Verhaltene Freundschaft wegen eigensinniges Verhalten?

In der Diskussion zwischen Vertretern der Fußgänger- und Vertretern der Radfahrerbelange ist ein Ungleichgewicht entstanden, durch die bundes-, landesweiten und regionalen Radverkehrs- Förderungsprogramme, denen keine auch nur annähernd adäquate Fußverkehrsförderung zur Seite gestellt wurde. Diese einäugige Verkehrspolitik konnte nicht dazu beitragen, dass zusammenwächst, was zusammengehört. Nur sehr langsam dämmert es auch den Radverkehrsbefürwortern, dass es auch den Radlern letztlich nichts nutzt, wenn sich Fußgänger als vom Radverkehr Betroffene fühlen. Der FUSS e.V. hat immer versucht, Kompromisslinien vorzudenken, z.B. zum Thema Radfahren in Grünanlagen. Dabei sollte er auch bleiben, obwohl strategisch gesehen erst einmal eine härtere Gangart erfolgversprechender wäre. Es folgt ein persönlich gefärbter Aufruf an die Radlerinnen und Radler und an alle, die den Radverkehr fördern möchten, von einem Geher und Radler.

Gehen ist, und das sollte man als Radfahrer beachten, eine deutlich weniger spurgeführte Fortbewegung als das Radfahren. Fußgänger, Spaziergänger, Flaneure, Wanderer etc. können und dürfen durchaus plötzlich fast senkrecht zu ihrer bisherigen Gehrichtung abschwenken. Hauptsächlich daraus ergeben sich die folgenden

Wünsche an die Radler/innen

1. Gehwege mit Fußverkehr sollten nur mitbenutzt werden, wenn es keine Alternative gibt und alles andere für die Radler gefährlich oder eine unzumutbare Tortur ist. Fehlende Radverkehrsanlagen oder bauliche Mängel berechtigen aber nicht zur Mitbenutzung von Fußverkehrsflächen. Das kann durchaus als Belästigung empfunden werden oder es wird lediglich „gastfreundschaftlich“ hingenommen. Deshalb bitte bei Engpässen oder bei „störenden“ Fußgängern: Kein Klingeln und auch kein Zurufen, sondern hinter den Fußgängern bleiben oder absteigen und vorbeischieben.

2. Auf gemeinsamen Wegen, die sehr häufig mit einem Vorrang für den Fußverkehr verbunden sind, muss sehr langsam gefahren werden, sobald dort auch Fußgänger sind. Vorauszusetzen ist eine Anhalte- und sogar Absteigebereitschaft an kritischen Punkten. Ich beoachte eine Abstiegs- Abstinenz, obwohl es doch lediglich eines sportlichen Schenkelschwunges bedarf, um mal ein paar Sekunden lang nicht zu sitzen. Wollen wir Radler nicht sportlich sein?

3. Bei Fußgängergedrängel, bei älteren Menschen, bei Menschen mit freilaufenden Kindern oder Hunden empfiehlt sich generell das Schieben. Hier gibt es eine einzige Ausnahme: Das erwähnte spielt sich auf einem Radweg ab. Dort ist das Klingeln angemessen. Die umweltfreundlichsten sind nicht grundsätzlich auch die rücksichtsvollsten Verkehrsteilnehmer.

4. Klingeln oder nicht klingeln ist bei Fußgängern und Wanderern höchst umstritten. Die freundliche Ansprache: „Hallo, darf ich bitte mal vorbei?“ ist wahrscheinlich die beste aller möglichen Kontaktaufnahmen. Ein „Kannst Du nicht klingeln?“ eines mürrischen Fußgängers lässt sich erfahrungsgemäss recht leicht in eine angenehmere Kommunikation umwandeln, denn nach meiner Erfahrung erschrecken sich die Hälfte der Fußgänger beim Klingeln.

