Ältere Menschen rücken im Zusammenhang mit der Verkehrssicherheitsarbeit in Deutschland immer mehr in den Vordergrund. Die Folgen von Straßenverkehrsunfällen mit Beteiligung von Senioren werden von Unfallforschern als „alarmierend“ bezeichnet. Allerdings ist die ältere Generation zum einen im Gegensatz zur Zielgruppe Kinder nicht mehr über eine Pflicht-Institution (Kindergarten, Schule) anzusprechen, zum anderen will sie in der Regel zum Thema Verkehrssicherheit auch nicht gerne Ratschläge annehmen. Die Aussage „Ich hatte noch nie einen Unfall“ wird zum schlagenden Argument und möglicherweise bei fehlender Aufmerksamkeit über die eigene körperliche Entwicklung zur Falle. FUSS e.V. hat mit www.senioren-sicher-mobil.de eine neue Website ins Netz gestellt, in der herausgearbeitet wird, dass Verkehrssicherheitsarbeit zukünftig inhaltlich und auch organisatorisch breiter aufgestellt werden muss.
Neben den Kindern gehören ältere Menschen zu den am stärksten betroffenen Opfern von Verkehrsunfällen. Im Jahr 2008 waren etwa 20 % der Einwohner in Deutschland 65 Jahre alt oder älter; dagegen waren knapp ein Viertel aller getöteten VerkehrsteilnehmerInnen, über die Hälfte der getöteten FußgängerInnen sowie die Hälfte der getöteten RadfahrerInnen im Seniorenalter. Seit 1996 steigt die Verunglückten-Zahl im Vergleich zum gesamten Unfallgeschehen überproportional an. Die demografische Entwicklung ist bekannt. Wenn jetzt nicht intensiv gegengesteuert wird, könnte die Zahl der Straßenverkehrsopfer wieder zunehmen, obwohl die europäischen Staaten sich zum Ziel gesetzt haben, von 2010 bis 2020 die Zahl der Verkehrstoten in Europa zu halbieren.
Auch deshalb hat der Fachverband Fußverkehr Deutschland FUSS e.V. im Jahr 2010 von der Verkehrslenkung Berlin (VLB) der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin den Auftrag bekommen, die gemeinsame Website der Unterzeichner der Berliner Charta für die Verkehrssicherheit www.berlin-sicher-mobil.de durch Angebote und Hintergrundinformationen im Bereich der Senioren-Verkehrssicherheitsarbeit anzureichern. Dies erst, nachdem der Verband den „Stolperstein“ überwand und dazu bereit war, im Förderantrag aus der Formulierung „Verkehrssicherheit, Gesundheit und Mobilität bis ins hohe Alter“ den Begriff „Gesundheit“ herauszunehmen. Dies sei nicht Aufgabe der Stadtentwicklung, sondern die der Senatsverwaltung für Gesundheit.
Interessanterweise kamen aufgrund der Nachfragen insbesondere aus den Bezirksverwaltungen Hinweise zur Gesunderhaltung und zu Bewegungstrainings als Angebote zur Verbesserung der Verkehrssicherheit von älteren Menschen. Aufgenommen wurde davon in der gemeinsamen Website bisher nichts, es wird allerdings auf die Informationen auf der Website www.senioren-sicher-mobil.de hingewiesen, die allein in der Verantwortung des FUSS e.V. liegt. Dies soll hier nicht „nachtragend“ notiert sein, sondern beispielhaft aufzeigen, dass es immer auch eine Aufgabe von Verbänden sein muss, themenübergreifende Verknüpfungen herzustellen, wenn Verwaltungen die Hände gebunden sind oder es auch nur gefühlte Probleme mit einer die Verwaltungsgrenzen überschreitenden Herangehensweise gibt.
Aus der Mitte Juli 2011 vom Berliner Senat verabschiedeten „Fußverkehrsstrategie für Berlin“ wird hervorgehen, dass das Gehen die Gesundheit verbessert, nicht aber, dass die Gesunderhaltung eine der Grundlagen ist, im Straßenverkehr zu überleben - es sei denn, man bewertet die Aussage „sichert die Mobilität bis ins hohe Alter“ auch als eine Verkehrssicherheitsaussage. Insgesamt sind das vage Andeutungen, die kaum dazu führen werden, bei Verkehrssicherheitskonzepten z.B. das Thema Erhalt der Beweglichkeit als ein echtes Standbein einzufügen. Es scheint mitunter so, als ob die Begriffe „Verkehrssicherheit“ und „Gesundheit“ verwaltungstechnisch bedingt aus zwei Welten sind. Das ist insbesondere im Hinblick auf die ältere Generation absurd.
Der Konflikt ist formalistisch, weil wohl niemand daran zweifelt: Ein Mensch mit Problemen bei der Überwindung von Kanten und Stufen, wie z.B. an Bordsteinkanten, ist deutlich mehr gefährdet im Straßenverkehr als ein Mensch, der darüber überhaupt nicht nachdenkt und durch seine Laufbewegung tatsächlich fast immer am Bordstein so ankommt, dass kein Zwischenschritt notwendig ist. (Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht? Nein, gut so. Dann gehören Sie noch zu den Menschen, bei denen es mit automatischer Steuerung funktioniert.)
Im bundesdeutschen Rahmen stehen nicht nur „harte“ Maßnahmen wie technische Weiterentwicklungen am Fahrzeug und Verbesserungen der Infrastruktur im Fokus der Anstrengungen, sondern vor allem Gesundheit, Ernährung und Bewegung. Zur Förderung dieser Faktoren für Mobilität hat sich das Bundesministerium für Gesundheit bereits 2007 im Eckpunktepapier „Gesunde Ernährung und Bewegung – Schlüssel für mehr Lebensqualität“ positioniert. Dort heißt es:
„Im Alltag der Menschen, im Wohnumfeld, am Arbeitsplatz, in Kindergärten und Schulen oder in Seniorenheimen, müssen ausreichend attraktive Bewegungsmöglichkeiten vorhanden sein. Das Wohnumfeld muss so gestaltet sein, dass es genügend Bewegungsanreize schafft. Dazu zählen abwechslungsreiche Spielplätze, sichere und reizvolle Fuß- und Fahrradwege, wohnortnahe Einkaufsmöglichkeiten und attraktive Parks. Auch müssen Sport- und andere Bewegungsangebote leicht erreichbar sein.“
Eines der zentralen Ziele ist es, „bis 2010 … das Bewegungsverhalten nachhaltig zu verbessern.“ Im Eckpunktepapier steht allerdings nicht, dass diese Maßnahmen auch zur Erhöhung der „Verkehrssicherheit“ beitragen würden, weil das Ministerium mit einer solchen Wortwahl wohl beim zuständigen Bundesminister für Verkehr anecken würde.
Übrigens: Im Rahmen der Kampagne „IN FORM – Deutschlands Initiative für gesunde Ernährung und mehr Bewegung“ wird deutlich hervorgehoben, dass „Strukturen geschaffen [werden müssen] die es Menschen ermöglichen, einen gesundheitsförderlichen Lebensstil zu führen.“ Bedauerlicherweise sind die Träger, das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz und das Ministerium für Gesundheit für Infrastrukturmaßnahmen, nicht zuständig. Vom Verkehrsministerium BMVBS ist nicht bekannt, ob sie Kommunen in Vorhaben unterstützen, diese Strukturen zu schaffen.
Im Oktober 2010 legte nun der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung in seiner Stellungnahme ein Gesamtkonzept zur Erhöhung der Straßenverkehrssicherheit in Deutschland vor. Im Hinblick auf die zunehmende Teilnahme älterer Kraftfahrerinnen und Kraftfahrer im Straßenverkehr wird darin ausgeführt:
„Da der Alterungsprozess sehr individuell verläuft und Defizite durch Erfahrung und Anpassung des Verkehrsverhaltens kompensiert werden können, andererseits jedoch die Einsicht in zurückgehende Leistungsmöglichkeiten im Alter vielfach schwerfällt, ist eine zielgruppengerechte und persönliche Beratung von zentraler Bedeutung. Älteren Kraftfahrern sollten Anreize gegeben werden zur verstärkten Prüfung ihrer Leistungsfähigkeiten. Gestärkt werden sollte die Rolle der Ärzte in der Verkehrssicherheitsberatung Älterer, da sie von den Senioren als kompetente und vertrauenswürdige Ansprechpartner geschätzt werden.“ Auch hier wird also im Zusammenhang mit der Verkehrssicherheitsarbeit nicht der Begriff „Gesundheit“ verwendet, aber immerhin mit den Ärzten der Gesundheitssektor angesprochen.
Übrigens: Diese Verknüpfung reifte im Zusammenhang mit der Erarbeitung des „Weißbuches zur Straßenverkehrssicherheit 2011-2020“ der Europäischen Kommission, weil dort die deutsche Bundesregierung die Abgabe des Führerscheins aus Altersgründen verhindern wollte. Die Einbindung des Gesundheitssektors in die Verkehrssicherheitsberatung war also nicht als allgemeine und logische Verknüpfung gedacht, sondern als weicher Kompromiss für eine ganz individuelle Entscheidung über die eigene Verkehrstüchtigkeit.
Aufgrund der eklatanten Zunahme der weltweit im Straßenverkehr getöteten Menschen (2004: 1,27 Mio., Prognose 2030: 2,4 Mio. Straßenverkehrstote pro Jahr) schlug die Weltgesundheitsorganisation der UN (WHO) 2009 „in einem weiter greifenden Ansatz die Koordination der Verkehrsunfallverhütung mit der Verletzungs- und Schadensprävention in anderen Lebensbereichen […] vor.“ (z.B. Community Safety-Programme). Wesentlich ist bei diesem Ansatz die Kooperation mit Institutionen des Gesundheitswesens. Im Dezember 2009 wurde z.B. das Land Brandenburg als erstes deutsches Bundesland als Mitglied des internationalen Netzwerkes der „Safe Communities“ (Sichere Gemeinden) der Weltgesundheitsorganisation WHO zertifiziert, in dem auch der FUSS e.V. mit Verkehrssicherheits-Projekten integriert ist (vgl. Meldung in der mobilogisch 1-10).
Im Alter zwischen 50 und 60 Jahren verdrängen oder erkennen die meisten Menschen ihre ersten Anzeichen körperlicher Alterungsprozesse deutlicher, als dies in den Lebensjahren davor war. Häufig beginnt das mit dem Nachlassen der Seh- (z.B. im Nahbereich, Blendempfindlichkeit, etc.) oder Hörfähigkeit (z.B. Probleme mit der Trennung gleichzeitiger unterschiedlicher Geräuschquellen). Auch ermüden Körper schneller und die Aufmerksamkeit lässt eher nach. Mit Hilfsmitteln (Lesebrille, Hörgerät, Gehhilfen, Veränderungen am Fahrzeug) oder Verhaltensänderungen (z.B. weniger bei Dunkelheit unterwegs, bedächtigere Geschwindigkeiten, usw.) lassen sich viele dieser ganz natürlichen Veränderungen ausgleichen. Durch mehr Bewegung in der Freizeit und im Alltag (z.B. Treppen steigen, zu Fuß gehen, Fahrrad fahren) kann diese Entwicklung entschleunigt (Prävention) oder teilweise sogar rückgängig gemacht (Therapie) werden.
Diese Zusammenhänge werden auch in der zur Verminderung oder Behebung von Sicherheitsmängeln in allen Lebens- und Arbeitsbereichen verwendeten sogenannten „3-E-Formel“ weitgehend ausgeblendet:
Wenn ich das richtig sehe, ist es u.a. Bernhard Schlag (Verkehrspsychologe TU Dresden) zu verdanken, mit den zusätzlichen Begriffen
die Formel auf die „5-E der Verkehrssicherheitsarbeit“ erweitert zu haben. Die beiden „E“s waren zwar zusammen gefasst, aber da „Anreiz“ und „Kosten“ wie Zuckerbrot und Peitsche sind, sollen sie hier auch getrennt erscheinen. Mit diesen Begriffen wurde anerkannt, dass die Verkehrsmittelwahl einen entscheidenden Einfluss auf die Verkehrssicherheit hat und das zum Umsteigen auf den verkehrssicheren Umweltverbund motiviert werden kann.
Die Begriffserweiterung wird sich wahrscheinlich in unserer Generation nicht mehr durchsetzen, weil so etwas seine Zeit braucht und weil die Werbebranche uns erzählt, dass 3 Begriffe das Optimum sind, auf die man alles in dieser Welt zusammenfassen können muss (siehe „quadratisch. praktisch. gut“). Und dennoch wurde der Erhalt der Beweglichkeit und Gesundheit durch die Verkehrsteilnehmer selbst bisher nicht als „Maßnahme“ aufgenommen, weil die Bürger allenfalls als Zielgruppe, aber kaum als eigenständig handelnde Wesen betrachtet werden. Darüber hinaus fand sich vielleicht auch kein weiteres „E“, denn selbstverständlich muss auch dies in englisch ausdrückbar sein. Dazu fand ich den Satz „A bit of exercise will do you good“ (Etwas Bewegung wird dir gut tun.) und spätestens damit wird die „6-E-Formel für die Verkehrssicherheit“ in die Geschichte eingehen mit zusätzlich:
Damit ist möglicherweise ein ernsthaftes Versäumnis bisheriger Verkehrssicherheitsstrategien zu beseitigen.
Wer bis ins hohe Alter mobil sein, sowie Eigenunfälle (Stürze) und Straßenverkehrsunfälle vermeiden möchte, sollte sich über die relevanten Verkehrsregeln für das möglichst konfliktfreie Miteinander informieren, einige Verhaltens-Tipps beherzigen, welche für die an sich selbst festgestellten Veränderungen relevant sind und gleichzeitig möglichst viel dazu beitragen, um körperlich und geistig fit zu bleiben. In den gewonnenen Jahren sollte man die Verantwortlichen bedrängen, die beiden anderen „E“s umzusetzen, d.h. sichere Infrastrukturen zu schaffen und die Einhaltung der Sicherheitsregeln auch durchzusetzen.
In der Medienberichterstattung über Verkehrsunfallfolgen ist es nach wie vor verpönt, darüber zu sprechen oder zu schreiben, dass die Betroffenen damit ihre Gesundheit eingebüßt haben, also krank sind (sie wurden „verletzt“ oder „schwerverletzt“) oder gar tot („sie erlagen ihren Verletzungen“). Allenfalls in der wissenschaftlichen Literatur findet man Hinweise und Belege dafür, dass die Verkehrsunfallfolgen unser Gesundheitssystem ganz beträchtlich belasten. Dennoch hat die Verkehrssicherheitspolitik in der öffentlichen Diskussion offenbar recht wenig mit der Gesundheitspolitik zu tun; die Themen sind politisch, verwaltungsmäßig und auch von den Programmen her weitestgehend getrennt. Das ist nicht nachvollziehbar und fatal, insbesondere dann, wenn man sich Gedanken über die Verkehrssicherheitsarbeit macht und dabei die Bemühungen der Gesundheitsprävention nicht einbezieht.
Dabei ist das Risiko, an einem Unfall beteiligt zu sein, ganz entscheidend von dem physischen und psychischen Zustand der Unfallbeteiligten abhängig. Den Verkehrsteilnehmern wird zwar empfohlen, den Beipackzettel ihrer Medikamente genau zu lesen, ob sie aber fit sind und sich fit halten, wird nicht gefragt. Die Bewegung als eine der wesentlichen Beiträge zur Gesundheits-Prävention wird in der Regel zur Vorbeugung von Krankheiten, zur Verminderung der Sturzgefahr oder gegen die Fettleibigkeit empfohlen, nicht aber auch als ein Beitrag zur Minderung des Risikos, an einem Verkehrsunfall beteiligt zu sein. So wird auf der einen Seite ein Vortrag über die Gefahren im Straßenverkehr, bei dem die Zuhörerinnen und Zuhörer sitzen, Kaffee trinken und Kuchen essen als Verkehrssicherheitsarbeit angesehen. Auf der anderen Seite aber zum Beispiel nicht die Gymnastik, die letztlich dazu führen kann, dass ein älterer Mensch im Stande ist, seinen Kopf so zu wenden, dass er später am Straßenrand stehend in Blickkontakt mit den Fahrerinnen und Fahrern des rollenden Verkehrs treten kann.
FUSS e.V. liefert mit seiner neuen Website www.senioren-sicher-mobil.de nicht nur eine umfassende Hintergrundinformation, sondern fragt z.B. wie hoch das Verkehrsunfall-Risiko für Senioren ist, ob sie häufiger Unfälle verursachen als anderen Generationen oder welchen Stellenwert die Mobilität für ältere Menschen hat. Da in mobilogisch Infrastrukturmaßnahmen im Sinne aller nichtmotorisierten Verkehrsteilnehmer ein kontinuierliches Schwerpunktthema sind, wurde in diesem Beitrag die Fragestellung behandelt, ob der Erhalt der Gesundheit und der Beweglichkeit nicht eine zentrale Fragestellung auch im Rahmen der Verkehrssicherheitsarbeit sein müsste.
www.senioren-sicher-mobil.de erläutert die Begriffe „Senioren“, „Sicherheit“ und Mobilität“ und vermittelt Hintergrundwissen über die Verbesserung der Verkehrssicherheit, den Zusammenhang von Bewegung und Gesundheit mit der eigenen Sicherheit, seniorenfreundliche Infrastrukturmaßnahmen, die Verkehrsmittelwahl, das Verkehrsverhalten älterer Menschen, Verhaltens-Tipps für die Teilnahme am Straßenverkehr sowie eine Auswahl von Projekten und Angeboten für Senioren und Multiplikatoren deutschlandweit und in den Bundesländern.
