Ich erlaube mir eine persönlichere und möglicherweise etwas provokante Betrachtung eines Vielgehers und -radlers (2) zu einem Aspekt des Umweltverbundes, den man offensichtlich in diesem und jenem Kreise nur ungern anspricht.
Sie hat mit dem Fahren mittels Pedaltreten durch die Füße und die Beine und durch Lenken mit Händen und Armen nur insofern etwas zu tun, dass das Gehen und das Radfahren beides über den kompliziertesten und weiß Gott leider nicht umweltfreundlichsten aller Energieträger geschieht, dem Essen von sogenannten Lebensmitteln.
Ich will das hier nicht auf die Spitze treiben, aber dies stupide Treten auf dem Fahrrad, wobei sich rein mathematisch betrachtet die Füße immer in gleicher Entfernung zum Ort aller Örter befinden, sieht allenfalls wie die verkrüppelte Form des Gehens aus. Die Haltung des Oberkörpers entzieht sich einem Vergleich.
Geher und Radfahrer aber werden in der Verkehrspolitik und Planung, selbst von gehfreudigen Fachleuten in der Regel in einem Atemzug genannt. Das ist verwerflich. Es ist der gleiche Unsinn, als wenn man sagen würde: Alle Menschen und selbst die Landtiere sind gleich, weil sie sich alle durch Atmen am Leben erhalten. Dennoch ist diese Gleichmacherei eher ein zunehmender Trend.
Es ist keine zufällige Entwicklung, auch Verkehrspolitik wird gemacht. Sie nutzt denen, die beim Fahren noch nicht einmal mit ihren Füßen eine Kreisbewegung vollziehen, sondern nur noch eine Fußspitze auf ein Stückchen Kreissegment bewegen.
Damit lässt sich jede auf eine so banale Grundlage wie das Essen beruhende Mobilität bestens ausgrenzen. Hier sind wir, die sich mittels wertvollerer Energien fortbewegen. Ein wahnsinniges Gefühl, sich auf einer von allen Steuerzahlern finanzierten Rollbahn zu bewegen und dabei das Gold der Erde verbrauchen zu dürfen. Da ist das „Fressen“ geradezu als tierisch zu bezeichnen. Also auf die Geh- und Radwege, möglichst auf die „gemeinsamen“, all Ihr, die Ihr es nicht besser haben wollt.
Das Wichtigste zur Förderung des Fußverkehrs ist nicht seine Integration in dem sagenumwobenen Umweltverbund, mit seinen oft auf das Auto schielenden Zweiradrasern und seinem notleidenden „ÖPNV“. Das Allerwichtigste ist erst einmal, den wackligen Fußgänger so zu akzeptieren, wie er ist und den Fußverkehr vom Rad zu befreien. Integration können wir hinterher haben. Integration heißt, die „Wiederherstellung eines Ganzen“ (lat.). Ja sind uns denn irgendwann einmal die Speichen aus unseren Rippen geschnitten worden?
bereits das Ganze.
Was denn noch?
Das betrifft nicht nur das Fahrrad. Eine Straßenbahn mag ja Nostalgiker und moderne Technikbegeisterte gleichermaßen erfreuen, ein Verkehrsmittel ist es dennoch erst dann, wenn wir als Fußgänger da einsteigen. Was für eine Macht, fällt mir gerade auf, liegt in diesem Tun. Aber zurück zum roten Faden: Fährt die Straßenbahn nicht, das kann jeder bestätigen, dann geht man trotzdem weiter und fällt keineswegs in sich zusammen.
Es gibt nicht zufällig Liebeslieder im Zusammenhang mit der verpassten letzten Straßenbahn, die zeigen, welches Potenzial gerade in der Nichtbeförderung liegt. Dann geht man eben wieder zurück zur Wohnung des Partners oder der Partnerin und da zeigt sich, dass selbst das „zurückgehen“ ein Fortschritt sein kann.
Jeder, der in diesem Bereich arbeitet oder sich dafür interessiert, weiß, dass die sogenannte „Straßenverkehrs-Ordnung StVO“ ein Regelwerk für rollende Menschen ist und in den letzten Jahren immer stärker darauf ausgerichtet wurde, die „gemeinsamen Geh- und Radwege“-Fragmente dem Autoverkehrs-Netz entgegenzustellen. Die Verwaltungsvorschriften verfestigen das in einer für Laien kaum noch lesbaren Form. Für Menschen mit etwas hintergründigem Humor möchte ich allerdings schon auch darauf hinweisen, dass die in unserer Gesellschaft ansonsten verdammte Anarchie sich in diesem Regelwerk heimlich weiterentwickeln durfte. Das hat auch seinen Charme.
Und bitte, wie sieht es in den Richtlinien und Empfehlungen im Straßenverkehrsbereich aus? Selbst die von uns zu Recht gelobte neue Generation von Empfehlungen sprechen an dieser Stelle die gleiche Sprache: „gemeinsam“.
Und die Forschung? Innerhalb des Promille-Bereiches im Umweltverbund läuft und fährt es immer darauf hinaus, wie der „Fuß- und Radverkehr“ gefördert werden kann. Selbst beim Projekt „Fuß- und Fahrradfreundliche Stadt“ des Umweltbundesamtes ist der Fußgänger-Anteil letztlich gering ausfallen, weil man beides haben wollte und man in den beteiligten Städten noch nicht fähig dazu war, über die gravierenden Unterschiede zu reden.
Quatsch. Wenn ein Enkelkind mit der kranken Oma zum Arzt geht, dann geht es so langsam, wie die gehbehinderte Frau. Das Enkelkind ist „schwächer“ geworden. Das ist nur kurzzeitig, es kann ja nachher wieder losrennen. So ist es aber nicht zwischen den Radfahrern und den Fußgängern. Der Radfahrer passt sich überhaupt nicht an, wieso auch, dann könnte er ja auch laufen.
Wir sind gar nicht gemeinsam stark, sondern die Geher bleiben so schwach wie vorher, die Radfahrer geben nichts ab. Sie werden gar noch behindert durch Mensch und Tier, die mitunter durch Leinen verbunden sind.
Das gleiche Problem gibt es übrigens auch beim Wandern. Früher war es beim Wort „Wandern“ klar, dass es eine Fortbewegung zu Fuß ist. Dann kam das „Radwandern“ dazu und heute kommt beim Thema „Wanderwege“ schnell mal die Nachfrage: „Ach sie meinen jetzt Wege, direkt für Leute zu Fuß?“. Während sich die Wandervereine darüber streiten, wie ein richtiger Wanderweg auszusehen hat, ist er längst zum Radfernwanderweg erklärt worden. Wie man beim Straßenneubau mitunter den ehemals kreuzenden Fußweg als Tunnel unterirdisch durchschob oder auch einfach nur vergaß, so geht es heute darum, dem Radweg aus dem Wege zu gehen.
Ist das normal?
Leider ja, doch wie soll es weiter gehen?
Ich bleibe dabei:
Erst die Emanzipation und dann eine Symbiose (3) eingehen.
Dieser Beitrag von Bernd Herzog-Schlagk erschien in der Dokumentation: Fußverkehr im Umweltverbund – 30 Beiträge vom 1. FUSS-Botschaftertreffen am 12.10.2001 in Berlin, FUSS e.V. (Hrsg.), Berlin 2002
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