5. Was ich sehr häufig erlebe ist, dass Eltern ihre Kinder geradezu anbrüllen, dass sie doch aufpassen sollen. Wenn ich dann als Radler darauf hinweise, dass ich derjenige bin, der aufpassen muss, kommt oft die Antwort: „Ja Sie vielleicht, aber der nächste nicht. Das muss mein Kind generell lernen.“ Nein, dass muss ein Kind nicht lernen, dass es sich niemals - auch nicht in Grünanlagen - unaufmerksam und angstfrei bewegen darf.

6. Zebrastreifen sind Fußgängerüberwege von der einen zur anderen Fußgängerfläche. Unabhängig von der Höhenlage des Radweges auf Fahrbahn- oder auf Gehwegniveau und auch unabhängig davon, ob sich auf dem Radweg noch ein Zebrastreifen befindet, gilt auch für Radfahrer der §26(1): “...mit mäßiger Geschwindigkeit heranfahren; wenn nötig, müssen sie warten.“ Nötig ist, wenn Fußgänger oder Rollstuhlfahrer „den Überweg erkennbar benutzen wollen.“ Das scheint mir weitgehend unbekannt zu sein. Übrigens sind Zebrastreifen nicht mit dem Rad zu befahren, die Rechte gelten erst, wenn man absteigt und schiebt.

7. Ein größeres Problem als gemeinhin angenommen, ist das gedankenlose Abstellen von Rädern auf Fußgängerflächen. Es müssen schon zwei Fußgänger nebeneinander vorbeikommen können. Das Abstellen an Häuserwänden ist für Sehbehinderte sehr unangenehm und kann sogar höchst gefährlich werden, weil man damit das Leitsystem zerstört.

Was treiben aber nun die in den Medien alljährlich im Frühjahr gesichteten „Rüpelradler“? Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, jemals einen erlebt zu haben. Was ich allerdings fast tagtäglich wahrnehme, ist Gedankenlosigkeit gegenüber Fußgängern. Diese führt aber leider zu sehr ähnlichen Ergebnissen. Gedankenlosigkeit kann schnell als Rücksichtslosigkeit empfunden werden und die fängt bei mir an, wenn z.B. jemand durch Fußgängergruppen relativ zügig durchfährt. Da müssen keine Unfälle geschehen, noch nicht einmal böse Worte fallen. Wo sich Fußgänger erschrecken oder richtig Angst haben, da läuft etwas falsch. Und wenn da aus Gedankenlosigkeit etwas falsch gelaufen ist, dann kann man sich auch mal entschuldigen. Das ist übrigens etwas, woran ich mich auch nicht mehr erinnern kann, es erlebt zu haben.

Wir wünschen uns ein Klima, indem beide Verkehrsteilnehmer akzeptieren, dass Zu-Fuß-Gehen und Radfahren sehr umweltfreundliche und weitestgehend sozial verträgliche Verkehrsarten oder Freizeitbeschäftigungen sind. Dies zu unterstützen sollte Aufgabe aller an der Radverkehrsförderung Beteiligten in Planung, Verwaltung und Politik sein.

Fazit

Ich bewege mich seit nunmehr 57 Jahren aufrecht zu Fuß und bin seit 50 Jahren noch deutlich längere Strecken mit dem Fahrrad unterwegs, als Alltags- und als Freizeitradler. Die Konflikte zwischen den Fußgängern und Radlern werden in den Medien hochgespielt, das ist alles völlig übertrieben. Doch wer behauptet, dass alles in Ordnung ist, muss in dieser Hinsicht eine Wahrnehmungsschwäche haben oder kaum noch zu Fuß unterwegs sein. Nach meiner Einschätzung gibt es in den letzten Jahren leider keine Klimaverbesserung und das eigensinnige Verhalten mit negativen Auswirkungen für die andere Seite nimmt eher zu. Vielleicht ist das ein allgemeiner Trend zu mehr Ich-Bezogenheit, ich bin kein Psychologe. Ich denke aber, dies ist ein Trend, der bei Radverkehrsprogrammen in Zukunft stärker zu beachten und dem entgegenzuwirken ist.

 

Dieser Artikel von Bernd Herzog-Schlagk ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 2/2006, erschienen.

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