Die Website bietet eine Zusammenstellung politischer und planerischer Zielvorgaben und Konzepte (Beschlüsse, politisch/strategische Ziele, Verwaltungsrichtlinien, etc.), auf die Sie Ihre Gemeinde, Stadt, Ihr Bundesland oder die Bundesregierung immer wieder hinweisen sollten. Ein Literatur-Register rundet die Informationen ab. Auf der Website finden Sie alle Quellenangaben zu diesem Beitrag.
Dieser Artikel von Bernd Herzog-Schlagk ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 3/2011, erschienen.
Einzelhefte von mobilogisch! können Sie in unserem Online-Shop in der Rubrik Zeitschrift bestellen.
Aufgrund der Alterung der Gesellschaft rückt die Gruppe der SeniorInnen zunehmend in den Blickpunkt der Mobilitätsforschung; von Jüngeren unterscheiden sie sich im Verkehrsverhalten insbesondere aufgrund der wegfallenden Berufstätigkeit sowie altersbedingt zunehmenden körperlichen Einschränkungen. Gleichzeitig führen eine höhere Pkw-Verfügbarkeit und veränderte Lebensstile der so genannten „jungen Alten“ zu höheren Mobilitätsraten gegenüber früher. Unterschiede innerhalb der wachsenden Gruppe der älteren Menschen zu erforschen und aufzuzeigen, war das Ziel des 2009 begonnenen ILS-Projekts „Segmentierung von Senioren zur Entwicklung zielgruppenspezifischer Mobilitätsangebote“.
Während SeniorInnen derzeit einen höheren Anteil ihrer Wege zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen als jüngere Erwachsene (z. B. BMVBS 2010), werden in Zukunft immer mehr ältere Menschen – insbesondere Frauen – einen Führerschein besitzen und über einen Pkw verfügen können. Dies wird schon heute bei einem Vergleich der verschiedenen Altersgruppen von SeniorInnen deutlich: bei den über 80-Jährigen zeigen sich noch sehr ausgeprägte Geschlechterunterschiede im Führerscheinbesitz, in den jüngeren Segmenten sind diese deutlich geringer.
Obwohl eine negative Korrelation zwischen dem Lebensalter und der Anzahl der zurückgelegten Wege besteht (z. B. Páez et. al., 2007) sind ältere Menschen aufgrund eines veränderten Lebensstils und besserer Gesundheit mobiler. Dabei nehmen insbesondere Freizeit- und soziale Aktivitäten zu.
Im Hinblick auf die Verkehrssicherheit und die Umwelt hat zu erwartende wachsende Anzahl älterer Pkw-FahrerInnen Konsequenzen. Programme zur Verbesserung des Fahrvermögens und zur Steigerung des Bewusstseins für die speziellen Anforderungen, denen sich SeniorInnen beim Fahren gegenüber sehen werden genauso entwickelt wie Automobile, die den besonderen Bedürfnissen älterer Menschen gerecht werden. Benötigt werden jedoch auch Maßnahmen, die eine umweltfreundliche Alternative zum Pkw darstellen und dennoch die Mobilitätsoptionen verbessern. Dabei stellt der barrierefreie Zugang zum ÖV zwar eine notwendige, aber keinesfalls eine hinreichende Bedingung dar. Damit die Entwicklung und Implementierung von (neuen) Mobilitätsangeboten den zunehmend heterogenen Bedürfnissen älterer Menschen auch gerecht werden kann, bedarf es einer genauen Differenzierung der möglichen Zielgruppen.
Auf Grundlage einer telefonischen Befragung von 1.500 älteren Menschen (ab 60 Jahre) aus NRW wurden das Mobilitätsverhalten und potenzielle Einflussfaktoren hierauf erhoben. Erfasst wurden dabei sowohl Aspekte der persönlichen Lebenssituation als auch räumliche und infrastrukturelle Voraussetzungen sowie mobilitätsbezogene Einstellungen.
Das Mobilitätsverhalten wurde erhoben, indem die SeniorInnen zu 16 möglichen Arten von Aktivitäten (Freizeitaktivitäten, Erwerbs-/ Reproduktionsarbeit, Einkaufen/private Erledigungen), zu deren Häufigkeit und zur jeweiligen Verkehrsmittelwahl befragt wurden.
Die TeilnehmerInnen waren im Durchschnitt 71,4 Jahre alt; knapp 60 % waren Frauen. Die Stichprobe ist repräsentativ für die ältere Bevölkerung im Hinblick auf soziodemografische Daten wie Geschlecht und Siedlungsstruktur der Gemeinden. Das Bildungsniveau ist überdurchschnittlich hoch (26,9 % Abitur/Studium), was sich auf eine generell erhöhte Teilnahmebereitschaft höher gebildeter Menschen an wissenschaftlichen Studien zurückführen lässt.
Auf Grundlage der Befragung konnten in zwei Schritten vier verschiedene Mobilitätstypen herausgearbeitet werden. Zunächst wurden die Faktoren mit der höchsten Vorhersagekraft in Bezug auf das Mobilitätsverhalten ermittelt. Im zweiten Schritt wurden auf Basis dieser stärksten Einflussfaktoren Clusteranalysen durchgeführt, deren Ziel es war, weitgehend homogene Teilgruppen älterer Menschen zu bilden, die sich in den für das Mobilitätsverhalten relevanten Merkmalen – und damit auch im Mobilitätsverhalten selbst – möglichst stark unterscheiden. Die resultierenden Mobilitätstypen (Segmente) wurden „Pkw-Fixierte“ (Anteil: 19%), „Junge wohlhabende Mobile“ (27%), „Selbstbestimmt Mobile“ (29%) und „ÖV-Zwangsnutzer“ (25%) genannt.
Die „Pkw-Fixierten“ verfügen häufig über einen privaten Pkw und bewerten diesen am positivsten im Hinblick auf dessen affektiv-symbolische Funktion. Bemerkenswert ist ihre negative Bewertung gegenüber dem Umweltverbund. Der Pkw-Anteil ihrer Wege ist im Vergleich zu den anderen Mobilitätstypen am höchsten, der Anteil der Fuß- und Fahrrad-Wege am niedrigsten. Drei Viertel von ihnen fahren nie mit dem Fahrrad; über die Hälfte fährt nie mit öffentlichen Verkehrsmitteln (vgl. Abb. 3 und 4). Pkw-Fixierte sind häufig von ihrem Pkw abhängig, da sie in der Regel weniger zentral wohnen oder aus anderen Gründen Schwierigkeiten haben, öffentliche Verkehrsmittel oder das Fahrrad zu nutzen.
Interessant ist, dass sie trotzdem keine überdurchschnittlich große Distanz pro Jahr mit dem Auto zurücklegen, was damit zusammenhängen könnte, dass sie sich in eher kleineren sozialen Netzen bewegen und dass sie verglichen mit den anderen Gruppen weniger aktiv sind. 57 % der Pkw-Fixierten sind Frauen; das entspricht in etwa der Verteilung in der Gesamtstichprobe. Sie sind mit 74,5 Jahren überdurchschnittlich alt und haben häufiger eine ihre Mobilität einschränkende Behinderung: 45 % zu 23 % in der Gesamtstichprobe, auch schätzen sie ihren Gesundheitszustand schlechter ein. Sie weisen ein geringeres Bildungsniveau und Nettoeinkommen auf und leben häufiger allein. Insgesamt zeigen sie die geringsten Zufriedenheitswerte bezüglich ihrer Mobilitätsmöglichkeiten.
Fast alle „Jungen wohlhabenden Mobilen“ verfügen über einen Pkw und mehr als die Hälfte von ihnen legt damit jährlich über 10.000 km zurück. Charakteristisch für sie ist ein hohes subjektives Mobilitätsbedürfnis. Sie wohnen eher am Stadtrand oder in den Vororten. 20 % aus dieser Gruppe sind noch berufstätig (Gesamtstichprobe 9 %) und bezüglich ihrer Freizeitaktivitäten sehr aktiv. Sie erleben ihre ÖV-Nutzungsmöglichkeiten als eingeschränkt und nutzen öffentliche Verkehrsmittel auch entsprechend selten. Die anderen Verkehrsmittel bewerten sie jedoch durchschnittlich. Im Sommer nutzen mehr als 60 % das Fahrrad mindestens einmal wöchentlich, allerdings eher für Freizeit- als für Arbeitswege (vgl. Abb. 4).
Dem Zu-Fuß-Gehen wird von den „Jungen wohlhabenden Mobilen“ eine eher geringe Bedeutung beigemessen. Der Männeranteil ist in dieser Gruppe überdurchschnittlich hoch (51 % zu 41 %) und sie sind mit durchschnittlich 68 Jahren die jüngste Gruppe. Ihr Nettoeinkommen und Bildungsniveau liegen deutlich über dem der anderen Gruppen. Sie leben häufig (73 %) in festen Partnerschaften, nur zu einem kleineren Anteil (19 %) allein. Zugleich ist dieses Segment für neue Kommunikationsmittel am ehesten aufgeschlossen: 90 % dieser Gruppe verfügen über ein Mobiltelefon, 72 % über einen Internetanschluss.
Sie ähneln in vielerlei Hinsicht den „Jungen wohlhabenden Mobilen“. Sie empfinden jedoch keine ausgeprägte Notwendigkeit, ständig mobil zu sein. Sie haben einen guten Zugang sowohl zum Pkw als auch zum ÖV und weisen eine durchschnittliche Pkw-Bewertung auf. Dabei fasst Pkw-Bewertung zusammen, wie positiv die Aspekte Erlebnis, Autonomie und Privatheit beim Autofahren bewertet werden.
Die „Selbstbestimmt Mobilen“ weisen die positivste Einstellung gegenüber dem Radfahren und Zu-Fuß-Gehen auf. Von ihnen wird kein Verkehrsmittel ausgeschlossen und sie sind auch von keinem Verkehrsmittel abhängig. Sie sind, wie die „Jungen wohlhabenden Mobilen“, eher Männer, jünger als der Durchschnitt und leben häufiger in Paarhaushalten. Sie erfreuen sich einer relativ guten Gesundheit, haben nur selten ein Handicap und sind ziemlich aktiv. Die „Selbstbestimmt Mobilen“ erreichen die höchsten Zufriedenheitswerte bezüglich ihrer Mobilitätsmöglichkeiten und unterscheiden sich in dieser Hinsicht signifikant von den drei anderen Gruppen.
„ÖV-Zwangsnutzer“ verfügen am seltensten über ein Auto; nur ein Drittel von ihnen besitzt überhaupt einen Führerschein. Ihre Einstellung dem Pkw gegenüber ist vergleichsweise negativ, während das Radfahren und das Zufußgehen eher durchschnittlich beurteilt werden. Der Anteil der Fußwege ist bei ihnen mit einem Drittel bis zur Hälfte (je nach Wegetyp) am höchsten. Sie absolvieren anteilsmäßig die wenigsten Wege mit dem Pkw und die meisten mit öffentlichen Verkehrsmitteln.
Mehr als die Hälfte aller Befragten nutzt den ÖV mindestens einmal wöchentlich (vgl. Abb. 3). Sie empfinden die höchste ÖV-Autonomie und die ÖV-Nutzung als einfach. „ÖV-Zwangsnutzer“ wohnen (auch wegen des fehlenden Pkw) eher innenstadtnah und profitieren von einer guten ÖV-Anbindung. Mit 83 % sind Frauen in diesem Segment stark überrepräsentiert. Verglichen mit den anderen Mobilitätstypen zeichnen sie sich wie die „Pkw-Fixierten“ durch ein höheres Alter, ein geringeres Bildungsniveau und ein geringeres Einkommen aus. Sie sind außerdem häufiger durch Behinderungen in ihrer Mobilität eingeschränkt, wohnen häufiger allein und haben weniger Kontakt zu Freunden und Verwandten. Dennoch sind die „ÖV-Zwangsnutzer“ aktiver und mit ihren Mobilitätsmöglichkeiten zufriedener als die „Pkw-Fixierten“.
Das Wissen über die verschiedenen Nutzungsvoraussetzungen, die unterschiedlichen Mobilitätseinstellungen und das spezifische Mobilitätsverhalten gibt Aufschluss darüber, welche Angebote für die einzelnen Typen am ehesten attraktiv sein könnten.
Die negative Einstellung der „Pkw-Fixierten“ gegenüber anderen Verkehrsmitteln sowie ihre gesundheitlichen Restriktionen und ihre eher suburbanen Wohnstandorte erschweren eine Veränderung ihrer Verkehrsmittelwahl. Hier sind kompensierende Mobilitätsdienstleistungen, wie Lieferdienste oder Begleitservices bei der ÖV-Nutzung angemessen. Allerdings scheint es auf die Zukunft bezogen wichtiger und erfolgversprechender zu sein, rechtzeitig einzugreifen, um zu verhindern, dass sich dieser Mobilitätstyp herausbildet, da dieser sich als der am meisten benachteiligte/ eingeschränkte herausstellt. Als präventive Maßnahmen könnten gesundheitsbezogene Aufklärungskampagnen dienen. Weiterhin scheinen Maßnahmen, die städtebaulich gestaltend das Wohnumfeld verbessern oder die ältere Menschen zum Umzug in zentralere Lagen bewegen sinnvoll. All diese Maßnahmen sollten jedoch ergriffen werden, bevor Menschen alt, körperlich beeinträchtigt und unflexibel werden.
Da von den „Jungen wohlhabenden Mobilen“ alle Fortbewegungsarten relativ gut bewertet werden, scheint ein Wechsel zu umweltfreundlichen Verkehrsmitteln hier deutlich realistischer. Für kurze Wege könnten technisch hochwertige Fahrräder in diesem Segment beworben werden. Für längere Wege ins Stadtzentrum und in Nachbarstädte könnten öffentliche Verkehrsmittel durchaus eine Alternative zum Automobil darstellen, wenn die ÖV-Nutzung flexibler wäre (z. B. durch die Einführung eines elektronischen Tickets). Der hohe Anteil von Internetnutzern deutet auf eine Offenheit gegenüber neuen Technologien hin.
Die „Selbstbestimmt Mobilen“ weisen wegen ihrer positiven Sicht auf das Zufußgehen und Radfahren sowie einer hohen „ÖV Autonomie“ und eher gering wahrgenommenen Mobilitätserfordernisse die besten Voraussetzungen für eine freiwillige Verlagerung vom Pkw hin zu anderen Verkehrsmitteln auf. Aufklärungskampagnen, die die gesundheitlichen und umweltbezogenen Vorzüge anderer Fortbewegungsarten hervorheben, könnten diesen Mobilitätstyp positiv bestärken. Darüber hinaus erscheinen sie aus finanziellen und ökologischen Gründen eine passende Zielgruppe für Car-Sharing zu sein.
Unter den „ÖV-Zwangsnutzern“ schließlich haben die meisten keine andere Wahl, als umweltfreundliche Verkehrsmittel zu nutzen. Da sie in der Regel zentral leben, scheint das kein Problem darzustellen. Verglichen mit „Pkw-Fixierten“ weisen sie einen deutlich höheren Grad an Freizeitmobilität auf, obwohl beide Gruppen ungefähr gleich alt sind. Dafür scheinen die unterschiedlichen Einstellungen gegenüber dem Zufußgehen und Radfahren, die signifikante Indikatoren für die Anzahl der Freizeitaktivitäten sind, eine Rolle zu spielen, was auch erklären könnte, warum „ÖV-Zwangsnutzer“ im Durchschnitt weniger gesundheitliche Probleme haben als die „Pkw-Fixierten“.
Die Ergebnisse zeigen, dass auch ältere Menschen eine heterogene Gruppe sind und dass ihr Mobilitätsverhalten viele verschiedene Facetten hat. Neben den Einstellungen ist auch die Erreichbarkeit der wichtigsten Einrichtungen für ältere Menschen eine Schlüsselvariable, um mobil zu bleiben, was eine Voraussetzung für hohe Lebensqualität darstellt.
Der hier verwendete Segmentierungsansatz, der sowohl Einstellungen als auch typenkonstituierende Variablen beinhaltet, liefert wichtige Informationen für verschiedene Aspekte des Mobilitätsverhaltens. Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass eine hohe Pkw-Abhängigkeit mit einer geringeren Zufriedenheit mit anderen Mobilitätsoptionen und einem relativ schlechten Gesundheitszustand einhergeht, wenngleich die Frage nach Ursache und Wirkung nicht mithilfe von Korrelationsdaten geklärt werden kann. Längsschnittuntersuchungen könnten in Zukunft Auskunft darüber geben, wie beständig diese Mobilitätstypen sind und inwiefern gesundheitliche Einschränkungen aus spezifischen Mobilitätsstrukturen (wie z. B. einer ausschließlichen Nutzung des Pkw) folgen oder umgekehrt.
Vier Mobilitätstypen konnten bei den SeniorInnen herausgearbeitet werden, mit unterschiedlichen Einstellungen, Bedürfnissen und Möglichkeiten bei der mobilen Teilhabe. Will man das mobile Verhalten beeinflussen bzw. verbessern, muss an den Wertevorstellungen und Möglichkeiten der jeweiligen Zielgruppe spezifisch angesetzt werden.
Dieser Artikel von Mechtild Stiewe, wissenschaftliche Mitarbeiterinnen im ILS Institut für Landes-und Stadtentwicklungsforschung, Dortmund, ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 3/2010, erschienen.
