Infolge der demografischen Entwicklung wird Schätzungen zufolge im Jahr 2050 jeder Dritte in Deutschland 65 Jahre oder älter sein. Es ist zu erwarten, dass in näherer Zukunft deutlich mehr ältere Menschen aktiv am Verkehr teilnehmen werden als es noch heute der Fall ist.

Insbesondere ältere Radfahrer und Fußgänger sind als Verkehrsteilnehmer überdurchschnittlich gefährdet, tödlich zu verunglücken. Damit sich die aktiven Älteren - zu denen auch wir gehören werden - sicher im Verkehr bewegen können, sind die Belange der Älteren bei der Planung von Verkehrsräumen stärker zu berücksichtigen.

Das Risiko, bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt oder sogar getötet zu werden, ist für ältere Menschen beinahe dreimal so hoch wie bei den 18-64-Jährigen und sogar fünfmal so hoch wie bei der Altersgruppe unter 18 Jahren. Fast jeder zweite getötete Fußgänger und getötete Fahrradfahrer (jeweils 49%) im Jahr 2005 war mindestens 65 Jahre alt (1).

Dass Verkehrsunfälle gerade für ältere Verkehrsteilnehmer besonders schwere Folgen haben, liegt
  •   an der Art der Verkehrsteilnahme,
  •   an nachlassenden physischen Widerstandskräften sowie
  •   an zahlreichen Barrieren im Verkehrsraum.
Trotz Anstieg der Fahrleistung mit dem Pkw sind ältere Verkehrsteilnehmer immer noch überwiegend zu Fuß unterwegs. Insbesondere in Regionen mit traditionell hohem Radverkehrsanteil ist die Zahl der älteren Radfahrer sehr hoch. Das Fahrrad eignet sich zudem zum leichteren Transport von Einkäufen und dient ebenfalls als "Gehhilfe", wenn das Laufen nicht mehr so leicht fällt. Bei einer fußgängerunfreundlichen Umwelt nutzen Ältere verstärkt den eigenen Pkw.

Schwinden physischer Kräfte

Mit fortschreitendem Alter lässt die Bewegungsfähigkeit und Aufmerksamkeit bei der Verkehrsteilnahme nach. Somit fallen wichtige Bewegungsabläufe schwerer und komplexe Verkehrssituationen können infolge nachlassender Muskelkraft, schnellerer Erschöpfung, abnehmender Orientierungsfähigkeit sowie vor allem verminderter Mehrfach-Reaktionsleistungen nicht mehr richtig aufgelöst werden. Zudem nimmt häufig die Sehkraft ab, insbesondere Dämmerungssehen sowie die Unterscheidung schwacher Kontraste.
Schwierigkeiten ergeben sich besonders
  •   beim Überqueren von Straßen, da Grünzeiten wegen der geringeren Gehgeschwindigkeit häufig nicht mehr ausreichen,
  •   beim Überqueren von Fahrbahnen sowohl als Fußgänger als auch als Radfahrer aufgrund von akustischen und visuellen Einschränkungen, welche die Vororientierung erschweren,
  •   beim Abbiegen - insbesondere Linksabbiegen - auf dem Fahrrad, da gleichzeitiger Schulterblick, Handzeichen geben sowie Spurhalten zu "Wacklern" aufgrund von Gleichgewichtsverlust führen kann sowie
  •   beim Linksabbiegen mit gleichzeitigem Geradeausverkehr an signalisierten Knotenpunkten für ältere Kraftfahrer, aufgrund der komplexen Situation und Geschwindigkeiten.
Wegen ihrer physischen Einschränkungen fahren und bewegen ältere Menschen sich häufig zwar vorsichtiger als jüngere und verhalten sich regelkonformer. Dennoch lassen sich die körperlichen Defizite nur in Teilen kompensieren.
Gesundheitliche und altersbedingte Einschränkungen müssen bei der Gestaltung von Verkehrsräumen stärker berücksichtigt und mobilitätseinschränkende Barrieren vermieden bzw. beseitigt werden.

Anforderungen an die Planung

Folgende Planungsgrundsätze sollten beachtet werden, um Verkehrsräume für ältere Menschen geeignet zu gestalten:
  •   Verkehrsabläufe verlangsamen!
  •   Verkehrsvorgänge begreifbarer machen!
  •   Verkehrsräume sichtbarer machen!
  •   Mitmenschen sensibilisieren!
Der zukünftige Handlungsbedarf zur Berücksichtigung der Anforderungen älterer Menschen an die Straßenraumgestaltung ist in einen verfahrenstechnischen und einen maßnahmenbezogenen Teil zu differenzieren. Dabei ist das Verfahren des gegenwärtigen Verkehrsplanungsprozesses um folgende Methoden zu erweitern:

Mobilitätssicherungspläne
Gebietskörperschaften sollten zukünftig Mobilitätssicherungspläne für ältere Menschen erstellen, welche die Mobilitätsanforderungen älterer Menschen thematisieren. Unter Beteiligung der betroffenen Personengruppen und mit Fachplanern sind Mängelanalysen zu erstellen, die die Grundlage zur Auswahl und Rangfolge geeigneter Maßnahmen zur Mobilitätssicherung und Verbesserung der objektiven und subjektiven Verkehrssicherheit älterer Menschen bilden.

