Gegenwärtig sind ältere Menschen auf der Suche nach neuen Wohnformen und Wohnstandorten. Ein wichtiges Kriterium bei der Wohnungswahl ist die Erreichbarkeit von Einrichtungen, Geschäften und auch Grünanlagen. Das “Wohnen im Grünen” hat demgegenüber an Attraktivität verloren, da es zumeist zur tagtäglichen Versorgung mit weiten Wegen verbunden ist. Der Blick nur ins “Grüne” ist für ältere Menschen auf Dauer langweilig.
Am Beispiel der Umgebung der Seniorenwohnanlage “Haus im Viertel” in Bremen-Steintor ist untersucht worden, welche Verkehrsbedingungen die Bewohnerinnen und Bewohner der Seniorenwohnanlage vorfinden, was sich bereits zum Positiven verändert hat und welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, damit sich Senioren sicher und umwegefrei in der Stadt fortbewegen können, mit und ohne Rollstuhl.
Der fließende Autoverkehr im Wohnstraßenbereich ist für Senioren kein Problem, da dank der Einführung der Tempo 30-Zonen in diesem Bereich sehr langsam gefahren wird.
Die Bürgersteige sind im Prinzip frei, wenn man von Mülltonnen an bestimmten Tagen und parkenden Fahrrädern einmal absieht. Beidseitiges Parken (aufgesetzt auf den Bürgersteigen) wurde in den schmalen Wohnstraßen vor Jahren durch Poller unterbunden; in diesen Straßen wird heute einseitig geparkt, und zwar auf der Fahrbahn.
Der Pkw-Besatz pro Einwohner ist im Jahr 2004 im Steintor mit 329/ 1.000 Einwohnern relativ gering. Der Bremer Durchschnitt liegt bei 442/ 1.000. Dennoch ist der Parkdruck im eng bebauten Steintor noch zu hoch. Geparkt wird häufig in den Kreuzungsbereichen, was für Rollstuhlfahrer bedeutet, dass sie nicht über die Straße kommen, auch wenn die Bordsteine hier abgesenkt sind. Wegen der hohen Bordsteinkante ist auf den übrigen Gehwegstrecken das Queren für Rollstuhlfahrer nur an Ausfahrten möglich, vorausgesetzt, hier wird nicht geparkt.
Ein großes Problem für Senioren sind die Radfahrer auf den Gehwegen, auch wenn sie sich – wie in der Hauptgeschäftsstraße - legal auf so genannten “Bordsteinradwegen” fortbewegen. Senioren werden durch Radfahrer häufig erschreckt und verunsichert.
Das Kopfsteinpflaster auf der Fahrbahn ist für Radfahrer unbequem und bei Regenwetter auch gefährlich; deswegen weichen Radfahrer häufig auf die Gehwege aus und verunsichern damit ältere Menschen.
Das Kopfsteinpflaster hat weitere Nachteile für Senioren: Beim Überqueren der Fahrbahn sind die Unebenheiten des Kopfsteinpflasters Stolperfallen, darüber hinaus können die Räder von Rollstuhl und Rollator in den breiten Fugen hängen bleiben.
Das illegale Parken ist eines der Hauptprobleme für Senioren: Ein einziger falsch parkender Pkw im Verlauf einer Straße genügt, um die ganze Straße für Rollstuhlfahrer unpassierbar zu machen. Es gibt Straßen, die für Senioren, auch wenn sie nicht auf den Rollstuhl angewiesen sind, regelrecht “abgeschrieben” sind: “Da gehen wir nicht, da kommen wir nicht durch”. Kämen Autos nicht durch, würde der Abschleppdienst anrücken!
Parkende Fahrräder auf den Gehwegen sind für Senioren ebenfalls problematisch, vor allem für Blinde, die zur Orientierung mit dem Stock freie Zaun- und Mauersockel benötigen.