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„Alt wird man wohl,
wer aber klug?“(1)
Zahlreiche Senioren von heute gehören zu den Pionieren des Kfz-Verkehrs von gestern. Als Überlebende des 2. Weltkrieges haben sie größtenteils die Massenmotorisierung begrüßt und viele, ja sehr viele von ihnen haben schon vorher jede neue Straße voller Freude registriert. Es soll noch heute Menschen unter den Senioren geben, die einem gerade mal 12 Jahre lang regierenden ”Führer” trotz aller scheußlichsten Untaten zugute halten, dass er ”Autobahnen” gebaut hat.
Aber gleich nach dem Wegräumen des Schutts von der Straße ging es auch schon los mit der Totalmobilisierung. Der Slogan ”Freie Fahrt für freie Bürger” war ein Befreiungsakt, das eigene Auto das höchste Glücksgefühl. Mann wollte vergessen und hielt sich am Steuerknüppel fest. Die Frau hatte sich Steine klopfend am Aufbau ausreichend emanzipiert, jetzt wurde sie wieder zur ”Mit”fahrerin.
Betrachtet man die Statistiken der Autofahrer nach der Altersstruktur, ist erkennbar, dass viele Senioren noch heute an dieser ”Freiheit” festhalten, obwohl oder vielleicht auch gerade weil sie nicht mehr richtig gehen, sehen oder hören können; das Autofahren ist für sie selbst immer noch das Sicherste. Auch wegen der vielen Kriminellen und Ausländer, die bei eintretender Dunkelheit sofort zuschlagen würden, wenn man als Senior kein Schutzblech hätte. So sind unsere Senioren. Sind sie so?
Die ältere Generation hat versucht, die Leiden im Krieg und in den Nachkriegszeiten durch Konsum und Auto auszugleichen. Das ist sehr verständlich. Doch muss hinzugefügt werden, dass sie der Fluch der Autobesessenheit nun einholt, so dass sie wiederum die Leidtragenden sind. Eine mehrfach betrogene Generation bekommt die Folgen der Massenmotorisierung zu großen Teilen als Fußgänger zu spüren: Auf den Bürgersteigen ist kein Durchkommen, die Zebrastreifen sind nahezu abgeschafft, die Wege zur nächsten Ampel oder zur Haltestelle sind weit und vor allem, das Queren der Straße ist gefährlich, lebensgefährlich.
Da hilft der Hinweis nur wenig weiter, dass die Menschen im Alter von 65 Jahren aufwärts rein statistisch bei den Verkehrsverletzten unterrepräsentiert und beim Anteil der Verkehrstoten mit ca. 16 % fast genau mit ihrem Bevölkerungsanteil betroffen sind. (2) Wieso sollte sich auch eine ängstliche 80jährige Frau beim Versuch einer Fahrbahnquerung dafür interessieren, dass der vor Lebenskraft nur so sprühende 30jährige Lenker des Motorrades ein dreimal so hohes Todesrisiko hat? (3)
Auf die Gefahren des Straßenverkehrs, auf Barrieren und Beschwernisse reagieren ältere Menschen in der Regel mit dem Rückzug. Die Tatsache, dass die Verkehrsteilnahme im Alter sehr stark abnimmt, lässt die Risikobetrachtungen in einem ganz anderen Licht erscheinen:
Das Fußgänger-Unfallrisiko der erwachsenen deutschen Wohnbevölkerung nimmt etwa bis zum 65. Lebensjahr kontinuierlich ab, steigt etwa bis zum 75. Lebensjahr wieder an und nimmt dann für Menschen im Alter von über 75 Jahren erschreckende Höchstwerte an.
Bezogen auf die Einwohnerzahl der Altersgruppe steigt die Zahl der Verunglückten etwa ab dem 65. Lebensjahr auf das Doppelte. Viel dramatischer ist die Entwicklung bei der Zahl der Verunglückten, bezogen auf die Zeit der Verkehrsteilnahme. Als Fußgänger gehören ältere Menschen ab 65 Jahren zu den am stärksten unfallgefährdeten Verkehrsteilnehmern. Die Angst dieser Generation vor einem Verkehrsunfall ist also mehr als berechtigt.
Etwa 35.000 Menschen im Alter ab 65 Jahren verunglücken jährlich im Straßenverkehr. In den Mobilitäts-Tageszeiten älterer Menschen wird ca. alle 10 Minuten in Deutschland ein Mensch ab 65 verletzt oder getötet. Warum gibt es keinen Aufschrei, dass es so nicht weitergehen darf?
Die Verminderung der Kraftfahrzeug-Geschwindigkeiten im Stadtverkehr und Einschränkungen des Kfz-Verkehrs auf ein stadtverträgliches Maß hätten für ältere Fußgänger große Vorteile:
Wäre das Gehen in unseren Straßen angenehmer, könnten sich vereinsamte Senioren leichter ”unter´s Volk mischen”. Gibt es mehr Fußgänger, können Senioren sich sicherer vor Überfällen fühlen. Sie finden dann auch häufiger Hilfestellungen beim Überqueren der Straße. Sicher lassen sich nicht alle Unannehmlichkeiten des Alters beseitigen. Aber die schöneren Seiten des Alters sind dann eher zu erleben, wenn wir uns öfter ohne Blechpanzer begegnen.
Im Sinne des von den Seniorenverbänden eingebrachten Manifestes ”Schafft den Ruhestand ab!” brauchen wir querdenkende Senioren, die noch unruhig genug sind, um diese Dinge mit anzupacken. Für sich selbst, für ihre Kinder, für die Enkelkinder.
Dieser Artikel von Angelika Schlansky und Bernd Herzog-Schlagk ist ein Auszug aus der Veröffentlichung: SENIOREN zu FUSS - Aufsätze, Dokumente und Zwischenrufe, FUSS e.V. (Hrsg.), 2000
Die Veröffentlichung „Senioren zu Fuß“ ist bei uns für 4,50 Euro zzgl. Porto zu beziehen. Sie können Sie in unserem Online-Shop in der Rubrik Broschüren > Fußverkehr-Senioren bestellen.
Etwa 50 Millionen Menschen in der Europäischen Union sind älter als 65 Jahre. Und wir alle leben immer länger. Viele von uns werden ein Alter von 85 Jahren oder mehr erreichen. Aber wie sieht diese Zukunft für alte Menschen aus?
Die europäischen Fußgängerverbände haben in den letzten Jahren verstärkt nach Antworten und Perspektiven gesucht. Besonders beschäftigte uns die Frage, wie wir alle mit unserem Leben zurechtkommen und es genießen können, wenn es beschwerlicher geworden ist.
Die Antworten, die wir aus ganz Europa erhalten haben, sind erschütternd. Dadurch, dass fast überall Autos die Möglichkeit bekommen haben, sich nach Belieben zu bewegen, wurde vielen älteren Menschen die Möglichkeit genommen, ihren Ruhestand wirklich zu genießen.
Wir haben ein Europa geschaffen, in dem Menschen über 65 vermehrt
Schon jetzt verläßt etwa die Hälfte der pensionierten Bevölkerung (ca. 25 Mio. Menschen) an einem beliebigen Tag ihr Zuhause überhaupt nicht.Wie kam es dazu?
Eines Tages werden auch wir die Erfahrung machen, dass wir uns wieder zu Fuß fortbewegen - vielleicht zum ersten Mal seit unserer Kindheit. Das wird ein Schock für diejenigen sein, die, solange sie nur konnten, mit dem Auto gefahren sind. Die Straßen, die sie dann benutzen, sind nicht mehr die ihrer Kindheit, genauso wenig wie ihre Füße. Einer von dreien wird im Alter eine Behinderung haben, die die Bewegungsfreiheit einschränkt.
Die Erfahrungen von Millionen älterer Europäer haben folgende Gemeinsamkeiten:
Viele ältere Menschen erreichen ihr Ziel nicht. Ungefähr die Hälfte der Todesopfer unter den Fußgängern sind Menschen über 65. Diese stellen aber nur ein Viertel der Gesamtbevölkerung dar.
Es ist an der Zeit, für unsere Lebensqualität im Alter vorzusorgen. Ein erster Schritt ist gemacht: 1988 hat das Europäische Parlament die Charta der Rechte der Fußgänger verabschiedet, als einen Versuch, grundlegende Freiheiten zu bewahren. (1) Besonders älteren Menschen garantiert sie das Recht auf Lebensbedingungen, die ihre Einschränkungen nicht verschlimmern, sondern dazu ermutigen, aus dem Haus zu gehen und Kontakte aufrechtzuerhalten.
Hier treten wir auf den Plan: Der nächste Schritt ist die Umsetzung dieser Charta in ein Arbeitsprogramm:
Diese Fragen gehen uns alle an: Es sind nicht nur die älteren Menschen, die durch diese Lebensumgebung betroffen sind. Es gibt aber zwei besondere Gründe, warum wir herausarbeiten sollten, was es bedeutet, als älterer Mensch aus dem Haus zu gehen:
Diese beiden Gesichtspunkte werden wegen der veränderten Alterspyramide drängender. Heute bereits ist fast jeder sechste Europäer im Ruhestand. Fast 25 Millionen Menschen sind über 75.
Aber die Zukunft verlangt größere Beachtung: Immer mehr Menschen können mit einer immer längeren Zeit des Ruhestands rechnen - wir werden immer älter. Immer mehr Menschen werden mit den Straßen in ihrer Wohnumgebung zurechtkommen müssen:
Über 75 Jahre alt sind
Wir sind erstaunt, dass diese Entwicklung bis jetzt in der öffentlichen Diskussion keine Beachtung findet. Zumindest im städtischen Wohnumfeld berücksichtigt nur ein kleiner Teil der Straßen die Bedürfnisse und Möglichkeiten der Älteren. Oft hält deren Zustand davon ab, überhaupt hinauszugehen. Die Wege der Älteren werden oft übersehen; kurze, zu Fuß zurückgelegte Wege tauchen in vielen Statistiken nicht auf, z.B. zur nächsten Straßenecke zu gehen, wo ein Freund wohnt.
Jüngere Menschen bevorzugen dagegen das Auto, auch dann wenn der Weg kurz ist und gerade für sie leicht zu Fuß zu gehen wären. Die per Auto zurückgelegten Wege sind in den Verkehrsstatistiken vertreten - und die dafür benutzten Autos stehen den Fußgängern im Weg, z.B. auf Bürgersteigen.
Die Hälfte der Wege, die sie außerhalb des Hauses unternehmen, gehen ältere Menschen zu Fuß. Durchschnittlich zweimal am Tag gehen sie aus dem Haus – gegenüber dreimal bei jüngeren Leuten. Aber hinter diesen Durchschnittswerten gibt es erhebliche Unterschiede: Unter den Älteren gibt es viel eher Menschen, die überhaupt nicht aus dem Haus gehen – nach einer belgischen Untersuchung die Hälfte (im Unterschied zu 10% der Jüngeren).
Auf die Frage, warum sie nicht aus dem Haus gehen, sagten ältere Briten, sie wären zu gebrechlich. 90% gaben diese Antwort – dreimal so viel wie tatsächlich in der einen oder anderen Weise behindert sind. Daher sind es wohl die Straßen, die Hindernisse und Behinderungen verursachen.
Gehwege sind nicht nur in Großbritannien berüchtigt. Dort sind Stolperstellen und Müll ein großes Problem: Die großen Gehwegplatten, die dort normalerweise verwendet werden, brechen unter dem Druck von Autos. Nach offiziellen Statistiken gibt es alle 40 Meter Müll auf dem Bürgersteig. Drei Millionen Menschen werden jährlich verletzt, weil sie auf dem Bürgersteig stürzen – das sind fünf Prozent der britischen Bevölkerung.
Die wesentlichen Probleme sind
Der erste Schritt hin zu einer Welt, in der ältere Menschen ihren Platz haben, ist nicht weiter als bis zur nächsten Stadt- oder Gemeindeverwaltung - in unserem Wohnort. Wenn es uns nicht gelingt, die Straßen rings um unsere eigene Wohnung zu verbessern, werden wir auch anderswo nichts erreichen. Wir müssen das Spektrum der Maßnahmen erkennen, die den älteren Menschen zu einer würdigen und freien Mobilität verhelfen. Wie diese Maßnahmen kombiniert werden müssen, ist von Ort zu Ort unterschiedlich. Wir sehen vier Schritte. Der erste ist ganz einfach ein Spaziergang.
Menschen, die jung und fit sind, vor allem diejenigen, die üblicherweise Auto fahren, haben wahrscheinlich keine Vorstellung, welche Probleme die Straßen für ältere Menschen darstellen. Erst wenn man sich auf den Spuren eines älteren Menschen bewegt, wird man diese Schwierigkeiten nachvollziehen können. Und neben jedem älteren Menschen, den wir da begleiten, gibt es einen, der unsichtbar zuhause bleibt und den ganzen Tag nicht aus dem Haus geht.
Wichtig ist, dass Menschen überall in Europa diese Erfahrung machen. Sie sollten auch versuchen, einen Rollstuhl zu fahren. Und sie könnten darauf achten, wie schwer es ist, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Sie könnten erleben, wie weit es zu Fuß bis zu wichtigen Zielen ist, z.B. zu einer Bibliothek, zum nächsten Park oder zum Postamt. Sie könnten darauf achten, wie lange sie brauchen, um – in einer Grünphase nach der andern - über eine Kreuzung zu kommen.
Besonders nützlich wäre es, wenn ältere Menschen selbst diese Wege in ihren Städten und Dörfern gehen würden, ihre Beobachtungen dokumentieren und diskutieren würden. Sie sind die Experten. Dann sollten sie Kommunalpolitiker einladen, damit diese aus erster Hand die Probleme erkennen - als Einstieg in die Suche nach Problemlösungen.
Schon eine einmalige Aktion, die die Aufmerksamkeit auf einen schwarzen Fleck des Unfallgeschehens lenkt, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Aber noch wichtiger ist, die älteren Menschen in kontinuierlichen Kontakt mit denen zu bringen, die für die örtliche Infrastruktur Verantwortung tragen. Und dann müssen wir diese örtlichen Verantwortlichen und die kommunalen Serviceeinrichtungen aus ihrem eigenen Blickwinkel unter die Lupe nehmen. Nur so erreichen wir mehr als schlichte Kopien von Problemlösungen.
Eine Vielzahl von Ideen sind in den letzten Jahren Wirklichkeit geworden. Die meisten Städte haben jetzt autofreie Einkaufsstraßen und Plätze. Die Oberflächen solcher Straßen und Plätze sind erneuert worden und erleichtern meistens das Gehen. Quasi automatisch wirkende Geschwindigkeitsbegrenzungen sind in Wohngebieten eingeführt worden. Experimente mit Lichtsignalanlagen, die einem Fußgänger genügend Zeit zum Überqueren lassen, sind unternommen worden. Busse und Straßenbahnen mit niedrigen Einstiegen sind erfolgreich eingeführt worden.
Das alles hilft. Aber es sind isolierte Maßnahmen in einer Umgebung, die den Bedürfnissen und Wünschen älterer Menschen wenig Respekt zollt. Innovative Techniken sind manchmal nicht die bestmögliche Antwort, z.B. wenn die Menschen die bessere Instandhaltung der bestehenden Fußwege einer neuen Oberfläche in einer Einkaufsstraße vorziehen. Wer hat die älteren Leute gefragt, was sie wollen?
Wir müssen mit ihrer Hilfe einen breiteren Einblick bekommen: Erlauben die kommunalen Einrichtungen es ihnen, das Leben zu meistern?
Solche Fragen werden selten gestellt. Wir müssen sie aber überall stellen und die Erfahrungen älterer Menschen in die alltäglichen Planungsprozesse und in die Umsetzung in den Städten und Gemeinden einbeziehen.
Im dritten Schritt kommen die EU- Mitgliedsländer in´s Spiel, denn diese gestalten den Rahmen, in dem Städte und Gemeinden handeln. Sie beeinflussen insbesondere
Die Ziele dafür müssen so formuliert werden, dass sie den Fußgängern - insbesondere Kindern und älteren Menschen - gerecht werden: Es ist z.B. wichtig, die Ziele für die Luftqualität dort zu erreichen, wo Fußgänger und gerade Kinder diese Luft einatmen, nämlich recht dicht über dem Boden.
Es darf nicht von Demonstrationen und Kampagnen abhängen, ob es überhaupt einen Bürgersteig gibt (wobei dessen Breite eine Frage für sich ist) oder ob es in einer stark und schnell befahrenen Straße einen sicheren Fußgängerüberweg gibt.
Die Revision der Regelungen könnte damit beginnen, dass wir die sehr ungleichen Rechte von Kraftfahrern und Fußgängern erkennen. Die meisten nationalen Straßenverkehrsordnungen bieten Fußgängern nichts Besseres als die Aufforderung, vorsichtig zu sein und Autos aus dem Weg zu gehen. Alle Nationen sind sehr zurückhaltend hinsichtlich der Fähigkeiten und Fertigkeiten, die von Kraftfahrern verlangt werden müssen, auch wenn es darum geht, diese über die Jahre hinweg beim einzelnen Fahrer sicherzustellen. Wir sind anscheinend nicht einmal in der Lage, Geschwindigkeitsbegrenzungen und Vorschriften für das Parken von Kraftfahrzeugen zur Geltung zu verhelfen.
Vielleicht fangen wir am falschen Ende an: Sollten wir eher auf die Art der Fahrzeuge achten, die wir auf den Straßen zulassen? Welches Fahrverhalten ist z.B. von Fahrern zu erwarten, deren Geländefahrzeuge durch Spurverbreiterung und Vergrößerung der Bodenfreiheit Kampfpanzern ähneln? Außerdem: Wir lassen die Autofahrer zu billig aus der Pflicht, gemessen an den Kosten, die sie verursachen und anderen aufladen.
