Mobilität erzeugt seit jeher immer auch Konflikte, zwischen stark und schwach, zwischen schnell und langsam, zwischen laut und leise, zwischen Luftverschmutzung und Abgaseinatmung, zwischen dem Erreichen wollen und dem Schützen müssen, durch sich widersprechende Flächenansprüche, durch unterschiedliche Ansprüche an die Wegegestaltung und Ausstattung.
Diese Konflikte werden im Zusammenhang mit der Freizeit-Mobilität viel zu selten wahrgenommen oder verdrängt. Der zunehmende Konkurrenzdruck zwischen den touristischen Gebieten in Deutschland sollte für diese Problematik hellhöriger machen, denn der Kunde ist äußerst sensibel.
Wegen der Netzdichte, der Verkehrsstärken und der sehr unterschiedlichen Geschwindigkeiten der Verkehrsteilnehmer wird im Stadtverkehr seit vielen Jahren nach Kompromissen gesucht, wobei es hauptsächlich um die Risikoverminderung von Unfall- und Gesundheitsschäden geht. Im Freizeitverkehr wird die Konfliktminderung dagegen als eine relativ einfache Aufgabe angesehen. Die Praxis sieht anders aus:
So wird z.B. der Lärm einer vom Wohnort weit entfernten Straße auf einem Waldweg als überaus störend empfunden, den man in gleicher Intensität in der Stadt als normale Lautstärke kaum wahrnehmen würde. Ist man auf der Suche nach „tatsächlicher“ Ruhe, wächst der Anspruch mit der Anreisezeit. Auch wenn man diese Sensibilität als „überzogen“ bezeichnen mag, kommt man um folgende Problematik nicht herum:
Während viele Menschen im Berufsverkehr tagtäglich mit ihrem Auto im Stau stehen, fluchen und am nächsten Morgen wieder dort stehen, sucht man sich bei unangenehmen Erfahrungen im Freizeitbereich schnell eine Ausweichmöglichkeit. Wenn ein Gebiet mit Natur, Ruhe usw. beworben wird, erkennt der Tourist den Widerspruch sehr schnell bei der ersten unangenehmen Begegnung.
Die Erfüllung der Ansprüche gerade auch der generell hochsensiblen Wanderer ist nicht immer einfach und auch nicht immer konsequent umzusetzen. Wichtig ist allein schon, zu erkennen, dass es sich um eine Gratwanderung handelt. Ab einem bestimmten Punkt der Missachtung von konkurrierenden Ansprüchen spielen die dann in der Regel unterliegenden Wanderer nicht mehr mit, sie suchen sich andere Ziele.
In einem Arbeitspapier der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen wird der Konflikt folgendermaßen beschrieben: „Vom Freizeit- und Fremdenverkehr betroffene Orte und Regionen haben das Dilemma,
In Bezug auf den Verkehr soll die Mobilität der Touristen und der einheimischen Bevölkerung möglichst keine Einschränkungen erfahren, zum anderen sind es aber gerade das Auto und seine negativen Begleiterscheinungen, welche die touristische Anziehungskraft gefährden...Eine Gratwanderung für die Entscheidungsträger.“ (1)
In diesem Sinne ist das überaus engmaschige Straßennetz in Deutschland das Hauptproblem für Wanderer und für Wanderwegeführungen. Nur in ganz wenigen Gebieten des Landes gibt es überhaupt noch Stellen, von denen aus kein Straßenlärm wahrnehmbar ist.
Darüber hinaus ist die missbräuchliche Nutzung von Feld-, Waldwegen und gesperrten Straßenabschnitten von Auto- und insbesondere auch von Kraftradfahrern ein zunehmendes Problem. Obwohl nach den Landes-Waldgesetzen lediglich das Betreten des Waldes gestattet wird und es für Radfahrer und Reiter einschränkende Regeln gibt, wird das Befahren häufig geduldet bzw. nicht geahndet. Selbst Motorrad-Ralleys werden mitunter hingenommen. Straßensperrungen werden regelmäßig demontiert oder zerstört, die Wege sind dann teilweise danach kaum noch als Wanderweg nutzbar.
Das Dilemma ist nicht zu übersehen: Während Anbieter touristischer Leistungen Ihre Gästen auf die Ruhe der Landschaft hinweisen, wissen sie davon, dass die Jugend in dieser Gegend an Wochenenden nicht viel anderes unternehmen kann, als mit Mopeds und Motorrädern durch die Wälder zu knattern. Dieses Dilemma aber können und wollen die Touristen nicht lösen, sie bleiben weg, wenn es zu arg wird.
Da Wanderwege selbstverständlich auch häufig von Touristen benutzt werden, die mit dem Auto anreisen, sind geordnete und sparsam dimensionierte Pkw-Abstellpätze notwendig.
Abgestellte Fahrzeuge sind an abgelegenden Wanderwegeingängen ohne Bewachung so oder so nicht vor Einbrüchen zu schützen. Einen gewissen Schutz bieten Bewirtschaftungen (z.B. Kiosk).