Methodenmix zur Mängelanalyse
Die Auswertung von Unfällen allein reicht nicht aus, um Mängelsituationen aus dem Blickwinkel älterer Menschen erkennen zu können. Befragungen vor Ort sowie Fokusrunden mit Älteren sind neben Unfallanalysen weitere geeignete Verfahren anzuwenden, die die Probleme älterer Menschen mit der Straßenraumgestaltung zum Vorschein bringen können.

Definition von Routen
Altengerechte Planungen sollten sich nicht nur auf Neubaumaßnahmen beschränken. Stattdessen sind in den Kommunen Routen zu definieren, die altengerecht zu gestalten sind. Im Zuge dieser Routen, die die Wegeketten älterer Menschen berücksichtigen, sollte nach und nach auch der Bestand umgestaltet werden. Im Gegenzug kann bei Neubaumaßnahmen außerhalb der Routen und mit Einzelfallprüfung auf aufwändige spezielle Maßnahmen zur Berücksichtigung mobilitätseingeschränkter Menschen verzichtet werden.

Ganzheitliche Planung
Die derzeit auf Einzelplanungen fixierte Straßenraumgestaltung ist durch großräumige Betrachtungen zu ergänzen. Dabei sind von Menschen ab 65 Jahren bevorzugte Wegeketten zu berücksichtigen. So reicht es beispielsweise nicht, einen Behindertenstellplatz vorzusehen - zur barrierefreien Ausgestaltung der Wegekette gehört z.B. auch die Bordsteinabsenkung und der barrierefreie Zugang zu den zugehörigen öffentlichen Gebäuden.

Planer und Entscheidungsträger sensibilisieren
Verkehrsplanungsprozesse sind gegenwärtig zu sehr auf Dimensionierung und Leistungsfähigkeitsbetrachtungen fokussiert. Verantwortliche sind im Hinblick auf die speziellen Bedürfnisse älterer Menschen zu informieren und zu schulen, um unter Kenntnis aller Belange den immer notwendigen Abwägungsprozess umfassend gestalten zu können.

Im Rahmen der Maßnahmenentwicklung sind folgende Erfordernisse zu beachten:


Blickwinkel verändern
Bei der Maßnahmenauswahl ist darauf zu achten, dass sich die Zielgruppen in Zukunft verändern werden. Das zukünftige Verkehrsgeschehen wird mehr durch ältere aktive Kraftfahrer, insbesondere durch ältere Fahrerinnen, geprägt sein - es wird weniger Blinde dafür mehr Sehbehinderte, weniger Gehörlose und mehr Hörgeschädigte, weniger Rollstuhlfahrer und mehr Gehbehinderte geben, auf die die Straßenraumgestaltung reagieren muss.

Komplexe Situationen entzerren
Unfallhäufungen mit Beteiligung älterer Menschen sind vorrangig in komplexen Verkehrsräumen zu verzeichnen. Es gilt, den Verkehrsablauf generell zu vereinfachen. Erfolgversprechende Beispiele sind der konsequente Schutz von Linksabbiegern bei zeitversetzter Freigabe bedingt verträglicher Ströme an lichtsignalgesteuerten Knotenpunkten, der Verzicht auf freie Rechtsabbieger, die unsignalisiert an einer Dreiecksinsel vorbeigeführt werden und der Umbau nicht signalgeregelter Knotenpunkte in Kreisverkehre, sofern der Rad- und Fußgängerverkehr hiervon nicht beeinträchtigt wird.

Geschwindigkeit reduzieren
Überhöhte Geschwindigkeit ist insgesamt die häufigste Unfallursache. Durch Verringerung der Geschwindigkeit mit Hilfe entsprechender Verkehrsraumgestaltung werden Verkehrsabläufe begreifbarer und (nicht nur) ältere Verkehrsteilnehmer haben mehr Zeit, zu reagieren.

Kontrastreich gestalten
Das architektonisch gern gesehene "Grau in Grau" ist durch kontrastreichere Gestaltung zu ersetzen. Kontrastreiche Elemente bieten sich in allen Variationen an - gefordert sind z.B. kontrastierende Sicherheitstrennstreifen zwischen Geh- und Fahrwegen und zwischen niveaugleichen Geh- und Radwegen.

Infrastruktur pflegen
Besondere Bedeutung hat die Pflege bestehender Infrastruktur. Insbesondere für ältere Radfahrer und Fußgänger bergen Schlaglöcher oder lose Gehwegplatten eine große Gefahr.