Die Gelder für den Straßenbau brauchen viel mehr kritische Analysen, um deutlich zu machen, ob sie die einfachen Lösungen, die sie für sich in Anspruch nehmen, auch wirklich erbringen und zu welchem Preis sie das tun. Wie viele sichere Bürgersteige und wie viele Überwege sind für den Preis von 10 km neuer Straßen möglich?
Wir wollen eine Anhörung der Fußgänger in die Planungsphase von Straßen einführen. Dabei gilt es auch, die Effekte auf den Autoverkehr in den Zielgebieten zu untersuchen, insbesondere die zu erwartende Zunahme von Gefährdungen und Beeinträchtigungen. Diese Fragen gehen uns alle an: Es sind nicht nur die älteren Menschen, die durch diese Lebensumgebung betroffen sind.
Dieser Text entstand auf der Grundlage der Veröffentlichung anlässlich des Europäischen Jahres der Senioren: Older People On Foot - Why We Must Act. Report of Federation of European Pdestrian Associations (FEPA) for the European Year of Older People. This report is written by Jane Morton, of the Pedestria`s Association in the UK. Den Haag 1995. Verfasser des Abschnittes über die BRD: Manfred Bernard, FUSS e.V., der auch den hier vorliegenden Text verfasst hat. Er ist ein Auszug aus der Veröffentlichung: SENIOREN zu FUSS - Aufsätze, Dokumente und Zwischenrufe, FUSS e.V. (Hrsg.), 2000
Die Veröffentlichung „SENIOREN zu FUSS - Aufsätze, Dokumente und Zwischenrufe“ ist bei uns für 4,50 zzgl. Porto zu beziehen. Sie können Sie in unserem Online-Shop in der Rubrik Broschüren > Fußverkehr-Senioren bestellen.
Mit der wachsenden Erkenntnis, dass sich durch die absehbaren demographischen Entwicklungen (der Anteil der Menschen über 60 wird permanent ansteigen) weitreichende Änderungen im Gefüge unserer Städte und der Art, wie wir in ihnen leben, ergeben können, gewinnen ältere Menschen und ihre spezifische Situation auch in der Stadtplanung an Gewicht.
Städtischen Verkehrsanlagen und -systemen wird immer wieder der Vorwurf der automobilorientierten Planung gemacht. Während sich Durchschnittsverkehrsteilnehmer noch vielfach mit den Mängeln arrangieren können, haben viele ältere Menschen Probleme, Verkehrssituationen, für deren Bewältigung sie nicht die nötigen Voraussetzungen mitbringen, zu meistern.
Alte bzw. ältere Menschen sind eine sehr heterogene Gruppe. Dies erfordert zumindest den Versuch einer Eingrenzung der Zielgruppe, über die wir heute reden wollen. Schon seit einiger Zeit stimmt das Image der kranken und hilfsbedürftigen Rentner nicht mehr. Es entstand das vereinfachende Schlagwort von den ,,Neuen Alten", die aktiv, mobil und erlebnishungrig ihren Lebensabend genießen wollen und die auch häufig die gesundheitlichen und finanziellen Voraussetzungen dafür mitbringen. Diese Formulierung drängt die Existenz einer auch weiterhin großen Gruppe von benachteiligten älteren Menschen in den Hintergrund.
Es wird beim Komplex ,,Ältere Menschen im Verkehr" sicherlich Aspekte geben, die auf das gesamte Spektrum von Menschen im Alter zutreffen – unabhängig von ihrer körperlichen oder finanziellen Verfassung - wie etwa ein flexibleres Zeitbudget, das sich aus dem Wegfall der Berufsausübung ergibt. Generell wird jedoch genau zu differenzieren sein, welche Gruppe älterer Menschen durch eine Maßnahme angesprochen werden soll.
Angesichts der Heterogenität der Zielgruppe sind also Entscheidungen über Schwerpunkte und Zielrichtung von Maßnahmen notwendig. Ich will mich deshalb hier weitgehend auf die Gruppe der benachteiligten Älteren beschränken, da diese Gruppe wahrscheinlich die größten Schwierigkeiten hat, sich in einer leistungsorientierten Gesellschaft zurechtfinden. Vorschläge zur Verbesserung der Verkehrssituation benachteiligter älterer Menschen hätten zudem den Vorteil, dass auch andere benachteiligte Gruppen hiervon profitieren würden.
Ältere Menschen sind - wie viele andere Gruppen auch - in einer hauptsächlich auf den Autoverkehr ausgerichteten Stadt keine gleichberechtigten Verkehrsteilnehmer. Ihre spezifische Verkehrs-Betroffenheit ist durch den Widerspruch zwischen den hohen Mobilitätserfordernissen unserer komplexen postindustriellen Gesellschaft mit Folgen wie Zentralisierung von Dienstleistungen, Vergröberung des städtischen Maßstabs etc. und eingeschränkter individueller Mobilitätsfähigkeit gekennzeichnet. Die Fähigkeit zur Mobilität nimmt bei älteren Menschen infolge unterschiedlicher Faktoren ab. Das sind z.B. individuelle Gründe:
Daneben gibt es aber auch äußere Faktoren, die mobilitätsbehindernd auf Senioren wirken, z.B.:
Dies führt zu unfreiwilligen Mobilitätsbehinderungen älterer Menschen mit der Folge zunehmender Gefährdung im Verkehrsgeschehen oder des zwangsläufigen Rückzugs in den häufig unterversorgten Nahbereich bzw. die Wohnung.
Die Notwendigkeit zur Mobilität nimmt bei älteren Menschen dagegen - wenn überhaupt - nur unwesentlich ab. Die Fahrten zur Arbeit fallen zwar weg, dafür kommen häufigeres Einkaufen (da eher kleinere Mengen eingekauft werden), regelmäßige Arztbesuche, nach Möglichkeit tägliche Spaziergänge etc. neu hinzu. Dieses Mobilitätsbedürfnis trifft in der städtischen Realität auf bauliche Barrieren, die eine konkrete Benachteiligung älterer Menschen gegenüber anderen Gruppen bedeuten.
Bauliche, oder besser räumliche Barrieren sind hier nicht nur als gebaute Hindernisse zu verstehen. Vielmehr bestehen sie aus einer Reihe von Komponenten, die sie für ältere Menschen zu einer Erschwernis im Verkehrsgeschehen machen können. Diese Komponenten lassen sich folgendermaßen zusammenfassen:
Nicht alle dieser Komponenten lassen sich durch verkehrsplanerische Maßnahmen beheben. Die Kenntnis ihrer Wirkungszusammenhänge ist jedoch notwendig, wenn man sich mit Verkehrsproblemen älterer Menschen beschäftigt.
Der Widerspruch zwischen den Mobilitätserfordernissen einer Autogesellschaft und der eingeschränkten Mobilitätsfähigkeit älterer Menschen lässt zwei Ansatzmöglichkeiten zu:
Entweder müssen Maßnahmen zur Mobilitätssteigerung älterer Menschen ergriffen werden, also z.B.
Nach meiner Meinung sollte konsequenter als bisher der dritte Weg beschritten werden, da viele Verbesserungsmöglichkeiten nicht nur alten-spezifisch sind, sondern generell zu einer lebenswerteren Umwelt beitragen können. Maßnahmen wie z.B. Wohnumfeldverbesserung, Verkehrsberuhigung und die benutzerfreundliche Gestaltung des ÖPNV sind auch aus der Sicht anderer, nicht nur älterer Menschen wünschenswert und notwendig.
Eine städtische Umwelt, die den Bedürfnissen älterer Menschen entgegenkommt, ist zugleich eine menschenfreundliche.
Um zu verdeutlichen, welche Bandbreite bei Maßnahmen zur Verbesserung der Situation älterer Menschen im Verkehr existiert, sollen hier exemplarisch einige Ansätze einer altengerechten Verkehrsgestaltung dargestellt werden, schwerpunktmäßig Maßnahmen, die die von älteren Menschen bevorzugten Verkehrsarten betreffen. Es sollte aber beachtet werden, dass hier - ebenso wie bei nicht zielgruppenspezifischen Planungen - sinnvollerweise zu fördernde Verkehrsarten den aus planerischer Sicht nicht zu unterstützenden Verkehrsarten gegenüberstehen.
Ältere Menschen legen in der BRD pro Jahr durchschnittlich 400 km zu Fuß zurück. Zum Vergleich: In den USA sind es 45 km, in Dänemark 480 km. Die absolute Unfallhäufigkeit aller Verkehrsarten sinkt mit zunehmendem Alter, lediglich beim Fußgängerverkehr ist bei Personen über 65 Jahren eine eklatante Zunahme der Unfälle zu verzeichnen.
Die Probleme älterer Menschen mit dem Gehen sind zu beheben, soweit die Ursache nicht in der psychischen oder physischen Konstitution liegt: Schon in der Planung sind dann meist die Bedingungen zu wenig berücksichtigt worden, unter denen ältere Menschen zu Fuß unterwegs sind. Verbesserungen sind auch aus Sicht jüngerer Fußgänger notwendig:
Das Zufußgehen muss den anderen Arten der Fortbewegung mindestens gleichgestellt werden.
Kenntlichmachen der Bordsteinkanten
Erfahrungen in anderen Ländern zeigen, dass das optische Hervorheben der Bordsteinkanten, z.B. das Bemalen mit Signalfarben, die Unfallhäufigkeit bei Fußgängem vermindern kann.
längere Ampelphasen für Fußgängerüberwege
Die Grünphasen an Fußgängerüberwegen sind - wenn überhaupt - auf die Gehgeschwindigkeit von normalen Durchschnittsfußgängern ausgelegt, bei der ältere Menschen etc. oft nicht mithalten können. Sind Verkehrsinseln vorhanden, so wird die Flüssigkeit des Autoverkehrs der des Fußgängerverkehrs vorgezogen, so dass zum Überqueren einer Kreuzung mehrere Ampelphasen nötig sind.
abgesenkte Bordsteinkanten an querungsgeeigneten Stellen
Dadurch wird insbesondere Rollstuhlfahrern und in ihrer Beweglichkeit Eingeschränkten, aber auch Eltern mit Kinderwagen oder Einkaufenden mit Rollwagen ermöglicht, die Konzentration vom Hindernis ,,Bordsteinkante" auf den Verkehr zu richten. Dabei ist darauf zu achten, dass die abgesenkten Stellen einander gegenüber liegen und nicht zugeparkt werden können.
bessere Sicherung der Kreuzungspunkte mit dem Straßenverkehr
Es müssen situationsangepasste, d.h. vor allen übersichtliche und einsehbare Querungsmöglichkeiten geschaffen werden, die stärker als bisher die Querungssicherheit von Fußgängern erhöhen. Dies ist eher durch bauliche als ordnungsrechtliche Maßnahmen zu erreichen.
mehr Überquerungsstellen
Neben der fußgängergerechten Umgestaltung bzw. Ergänzung vorhandener Querungsstellen müssen zusätzliche geeignete Querungsmöglichkeiten geschaffen werden. Insbesondere Über- oder Unterführungen sind für ältere Menschen nur schwer oder überhaupt nicht nutzbar und sollten vermieden werden.
genügend breite und sichere Fußwege
Eine Mindestbreite der Fußwege von 2,O m ist sicherzustellen. Das ,,Gehwegparken" darf nur noch in Ausnahmefällen toleriert werden. Von auf dem Gehweg fahrenden Radfahrern dürfen keine Gefährdungen älterer Fußgänger ausgehen.
Fußwegenetze zwischen Bedarfsschwerpunkten
Ziel- und Quellpunkte von bevorzugten Verkehrsströmen älterer Menschen sollten durch ein geeignetes Netz von Fußwegen verbunden und mit geeigneten Maßnahmen an den ÖPNV angebunden sein.
Vermeidung von Treppen und Anbringen geeigneter Geländer
Höhenunterschiede sollten nach Möglichkeit durch Rampen geeigneter Steigung überwunden werden können. Sind Treppen unumgänglich, so ist darauf zu achten, dass sie die richtige Steigung, geeignete Tritthöhen und -längen haben sowie mit griffigen und nicht ausschließlich ästhetischen Geländern in der richtigen Höhe versehen werden.
Ausreichende und ansprechende Ruhepunkte
Gerade bei anstrengenden Fußmärschen, z.B. bei der Rückkehr vom Einkaufen, oder an ansprechenden Orten, wie z.B. städtische Plätze oder Parks, sind geeignete Rastmöglichkeiten, also etwa Sitzbänke oder -gruppen für ältere Menschen besonders notwendig, um die Aufteilung von langen Wegen in zu bewältigende Einzeletappen zu ermöglichen.
Der Radverkehr spielt bei älteren Menschen eine generell weniger wichtige Rolle. Dennoch ist dies regional sehr unterschiedlich ausgeprägt: In ausgesprochen radfahrfreundlichen Städten ist die Zahl auch älterer Radfahrer erstaunlich hoch.
Im internationalen Vergleich stellt sich die Situation wie folgt dar: In der Bundesrepublik legten Ältere 1985 im Durchschnitt ca. 160 km pro Jahr zurück, in den Niederlande sogar 800 km, in den USA dagegen nur 3,5 km. In Finnland legten ältere Menschen bis zu 70% aller Fahrten mit dem Fahrrad zurück!
Diese Zahlen verdeutlichen in etwa, dass ältere Menschen nicht primär durch physische Probleme, sondern überwiegend durch eine radfahrfeindliche Verkehrsplanung an der Benutzung des Rades gehindert werden. Zudem ist der Radverkehr aus planerischer Sicht an und für sich bereits förderungswert.
Entwicklung von Radfahrwegenetzen
Radfahrer benötigen sichere Verkehrswege. Hier muss eine sinnvolle Abstimmung zwischen dem subjektiven Bedürfnis - besonders älterer Menschen - nach Radwegen und einer erhöhten Gefährdung der Radfahrer an Kreuzungspunkten von Radwegen und abbiegenden Straßen erfolgen. Die StVO-Novelle aus dem Jahr 1997, die die Radwegebenutzungspflicht neu regelt, ist Senioren allerdings nur schwer vermittelbar.
Bei der Ausarbeitung von Radwegenetzen sollten nicht nur die klassischen Ziele (Ausbildungs- und Freizeiteinrichtungen) angebunden werden, sondern auch die von älteren Menschen häufig aufgesuchten Zielpunkten (wie z.B. Altentagesstätten, Einrichtungen der Wohlfahrtspflege, Friedhöfe etc.).
Gewährleistung der guten Befahrbarkeit von Radfahrrouten
Bei für ältere Menschen besonders geeigneten Radfahrrouten muss die Befahrbarkeit durchgehend gewährleistet sein: Es dürfen keine Poller, Schlaglöcher etc. vorhanden sein, die Bordsteinkanten müssen abgesenkt sein, das Zuparken von Radwegen muss verhindert werden usw...
Entwicklung bzw. Bereitstellung von für ältere Menschen geeigneten Fahrradtypen
Ältere Menschen benötigen Fahrräder, die sowohl ihren körperlichen Fähigkeiten als auch ihrem Sicherheitsbedürfnis im Verkehr entgegenkommen. Projekte zur Wartung, zum Umbau, zur Neuentwicklung und zur Bereitstellung bzw. Verleih altengerechter Fahrräder, z.B. Dreiräder bzw. solche mit tiefem Durchstieg, hätten hier auch beschäftigungs- und sozialpolitische Wirkung.
Öffentliche Verkehrsmittel gewährleisten das höchstmögliche Maß an persönlicher Sicherheit und ermöglichen weitgehenden Verzicht auf unliebsame Tätigkeiten, wie Wartungsarbeiten am eigenen Fahrzeug, Werkstatt- oder TÜV-Besuch etc.. Für ältere Menschen besitzt der ÖPNV eine besondere Bedeutung zur Überwindung größerer städtischer Entfernungen, die aus den unterschiedlichsten Gründen nicht mit einem individuellen Verkehrsmittel oder zu Fuß zurückgelegt werden können.
Spezielle Tarife für ältere Menschen
Die Verkehrsunternehmen sollten - stärker als bisher - Nahverkehrstarife anbieten, die der finanziellen Situation vieler Rentner besser angepasst sind. Die Nutzungsberechtigung von Inhabern des Schwerbeschädigtenausweises ist ein erster Ansatz, aber nicht nur Schwerbeschädigte haben schmale Renten. Ein Ausschluss der Verkehrsspitzenzeiten sollte bei Sondertarifen für Senioren mit Kleinstrenten vermieden werden. Zusätzlich sollten Tarifpläne inhaltlich und in der Darstellung so vereinfacht werden, dass sich nicht nur Ältere besser damit zurechtfinden können.
Niveaufreie Fahrzeugeinstiege, Einstiegshilfen
Bei den Verkehrsbetrieben sollte die Umstellung auf Niederflurfahrzeuge verstärkt betrieben werden, um den Einstieg in die Fahrzeuge zu erleichtern. Bis zur gesamten Erneuerung des Fuhrparks sollten ältere Fahrzeuge mit geeigneten Einstiegshilfen versehen werden (z.B. Lichtschrankensicherung anstelle von aufzustoßenden Sicherungsklappen).
Wiedereinführung von Schaffnern o.ä.
Mit dem ”Selbstbedienungsprinzip" hatten und haben ältere Menschen mehr Schwierigkeiten als andere. Die Übertragung dieses Prinzips auf den ÖPNV hatte in den 60er und 70er Jahren den Wegfall des Schaffnerpersonals und damit auch das Fehlen eines einkalkulierbaren Hilfspotentials zur Folge. Auf bestimmten Routen könnte deshalb die Wiedereinführung von begleitendem Personal zur Hilfe beim Ein- und Ausstieg und zur Auskunft über Anschlüsse und Tarife etc. geprüft werden.
