thema „Zulassung der Segways auf Fußverkehrsflächen“ war der FUSS e.V. mal wieder kontinuierlich und hartnäckig am Ball und konnte sogar einen „halben“ Durchbruch erreichen, der aber gleich wieder mit großen Fragezeichen versehen ist. Durchbruchmäßig erschien beim ersten Lesen des Entwurfes einer „Verordnung über die Teilnahme elektronischer Mobilitätshilfen am Verkehr“, dass
Beides war 2007 so nicht absehbar und auch im ersten internen Entwurf der Verordnung vom März des Jahres noch nicht enthalten. In §7 steht, dass die „elektronischen Mobilitätshilfen: „Radverkehrsflächen, Verkehrsberuhigte Bereiche, Fahrbahnen in Tempo 30 – Zonen (und) innerörtliche Fahrbahnen, soweit keine Radwege vorhanden sind,“ befahren dürfen.
Das führte zu einer berechtigten Beunruhigung beim ADFC, wo man sich vorher, als es um Fußgänger- und Radverkehrsflächen ging, teilweise erstaunlich zurückhaltend verhielt. Auch wir halten es für einen Widerspruch, Segways im Wesentlichen wie ein Mofa einzuschätzen und auch zumindest den Mofa-Führerschein zu verlangen; sie aber als motorisierte Verkehrsmittel ohne maximale Breitenangabe den Radverkehrsflächen zuzuordnen. Der ADAC hatte sich vehement gegen die Zulassung durch Ausnahmegenehmigungen auf Fußverkehrsflächen ausgesprochen und vermutlich durch seine Interventionen das Blatt gewendet: Es geht vordergründig nicht mehr um Gehwege, sondern um die Benutzung von Radverkehrsanlagen.
Vordergründig, denn während im Anschreiben hervorgehoben wird, „dass die Benutzung des Segway in Fußgängerzonen und auf Fußgängerwegen nicht gestattet wird“, wurde diese Formulierung im Verordnungstext nicht wiederholt und es fehlt eine Definition des Begriffes „Radverkehrsflächen“, auf denen die Benutzung erlaubt ist. Das sind auch Radwege auf Gehwegen und es könnten Fußgängerzonen oder Gehwege sein, die für den Radverkehr freigegeben wurden (Zeichen 242 bzw. 239 mit Zusatzzeichen 1022-10 StVO), Radwege ohne Benutzungspflicht („andere Radwege“ nach §23, Abs.4, Satz 3 StVO) oder gemeinsame Geh- und Radwege (Zeichen 240 StVO).
Auf diesen ohnehin kritischen Gemeinschaftsflächen von Fuß- und Radverkehr und auf allen Radverkehrsflächen könnten dann Segways mit einer „bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von nicht mehr als 20 km/h“ auch mit dieser Geschwindigkeit fahren. Da bleibt die Zielvorgabe, „eine mögliche Gefährdung von Fußgängern“ auszuschließen, auf der Strecke. Die Strecke ist lang, denn es betrifft die Gehwege, von denen man einen Teil zum Radweg gewidmet hat, um den Kraftfahrzeugverkehr zu verflüssigen und zu beschleunigen.
Ein weiteres Problem ist die sogenannte Öffnungsklausel in §10: „Die Länder können in Ausnahmefällen abweichende Regelungen treffen, soweit die Verkehrssicherheit nicht beeinträchtigt wird.“ Diese geht in ihrer allgemein gehaltenen Aussage über §46 StVO (Ausnahmegenehmigung und Erlaubnis) hinaus und widerspricht der Intention des Entwurfes, die Fußgänger weder zu gefährden, noch zu behindern. Voraussetzung für die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung war bisher, dass ein besonderer Einzelfall vorliegt und ihr keine Interessen der Allgemeinheit entgegenstehen (lt. Schurig, zu §46 StVO, Anm.2.4). Sie „sollten nur genehmigt werden, wo das bei verständiger Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und des Einzelnen im öffentlichen Interesse oder zur Vermeidung einer unbilligen, vom VO-Geber nicht beabsichtigten Härte notwendig ist.“ (Bouska / Leue, zu §46 StVO, Anm.1)).
Darüber hinaus darf das Straßenverkehrsrecht nichts anordnen, was dem Straßenrecht widerspricht. „In den Straßengesetzen der Länder ist Kraftfahrzeugverkehr auf Fußgänger- und Radverkehrsflächen… grundsätzlich nicht vorgesehen... Die Fläche ´Gehweg´ ist straßenrechtlich dafür gewidmet, dass dort ausschließlich Fußgänger ihren Verkehr abwickeln….Auch Ausnahmegenehmigungen nach §46 StVO dürfen... nicht dazu führen, dass der Kerngehalt der Widmung bzw. bei Fuß- und Radverkehrsflächen der Widmungseinschränkung auf Dauer beseitigt wird.“ (Kettler, NZV 2/2008, Hinweis auf BVerwG, etc.).
Begründet wird die Zulassung, dass dadurch „insbesondere auch mobilitätseingeschränkte Personen die Möglichkeit der Teilnahme am Verkehr“ haben und sich die Fahrzeuge durch einen „geringen Flächenbedarf beim Fahren und Parken“ sowie eine „besondere Umweltfreundlichkeit auf Grund eines Elektroantriebes“ auszeichnen. Der erste Ansatz scheint auf eine erfolgreiche Durchsetzungsstrategie zu beruhen, denn wir können uns noch immer kein Bild davon machen, für welche Personengruppen oder auch bei welcher Art von Behinderungen Segways konkret eine Mobilitätshilfe darstellen.
Die beiden Umweltaspekte kommen dagegen nur zum Tragen, wenn es gelingt, dass Fahrerinnen und Fahrer von Kraftfahrzeugen im gesamten städtischen Straßennetz Segways anstelle ihrer Personenkraftwagen benutzen. Wenn diese hochgelobte Innovation nicht in Konkurrenz zum Personenkraftwagen treten kann, wird sie als zusätzlicher motorisierter Freizeitverkehr die Umwelt- und Klimabelastungen sogar noch erhöhen. Das Verkehrsministerium lobt zwar, dass die Industrie ein umweltfreundlicheres Fahrzeug entwickelt hat, ist aber nicht zu einer verkehrspolitischen Einordnung oder gar zu Konsequenzen bereit.
Die vorliegende Entwurf der Verordnung entspricht nicht dem Wunsch einiger Bundesländer und auch des FUSS e.V., Segways mit allen Rechten und Pflichten dem Mofa-Verkehr gleichzustellen und dies im Sinne einer Rechtsklarheit auf Bundesebene einheitlich zu verordnen. Eine Zulassung auf Geh- und Radflächen wird weiterhin abgelehnt. Die dem FUSS e.V. vorliegenden Stellungnahmen der Länder lassen erahnen, dass damit die Verordnung durch Ausnahmegenehmigungen unterlaufen und es zu einer praxisunverträglichen Vielfalt von Sonderregelungen bezüglich der Benutzungsge- und -verbote in den Städten Deutschlands kommen wird. Genau dies aber sollte durch eine bundeseinheitliche Verordnung vermieden werden!
Dieser Artikel von Bernd Herzog-Schlagk ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 4/2008, erschienen.
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