Mindestmaße vermeiden
Mindestmaße sollten bei der Gestaltung von Verkehrsanlagen vermieden werden. Ältere Verkehrsteilnehmer schätzen eher Komfortmaße, die Ihnen mehr Bewegungsspielraum und damit mehr Sicherheit einräumen.

Verkehrsarten trennen
Ältere Mensche fühlen sich sicherer, wenn Verkehrsarten getrennt sind. Insbesondere gemeinsame Geh-/Radwege sind zu vermeiden. Für den Radverkehr sind bei hohen Verkehrsstärken sichere Alternativen anzubieten, z.B. indirektes Linksabbiegen an großen Knotenpunkten.

Querungsstellen anbieten
Ältere Fußgänger und Radfahrer verunglücken besonders häufig beim Queren der Fahrbahn an ungesicherten Stellen. Daher sollten mehr Querungsstellen eingerichtet werden. Unter- und Überführungen sollten dabei aus Gründen der sozialen Sicherheit sowie der schlechten Nutzbarkeit vermieden werden. Mittelinseln bieten besonderen Schutz. Sie trennen Verkehrsströme und machen Verkehrsabläufe somit einfacher, auch für den Kraftfahrzeugverkehr. Insbesondere in Versorgungszentren sollten gesicherte Querungsmöglichkeiten in besonders kurzen Abständen vorhanden sein.

Querungsstellen sichern
Sichtfelder an Querungsstellen sind konsequent freizuhalten. Bei besonderem Schutzbedürfnis sind Fußgängerüberwege oder Lichtsignalanlagen für Fußgänger einzurichten. Die Belange Geh- und Sehbehinderter sind gleichermaßen zu berücksichtigen. An innerörtlichen Kreisverkehren sollten alle Querungsstellen grundsätzlich mit Fußgängerüberwegen ausgestattet werden, um einheitliche und damit begreifbare Verkehrssituationen für alle Verkehrsteilnehmer zu schaffen.

Signalisierung anpassen
An signalgeregelten Querungsstellen ist die geringere Gehgeschwindigkeit von älteren Menschen bei der Bemessung stärker zu berücksichtigen. Für den Kraftfahrzeugverkehr sind insbesondere ungesicherte Linksabbieger an signalisierten Knotenpunkten zu vermeiden. Hier passieren besonders viele und schwere Unfälle. Bewährt hat sich die Einrichtung einer eigenen Phase für den Linksabbieger.

Angebote einrichten
Ältere Menschen sind in hohem Maße auf Hilfestellungen angewiesen, die durch gesteigerte Präsenz öffentlichen Personals und einem dichteren Netz städtischer Angebote gewährleistet werden sollten. Neben der Verbesserung der subjektiven Sicherheit sowie des Informationsangebotes zählen z.B. Ruhe- und Verweilzonen sowie öffentliche Toiletten zu notwendigen Einrichtungen.

Fazit

Ältere Menschen sind schwächere Verkehrsteilnehmer und damit auf besonderen Schutz angewiesen. Den Bedürfnissen älterer Menschen an die Verkehrsraumgestaltung muss daher bei Um- und Neubau mehr Berücksichtigung geschenkt werden, um möglichst lange eine eigenständige Mobilität zu ermöglichen. Dabei kommt eine altengerechte Gestaltung allen Verkehrsteilnehmern zu Gute.

In Kürze

Die Belange älterer Menschen bei der Verkehrsraumgestaltung sollten aufgrund der abzusehenden demografischen Entwicklung stärker als bisher berücksichtigt werden. Eine nicht adäquate Verkehrsraumgestaltung führt zu einem erhöhten Unfallrisiko älterer Menschen und schließt diese möglicherweise sogar frühzeitig von einer eigenständigen Teilnahme am Straßenverkehr aus. Eine altengerechte Gestaltung kommt dabei nicht nur älteren Menschen, sondern allen Verkehrsteilnehmern zu gute und sollte daher grundsätzlich angestrebt werden.

Quellennachweis:

  1. Destatis, Verkehrsunfälle 2005, Fachserie 8, Reihe 7, Wiesbaden, 2006

 Weitere Informationen:

Der 16. "Bundesweite Umwelt- und VerkehrsKongress BUVKO" fand im März 2007 in Stuttgart unter dem Motto "Demografischer Wandel und Mobilität: Verkehrsrückgang als Chance" statt. Die Ergebnisse finden Sie unter www.buvko.de > Rückblick.

 

Dieser Artikel von Dirk Boenke und Prof. Dr.-Ing. Jürgen Gerlach ist in mobilogisch!, der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 4/06, erschienen. Beide arbeiten an der Universität Wuppertal, FB D. Lehr- und Forschungsgebiet Straßenverkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik.


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