Verbessertes Fahrverhalten
Ein häufiger Kritikpunkt Älterer am ÖPNV ist die in ihren Augen rücksichtslose Fahr- und Verhaltensweise der Fahrzeugführer, z.B. der Anfahr- und Bremsruck bei noch nicht oder nicht mehr sitzenden Fahrgästen. Bus- und Straßenbahnfahrer sollten deshalb geschult werden, ihr Fahrverhalten zu verbessern, um z.B. längere Haltephasen, ruckfreies Fahren sowie eine verständliche Haltestellenansage zu gewährleisten.
Geeignete Ausstattung der Haltestellen
Nicht nur für Frauen, auch für ältere Menschen stellt die Haltestelle einen ”Angstraum" dar. An besonders wichtigen Haltestellen sollten einsehbare, zugfreie, warme und bequeme Wartegelegenheiten eingerichtet oder nachgebessert werden.
Der Anteil älterer Menschen, die im Besitz eines PKWs sind, ist z.Z. noch weit unterdurchschnittlich. Dies liegt u.a. am hohen Anteil von Frauen, die über keinen Führerschein verfügen. Der PKW-Besitz älterer Menschen wird aber aufgrund der lebensgeschichtlichen Prägung der jetzigen ,,Vor-Senioren" rapide zunehmen, so dass auch hier Überlegungen notwendig sind, wie die Bedürfnisse älterer Menschen mit dieser Verkehrsart in Übereinstimmung gebracht werden können.
Attraktivierung von umwelt- und stadtverträglicheren Verkehrsarten
Generell wäre es von Vorteil, wenn der motorisierte Individualverkehr auf das notwendige Mindestmaß beschränkt werden könnte: Vermeidung von motorisiertem Individualverkehr sollte Vorrang vor allen anderen Maßnahmen haben. Hiervon sollten auch ältere Menschen nicht ausgenommen sein. Es gilt, überflüssige PKW-Fahrten sowie nicht oder nicht mehr notwendigen PKW-Besitz durch geeignete Maßnahmen, wie z.B. die Attraktivierung alternativer Verkehrsmittel, möglichst weit zu reduzieren.
Verkehrsberuhigung
Ergänzend sollten bauliche, aber auch ordnungsrechtliche Maßnahmen der Geschwindigkeitsreduzierung - insbesondere in Wohngebieten - verstärkt umgesetzt werden. Sie kommen dem Bedürfnis älterer Autofahrer nach übersichtlichen Verkehrssituationen und niedrigen Geschwindigkeiten entgegen. Nebenbei hätte dies auch positive Auswirkungen auf den Fußgänger- und Radverkehr. Es könnten zusätzliche Aufenthalts- und Ruhepunkte für Besorgungsgänge sowie eine Gefährdungsreduzierung für Radfahrer ohne die umstrittenen Radwege geschaffen werden.
Altenspezifische Angebote von Mitfahrzentralen
Die sinnvolle Einrichtung der Mitfahrzentralen könnte durch spezielle Angebote für ältere Menschen (z.B. Vermittlung von Fahrern, die maximal Tempo 100 bzw. besonders behutsam fahren, Bildung von Fahrgemeinschaften) ihre meist auf jüngere Leute beschränkte Zielgruppe erweitern und damit die Notwendigkeit des PKW-Besitzes für ältere Menschen reduzieren. Einen ähnlichen Effekt könnte die Organisation bzw. der Ausbau von Lieferdiensten spezieller Geschäfte haben.
Gemeinsamer PKW-Besitz
Der gemeinsame Besitz eines PKWs durch mehrere ältere Menschen ist geeignet, sowohl die Kfz-Dichte zu verringern als auch eine weitgehende Mobilität älterer Menschen zu gewährleisten. Inzwischen existieren in der Bundesrepublik und im benachbarten Ausland eine Reihe von Beispielen für das sog. Car-Sharing, die das Funktionieren solcher Einrichtungen eindrucksvoll belegen. Leider werden diese Modelle bisher hauptsächlich von Interessenten mittleren und jüngeren Alters in Anspruch genommen, aber bei Wohngemeinschaften war dies ursprünglich ja auch der Fall.
Umtauschaktionen ,,Führerschein gegen Monatskarten"
Um älteren Menschen den Verzicht auf ihren PKW zu erleichtern, können Umtauschaktionen ,,Führerschein gegen Mehrmonats- oder Jahreskarten des ÖPNV" durchgeführt werden. Es lohnt sich, die Finanzierung solcher Aktionen, einmal konkret durchzurechnen: Der Besitz, genauer der Betrieb eines PKWs verursacht volkswirtschaftliche Kosten in beträchtlicher Höhe. Die Ersparnis dieser Kosten durch Verzicht auf ein Auto könnte in die Finanzierung von Fahrkarten des ÖPNV umgelenkt werden. Inzwischen gibt es auch bereits erste positive Beispiele.
Reduzierung des ,,Schilderwalds"
Die Überfrachtung des Straßenraums mit Verkehrszeichen und Hinweisschildern überfordert nicht nur ältere, sondern auch bereits jüngere Autofahrer. Es ist endlich an der Zeit, dass diese Forderung in konkrete Maßnahmen umgesetzt wird, allerdings mit Ausnahme der für die Verkehrssicherheit gerade der Fußgänger relevanten Beschilderungen.
Die Konsequenzen aus dem bisher Gesagten sollten primär in der Beseitigung der festgestellten Mängel bestehen. Es wäre aber vermutlich verkehrt, zu fordern, dass die Kommunen altenspezifische Verkehrskonzepte aufstellen sollten. Neben diesen würden dann auch sicherlich solche für Kinder, alleinerziehende Elternteile und andere besondere Bedarfsgruppen eingefordert werden. Im Endeffekt würde eine Vielzahl sehr zielgruppenspezifischer Überlegungen und Planungen nebeneinanderher existieren, obwohl die Überschneidungsbereiche sehr groß wären. Sinnvoller scheint mir die Einbeziehung der Bedürfnisse relevanter Bedarfsgruppen in die regulär zu erarbeitenden Verkehrsplanungen zu sein. Im Fall der älteren Menschen werden wir uns ohnehin angewöhnen müssen, ihre Belange bei raumrelevanten Planungen stärker als bisher zu berücksichtigen.
Hier bietet sich für Planer eine gute Möglichkeit, ihre Kenntnisse über die Verkehrssituation einer immer wichtiger werdenden Bevölkerungsgruppe zu vertiefen, nämlich die intensive Zusammenarbeit mit den Betroffenen. Die Betroffenheit älterer Menschen durch Verkehrsprobleme führt zu einer Problemkenntnis, die bei sorgfältiger Berücksichtigung ihrer Sichtweise zu einer wesentlich verbesserten Wirkung der Maßnahmen beitragen kann.
Es ist deshalb notwendig, sowohl bei der Problemanalyse als auch bei der Entwicklung von Maßnahmenvorschlägen und erst recht bei der Wirkungskontrolle der umgesetzten Vorschläge betroffene Ältere als Experten für ihre eigene Situation zu verstehen und mit ihnen zusammenzuarbeiten. Aus diesem Grund können die hier vorgeschlagenen Maßnahmen nur als erste Sammlung von Aspekten verstanden werden, die durch die Erfahrungen und Kenntnisse älterer Menschen noch ergänzt, konkretisiert und vertieft werden muß. (1)
Dieser Artikel von Dr. Ing. Gerd Reesas, Planungsgruppe Vor Ort war das Eingangsreferat zur Arbeitsgruppe ”Senioren - Mobil im Umweltverbund?” beim 12. Bürgerinitiativen-Verkehrskongress 13.-16. Mai 1999 in Köln und ein ist ein Auszug aus der Veröffentlichung: SENIOREN zu FUSS - Aufsätze, Dokumente und Zwischenrufe, FUSS e.V. (Hrsg.), 2000
Die Veröffentlichung „SENIOREN zu FUSS - Aufsätze, Dokumente und Zwischenrufe“ ist bei uns für 4,50 Euro zzgl. Porto zu beziehen. Sie können Sie in unserem Online-Shop in der Rubrik Broschüren > Fußverkehr-Senioren bestellen.
„Das Alter ist nicht mehr gut oder schlecht,
es wird einfach ignoriert.
Für alte Menschen ist kein Platz mehr.“ (1)
Im Jahre 1900 lag die durchschnittliche Lebenserwartung bei 35, heute liegt sie etwa bei 80 Lebensjahren. In den nächsten 30 Jahren wird der Anteil der über 60jährigen in Deutschland auf weit über ein Drittel der Gesamtbevölkerung ansteigen, der Anteil der hochbetagten über 85jährigen wird sich gegenüber heute etwa verdoppeln. In bereits zehn Jahren wird aus den Geburtsjahrgängen des ”Babybooms” der 50er und 60er Jahre ein ”Senioren-boom” und Deutschland wird einen der höchsten Altenanteile der Welt aufweisen.
Die alle Gesellschaftsbereiche prägende Anzahl von ”Alten” wird sich kaum ignorieren lassen. Wir aber sollten schon jetzt über die Altersstruktur und deren Folgen nachdenken. In Japan spricht man zum Beispiel nicht entmutigend von einer ”Überalterung”, sondern von einer ”neuartigen Gesellschaft des langen Lebens”, die als Herausforderung begriffen wird.
Der im folgenden betrachtete Aspekt der Mobilität wurde im ”Internationalen Jahr der Senioren 1999” weitgehend vernachlässigt. Kaum jemand wird aber bestreiten wollen, wie wichtig für Senioren ihre Beweglichkeit ist und die beiden Hauptwünsche von alternden Menschen dürften wohl lauten: möglichst lange ”klar im Kopf” bleiben und möglichst lange ”gut zu Fuß” sein. Dabei ist die Angst vor einem Verkehrsunfall mit zunehmendem Alter für viele ein Faktor, der den Lebensalltag mitbestimmt, der die Mobilität stark einschränken kann.
Ist diese Angst berechtigt?
Auf die Gefahren des Straßenverkehrs, auf Barrieren und Beschwernisse reagieren ältere Menschen in der Regel mit dem Rückzug. Deshalb müssen Betrachtungen über das Unfallrisiko gerade bei den Senioren auf die Zeitdauer der Verkehrsteilnahme bezogen werden: Während das Risiko im Alter um 65 Jahre bei ca. 4 Verunglückten pro 1 Million Stunden Verkehrsbeteiligungsdauer liegt, steigt dieses für Männer im Alter von über 75 Jahren auf über 9, für Frauen gar auf über 15 an.
Etwa 35.000 Menschen im Alter ab 65 Jahren verunglücken jährlich im Straßenverkehr, d.h. jeden Tag annähernd 100 Menschen. In zunehmendem Maße verunglücken sie als AutofahrerInnen, 1997 bereits über 50 %. Die durch die Polizei vorgenommenen Schuldzuweisungen nehmen mit dem Alter der Pkw-Fahrer beträchtlich zu. Bei Senioren ab 65 Jahren wurde den Fahrern in ca. 65 % der Fälle, ab 75 Jahren sogar bei ca. 75 % der Unfälle mit Personenschaden die Hauptschuld am Unfall zugewiesen. Der entsprechende Anteil liegt bei den älteren Fußgängern derzeit bei 23 %, d.h. sie tragen meistens nicht Schuld an einem Unfall.
In den letzten Jahren wurden ca. 7 000 ältere Menschen jährlich bei Verkehrsunfällen als Fußgänger verletzt. Bei den Todesfällen der Senioren im Straßenverkehr waren 39 % Pkw-Insassen und über 35 % Fußgänger, in Deutschland pro Jahr annähernd 500 Menschen.(2) Die älteren Fußgänger verunglücken zu fast 95 Prozent im innerörtlichen Straßenverkehr, vorwiegend beim Überqueren von Hauptverkehrsstraßen.(3)
Als Fußgänger gehören ältere Menschen ab 65 Jahren zu den am stärksten unfallgefährdeten Verkehrsteilnehmern und selbstverständlich sind sie damit als Teilnehmer am Straßenverkehr besonders schutzbedürftig.
So wird in §3 (2a) der Straßenverkehrsordnung von Fahrzeugführern verlangt, sich ”gegenüber Kindern, Hilfsbedürftigen und älteren Menschen” so zu verhalten, dass ”eine Gefährdung ausgeschlossen ist”.
Etwa nach 70 Lebensjahren spitzen sich die altersbedingten Probleme zu, wie zum Beispiel das Nachlassen des Sehvermögens, Schwierigkeiten mit wechselnden Lichtverhältnissen, das Nachlassen der Merk- und Erinnerungsfähigkeit, Probleme mit Mehrfachbeanspruchungen, sowie die Abnahme der Reaktionsfähigkeit. Insbesondere beim Autofahren ist es wichtig, Bewegungsvorgänge in Randzonen des Gesichtsfeldes zu erkennen und bei auftretenden komplexen Situationen schnell zu entscheiden. (4)
Die Anzahl der Menschen, die mit altersbedingten Leistungsminderungen am Straßenverkehr teilnehmen, wird in den folgenden Jahren in Deutschland mit einer Steigerung um mehr als 60 % bis zum Jahr 2040 ganz drastisch zunehmen. (5) Damit könnte eine deutliche Zunahme der an Unfällen beteiligten AutofahrerInnen einhergehen. Der Faktor ”Angst” wird noch mehr an Bedeutung gewinnen.
Obwohl die Angst einer der schlechtesten Wegbegleiter ist, lässt sie sich nicht an den Fakten vorbei ”wegtrainieren”, auch nicht durch noch so klug ausgedachte und seniorengerechte Verkehrssicherheits-Programme. (6) Empfindet unsere Gesellschaft wirklich Verantwortung für die oft menschenunwürdigen Zustände, muss sie sich um die Beseitigung von Ursachen bemühen.
Obwohl es auf diesem Gebiet einen unverändert großen Forschungsbedarf gibt, sind die angstverursachenden Faktoren schon bekannt: Unbenutzbarkeit von Wegen, Umwegempfindlichkeit und zu große Geschwindigkeitsdifferenzen:
Hier sind z.B. starke Schräglagen und Unebenheiten im Gehwegbereich zu nennen und ganz besonders hervorstehende Kanten aller Art, sowie unerwartete Möblierungen.
Deshalb muss auf Reinigungsfirmen und die Verantwortlichen, die die Verkehrssicherungspflicht für Fußgänger nicht ernst nehmen, frühzeitig Druck ausgeübt werden, nicht erst nach einem Unfall. Notfalls sind hier Gesetze zu verändern oder Strafen zu erhöhen.
Hier kann nur eine verschärfte Ahndung mit sofortigen Strafverfügungen und längerfristige Registrierung der Baufirmen weiterhelfen. Wie beim Punktesystem in Flensburg muß eine Firma, die immer wieder Menschenleben gefährdet, mit dem Entzug ihrer Konzession rechnen.
Sicher läßt sich hier an alle anderen Verkehrsteilnehmer appellieren, beim Straßenqueren zu helfen oder es zu ermöglichen. Wesentlich ist es allerdings, den Straßenverkehr generell zu entschärfen:
Um Veränderungen zu erreichen, gibt es zwei Vorgehensweisen, die beide parallel durchzuführen sind: Zum einen müssen da, wo Zeiten festgelegt werden, verstärkt die älteren Menschen zum Maßstab werden. Das heißt konkret: mindestens 7 Sekunden Grün für Fußgänger und ”Fußgänger-Räumgeschwindigkeiten” von 0,5 bis maximal 1,0 Meter pro Sekunde. Zum anderen aber muss der motorisierte Verkehr in den Städten langsamer fahren. Das bedeutet konkret die Umsetzung der in der Koalitions-vereinbarung festgelegten Verminderung der Kraftfahrzeug-Geschwindigkeiten im Stadtverkehr.
Hier sind Anpassungen an die speziellen Bedürfnisse der älteren Menschen besonders dringlich, da sie zu den Hauptnutzergruppen gehören. (10)
Da die Bundesrepublik Deutschland im internationalen Vergleich keine besonders hohen Sicherheitsstandards für ältere Verkehrsteilnehmer hat (11), wäre das Internationale Jahr der Senioren 1999 der richtige Anlass für Initiativen gewesen, die Verkehrssicherheit von Senioren zu verbessern. Diese Chance wurde nicht genutzt. Trainingsprogramme, die noch immer durch Steuermittel finanziert hauptsächlich von Auto-Clubs erstellt und durchgeführt werden, dürften an den Zuständen vor Ort wenig ändern. Dazu müssen sich schon die Betroffenen selbst verkehrspolitisch betätigen.
Dieser Artikel von Bernd Herzog-Schlagk ist ein Auszug aus der Veröffentlichung: SENIOREN zu FUSS - Aufsätze, Dokumente und Zwischenrufe, FUSS e.V. (Hrsg.), 2000
Die Veröffentlichung „SENIOREN zu FUSS - Aufsätze, Dokumente und Zwischenrufe“ ist bei uns für 4,50 Euro zzgl. Porto zu beziehen. Sie können Sie in unserem Online-Shop in der Rubrik Broschüren > Fußverkehr-Senioren bestellen.
Gegenwärtig sind ältere Menschen auf der Suche nach neuen Wohnformen und Wohnstandorten. Ein wichtiges Kriterium bei der Wohnungswahl ist die Erreichbarkeit von Einrichtungen, Geschäften und auch Grünanlagen. Das “Wohnen im Grünen” hat demgegenüber an Attraktivität verloren, da es zumeist zur tagtäglichen Versorgung mit weiten Wegen verbunden ist. Der Blick nur ins “Grüne” ist für ältere Menschen auf Dauer langweilig.
