Der FUSS e.V. stellt hiermit Kriterien für die Freigabe des Radfahrens auf Spazierwegen und in öffentlichen Grün- und Erholungsanlagen zur Diskussion und wünscht sich Anregungen und Bedenken.
Vorangestellt sei, dass sich der FUSS e.V. seit seiner Gründung im Jahr 1985 vehement für die Förderung des Umweltverbundes (Gehen, Radfahren, Bus- und Bahnbenutzung) im Alltags- und Freizeitverkehr einsetzt. Dabei kann aber nicht außer acht gelassen werden, dass es bei gemeinsamer Wegenutzung zwischen z.B. schnelleren Radfahrern und Familien mit kleineren Kindern zu erheblichen Beeinträchtigungen des Erholungswertes, Konflikten oder gar Gefährdungen insbesondere für letztere kommen kann. Dies festzustellen, hat mit „Fahrradfeindlichkeit“ nicht im mindesten zu tun, sondern muss ganz im Gegenteil auch elementarer Bestandteil einer Fahrradförderung sein.
Erholung suchende Fußgänger, Familien mit herumtollenden Kindern, gedankenverlorene Flaneure, langsam laufende Senioren, herumalbernde Jugendliche und Mobilitätsbehinderte, die ansonsten viele Dinge gleichzeitig beachten müssen; sie alle haben ein Recht, sich wenigstens auf Spazierwegen unbeschwert und auch unachtsam bewegen zu können. Die Genussfähigkeit des Gehens als unbeschwerte und auch subjektiv sichere Fortbewegung ist mit Kommunikation, Stehenbleiben, plötzlichen Änderungen der Laufrichtung und auch Spiel verknüpft. Hier geht es um städtische Lebensqualität, Sozialpolitik (Familienfreundlichkeit, Berücksichtigung Mobilitätsbehinderter), sowie um Gesundheit und Verkehrssicherheit. Die Geschwindigkeitsunterschiede von Fußgängern (flott gehend ca. 4 km/h) und Radfahrern (durchschnittlich ca. 14 km/h) sind erheblich und können zu Unfällen mit schweren Verletzungen führen. Deshalb kann es nicht hingenommen werden, wenn Städte und Gemeinden mit einer ansonsten begrüßenswerten Politik der Fahrradförderung vom bisherigen strikten Verbot des Radfahrens in Grünanlagen über die seit Jahren übliche Duldung auf eine allgemeine Freigabe des Radfahrens auf allen Spazierwegen hinsteuern.
Selbstverständlich sind auch Radfahrer relativ umwegempfindlich. Es ist ihnen aus Verkehrssicherheits- und Komfortgründen nicht zuzumuten, weite Umwege auf straßenbegleitenden Wegen zurückzulegen, wenn es eine kürzere Verbindung z.B. auf einem Parkweg gibt. Nur muss dann der Preis für diese attraktivere Wegeführung z.B. sein, dass Radfahrende langsamer fahren und auf Fußgänger Rücksicht nehmen, sowie gegebenenfalls absteigen und schieben anstatt sich den Weg frei zu klingeln.
Entscheidend für das gewünschte Verhalten miteinander muss der Schutz der Menschen sein. Der im üblichen Straßenverkehr herrschende Vorrang durch eine höhere PS-Zahl (Stärke) und einer höheren Geschwindigkeit darf sich nicht auch noch im Freizeitverkehr durchsetzen. Häufig wird gerade dann vor „Überregulierungen“ gewarnt, wenn es um den Schutz der schwächsten Verkehrsteilnehmer geht. Das ist unverständlich, denn das umfangreiche Regulierungswerk Straßenverkehrs-Ordnung StVO ist in weiten Teilen nur deshalb erforderlich, weil es schnelle Fahrzeuge gibt.
Für den Fußverkehr gab es dreißig Jahre lang in Deutschland keine der Entwicklung des Straßenverkehrs angepasste Baurichtlinien. Erst Ende 2002 wurden die „Empfehlungen für Fußgängerverkehrsanlagen EFA 2002“ eingeführt, in denen festgelegt wurde, dass die Angaben zur Gehwegführung und den erforderlichen Gehwegbreiten sinngemäß auch auf Freizeitwege anzuwenden sind. Gemeinsame Fuß- und Radwege kommen nach dem geltenden Regelwerk nur in Ausnahmefällen (EFA, 3.1.2.5) in Betracht, bei geringem Fußgänger- und Radverkehr (EAE, 5.2.1.3) und wenn eine gegenseitige Gefährdung nicht zu befürchten ist (EAHV, 4.2.4.5).
Ob das Radfahren auf einem Weg in einer Grünanlage freigegeben wird und wie dieser beschaffen sein soll, ist immer eine Einzelfallentscheidung.
Ein dichtes Netz gut zu befahrender Radverkehrsanlagen auf der Fahrbahn für den schnellen und den alltäglichen Fahrradverkehr ist zum einen Voraussetzung für eine Förderung des Radverkehrs, zum anderen ist es Voraussetzung für ungestörtes von Flanieren auf Spazierwegen und in Grünanlagen. Daher muss auch außerhalb von Grünanlagen ein attraktives Radverkehrsnetz bereitgestellt werden.