Im Steintor gibt es nur wenige Bänke bzw. sie sind nicht gleichmäßig genug verteilt. Trotz all dieser Hindernisse, die jüngere Menschen nicht stört – sie kennen es nicht anders -, sind im Steintor viele Menschen zu Fuß unterwegs. Es gehört zur Tradition der Viertelbewohner, vor allem am Samstagvormittag, auf der Geschäftsstraße zu promenieren und auf den Märkten einzukaufen. Man sieht und wird gesehen, man bleibt stehen, um einen alten Bekannten zu begrüßen und ein paar Worte zu wechseln. Die vielen Cafés bieten Gelegenheit, eine längere Unterhaltung sitzend fortzuführen. Der Fußverkehr ist die Stärke des Viertels. Er trägt wesentlich zur Belebung des Viertels bei und auch zur Sicherheit selbst in den Abendstunden. Und genau diese Quirligkeit wird auch von älteren Menschen geschätzt, da sie ihnen Gelegenheit gibt, mit anderen Menschen spontan in Kontakt zu treten.
Angesichts der relativen Zunahme der Menschen über 60 ist es notwendig, den öffentlichen Raum auf Hindernisse zu untersuchen, die ältere Menschen daran hindern, jeden Tag vor die Tür zu gehen. Der tägliche Weg im Freien ist für ältere Menschen besonders wichtig. Ein Spaziergang gliedert den Tag, ist der Gesundheit zuträglich und bietet die Möglichkeit, soziale Kontakte zu pflegen und/oder aufzubauen.
Der Kfz-Parkverkehr im öffentlichen Raum ist im Laufe der letzten 10 Jahre nahezu halbiert worden. Das hat die Attraktivität des Viertels nicht gemindert; die seit Jahren gleich bleibende Bevölkerungszahl und das im Vergleich zu Bremen geringe Durchschnittsalter der Bevölkerung im Steintor lassen diesen Rückschluss zu.
Es ist sinnvoller, die Alternativen zur Pkw-Benutzung zu stärken als nach zusätzlichem Parkraum Ausschau zu halten, der mit hohen Kosten für die Stadt verbunden ist. Für Menschen, die in der Stadt wohnen und arbeiten und weniger als 10.000 km im Jahr fahren, ist die Benutzung eines CarSharing-Fahrzeuges günstiger als die Haltung eines privaten Pkws.
Das Viertel ist mit ÖPNV optimal erschlossen. Der ÖPNV sollte stärker beworben werden.
Der gegenwärtige Fahrbahnbelag aus Großsteinpflaster ist für Radfahrer und Rollstuhlfahrer ungeeignet. Die Rollgeräusche der Autos sind hier weit höher als auf Asphalt – auch das spricht gegen das Kopfsteinpflaster. Bei aller Ästhetik des Großpflasters (wenn es neu verlegt worden ist!) sollte bedacht werden, dass diese sich im Allgemeinen nicht dem Fußgänger auf dem Gehweg erschließt - parkende Autos versperren die Sicht darauf! Kopfsteinpflaster sollte eher die Ausnahme sein als die Regel – auch im Viertel!
Um das Fahrradparken auf den Gehwegen abzubauen, müssen mehr Fahrradparkplätze geschaffen werden. Es ist zu empfehlen, mehr Fahrradbügel im Bereich der Parkstreifen einzubauen, auch in den Wohnstraßen.
In der Hauptgeschäftsstraße ist darauf zu achten, Schautafeln durch attraktive Schaufenstergestaltung zu kompensieren. Tische und Stühle auf den Gehwegen sind eine Bereicherung hinsichtlich der Lebendigkeit des Viertels, und bisher wird dadurch der Fußverkehr nicht sonderlich behindert. Es ist darauf zu achten, dass das auch so bleibt.