Die bei einem Teil der mit Bahn und Bus angereisten Wanderer vorhandene Abneigung, am Beginn des Weges erst einmal an Autoparkplätzen vorbei gehen zu müssen, ist in ihren alltäglichen städtischen Erfahrungen begründet und für den Freizeitverkehr gerade nach einer längeren Anreise sehr ernst zu nehmen.
Es wird als äußerst unangenehm empfunden, wenn z.B. nach einer zweistündigen Wanderung das touristische Ziel erreicht wird und man dort zunächst eine Supermarkt-Parkplatz-Situation vorfindet. Andererseits profitieren auch die mit dem Auto angereisten Touristen davon, wenn sie von der nett gestalteten und begrünten Außenanlage eines Gasthofes die Dorf-Kulisse sehen und nicht ihr eigenes Auto. Dieses nicht zu unterschätzende Konfliktpotential muss deutlich in die öffentliche und politische Diskussion eingebracht werden.
In den Gemeinden und Städten ist die Ortsbildpflege in der Vergangenheit oft stiefmütterlich behandelt worden.
Will man Gästen seine Stadt „schmackhaft“ machen, muss man sich in die Lage eines Besuchers versetzen: Wenn z.B. das einzige Denkmal der Stadt - im Prospekt abgebildet - nicht mehr im Foto festzuhalten ist, dann ist das für den einzelnen Touristen ärgerlich. Hier stimmt etwas nicht an der touristischen Bewerbung.
Mit dem Auto angereiste Touristen haben in dieser Angelegenheit in der Regel ähnliche Ansprüche, sie sind deshalb für derartige Belange auch ansprechbar.
In Planungsunterlagen der entsprechenden Ämter sind häufig die Bezeichnungen „Rundwanderwege“ oder „vorhandene Wanderwege“ nicht den Verkehrsarten Wanderer oder Radwanderer eindeutig zuzuordnen oder sie werden als „Rad- und Wanderwege“ zusammengefasst.
Viele ausgebaute Uferwege werden als „Radweg“ bezeichnet (z.B. Elbradweg, Saaleradweg, usw.) obwohl sie auch für Wanderer und abschnittweise auch für Spaziergänger geplant und gebaut wurden und nun gemeinsam genutzt werden.
Das liegt sicher zum einen an der Tatsache, dass mit dem Begriff „Wandern“ mittlerweile sowohl das „Fuß-Wandern“ als auch das „Rad-Wandern“ verbunden wird. Zum anderen aber war und ist die Verkehrspolitik darauf ausgerichtet, Fußgänger und Radfahrer von den Fahrspuren des Autoverkehrs fern zu halten. Dadurch sind die sehr unterschiedlichen Ansprüche von Fußgängern und Radfahrern in städtischen Planungen teilweise in unverantwortlicher Weise ignoriert worden, es kam zu einer deutlichen Erhöhung von Fußgänger-Radfahrer-Konflikten und von Unfällen. In den letzten Jahren wird verstärkt über die Konflikte zwischen Radlern und Spaziergängern in Naherholungsgebieten nachgedacht. Deshalb muß hervorgehoben werden:
Die gegenseitige Akzeptanz hängt natürlich erst einmal vom Verkehrsaufkommen ab. Auf regionalen Wanderwegen mit einem geringen Gesamtverkehrsaufkommen lassen sich auf kürzeren Strecken Wander- und Radwanderwege zusammenführen, wenn die Gesamtbreite eine gemeinsame Nutzung zulässt und eine ordentlich ausgeführte und gut gepflegte feste wassergebundene Decke zur Verfügung steht.
Wichtigstes Kriterium für eine gemeinsame Nutzung ist der Wegebelag, an den beide Verkehrsteilnehmer entgegengesetzte Ansprüche stellen. Das bedeutet:
Bei geringem Verkehrsaufkommen ist die Problematik von Begegnungen im Freizeitverkehr gering. Es ist Radwanderern zuzumuten, z.B. für Wandergruppen zu bremsen oder auch abzusteigen und vorbei schieben zu müssen. Andererseits müssen dann Wanderer auch mit Radfahrern rechnen, ihnen Durchfahrt ermöglichen, und auch mal zur Seite gehen.
Nimmt die Verkehrsdichte zu, können solche Begegnungen allerdings für beide Verkehrsgruppen sehr schnell lästig werden, wie die Konflikte auf immer mehr stadtnahen Grünwegen und Uferwege zeigen.
Die Bereitschaft, aufeinander Rücksicht zu nehmen, hat Grenzen. Dies ist z.B. auf ausgebauten Radfernwanderwegen mit intensiver Nutzung der Fall. Hier rechnen Radwanderer nicht mehr mit Wanderern und die Bereitschaft zum ständigen Ausweichen nimmt ab. Den Wanderern wiederum sind das Gehen auf dem harten Belag und auch die notwendige ständige Aufmerksamkeit gegenüber Radfahrern nicht zuzumuten. Hier liegt eine absolute Unverträglichkeit einer gemeinsamen Wegenutzung vor.