Am Beispiel der Umgebung der Seniorenwohnanlage “Haus im Viertel” in Bremen-Steintor ist untersucht worden, welche Verkehrsbedingungen die Bewohnerinnen und Bewohner der Seniorenwohnanlage vorfinden, was sich bereits zum Positiven verändert hat und welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, damit sich Senioren sicher und umwegefrei in der Stadt fortbewegen können, mit und ohne Rollstuhl.
Der fließende Autoverkehr im Wohnstraßenbereich ist für Senioren kein Problem, da dank der Einführung der Tempo 30-Zonen in diesem Bereich sehr langsam gefahren wird.
Die Bürgersteige sind im Prinzip frei, wenn man von Mülltonnen an bestimmten Tagen und parkenden Fahrrädern einmal absieht. Beidseitiges Parken (aufgesetzt auf den Bürgersteigen) wurde in den schmalen Wohnstraßen vor Jahren durch Poller unterbunden; in diesen Straßen wird heute einseitig geparkt, und zwar auf der Fahrbahn.
Der Pkw-Besatz pro Einwohner ist im Jahr 2004 im Steintor mit 329/ 1.000 Einwohnern relativ gering. Der Bremer Durchschnitt liegt bei 442/ 1.000. Dennoch ist der Parkdruck im eng bebauten Steintor noch zu hoch. Geparkt wird häufig in den Kreuzungsbereichen, was für Rollstuhlfahrer bedeutet, dass sie nicht über die Straße kommen, auch wenn die Bordsteine hier abgesenkt sind. Wegen der hohen Bordsteinkante ist auf den übrigen Gehwegstrecken das Queren für Rollstuhlfahrer nur an Ausfahrten möglich, vorausgesetzt, hier wird nicht geparkt.
Ein großes Problem für Senioren sind die Radfahrer auf den Gehwegen, auch wenn sie sich – wie in der Hauptgeschäftsstraße - legal auf so genannten “Bordsteinradwegen” fortbewegen. Senioren werden durch Radfahrer häufig erschreckt und verunsichert.
Das Kopfsteinpflaster auf der Fahrbahn ist für Radfahrer unbequem und bei Regenwetter auch gefährlich; deswegen weichen Radfahrer häufig auf die Gehwege aus und verunsichern damit ältere Menschen.
Das Kopfsteinpflaster hat weitere Nachteile für Senioren: Beim Überqueren der Fahrbahn sind die Unebenheiten des Kopfsteinpflasters Stolperfallen, darüber hinaus können die Räder von Rollstuhl und Rollator in den breiten Fugen hängen bleiben.
Das illegale Parken ist eines der Hauptprobleme für Senioren: Ein einziger falsch parkender Pkw im Verlauf einer Straße genügt, um die ganze Straße für Rollstuhlfahrer unpassierbar zu machen. Es gibt Straßen, die für Senioren, auch wenn sie nicht auf den Rollstuhl angewiesen sind, regelrecht “abgeschrieben” sind: “Da gehen wir nicht, da kommen wir nicht durch”. Kämen Autos nicht durch, würde der Abschleppdienst anrücken!
Parkende Fahrräder auf den Gehwegen sind für Senioren ebenfalls problematisch, vor allem für Blinde, die zur Orientierung mit dem Stock freie Zaun- und Mauersockel benötigen.
Im Steintor gibt es nur wenige Bänke bzw. sie sind nicht gleichmäßig genug verteilt. Trotz all dieser Hindernisse, die jüngere Menschen nicht stört – sie kennen es nicht anders -, sind im Steintor viele Menschen zu Fuß unterwegs. Es gehört zur Tradition der Viertelbewohner, vor allem am Samstagvormittag, auf der Geschäftsstraße zu promenieren und auf den Märkten einzukaufen. Man sieht und wird gesehen, man bleibt stehen, um einen alten Bekannten zu begrüßen und ein paar Worte zu wechseln. Die vielen Cafés bieten Gelegenheit, eine längere Unterhaltung sitzend fortzuführen. Der Fußverkehr ist die Stärke des Viertels. Er trägt wesentlich zur Belebung des Viertels bei und auch zur Sicherheit selbst in den Abendstunden. Und genau diese Quirligkeit wird auch von älteren Menschen geschätzt, da sie ihnen Gelegenheit gibt, mit anderen Menschen spontan in Kontakt zu treten.
Angesichts der relativen Zunahme der Menschen über 60 ist es notwendig, den öffentlichen Raum auf Hindernisse zu untersuchen, die ältere Menschen daran hindern, jeden Tag vor die Tür zu gehen. Der tägliche Weg im Freien ist für ältere Menschen besonders wichtig. Ein Spaziergang gliedert den Tag, ist der Gesundheit zuträglich und bietet die Möglichkeit, soziale Kontakte zu pflegen und/oder aufzubauen.
Der Kfz-Parkverkehr im öffentlichen Raum ist im Laufe der letzten 10 Jahre nahezu halbiert worden. Das hat die Attraktivität des Viertels nicht gemindert; die seit Jahren gleich bleibende Bevölkerungszahl und das im Vergleich zu Bremen geringe Durchschnittsalter der Bevölkerung im Steintor lassen diesen Rückschluss zu.
Es ist sinnvoller, die Alternativen zur Pkw-Benutzung zu stärken als nach zusätzlichem Parkraum Ausschau zu halten, der mit hohen Kosten für die Stadt verbunden ist. Für Menschen, die in der Stadt wohnen und arbeiten und weniger als 10.000 km im Jahr fahren, ist die Benutzung eines CarSharing-Fahrzeuges günstiger als die Haltung eines privaten Pkws.
Das Viertel ist mit ÖPNV optimal erschlossen. Der ÖPNV sollte stärker beworben werden.
Der gegenwärtige Fahrbahnbelag aus Großsteinpflaster ist für Radfahrer und Rollstuhlfahrer ungeeignet. Die Rollgeräusche der Autos sind hier weit höher als auf Asphalt – auch das spricht gegen das Kopfsteinpflaster. Bei aller Ästhetik des Großpflasters (wenn es neu verlegt worden ist!) sollte bedacht werden, dass diese sich im Allgemeinen nicht dem Fußgänger auf dem Gehweg erschließt - parkende Autos versperren die Sicht darauf! Kopfsteinpflaster sollte eher die Ausnahme sein als die Regel – auch im Viertel!
Um das Fahrradparken auf den Gehwegen abzubauen, müssen mehr Fahrradparkplätze geschaffen werden. Es ist zu empfehlen, mehr Fahrradbügel im Bereich der Parkstreifen einzubauen, auch in den Wohnstraßen.
In der Hauptgeschäftsstraße ist darauf zu achten, Schautafeln durch attraktive Schaufenstergestaltung zu kompensieren. Tische und Stühle auf den Gehwegen sind eine Bereicherung hinsichtlich der Lebendigkeit des Viertels, und bisher wird dadurch der Fußverkehr nicht sonderlich behindert. Es ist darauf zu achten, dass das auch so bleibt.
Die Gehwegflächen der Nebenstraßen sind zu sanieren und von störendem Grün zu befreien. Auch wenn Bänke im Verruf stehen, vermehrt von Jugendlichen und “Nicht-Sesshaften” aufgesucht zu werden - Jugendliche und Obdachlose dürfen nicht aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden. Je integrierter sie sich fühlen, desto eher werden sie bereit sein, auf nachbarschaftliche Belange Rücksicht zu nehmen. Je mehr Sitzgelegenheiten es gibt, desto besser verteilen sich diese Personengruppen, die möglichen “Störungen” verringern sich insgesamt.
Zum Service für Fußgänger zählt auch, dass öffentliche Toiletten in ausreichender Menge vorhanden sind. Sie fehlen im Steintor. In Verden haben Stadt und Gastronomie eine für beide Seiten nützliche Vereinbarung getroffen: Einige gastronomische Betriebe stellen ihre Toiletten der Öffentlichkeit zu Verfügung, die Stadt bezahlt die Reinigung. Dieses Modell ist auch für Bremen wünschenswert.
Die Straßen im Viertel sind gut vernetzt, es gibt keine Sackgassen. Lediglich die Hauptverkehrsstraßen sind für Fußgänger Barrieren, da sie das enge Wegenetz der Fußgänger zerschneiden. Dieser Mangel lässt sich durch mehr Querungsanlagen beheben, die so beschaffen sein können, dass sie den Verkehrsfluss kaum beeinträchtigen.
In Deutschland sind die Zebrastreifen seit den 60er Jahren nach und nach abgeschafft worden. In allen anderen europäischen Ländern haben sich die Fußgängerüberwege (Zebrastreifen) bewährt und erhalten.
Die Wiedereinführung der Zebrastreifen wird durch eine Richtlinie (1) aus dem Jahr 2001 erleichtert. Dort werden Zebrastreifen zum Schutz der Fußgänger ausdrücklich empfohlen. Diese Richtlinie ist vom Land Bremen übernommen worden. Rechtlich ist es also möglich, überall dort Zebrastreifen anzulegen, wo es für notwendig erachtet wird. Dies gilt auch für Bundesstraßen und Straßen mit Schienenverkehr. Straßenbahnen sind gegenüber querungswilligen Fußgängern grundsätzlich bevorrechtigt, auch an Zebrastreifen.
Es ist wissenschaftlich widerlegt, dass Zebrastreifen besonders unsicher sind. Entscheidend für die Sicherheit von Fußgängern ist die Aufmerksamkeit der Autofahrer, und diese kann u.a. durch die Menge der Querungshilfen erhöht werden.
Zu einer Verbesserung des Wegenetzes für Rollstuhlfahrer gehört darüber hinaus, dass nicht nur an den Kreuzungen, sondern an allen Straßen jeweils gegenüber der Einmündung von Nebenstraßen die Bordsteine abgesenkt und von parkenden Autos freigehalten sind.
Der Beirat Mitte/Östliche Vorstadt in Bremen hat in den letzten 10 Jahren viel für die Bewegungsfreiheit der Fußgänger getan. Dazu zählt das Verkehrszellenkonzept, die Unterstützung von CarSharing, die Befürwortung von Pollern gegen aufgesetzt parkende Autos, die Bemühung um Absenkung vieler Bordsteine und vor allem der Einsatz für eine Verbreiterung der Bürgersteige in der Hauptgeschäftsstraße. Das alles war mit vielen Auseinandersetzungen und Diskussionen verbunden, einem demokratischen Prozess der Willensbildung also.
Was jetzt im Untersuchungsgebiet zur Mobilitätsförderung älterer Menschen noch fehlt, sind im Vergleich zum bereits Erreichten kleine Maßnahmen mit großem Nutzen auch für all jene, die sich im Prinzip gerne in der Stadt zu Fuß fortbewegen, um etwas zu erleben, sich zu orten und bis ins hohe Alter fit zu halten.
Dieser Artikel von Angelika Schlansky ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 1/2006, erschienen.
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Ob in Talkshows, Politikerreden oder Werbeprospekten für Altersvorsorge: Der demographische Wandel ist in aller Munde. Dabei ist der Unterton oft negativ, und der Wandel „gefährdet“ zumeist, etwa unsere Renten oder Krankenversicherungen. Die Diskussion hat seit einiger Zeit auch die Verkehrsplanung erreicht, hier drohen beispielsweise dem öffentlichen Verkehr massive Einschnitte, wenn die sogenannten Captive Riders (Zwangskunden) verloren gehen. In diesem Artikel soll gegen den Trend der Versuch gewagt werden, dem demographischen Wandel zumindest eine praktische Seite abzuringen: In einer alternden Gesellschaft sind Prognosen für die mittlere Zukunft einfacher zu bewerkstelligen.
Die demographische Entwicklung einer Gesellschaft hängt von mehreren Faktoren ab, die wichtigsten lauten dabei:
Die aktuelle Pyramide ist offensichtlich bekannt, die Geburtenrate liegt seit mehreren Jahrzehnten recht verlässlich bei rund 1,4 Kindern pro Frau im gebärfähigen Alter, während die Lebenserwartung zwar immer wieder leicht steigt, sich aber in der jüngeren Vergangenheit dennoch als recht gut vorhersehbar erwiesen hat. Setzt man nun eine halbwegs stabile Situation in Deutschland voraus, also z.B. keine Kriege oder Epidemien, so ist die eigentliche Unbekannte in der Prognose die Migration. Diese hängt von mehreren unsicheren Größen ab, unter anderem von der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung in Deutschland sowie in den Quell- und Zielländern.
Trifft man unterschiedliche Annahmen für Migration, Lebenserwartung und Geburtenrate, so sind verschiedene Vorhersage-Szenarien denkbar. In der Mehrheit der Szenarien ist bis 2050 mit einer deutlichen Abnahme der Bevölkerung zu rechnen. Das eigentliche Problem liegt jedoch nicht in der Schrumpfung, sondern in der Alterung der Bevölkerung. Abbildung 1 zeigt diese Entwicklung im Mittleren Szenario des Statistischen Bundesamtes: (1) Haben zur Jahrtausendwende die über 50jährigen noch rund ein Drittel der Bevölkerung ausgemacht, so stellen sie 2050 bereits etwa die Hälfte. Umgekehrt sinkt der Anteil der Minderjährigen kontinuierlich, somit bricht auf dem Land dem öffentlichen Verkehr eine wichtige Kundengruppe weg, die Schülerverkehre, was ein zufriedenstellendes Angebot dort noch schwieriger machen dürfte.
Wo bleibt also die gute Nachricht für den Verkehrsplaner? Betrachtet man in Abbildung 1 beispielsweise den Balken für 2030, so werden lediglich rund 20% der Bevölkerung erst in den kommenden 23 Jahren geboren werden – der Rest ist eine gealterte Fassung der heutigen Bevölkerung. Nimmt man ferner an, dass ein erheblicher Teil des Mobilitätsverhaltens bereits in der Kindheit und Jugend geprägt wird, dann können schon heute recht zuverlässige Vermutungen über das Mobilitätsverhalten vieler Bürger im Jahr 2030 getroffen werden. Wenn wir also „Mobilitätsbiographien“ (2) verstehen, so begreifen wir auch einen erheblichen Teil der zukünftigen Verkehrsnachfrage und können somit die Prognosegüte verbessern.
Abbildung 1 „Entwicklung der Altersklassen“
Interessant ist hierfür zuerst die Entwicklung zukünftiger PKW-Verfügbarkeit. Quelle dazu sind eigene Auswertungen der KONTIV 1982 und der MiD 2002 – beides Querschnittserhebungen, in denen mehrere Zehntausend Personen zu ihrem Mobilitätsverhalten befragt wurden. (3) Betrachtet man die Entwicklung der Führerscheinzahlen bei den Frauen, so ergibt sich der Verlauf für 2002 grob aus einer Verschiebung der Kurve von 1982 um 20 Jahre nach rechts. Es handelt sich dabei um einen sogenannten Kohorteneffekt, die Führerscheinzahlen erklären sich also weniger durch absolutes Alter denn durch das jeweilige Geburtsjahr. Verschiebt man die Kurve nun weitere 20 Jahre, dann werden die Seniorinnen der Zukunft zumeist den Führerschein haben. Bei den Männern ist dies schon heute weitgehend der Fall (siehe obere Kurve).
Der Führerschein in der Brieftasche gewährleistet dabei nicht unbedingt auch den PKW im Haushalt – interessant sind in diesem Zusammenhang besonders die jungen Erwachsenen, hier klafft eine gewisse Lücke zwischen Fahrerlaubnis und verfügbarem Fahrzeug. Bemerkenswert ist in dieser Gruppe ferner die Entwicklung der PKW-Verfügbarkeit: Während diese zwischen 1982 und 2002 anstieg, kann in der jüngeren Vergangenheit ein leichter Rückgang der Motorisierung bei den jüngeren Erwachsenen festgestellt werden.(4)
Neben der PKW-Verfügbarkeit ist von besonderem Interesse die Entwicklung des gemessenen Verhaltens. Dazu wurden wieder die KONTIV 1982 sowie die MiD 2002 ausgewertet, ohne Berücksichtigung der Fernreisen (hier definiert als Wege über 100 Kilometer), um statistische Verzerrungen der Alltagsmobilität zu vermeiden. Abbildung 2 zeigt die Entwicklung der zurückgelegten Kilometer (in allen Verkehrsmitteln) abhängig vom Alter bei Frauen. Hierbei stechen drei Dinge ins Auge:
Abbildungen „Verkehrsleistung pro Person und Tag - Männer und Frauen“
Bei Männern zeigt sich ein anderer Verlauf der Mobilitätsentwicklung: Während auch hier zur Volljährigkeit ein starker Sprung zu beobachten ist, bleibt die Mobilitätsnachfrage bis jenseits der 50 auf einem hohen Niveau und beginnt erst dann zu sinken. Auffallend außerdem: Die Kurven von 1982 und 2002 liegen nicht sonderlich weit auseinander, in einzelnen Altersklassen lag in den achtziger Jahren die Nachfrage sogar oberhalb der Kurve für 2002.
Als weitere Vergleichsgröße bietet sich die Zahl der Wege an, unabhängig von ihrer Länge. Während auch hier leichte biographische Effekte beobachtet werden können, so ist die Wegezahl doch deutlich schwächer beeinflusst von Untersuchungsjahr, Alter und Geschlecht. Die Varianz der zurückgelegten Kilometer erklärt sich somit vor allem durch unterschiedliche Weglängen.