Grünanlagen sind interessant für ein eher beschauliches Radfahren und ein solches ist Voraussetzung dafür, dass sich ein weitgehend konfliktfreies Miteinander einstellt, bei dem die Radfahrer ihr Verhalten der Fußgängerdichte anpassen. Viele Radler aber haben bei bestimmten Fahrten den berechtigten Anspruch, möglichst zügig von einem Punkt zu einem anderen in der Stadt zu gelangen. Dafür aber benötigen sie eigene Wege und entsprechende Wegebeläge.
Beim notwendigen Abwägungsprozess müssen die örtlichen Gegebenheiten einbezogen werden, insbesondere
In Abhängigkeit von der Größe der Grünanlage und den Radverkehrsbedingungen im Straßennetz der Umgebung ist zu entscheiden, ob ein Durchfahren für den Radverkehr überhaupt notwendig ist bzw. ob Störungen der Zufußgehenden in dem Park durch Radverkehr bei Freigabe zu erwarten sind. Gibt es parallele Straßen für den Radverkehr, die die Möglichkeit der einfachen Umfahrung ohne große Umwege bieten, so sind Grünanlagen nicht grundsätzlich freizugeben.
Vor einer Freigabe für den Radverkehr muss darüber hinaus grundsätzlich geprüft werden,
Je nach Fußgängerdichte und Radverkehrsaufkommen sind entsprechende Wegebreiten notwendig. Zur Orientierung werden als Mindeststandards die Angaben aus den Empfehlungen für Fußgängerverkehrsanlagen EFA 2002 der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen FGSV herangezogen, welche sich allerdings auf den zielgerichteten Fußgänger-Stadtverkehr beziehen. Für weitergehende Nutzungen wie z.B. das Ansehen von Schaufenstern sind in der EFA 2002 Breiten-Zuschläge vorgesehen. Die Grundmaße sind somit für das Gehverhalten im Freizeitbereich eigentlich zu knapp bemessen, hier wird also ein hohes Maß gegenseitiger Rücksichtnahme vorausgesetzt:
Eine Mischnutzung ist vertretbar bei einer Wegebreite von mindestens 2,50 Metern, wenn es sich nicht eindeutig um eine schnellbefahrene Radlerdurchgangsstrecke mit z.B. einem hohen Anteil spazierengehender Familien mit Kleinkindern handelt. Fußgänger haben Vorrang. Dies sollte auch deutlich gemacht werden, z.B. durch Beschilderung wenigstens in Park-Eingangsbereichen.
Eine Mischnutzung kann selbst bei einer Wegebreite von 4,00 Metern problematisch werden, wenn es einen auffälligen Anteil relativ schnellen Radverkehrs gibt. Ein separater Fahrbereich für den Radfahrer durch einfaches Kenntlichmachen mittels Markierung, Farbgebung oder Oberfächenbelag (Wege für den Radverkehr benötigen ein Mindestmaß an Befestigung) kann helfen, die Konflikte zu vermindern. Das muss aber nicht funktionieren. Kleinere Kindern sind nicht mit einem Überschreitungsverbot zu disziplinieren, das mit einer weißen Linie dargestellt wird. Wenn beide Bedürfnisse (zügiges Radfahren und Familienausflug zu Fuß) zeitgleich auftreten, kann es durch die eigene Radspur mit Vorranganspruch zu noch mehr Konflikten kommen. Die Breite des Fahrbereichs für Zweirichtungsverkehr muss mindestens 2,40 Meter betragen, die Breite des Fußgängerbereichs mind. 2,00 - 2,50 Meter. Fußgänger haben auf beiden Streifen Vorrang - dies muss deutlich gemacht werden (z.B. durch Beschilderung).
In der Regel ist die Einrichtung eines Sonderweges für Radfahrer mit Beschilderung und Gestaltung des Fahrbereichs als Radverkehrsanlage angemessen. Günstig ist eine Trennung vom Fußgängerbereich durch einen Grünstreifen. Breite des Fahrbereichs für Zweirichtungsverkehr: mindestens 2,40 Meter, Breite des Fußgängerbereichs mindestens 2,50 Meter.
Folgende Hinweise sind zudem bei einer gemeinsamen Wegeführung für Radler und Spaziergänger bzw. Wanderer zu beachten:
Auf jeden Fall sollte nach jeder Freigabe des Radfahrens auf bisherigen Fußwegen ermittelt werden,
Bei einem Verdrängungseffekt oder bei Konflikt-Häufungen sollte die Rücknahme der Entscheidung ebenso geprüft werden wie die Frage, wie beiden Nutzergruppen andere attraktive Wege angeboten werden können.
Die Mitarbeiter von FUSS e.V. sind: Arne Blase (Bonn), Eva-Maria Epple (Berlin), Georg Giersch (Halle), Detlev Gündel (Hannover), Roland Hasenstab (Kassel), Bernd Herzog-Schlagk (Berlin), Karl-Heinz Ludewig (Berlin), Norbert Paul (Dortmund), Hanna Schlagk (Potsdam), Arndt Schwab (Koblenz), Ekkehard Westphal (Halle) und Rainer Widmann (Wuppertal) in Abstimmung mit dem FUSS e.V. Bundesvorstand.
Diskussionsstand: März 2005, letzte Änderungen 27.11.2009