FUSS e.V. hat halb gewonnen und auch halb verloren:

Die noch Ende 2007 erwartete Zulassung von Motorfahrzeugen auf Gehwegen ist vom Tisch, doch die Karten werden unterm Tisch weiter gemischt. Im November letzten Jahres teilte Minister Tiefensee dem FUSS e.V. mit, dass er nicht beabsichtigt, eine Rechtsverordnung zu erlassen. Im Dezember beschloss der Bundesrat, dass er genau diese vom Ministerium erwartet. Im August wurden die Verbände um Stellungnahmen zum Verordnungs-Entwurf gebeten, nach der die Länder letztlich entscheiden können, was sie wollen. Bundesverkehrspolitik a´ la Tiefensee.

Es ist bisher noch nie vorgekommen, dass die Fußgängerlobby hätte sagen können: Wir haben es geschafft und uns mit unserer Forderung 100%ig durchsetzen können. Beim Thema „Zulassung der Segways auf Fußverkehrsflächen“ war der FUSS e.V. mal wieder kontinuierlich und hartnäckig am Ball und konnte sogar einen „halben“ Durchbruch erreichen, der aber gleich wieder mit großen Fragezeichen versehen ist. Durchbruchmäßig erschien beim ersten Lesen des Entwurfes einer „Verordnung über die Teilnahme elektronischer Mobilitätshilfen am Verkehr“, dass

  1. Segways nicht Fußverkehrsflächen mitbenutzen sollen und
  2. sie als das bezeichnet werden, was sie sind: motorisierte Kraftfahrzeuge im Sinne der Straßenverkehrsordnung.

Beides war 2007 so nicht absehbar und auch im ersten internen Entwurf der Verordnung vom März des Jahres noch nicht enthalten. In §7 steht, dass die „elektronischen Mobilitätshilfen: „Radverkehrsflächen, Verkehrsberuhigte Bereiche, Fahrbahnen in Tempo 30 – Zonen (und) innerörtliche Fahrbahnen, soweit keine Radwege vorhanden sind,“ befahren dürfen.

Nicht nur eine Problemverlagerung…

Das führte zu einer berechtigten Beunruhigung beim ADFC, wo man sich vorher, als es um Fußgänger- und Radverkehrsflächen ging, teilweise erstaunlich zurückhaltend verhielt. Auch wir halten es für einen Widerspruch, Segways im Wesentlichen wie ein Mofa einzuschätzen und auch zumindest den Mofa-Führerschein zu verlangen; sie aber als motorisierte Verkehrsmittel ohne maximale Breitenangabe den Radverkehrsflächen zuzuordnen. Der ADAC hatte sich vehement gegen die Zulassung durch Ausnahmegenehmigungen auf Fußverkehrsflächen ausgesprochen und vermutlich durch seine Interventionen das Blatt gewendet: Es geht vordergründig nicht mehr um Gehwege, sondern um die Benutzung von Radverkehrsanlagen.

Vordergründig, denn während im Anschreiben hervorgehoben wird, „dass die Benutzung des Segway in Fußgängerzonen und auf Fußgängerwegen nicht gestattet wird“, wurde diese Formulierung im Verordnungstext nicht wiederholt und es fehlt eine Definition des Begriffes „Radverkehrsflächen“, auf denen die Benutzung erlaubt ist. Das sind auch Radwege auf Gehwegen und es könnten Fußgängerzonen oder Gehwege sein, die für den Radverkehr freigegeben wurden (Zeichen 242 bzw. 239 mit Zusatzzeichen 1022-10 StVO), Radwege ohne Benutzungspflicht („andere Radwege“ nach §23, Abs.4, Satz 3 StVO) oder gemeinsame Geh- und Radwege (Zeichen 240 StVO).

Auf diesen ohnehin kritischen Gemeinschaftsflächen von Fuß- und Radverkehr und auf allen Radverkehrsflächen könnten dann Segways mit einer „bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von nicht mehr als 20 km/h“ auch mit dieser Geschwindigkeit fahren. Da bleibt die Zielvorgabe, „eine mögliche Gefährdung von Fußgängern“ auszuschließen, auf der Strecke. Die Strecke ist lang, denn es betrifft die Gehwege, von denen man einen Teil zum Radweg gewidmet hat, um den Kraftfahrzeugverkehr zu verflüssigen und zu beschleunigen.

…sondern auch Sonderregelungen

Ein weiteres Problem ist die sogenannte Öffnungsklausel in §10: „Die Länder können in Ausnahmefällen abweichende Regelungen treffen, soweit die Verkehrssicherheit nicht beeinträchtigt wird.“ Diese geht in ihrer allgemein gehaltenen Aussage über §46 StVO (Ausnahmegenehmigung und Erlaubnis) hinaus und widerspricht der Intention des Entwurfes, die Fußgänger weder zu gefährden, noch zu behindern. Voraussetzung für die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung war bisher, dass ein besonderer Einzelfall vorliegt und ihr keine Interessen der Allgemeinheit entgegenstehen (lt. Schurig, zu §46 StVO, Anm.2.4). Sie „sollten nur genehmigt werden, wo das bei verständiger Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und des Einzelnen im öffentlichen Interesse oder zur Vermeidung einer unbilligen, vom VO-Geber nicht beabsichtigten Härte notwendig ist.“ (Bouska / Leue, zu §46 StVO, Anm.1)).

Darüber hinaus darf das Straßenverkehrsrecht nichts anordnen, was dem Straßenrecht widerspricht. „In den Straßengesetzen der Länder ist Kraftfahrzeugverkehr auf Fußgänger- und Radverkehrsflächen… grundsätzlich nicht vorgesehen... Die Fläche ´Gehweg´ ist straßenrechtlich dafür gewidmet, dass dort ausschließlich Fußgänger ihren Verkehr abwickeln….Auch Ausnahmegenehmigungen nach §46 StVO dürfen... nicht dazu führen, dass der Kerngehalt der Widmung bzw. bei Fuß- und Radverkehrsflächen der Widmungseinschränkung auf Dauer beseitigt wird.“ (Kettler, NZV 2/2008, Hinweis auf BVerwG, etc.).

Nicht ausgenutzte Innovation

Begründet wird die Zulassung, dass dadurch „insbesondere auch mobilitätseingeschränkte Personen die Möglichkeit der Teilnahme am Verkehr“ haben und sich die Fahrzeuge durch einen „geringen Flächenbedarf beim Fahren und Parken“ sowie eine „besondere Umweltfreundlichkeit auf Grund eines Elektroantriebes“ auszeichnen. Der erste Ansatz scheint auf eine erfolgreiche Durchsetzungsstrategie zu beruhen, denn wir können uns noch immer kein Bild davon machen, für welche Personengruppen oder auch bei welcher Art von Behinderungen Segways konkret eine Mobilitätshilfe darstellen.

Die beiden Umweltaspekte kommen dagegen nur zum Tragen, wenn es gelingt, dass Fahrerinnen und Fahrer von Kraftfahrzeugen im gesamten städtischen Straßennetz Segways anstelle ihrer Personenkraftwagen benutzen. Wenn diese hochgelobte Innovation nicht in Konkurrenz zum Personenkraftwagen treten kann, wird sie als zusätzlicher motorisierter Freizeitverkehr die Umwelt- und Klimabelastungen sogar noch erhöhen. Das Verkehrsministerium lobt zwar, dass die Industrie ein umweltfreundlicheres Fahrzeug entwickelt hat, ist aber nicht zu einer verkehrspolitischen Einordnung oder gar zu Konsequenzen bereit.

Fazit

Die vorliegende Entwurf der Verordnung entspricht nicht dem Wunsch einiger Bundesländer und auch des FUSS e.V., Segways mit allen Rechten und Pflichten dem Mofa-Verkehr gleichzustellen und dies im Sinne einer Rechtsklarheit auf Bundesebene einheitlich zu verordnen. Eine Zulassung auf Geh- und Radflächen wird weiterhin abgelehnt. Die dem FUSS e.V. vorliegenden Stellungnahmen der Länder lassen erahnen, dass damit die Verordnung durch Ausnahmegenehmigungen unterlaufen und es zu einer praxisunverträglichen Vielfalt von Sonderregelungen bezüglich der Benutzungsge- und -verbote in den Städten Deutschlands kommen wird. Genau dies aber sollte durch eine bundeseinheitliche Verordnung vermieden werden!

 

Dieser Artikel von Bernd Herzog-Schlagk ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 4/2008, erschienen.

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