Zum Abschluss sollen zwei Ereignisse näher beleuchtet werden, welche bei Betrachtung der Abbildung 2 und Abbildung 3 anscheinend großen Einfluss auf die Verkehrsnachfrage haben: Führerscheinerwerb und Rentenalter. Dazu wird das Deutsche Mobilitätspanel untersucht. (5) In dieser Erhebung werden Personen bis zu drei Jahre in Folge befragt; treten zwischen den Befragungen Änderungen ein, können deren Auswirkungen auf das Verhalten analysiert werden. Im Datensatz von 1994 – 2004 können insgesamt 101 Personen identifiziert werden, welche zwischen zwei Jahren den Führerschein bestehen, ebenso viele gehen zwischen zwei Jahren in Rente.
Der Führerscheinerwerb geht dabei einher mit einer deutlichen Steigerung der Mobilität: Die Probanden legen durchschnittlich rund fünf Kilometer pro Tag mehr zurück, die PKW-Nutzung steigt sogar um rund 12 Kilometer pro Person und Tag. Mit dem neuen Führerschein sind die Probanden also nicht nur mehr unterwegs, sie verlagern auch massiv von anderen Verkehrsmitteln aufs Auto.
Nicht so deutlich sind dagegen die Effekte bei Renteneintritt: Der Rückgang der gesamten Mobilität liegt lediglich bei gut 2 Kilometer pro Tag, er ist ferner nicht „signifikant“, kann also statistisch nicht von Zufallsschwankungen unterschieden werden. Es kann jedoch ein moderater und signifikanter Rückgang der PKW-Nutzung festgestellt werden: Neu-Rentner legen durchschnittlich 4 Kilometer pro Person und Tag weniger mit dem Auto zurück.
Hirtz hat am Institut für Verkehrswesen zum Renteneintritt weitere Untersuchungen vermittels der Daten des Deutschen Mobilitätspanels durchgeführt und unter anderem festgestellt: Die Verhaltensänderung hängt signifikant vom Alter bei Renteneintritt und dem Umfang der Erwerbstätigkeit ab, nicht jedoch vom Geschlecht. Im Laufe der Rente scheint es eine Art nachgelagerten Effekt der Mobilitätsabnahme zu geben, so geht die Verkehrsnachfrage deutlich zurück, wenn z.B. der Partner stirbt.(6)
In einer alternden Gesellschaft bietet das Verständnis der Verkehrsnachfrage über ein Menschenleben („Mobilitätsbiographie“) Vorteile für die Prognose zukünftiger Entwicklungen der Verkehrsnachfrage. Auffallend sind vor allem zwei Effekte: Der starke Anstieg der zurückgelegten Kilometer beim Führerscheinerwerb sowie der Rückgang ab einem bestimmten Alter – bei Frauen anscheinend deutlich früher als bei Männern. Dieser Rückgang findet nicht notwendig zeitgleich mit Renteneintritt statt, sondern ist häufig nachgelagert. Deutlich unabhängiger von Alter, Geschlecht und Beobachtungsjahr ist die Zahl der zurückgelegten Wege.
Auch wenn die Seniorinnen und Senioren der Zukunft den Führerschein haben, sprechen die Ergebnisse dafür, dass ab einem gewissen Alter gleichwohl die Verkehrsnachfrage zurückgeht. In einer alternden und schrumpfenden Gesellschaft scheint es somit wahrscheinlich, dass die Verkehrsleistung schon mittelfristig eher zurückgeht als steigt.
Dieser Artikel von Peter Ottmann ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 2/2007, erschienen.
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Neben den Erfordernissen einer qualitätvollen und durchdachten Stadt- und Verkehrsplanung ist die Beachtung von Einstellungen, Emotionen und Werten der Fahrradfahrerinnen und Fußgängerinnen wichtig. Nicht nur Gefahrenpotenziale beim Gehen und Fahrrad fahren stellen für ältere VerkehrsteilnehmerInnen eine Herausforderung dar (vgl. Dirk Böhnke in mobilogisch! 4/06). Sie haben unabhängig von ihren physischen Fähigkeiten nicht unbedingt dieselben Präferenzen in Bezug auf ihre nichtmotorisierte Verkehrsteilnahme.
Der Anteil der über 55-Jährigen wird in den nächsten Dekaden deutlich zunehmen, insgesamt wird die Bevölkerung jedoch abnehmen. Dabei stellt sich unweigerlich die Frage, wie in einer älter werdenden Gesellschaft die Bereitschaft und Fähigkeit erhalten werden kann, sich zu Fuß oder mit dem Rad fortzubewegen. Ein hoher Anteil des nichtmotorisierten Verkehrs hat in mehrfacher Hinsicht eine wichtige Bedeutung: Er trägt dazu bei, weniger umwelt- und gesundheitsbelastende Auswirkungen zu erzeugen. Gleichzeitig erhält Gehen und Fahrrad fahren die Gesundheit und Beweglichkeit.
Sind aber die zukünftigen Alten genauso unterwegs, wie die Heutigen? Wie werden sie sich (wir uns) fortbewegen (wollen)? Um hierzu ein Bild zu erlangen, müssen einerseits das heutige Verkehrsverhalten, Szenarien einer zukünftigen Entwicklung und lebensstilspezifische Aspekte nichtmotorisierter Mobilität einbezogen werden.
Wird Mobilität umfassend verstanden, ist sie nicht nur Fortbewegung und Aktivität im Raum, sondern
Mobilität ist Teil unseres Alltagshandelns und zeigt sich in Routinen und Handlungsmustern. Darin spiegeln sich z.T. so genannte kulturelle Orientierungen und unser sozialer Kontext. Das Verkehrsverhalten ist nur ein Teil des Alltagsbedürfnisses ‚Mobilität’. Es ist dabei geprägt von Vorlieben und Präferenzen.
Als Mobilitätsstile werden relativ stabile Muster aus Routinen, Einstellungen, Werten und Handlungen verstanden. Sie können sich im Laufe verschiedener Lebensphasen durchaus verändern oder sich in ihrer Ausprägung verstärken oder abschwächen. Bestimmte Grundorientierungen bleiben aber oft erhalten. U.a drückt sich zum Teil aus, wie wir zu Verkehrsmitteln und zu unserer Verkehrsteilnahme stehen. Mobilitätsstile helfen dabei, das Verkehrsverhalten zu erklären und liefern wichtige Hinweise für die symbolischen Facetten der Mobilität des Einzelnen.
In der Studie ‚Mobil in Deutschland 2002’ ließ das Bundesverkehrsministerium das Verkehrsverhalten in Deutschland genau untersuchen.
Insgesamt werden 32% aller Wege und 6% der Verkehrsleistung (Personen-km) über nichtmotorisierte Verkehrsarten erbracht (im Vgl. Pkw: 57% bzw. 77%). Der Fußverkehr nimmt dabei innerhalb aller Wege den größten Part ein: 23% aller Wege werden zu Fuß unternommen, mit einer durchschnittlichen Länge von 1,7 km. Die überwiegenden Wegezwecke sind Einkaufen und Erledigungen mit 38% und Wege zu Freizeitaktivitäten (40%). Ausbildungs- und Arbeitswege spielen nur eine untergeordnete Rolle (6-7%). Hinter diesen Aktivitäten verbirgt sich aber auch die sozio-kulturelle Bedeutung des zu Fuß Gehens – sowohl Einkaufen als auch Freizeitaktivitäten dienen nicht nur ganz konkreten Alltagsnotwendigkeiten, sondern der Teilnahme am sozialen Leben, der Zerstreuung, dem Kontakt mit Anderen, dem Kontakt zu Natur und Umfeld.
3/4 der Einwohnerinnen und Einwohner in Deutschland haben ein Fahrrad. Damit werden 9% aller Wege zurückgelegt. Fahrrad fahren ist bekannter Maßen stark jahrezeitlichen Schwankungen unterworfen, im Sommer sind es ca. 10%, im Winter 5-6% aller Wege. Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung kombiniert das Fahrrad und ÖPNV (Bike & Ride oder Fahrradmitnahme), nämlich 3%. Zurückgelegt werden mit dem Fahrrad hauptsächlich Wege zum Einkauf und für Erledigungen (32%) sowie Freizeitaktivitäten (37%). Arbeits- und Ausbildungswege werden etwas öfter als zu Fuß zurückgelegt (9-15%).
Beim zu Fuß gehen schwankt über die Lebensphasen hinweg die Intensität kaum – der Grundbedarf an Mobilität wird zu Fuß gedeckt. Die Anzahl der Fußwege ist bei Rentnern überdurchschnittlich hoch, in höheren Altersklassen etwas geringer, jedoch immer noch über dem Durchschnitt.
RentnerInnen unter 75 Jahren sind mehr mit dem Rad unterwegs als Erwerbstätige, über 75 Jährige aber ca. genauso oft wie Erbwerbstätige (ca. 7%). Die Fahrradnutzung ist abhängig von der Pkw-Verfügbarkeit – mit zunehmendem Alter jedoch nicht mehr so extrem. Insgesamt legen Senioren im Vergleich zu Erwerbstätigen weniger Wege zurück, v.a. weniger Pkw-Wege.
Im Jahr 2006 erstellte eine Forschergruppe des Difu im Auftrag des Verkehrsministeriums eine Studie mit Szenarien zur Verkehrsentwicklung bis zum Jahr 2050. Unabhängig von der Wahl des Szenarios zeigt sich bei der Verkehrsleistung des Fahrrades und zu Fuß Gehens folgendes:
Daraus lässt sich folgern, dass sich eine leichte Zunahme der Fußwege fortsetzt. Auch setzt sich die leichte Zunahme der Wege mit dem Rad, v.a. bei Rentnern und Arbeitslosen fort. Insgesamt steigt die Bedeutung des nichtmotorisierten Verkehrs. Siedlungsstrukturelle Effekte, wie die Reurbanisierung führen abhängig nach der Ortsgröße zu einem Rückgang der Gesamtverkehrsleistung.
Es findet demnach eine Verschiebung statt, die sich vermutlich nicht nur durch finanzielle und strukturell gegebene Randbedingungen erklärt werden kann. Es ist daher anzunehmen, dass sich heutige Mobilitätsgewohnheiten in Zukunft etwas verändern werden.
Die Rolle lebens- und mobilitätsstilspezifischer Aspekte auf das zu Fuß Gehen und Fahrrad fahren wurde in einer Studie in Berlin untersucht. Dabei wurde eine Typologie nichtmotorisierter Mobilitätsstile entwickelt. Die folgende schlagwortartige Darstellung fokussiert nicht nur die Stile, in denen sich überwiegend Ältere finden. Vielmehr soll die gesamte Breite aufgezeigt werden, denn es ist davon auszugehen, dass Ausschnitte der Grundorientierungen unabhängig vom Alter bedeutsam sind. Lediglich ein explizit auf Jugendliche beschränkter Typ wird hier nicht dargestellt.
Die Selbstbestimmt Aktiven
Die Resignierten GeherInnen
Die Sicherheitsorientierten
Die Bequemlichkeitsorientierten
Die StadtgenießerInnen
Bei den begeistert, aber pragmatisch Umweltorientierten
Die Identifier
Die verschiedenen Typen haben spezifische Ansprüche an die nichtmotorisierte Fortbewegung, unabhängig vom Alter. Eine Alterung innerhalb der verschiedenen Stile bedeutet nicht, dass sich deren Mobilitätseinstellungen umkehren werden. Die Ergebnisse zeigen, dass die Stile nichtmotorisierter Mobilität dazu herangezogen werden können, um Potenzialgruppen und Handlungsschwerpunkte abzuleiten.
Die häufig zu beobachtende Fokussierung auf die technische Ausgestaltung von Verkehrssystemen und deren Benutzbarkeit sollte auch bei Senioren nicht die symbolischen Bedeutungen von Mobilität außer Acht lassen.
Als Forderung an eine zukunftsorientierten Verkehrs- und Stadtplanungspolitik muss Rad- und Fußmobilität auf jeden Fall weiterhin vor allem zugänglich sein. Das bedeutet für ältere Menschen zu Fuß und auf dem Fahrrad z.B.
Daten zum Verkehrsverhalten der jetzigen älteren Bevölkerung werden herangezogen, um zukünftiges Verhalten abzuschätzen. Unterstützend können Mobilitätsstile aufzeigen, welche Herausforderungen für den nichtmotorisierten Verkehr in einer alternden Gesellschaft liegen.
Dieser Artikel von Jutta Deffner, Mitarbeiterin an der Studie „Mobilität und Lebensstilanalysen“ am Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE), Frankfurt/Main, www.isoe.de –Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! , ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 2/2007, erschienen.
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Die Werbung nennt sie die „Generation 50+“, PR-Leute entdecken die „Silver Ager“, Soziologen unterscheiden zwischen „jungen Alten“ und „alten Alten“. Bevölkerungswissenschaftler nennen nüchterne Zahlen: Der Anteil der Einwohner, die 60 Jahre und älter sind, wird von heute 24% auf 37% 2050 zunehmen; dann werden 11% statt heute 4% sogar die 80 überschritten haben (vgl. den Artikel „Prognosen zur Bevölkerungsentwicklung“ in diesem Heft). Anlass für mobilogisch!-Autor Frank Biermann zu untersuchen wie sich die Verkehrsmittelwahl dieser „Altersgruppe mit Zukunft“ vom modal split anderer Altersgruppen unterscheidet.
Im Jahre 1976 wurde erstmals in Westdeutschland eine umfassende Haushaltsbefragung zum Verkehrsverhalten der Bevölkerung mit dem Namen „Kontinuierliche Erhebungen zum Verkehrsverhalten“ (KONTIV) durchgeführt. Inhaltlich innovativ an der Befragung von Socialdata und Emnid war die Erfassung der Verkehrsmengen anhand des „Wegekonzepts“, bei dem Ortsveränderungen als Mobilitäts-Maßstab als Ergänzung zum bis dahin üblichen „Verkehrsleistungskonzept“ (gemessen in Personenkilometern) herangezogen werden.
Mit den KONTIV-Daten „gewappnet“ konnten Verkehrsinitiativen erstmals mit Unterstützung von Wissenschaftlern nachweisen, dass Rad- und Fußverkehr keine marginalen Größen darstellen. Weitere KONTIV-Erhebungen wurden 1982 und 1989 im „alten Bundesgebiet“ (inkl. West-Berlin) durchgeführt. Die KONTIV 1989 lieferte erstmals auch Daten zur Mobilität von Kindern unter zehn Jahren.
Gegenstück zum KONTIV im Westen war das von der TU Dresden betreute „System repräsentativer Verkehrsbefragungen“ (SrV) im Osten, das auch nach Ende der DDR in den neuen Bundesländern fortgeführt wird. Da es nicht den gesamten Personennahverkehr, sondern nur Städte erfasst, bleibt es hier unberücksichtigt. (1)
Weitere Erhebungen von Forschungsinstituten und der amtlichen Statistik wie das „Sozioökonomische Panel“ (SOEP) des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung“ (DIW) oder der Mikrozensus des Statistischen Bundesamtes („Kleine Volkszählung“ mit 1%-Stichprobe der Bevölkerung) liefern nur Daten zu Teilaspekten oder für einzelne Jahre und sind daher insbesondere für Vergleiche langfristiger Entwicklungen meist nicht zu verwenden. (2)
Dagegen stellt der „Haushaltspanel zum Verkehrsverhalten“ (MOP) der Universität Karlsruhe seit 1994 für jedes Jahr Daten für Westdeutschland, ab 1999 auch für Ostdeutschland zur Verfügung. Da die Daten zur Verkehrsmittelwahl nur nach dem Verkehrsleistungskonzept, nicht aber nach dem Wegekonzept erfasst werden, wurden sie hier nicht berücksichtigt. (3)
Eine umfassende Haushaltsbefragung für Gesamtdeutschland wurde erstmals 2002 durchgeführt. Neu gegenüber den KONTIV-Erhebungen der 70er und 80er Jahre waren sowohl die Befragung per Telefon, von der man sich erhoffte, bisher nicht erfasste Personen zu erreichen, als auch die Berücksichtigung des Phänomens „Begleitmobilität“. Dazu zählen u.a. die zunehmend „unselbständig“ (d.h. als Mitfahrer im Auto) statt „selbständig“ (zu Fuß oder per Rad) zurückgelegten Schulwege, aber auch Wege alter Menschen mit einer Begleitperson.
Im Gegensatz zu den KONTIVs 1976 und 1982 und dem MOP, die nur eine Stichprobe der deutschen Wohnbevölkerung erfassen, wurden bei der Erhebung 2002 - wie bereits im KONTIV 1989 - auch ausländische Bürger befragt.
Anfangs noch als „KONTIV 2002“ bezeichnet, wird die Erhebung nun offiziell als „Mobilität in Deutschland“ (MiD) geführt. Hintergrund der Namensänderung ist eine engagiert und sehr kontrovers geführte Debatte zwischen den KONTIV-„Erfindern“ von Socialdata und den MiD-Autoren „Institut für angewandte Sozialwissenschaft“ (INFAS) und DIW über die Erhebungsmethodik. (Die Kontroverse ist in den mobilogisch!-Ausgaben 2/04 und 4/06 dokumentiert und als „mobilogisch!- Paket KONTIV/ MiD“ für 7 Euro bei uns erhältlich.)
Die Aussagen zur Verkehrsmittelwahl der Älteren in diesem Artikel stützen sich auf die das Wegekonzept nutzenden Erhebungen KONTIV 1976, KONTIV 1982, KONTIV 1989 und MiD 2002. Damit ist eine Übersicht über einen Zeitraum von 26 Jahren möglich.