Die Gehwegflächen der Nebenstraßen sind zu sanieren und von störendem Grün zu befreien. Auch wenn Bänke im Verruf stehen, vermehrt von Jugendlichen und “Nicht-Sesshaften” aufgesucht zu werden - Jugendliche und Obdachlose dürfen nicht aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden. Je integrierter sie sich fühlen, desto eher werden sie bereit sein, auf nachbarschaftliche Belange Rücksicht zu nehmen. Je mehr Sitzgelegenheiten es gibt, desto besser verteilen sich diese Personengruppen, die möglichen “Störungen” verringern sich insgesamt.
Zum Service für Fußgänger zählt auch, dass öffentliche Toiletten in ausreichender Menge vorhanden sind. Sie fehlen im Steintor. In Verden haben Stadt und Gastronomie eine für beide Seiten nützliche Vereinbarung getroffen: Einige gastronomische Betriebe stellen ihre Toiletten der Öffentlichkeit zu Verfügung, die Stadt bezahlt die Reinigung. Dieses Modell ist auch für Bremen wünschenswert.
Die Straßen im Viertel sind gut vernetzt, es gibt keine Sackgassen. Lediglich die Hauptverkehrsstraßen sind für Fußgänger Barrieren, da sie das enge Wegenetz der Fußgänger zerschneiden. Dieser Mangel lässt sich durch mehr Querungsanlagen beheben, die so beschaffen sein können, dass sie den Verkehrsfluss kaum beeinträchtigen.
In Deutschland sind die Zebrastreifen seit den 60er Jahren nach und nach abgeschafft worden. In allen anderen europäischen Ländern haben sich die Fußgängerüberwege (Zebrastreifen) bewährt und erhalten.
Die Wiedereinführung der Zebrastreifen wird durch eine Richtlinie (1) aus dem Jahr 2001 erleichtert. Dort werden Zebrastreifen zum Schutz der Fußgänger ausdrücklich empfohlen. Diese Richtlinie ist vom Land Bremen übernommen worden. Rechtlich ist es also möglich, überall dort Zebrastreifen anzulegen, wo es für notwendig erachtet wird. Dies gilt auch für Bundesstraßen und Straßen mit Schienenverkehr. Straßenbahnen sind gegenüber querungswilligen Fußgängern grundsätzlich bevorrechtigt, auch an Zebrastreifen.
Es ist wissenschaftlich widerlegt, dass Zebrastreifen besonders unsicher sind. Entscheidend für die Sicherheit von Fußgängern ist die Aufmerksamkeit der Autofahrer, und diese kann u.a. durch die Menge der Querungshilfen erhöht werden.
Zu einer Verbesserung des Wegenetzes für Rollstuhlfahrer gehört darüber hinaus, dass nicht nur an den Kreuzungen, sondern an allen Straßen jeweils gegenüber der Einmündung von Nebenstraßen die Bordsteine abgesenkt und von parkenden Autos freigehalten sind.
Der Beirat Mitte/Östliche Vorstadt in Bremen hat in den letzten 10 Jahren viel für die Bewegungsfreiheit der Fußgänger getan. Dazu zählt das Verkehrszellenkonzept, die Unterstützung von CarSharing, die Befürwortung von Pollern gegen aufgesetzt parkende Autos, die Bemühung um Absenkung vieler Bordsteine und vor allem der Einsatz für eine Verbreiterung der Bürgersteige in der Hauptgeschäftsstraße. Das alles war mit vielen Auseinandersetzungen und Diskussionen verbunden, einem demokratischen Prozess der Willensbildung also.
Was jetzt im Untersuchungsgebiet zur Mobilitätsförderung älterer Menschen noch fehlt, sind im Vergleich zum bereits Erreichten kleine Maßnahmen mit großem Nutzen auch für all jene, die sich im Prinzip gerne in der Stadt zu Fuß fortbewegen, um etwas zu erleben, sich zu orten und bis ins hohe Alter fit zu halten.
Dieser Artikel von Angelika Schlansky ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 1/2006, erschienen.
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