Die damit verbundene Schneisenwirkung kann in der Regel durch eine sorgfältig durchgeführte Netzplanung vermieden werden.
Es ist grundsätzlich nicht zu verhindern, dass Wanderer auf Radwegeabschnitten gehen oder Radfahrer Wanderwege zumindest abschnittweise mitbenutzen. Durch eine geschickte Wegeführung und durch eine deutliche Wegweisung kann die gemeinsame Nutzung in der Regel auf einem verträglichen Niveau für beide Gruppen gehalten werden.
Die möglichen Konflikte sind sehr ähnlich, wie sie zwischen Radfahrern und Wanderern auf Abschnitten mit sehr gut befestigter Wegeoberfläche auftreten. Problematisch ist die gemeinsame Nutzung von Wegeabschnitten in Ortsnähe mit intensiver Benutzung von Wanderern, Spaziergängern mit Kleinkindern, Inline-Skatern und Radfahrern.
Zunehmend sind die Unannehmlichkeiten für Wanderer in der Hauptsaison auf ausgebauten Uferwegen an Flüssen oder an den Küsten (z.B. Küstendamm an der Ostsee), die durch Übernutzungen auftreten.
Ansonsten sind die Lösungsansätze und Kompromisse mit denen des Radverkehrs vergleichbar.
Eine gemeinsame Führung von Reit- und Wanderwegen ist für die Wanderer ebenso problematisch.
Dies könnte z.B. bei Wirtschaftswegen mit einer Breite über 3 Metern der Fall sein. Auf Straßenabschnitten ist die gemeinsame Nutzung ebenso möglich, doch sind dann die Wegebedingungen für beide Verkehrsteilnehmer wenig reizvoll.
Deshalb sollte man in Wandergebieten mit derartigen Bodenverhältnissen darauf hinarbeiten, Reit- und Wanderwege weitestgehend voneinander zu trennen.
Selbst zwischen den besonders naturverbundenen Wanderern und der zu schützenden Natur gibt es einen Grundkonflikt.
Deshalb fordern die Vertreter des Natur- und Landschaftsschutzes häufig, die Wege für Wanderer, Radwanderer und Reiter so wenig wie möglich zu entflechten, um Zerschneidungen und den Flächenbedarf so gering wie möglich zu halten. Das berechtigte Anliegen steht keineswegs im Widerspruch zu den oben beschriebenen Konfliktpotentialen, wohl aber die Schlussfolgerung. Abstriche sollten nicht bei der Wege-Qualität gemacht werden, sondern in der Quantität:
Das bedeutet in der Regel nicht, dass die verschiedenen Wege gebündelt werden müssen. Kompromisse sind dagegen in der Netzdichte aller Mobilitätsarten zu suchen, d.h. dass es in sensiblen Gebieten zu einer „Bündelung“ von Wanderern auf weniger Wegen kommen kann.
Es sind im Sinne der Wanderer, die folgenden Wege-Erschließungsgrundsätze des Naturschutzes zu berücksichtigen:
Die Erschließung der Waldfläche mit Wegen ist Voraussetzung für die Waldpflege. Insofern sind die Wanderwege gleichzeitig auch ein notwendiger Bestandteil der Forstwirtschaft. Dazu eine Aussage aus der Schweiz: „Die Erholungsfunktionen des Waldes sind daher nicht mehr bloß beiläufig erbrachte Dienstleistungen, sondern gehören zu den infrastrukturellen Grundvoraussetzungen der Industriegesellschaft. Das Bedürfnis nach dem Genuss dieser Dienstleistungen beruht vorerst ganz bewusst auf den gesundheitlichen Wirkungen der Aufenthalte im Wald .... insbesondere sind alle forstlichen Maßnahmen und vorab die gezielte Walderschließung noch vermehrt auf die Erholungsnutzung auszurichten.“ (2)
Eine Nutzung von Wegen der Land- und Forstwirtschaft zum Wandern ist häufig sinnvoll. Diese Wege sind praktisch ohne Aufwand in das Wanderwegenetz einzubeziehen. Sie sollten in einer Breite von 3 bis 4 Metern auf gemeinsam genutzten Wegeabschnitten möglichst keinen Hartbelag aufweisen. Neben Asphaltwegen müssen auf längeren Strecken nicht befahrbare Randstreifen mit Weichbelag für Wanderer angelegt werden.
Auszug aus der Veröffentlichung: Empfehlungen für Wanderwege im Flach- und Mittelland, Verfasser: Bernd Herzog-Schlagk, in Abstimmung mit dem FUSS e.V. Fachausschuss Wanderwege, wandern und spazierengehen. FUSS e.V., Berlin 2001
Der FUSS e.V. stellt Qualitätsstandards für Wanderwege im Flach- und Mittelland zur Diskussion, die im Sinne einer zukunftsfähigen Mobilität an den Umweltverbund im Freizeitverkehr angeschlossen sind.
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