Selbstverständlich ist ein Vergleich von Daten für Westdeutschland/alte Bundesländer (alle KONTIVs) mit der Untersuchung für Gesamtdeutschland (MiD 2002) nur begrenzt sinnvoll. Zwar war schon im Auftrag für MiD gefordert, eine Vergleichbarkeit mit den Vorgängererhebungen zu gewährleisten, die unterschiedlichen Erhebungsgebiete erschweren jedoch den Vergeleich. Die Gegenüberstellung der Daten wird hier trotzdem „gewagt“, da sich viele Mobilitäts-Parameter zwischen den neuen und den alten Bundesländern inzwischen angeglichen haben.
Nach Untersuchungen von Wissenschaftlern der Universitäten Karlsruhe und Mannheim auf Grundlage des „Mobilitätspanels“ (MOP) waren 1999/2000 z.B. bei den Indikatoren „Pkw/1.000 Einwohner“ und „zurückgelegte Entfernung pro Tag“ keine nennenswerten Unterschiede mehr zu verzeichnen, während sie zur Zeit der Wende noch sehr ausgeprägt waren (ABL: 481 Pkw/ 1.000 Einwohner, DDR/NBL: etwa 250 Pkw/ 1.000 Einwohner ). Die Forscher kommen zu dem Schluss, dass „für Personen mit vergleichbaren sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen und räumlichem Umfeld von einem ähnlichen Verhalten in den ABL und NBL ausgegangen werden kann.“ Beim für die Verkehrsmittelwahl entscheidenden Einflussfaktor - der Pkw-Verfügbarkeit - ist allerdings noch ein Unterschied von über zehn Prozentpunkten vorhanden. Dieser Durchschnittswert aller Altersgruppen steigt bei den 61-70 Jahre Alten auf 14 Prozentpunkte, bei den über 70jährigen sogar auf 27 Prozentpunkt an.
Mit einem Anteil von etwa einem Drittel aller Wege sind sowohl die jüngsten Altersgruppen (bis 10 Jahre) als auch die Älteren (60 Jahre und älter) die eifrigsten Fußgänger. Auch Jugendliche (11-17 Jahre) legen noch ein gutes Viertel ihre Wege zu Fuß zurück. Im erwerbsfähigen Alter (18-59) sinken die Fußweganteile auf ungefähr ein Fünftel aller Wege.
Der Modal split der Älteren (ab 60 Jahre) 2002 sieht folgendermaßen aus: 49,8% sind mit MIV, 32,3% zu Fuß, 9,7% mit dem Fahrrad und 7,0% der Älteren sind mit den ÖPNV unterwegs.
Da der Tabellenband der MiD-Erhebung für ältere Verkehrsteilnehmer nur eine sehr grobe Aufschlüsselung enthält, lassen sich ihm keine Aussagen zu verschiedenen Gruppen von Alten entnehmen. Allerdings stellt MiD neben einer Aufschlüsselung nach Altersgruppen auch eine Auswertung nach „Lebensphasen des Haushalts“ zur Verfügung.
In der Kategorie „Alleinstehende Rentner“ liegt der Fußwegeanteil bei 45%, während er bei „Rentner Haushalten“ nur 24% beträgt. Da die Anzahl der „Single-Haushalte“ mit zunehmendem Alter zunimmt, wenn ein (Ehe)partner bereits gestorben ist, lässt dies die Annahme zu, dass der Fußwegeanteil auch innerhalb der Gruppe der Ruheständler mit zunehmendem Alter noch ansteigt. Welche Rolle dabei als Ursache mit fortschreitendem Alter zunehmende körperliche Beeinträchtigungen spielen, muss näher noch untersucht werden. Es ist jedoch zu vermuten, dass sie zuerst die Nutzung des eigenen Pkw und erst mit sehr hohem Alter wegen Gehproblemen auch die Verkehrsteilnahme als Fußgänger erschweren.
Die Daten der KONTIV 1989 (ohne Kombiwege, die allerdings nur 5% aller Wege ausmachen), die eine feinere Altersaufschlüsselung enthält, belegen dies im Prinzip. Der Fußwegeanteil aller „Alten“ (hier definiert als über 65jährige Befragte) lag damals mit 51% noch deutlich höher als bei MiD 2002 (34%). Die Werte steigen von 44% (65-69jährige), über 54% (70-74) bis auf 59% (75-79) kontinuierlich an. Erst bei den ab 80jährigen sinkt der Wert leicht auf den - immer noch über dem Durchschnitt aller Alten liegenden - Anteil von 53% ab.
Bei den Fahrten mit dem Fahrrad unterscheiden sich die ganz Jungen und die ganz Alten deutlich. Die höchsten Radverkehrsanteile an allen Wegen haben mit etwa einem Fünftel die Jugendlichen; bei den 7-10jährigen sind es immerhin 13%. Sowohl bei Verkehrsteilnehmern im Erwerbsalter als auch bei den „älteren Semestern“ liegen die Fahrradanteile idR unter zehn Prozent und unterscheiden sich um maximal vier Prozentpunkte. Am stärksten ausgeprägt ist diese Differenz innerhalb der Erwachsenengruppen zwischen den 18-39jährigen (7% Radwegeanteil) und den 60- 64jährigen (11%).
Sowohl bei der KONTIV 1989, als auch bei MiD 2002 lag der Radwegeanteil aller Alten (über 65jährigen) bei 9 %, die feinere KONTIV-Altersaufschlüsselung ist hier also am ehesten auch für 2002 repäsentativ. Vermutlich aufgund der - im Vergleich zum Fußverkehr höheren – Anforderungen an körperliche Fitness sinken die Radwegeanteile in den höheren Altersgruppen von 11% (65- 69jährige), über 9% (70-74) und 8% (75-79) auf 7% bei den ab 80jährigen.
Die höchsten Wege-Anteile der MIV-Nutzer (Fahrer und Mitfahrer) weisen erwartungsgemäß die Altersgruppen zwischen 18 und 59 Jahren auf. Der Anteil von etwa zwei Dritteln aller Wege erklärt sich aus einer hohen Pkw-Verfügbarkeit und den Anforderungen des Erwerbslebens (lange Wege zur Arbeitsstelle etc. )
Der Modal split der Erwerbsfähigen (18 bis 59 Jahre) 2002 sieht folgendermaßen aus: 65,6% sind mit MIV, 19,1% zu Fuß, 7,7% mit dem Fahrrad und 6,4% der Erwerbstätigen sind mit den ÖPNV unterwegs.
Bereits die 60-64jährigen nutzen das Auto deutlich weniger (Anteil: 45 %). Hintergrund dürfte der fließende Übergang ins „Rentnerdasein“ trotz des „offiziellen“ Rentenalters von 65 Jahren sein. Die Pkw-Anteile der über 65jährigen bleiben in der gleichen Größenordnung. Eine Auswertung auf Grundlage der Lebensphasen zeigt einen nur halb so hohen Pkw-Anteil der (idR älteren) „Single- Rentner“ (31%) gegenüber den Rentner-Haushalten (61%). Auch unterscheidet sich der Anteil der Pkw-Fahrer deutlich („Single“: 23%, „Haushalte“: 44%).
KONTIV 1989, bei dem der MIV-Anteil aller Alten noch bei 33% (gegenüber 47% 2002) lag, bestätigt die Annahme mit dem Alter zurückgehender Pkw-Anteile allerdings nicht. Zwar liegt der Wert für die 65-69jährigen, die z.T. noch erwerbstätig sein dürften, noch bei überdurchschnittlichen 38%, bei den Älteren bleibt der MIV-Anteil aber dann mit geringen Schwankungen auf einem hohen Niveau stehen (30% bei den 70-74jährigen, 27% bei den 75-79 jährigen und 31% bei den ab 80jährigen).
Die geringsten Pkw-Anteile (als Mitfahrer) von einem Drittel sind bei den Jugendlichen (11-17 Jahre) zu finden, die allerjüngsten (bis 6 Jahre) sind im Gegensatz dazu zu knapp drei Fünfteln mit dem Auto unterwegs.
Bei den ÖPNV-Nutzern zeigt sich eine ähnliche Struktur unter den Altersgruppen wie bei den MIV-Nutzern: Die modal split-Anteile liegen im Erwerbs- und Rentenalter ähnlich hoch; mit etwa 5% aber niedriger als bei den Pkw-Nutzern. Mit etwa einem Fünftel sind die Jugendlichen „ÖPNVStammgäste“. Besonderheiten weist die Gruppe der jungen Erwerbstätigen (18-29 Jahre) mit einem doppelt so hohen ÖPNV-Anteil wie die älteren Erwachsenen auf (10% aller Wege); auch bei den über 65jährigen steigt der ÖPNV-Anteil wieder (8%).
Die Betrachtung der Lebensphasen lässt vermuten, dass der ÖPNV-Anteil mit zunehmendem Alter deutlich ansteigt, da er bei den „Single-Rentnern“ (13%) mehr als doppelt so hoch liegt wie bei den Rentner-Haushalten (5%).
Die KONTIV 1989 (ÖPNV-Anteil aller Alten bei 7 %, MiD 2002: 8%) zeigt hier aber ein differenzierteres Bild: Die Werte sinken zunächst von 8% (65- 69jährige), über 7% (70-74) bis auf 5% (75-79), steigen dann aber bei den ab 80jährigen wieder auf einen ÖPNV-Anteil von zehn Prozent an.
Da nur für die KONTIV 1989 und MiD 2002 eine Aufschlüsselung nach Altersgruppen vorliegt, musste für einen langfristig angelegten Vergleich der Verkehrsmittelwahl ein anderer Indikator gewählt werden. Bei der Bildung der Kennziffern „sozio-demographische Personengruppe“ (in den KONTIVs verwendeter Begriff) bzw. „verhaltenshomogene Personengruppe“ (MiD-Terminus) ist das Lebensalter neben der Erwerbstätigkeit von entscheidender Bedeutung. Der Indikator eignet sich daher gut für die Erfassung des Verkehrsverhaltens in den drei „Haupt-Lebensphasen“ Kindheit/Ausbildung - aktive Lebensphase/Erwerbstätigkeit und Ruhestand/ Rente.
Für den Zeitvergleich des modal split wurden die Befragten zu sechs Gruppen zusammengefasst: Schüler (ab 10Jahren), Studenten, Auszubildende, Erwerbstätige, Rentner, Sonstige. (4)
Die Anteile des Fußgängerverkehrs an allen Wegen von Personen ab 10 Jahren sind im Zeitraum von 1976 bis 2004 um etwa ein Viertel zurückgegangen. Anders ausgedrückt: Der Fußweganteil ging um neun Prozentpunkte von 34% auf 25% zurück.
Betrachtet man die verschiedenen sozio-demografischen Personengruppen so sind die stärksten Rückgänge bei den Rentnern (42% bzw. 26 Prozentpunkte) und den Auszubildenden (33%, Rückgang der Prozentpunkte dagegen mit 8% unterdurchschnittlich) zu verzeichnen. Lediglich unter den Studenten konnten die Fußwege-Anteile fast gehalten werden (1976: 22%, 2002: 20%).
Im Durchschnitt blieben die Anteile des Fahrrads (KONTIVs: inkl. Mofa, MiD: exkl. Mofa) am Gesamtverkehr 2002 auf dem Niveau von 1976; die KONTIV-Erhebungen 1982 und 1989 weisen dagegen höhere Radverkehrsanteile aus (11 % bzw. 12%).
Betrachtet man die einzelnen Personengruppen so zeigen sich jedoch extreme Unterschiede im Zeitvergleich: Massive Verluste bei älteren Schülern (31% bzw. acht Prozentpunkte) und Azubis (55% bzw. neun Prozentpunkte) stehen ebenso deutliche Gewinne bei Rentnern und Studenten (56% bzw. 100% bei allerdings niedrigen Ausgangswerten von 6% bzw. 7% Verkehrsanteil) gegenüber. Die Zunahme um 39% unter den Erwerbstätigen erfolgte ebenfalls von einen geringen Niveau aus (Radwegeanteil 1976: 5%).
Die starke Zunahme des Anteils der MIV-Fahrten (KONTIVs: inkl. Moped, Motorrad, Taxi; MiD: inkl. Lkw-Fahrer, Mofa, Moped, Motorrad) um 30% bzw. 14 Prozentpunkte hängt wohl vor allem mit dem „Nachholbedarf“ in Ostdeutschland zusammen. In dem 13-Jahres-Zeitraum von 1989 (KONTIV West) bis 2002 (MiD West+Ost) nahm der MIV-Anteil um 9 Prozentpunkt zu. Im 13-Jahres-Zyklus von 1976 bis 1989, in dem ausschließlich westdeutsche Befragte erfasst wurden, stieg der Anteil dagegen nur um 5 Prozentpunkte.
Mit Abstand die größten Zuwächse sind unter den Rentnern festzustellen (157% bzw. 29 Prozentpunkte), aber auch unter den Schülern ab 10 Jahren finden sich immer mehr Umsteiger ins „Eltern-Taxi“ (Zunahme 136% bzw. 21 Prozentpunkte). Auch die Auszubildenden legen noch überdurchschnittlich zu, während das Potenzial bei den Erwerbstätigen offenbar (fast) ausgeschöpft ist; ihr MIV-Anteil steigt nur noch von 63% (1976) auf 69% (2002) an. Einzig und allein unter den Studenten gehen die Anteile – allerdings von einem hohen Niveau von 56% ausgehend - um zehn Prozentpunkte zurück.
Während der Fußverkehr die größten Verluste gemessen in Prozentpunkten zu verzeichnen hat, ist der Anteil der ÖPNV-Fahrten (KONTIVs: inkl. Eisenbahn; MiD: exkl. Eisenbahn) auf Basis eines prozentualen Vergleichs am stärksten zurückgegangen. Seine Wege-Anteile gingen - um mehr als ein Drittel - von 12% bzw. 13% (1976/1982) auf 8% zurück.
Eine Zunahme gab es nur unter den Studenten, deren ÖPNV-Anteil von einem nennenswerten Niveau als Basis (16% 1976) auf 20% (2002) zunahm. Überdurchschnittliche Rückgänge des ÖPNVAnteils sind vor allem bei Rentnern (46% bzw. sieben Prozentpunkte), aber auch bei Azubis (neun Prozentpunkte, prozentualle Abnahme aber wie im Durchschnitt) festzustellen.
Welches Fazit der Entwicklung der Verkehrsmittelwahl von 1976 bis 2002 lässt sich unter Umweltgesichtspunkten ziehen? Den „Öko-Preis“ haben sich sicherlich die Studenten mit Zunahmen bei ÖPNV und Rad, Stagnation bei den Fußwegen und Rückgängen beim MIV verdient. Es kann vermutet werden, dass ihr hohes Bildungsniveau zu einer überdurchschnittlichen Sensibilität für ökologische Fragen geführt hat. Gleichzeitig werden ein hohes Maß an Zeitautonomie und körperlicher Fitness sowie Wohnorte in den Kernstädten mit kurzen Wegen zu diesem Ergebnis beigetragen haben.
Am ungünstigsten ist dagegen die Entwicklung bei den Rentnern. In dieser Personengruppe sind die größten Verluste an Verkehrsanteilen beim Fußverkehr und beim ÖPNV zu verzeichnen, während ihr Anteil am MIV am stärksten zugenommen hat. Lediglich die Zunahme ihrer Radverkehrsanteile um die Hälfte liefert erste Ansatzpunkte dafür, dass Kampagnen, die einen Mix aus Bewegung, Gesundheit und Umwelt in den Vordergrund stellen, vielleicht auch diese wachsende Bevölkerungsgruppe wieder für die Verkehrsmittel des Umweltverbundes gewinnen können.
Die erste gesamtdeutsche Erhebung „Mobilität in Deutschland“ 2002 zeigt, dass die „älteren Semester“ neben den Jüngsten zu den eifrigsten Fußgängern gehören. Beim Radverkehr liegt der Anteil der „jungen Alten“ noch über dem der mittleren Jahrgänge, geht aber dann mit zunehmendem Alter zurück. Ältere Verkehrsteilnehmer legen heute fast die Hälfte ihrer Wege mit dem Auto zurück; sie unterschreiten damit den Anteil der Erwerbstätigen aber immer noch deutlich. Nur bei den „Jung-Senioren“ liegen die ÖPNV-Anteile über dem Durchschnitt, „alte Alte“ nutzen öffentlichen Verkehrsmittel dagegen nur etwa genauso oft wie Personen mittleren Alters.
Ein Vergleich mit der westdeutschen KONTIV-Erhebung von 1976 zeigt, dass die Enwicklung der modal split-Anteile bei Rentnern unter ökologischen Gesichtpunkten am ungünstigsten verlief. In dieser Personengruppe sind die größten Verluste an Verkehrsanteilen beim Fußverkehr und beim ÖPNV zu verzeichnen, während ihr Anteil am MIV am stärksten zugenommen hat. Lediglich Radverkehrsanteile konnten die Ruheständler hinzugewinnen.
Dieser Artikel von Frank Biermann ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 3/2006, erschienen.
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Die demografische Entwicklung ist ein aktuelles Thema, ihre Auswirkungen auf die zukünftige Verkehrsmittelwahl wird derzeit allenfalls in Fachkreisen diskutiert:
Es folgen Beiträge, die sich damit beschäftigen, welche Ansprüche sich aus einer alternden Gesellschaft für die Stadt- und Verkehrsplanung ergeben:
Mobil bleiben bis ins hohe Alter bedeutet mehr Verkehrssicherheit durch Infrastrukturmaßnahmen, Verhaltensanpassungen und durch Beweglichkeit und Gesundheit:
Folgende Beiträge sollen Menschen im Un-Ruhestand ermuntern:
Hier finden Sie weiterführende Literatur: