Peer Education - schon mal davon gehört? Das ist ein Ansatz, bei dem es darum geht, dass Kinder und Jugendliche von Gleichaltrigen lernen. Es wird davon ausgegangen, dass sich die jungen Menschen untereinander besser verstehen, weil sie ähnliche Probleme haben, die gleiche Sprache sprechen, u.ä. Da ich selbst in meiner Schulzeit an einem diesbezüglichen, erfolgreichen Modellprojekt teilgenommen habe, habe ich mich gefreut zu sehen, dass dieses Konzept nun auch in der Verkehrerziehung per Lernsoftware entdeckt wurde.
Zugegeben: ich habe bisher nur ein Produkt gefunden, der dieses Konzept verfolgt. Doch allein dieser Titel unterscheidet sich derart von allen anderen von mir vor einem Jahr gesichteten, dass sich die Untersuchung als lohnend herausstellte.
“Wir haben ein Problem: in Deutschland gibt es über 40 Millionen Autos. Das sind zu viele” - mit diesem Satz beginnt eine ganz außergewöhnliche Verkehrserziehungs-Lernsoftware: sie heißt “Verkehr- von Kindern für Kinder”…
Roswitha Freibichler hat mit ihrer vierten Klasse und der Multimedia-AG der Theodor-Heuss- Grundschule in Eppelheim eine CD-ROM hergestellt, die sich zunächst mit den Nachteilen von Autos beschäftigt; in Video-Interviews erzählen Kinder, was sie an den Straßen und Autobahnen am meisten stört. (1) Nach einem kurzen Exkurs über umweltfreundlichere Autos, bekommt man die Möglichkeit, unter verschiedenen Hauptmenüs zu wählen. Neben den für Verkehrserziehung üblichen Themen wie den Regeln für Fußgänger und Radfahrern überraschen die auf die Geschichte der Verkehrsmittel folgenden Kapitel über Busse, Züge, Autos, Schiffe und Flugzeuge. Bei dieser ganzheitlichen Sicht auf den gesamten Verkehr wird zudem die Umweltverträglichkeit stark fokussiert.
Außerdem wird nicht nur auf das Inline-Skaten eingegangen, was von vielen Lernprogrammen ausgeklammert wird, obwohl es zum Erfahrungsbereich der Kinder gehört, sondern sogar über blinde Menschen und RollstuhlfahrerInnen im Verkehr informiert. Im Bereich “Radfahren” werden nicht nur wie gewöhnlich die Teile des Rades erklärt, sondern die jungen Lerner bekommen praktische Tipps zum Fahrradkauf inklusive der richtigen Größe ihres Rades. Natürlich wird das Tragen eines Radhelms empfohlen, allerdings wird dies auch begründet: “Andere Verkehrsteilnehmer, z.B. Motorradfahrer, müssen ja auch Helme tragen.” Ein letztes Beispiel für die breite Öffnung des Themas zeigt sich im Kapitel über Verkehrsschilder: Obwohl dieses Kapitel immer ein wichtiger Teil jeder Verkehrserziehungs-Lernsoftware bildet, ist diese CD-ROM die einzige, auf der zum engen Kanon auch noch Fotos der Verkehrsschilder aus anderen Ländern gezeigt werden.
Völlig anders ist auch, dass neben der Handpuppe Felix, die durch das Programm führt, fast alle Texte authentisch von verschiedenen Kindern gesprochen werden- kindergerecht, versteht sich: kurze Sätze mit einfachen Worten, die manchmal lustig sind. Daneben gibt es die unterschiedlichsten Geräusche und viele von den Kindern eingesungene Lieder zum Thema. Als kleine Kostprobe hier ein Gedicht von Josef Guggenmos:
Wie es die Hühner machen, das weißt du doch. Sie müssen geschwind und unbedingt auf die andere Seite noch. Dass wir wie aufgeregte Hennen blindlings über die Straße rennen, kann`s das bei uns geben? Nie im Leben!
Leider sind einige der selbst gemalten Bilder schwer verständlich. Auch die Videos sind teilweise unverständlich, immer etwas gezwungen: da sieht man Stuntmänner bei Verkehrsunfällen durch die Luft fliegen, weil sie nicht genug Platz für eine sich öffnende Autotür gelassen haben (ihre Schuld) oder man sieht nachgestellte Unfall-Szenen, die sehr gekünstelt wirken. Schade, dass sich auch mal der ein oder andere kleine Fehler eingeschlichen hat, wenn man die Kinder selbst im Verkehr beobachten soll, die unkonsequent zur vorherigen Lektion nicht an der Bordsteinkante stehen bleiben, bevor sie über die Straße gehen.
Die Schule hat 2002 den zweiten Platz beim “Verkehrspräventionspreis” (toller Name: dem Verkehr soll wohl in dem Alter vorgebeugt werden) “Gib Acht im Verkehr” bekommen. Mitgewirkt haben übrigens die ansässige Polizei, die Busschule und der ... ADAC..
Schön ist, dass man nicht nur am Bildschirm zum Spielen aufgefordert wird, sondern auch viele Tipps für Spiele zur Verbesserung des Gleichgewichtes, ja sogar zur Unterscheidung von rechts und links erhält. Das kleine Quiz ist nett, wenn man von der Frage absieht, wo man mit dem Roller zu fahren hat; wählt man dort nämlich “Mit dem Roller fahre ich gar nicht”, was ja durchaus jedermanns Recht ist, hat man sofort verloren.
Interessanter Weise kann man sich anschauen, wie diese ansprechende CD-ROM entstanden ist; man sieht, dass es den Kindern viel Spaß gemacht haben muss. Neben der Produkterstellung haben sie sicherlich unvergleichlich viel dabei gelernt. Am Anfang haben sie z.B. beobachtet, wie viele Autos in ausgewählten Straßen fahren und eine Umfrage gemacht, wie viele von den Kindern der Schule wie zur Schule kommen (25 mit dem Eltern-Taxi, 47 nur, wenn es regnet, 140 laufen immer zu Fuß). Am Ende haben sie als Nebenprodukt erreicht, dass die Stadt sogar Pfeile auf die Gehwege kleben lässt, um den sichersten Schulweg der Kinder zu markieren. Muss ein tolles Projekt gewesen sein- nachahmenswert!!!
Dieser Artikel von Hanna Schlagk ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 2/2006, erschienen.
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