Die Schweiz wird in Deutschland in Bezug auf die Verkehrspolitik manchmal idealisiert wahrge-nommen. Bezüglich des Fußverkehrs ist dies aber möglicherweise gerechtfertigt, denn die Förde-rung des Zufußgehens ist in der Schweiz - anders als bislang in Deutschland - auch auf der Ebene der Bundesverwaltung institutionell verankert. Eine Reihe der auf dieser Ebene verfolgten Ansätze sind auch auf Deutschland übertragbar, wie die Arbeitsergebnisse dieser Arbeitsgruppe zei-gen.

Handlungsfelder

Eine Politik zu Gunsten des Fußverkehrs sollte durch Aktivitäten in verschiedenen Handlungsfel-dern abgesichert sein: von den gesetzlichen Grundlagen, über entsprechende Finanzierungsformen für Investitionen, Demonstrationsvorhaben und den Wissensaustausch bis hin zur Zusammenarbeit mit Fachverbänden. In der Schweiz engagiert sich der Bund über seine Bundesämter - vor allem das Bundesamt für Strassen - in mehreren dieser Handlungsfelder.

Kleiner Rückblick auf das Engagement des Bundes

Das Engagement der Schweizer Bundesverwaltung im Fußverkehr ist nicht von kurzfristiger Na-tur, sondern hat eine über 10-jährige Geschichte. Bevor im Jahr 2000 der Bereich „Langsamverkehr“ in dem zum Verkehrs-, Umwelt- und Kommunikationsministerium gehörenden Bundesamt für Stra-ssen (ASTRA) eingerichtet wurde, waren einige Aktivitäten zu Gunsten des Fußverkehrs bereits vom Bundesamt für Umwelt unterstützt worden.

Mit der Einrichtung des Bereichs Langsamverkehr wurde die Basis dieser Tätigkeiten verbreitert: In diesem Bereich des ASTRA wurden fünf Personen mit den Themen Fußverkehr, Wandern, Skaten, Radverkehr, Radwandern und historische Verkehrswege betraut (vgl. www.langsamverkehr.ch). An-hand der Einwohnerzahl auf Deutschland hochgerechnet wären dies rund 50 Angestellte in einer deutschen Bundesanstalt.

Dieser Bereich schafft Grundlagen für die Berücksichtigung des Fußverkehrs in den Planungen des Bundes sowie der Kantone und Gemeinden und nimmt koordinative Aufgaben wahr. In einem engeren verkehrsplanerischen Sinne wird dem Fußverkehr eine Funktion bei der Erhöhung der Effizi-enz des Gesamtverkehrs beigemessen; in einem weiteren Sinne wird er als wichtiges Element einer nachhaltigen Mobilität verstanden.

Im Jahr 2001 wurden Grundlagen für ein „Leitbild Langsamverkehr“ erarbeitet, das die Strategie des Bundes in diesem Bereich abbilden sollte. Im gleichen Jahr wurde das Regime der „Begeg-nungszone“ in das Strassenverkehrsrecht eingeführt. Dabei handelt es sich um eine der deutschen Tempo-30-Zone vergleichbare Zonengeschwindigkeitsbeschränkung, die allerdings eine Beschrän-kung auf 20 km/h sowie ein Fußgängervortrittsrecht umfasst. Wesentliche Erfahrungen mit dieser Begegnungszone waren in der vom Bund geförderten Fußgänger- und Velomodellstadt Burgdorf gewonnen worden (vgl. Kritischer Literaturdienst Fußverkehr, Nr. 34/2003).

Die 2002 ausgerichtete Landesausstellung Expo.02 setzte schon bei der Anreise auf eine nach-haltige Mobilität: Die Ausstellungsorte waren sehr gut mit dem öffentlichen Verkehr erreichbar und mit den Siedlungen durch attraktive Fußwege verknüpft. Damit wurde für andere große Events eine Benchmark für Langsamverkehrsinfrastrukturen und die Verknüpfung mit dem öffentlichen Verkehr gesetzt. So wurde in diesem Zusammenhang auch eine neue Beschilderung für Skatingrouten ein-geführt.

Der Entwurf des Leitbilds Langsamverkehr aus dem Jahr 2002 etablierte die Idee des Langsam-verkehrs (LV) als einer gleichberechtigten dritten Säule des Personenverkehrs neben dem öffentlichen Verkehr (ÖV) und dem motorisierten Individualverkehr (MIV).

Ein Meilenstein war im Jahr 2003 der Start des Projekts „SchweizMobil“. Dabei wurden die schon vorhandenen landesweiten Fahrradrouten („Veloland Schweiz“) um national bedeutsame Routen für das Wandern („Wanderland“), das Skaten („Skatingland“), Mountainbiken und Kanufahren („Kanu-land“) ergänzt. Diese neuen Routen wurden im Jahr 2008 eröffnet. Kennzeichen ist ihre systemati-sche Verknüpfung mit dem öffentlichen Personenverkehr und eine Vermarktung zusammen mit tou-ristischen Anbietern (vgl. Kritischer Literaturdienst Fußverkehr, Nr. 56/2008). Diese Angebote richten sich zum einen an Touristen, zum anderen aber auch an Einheimische, die ihr Land in Eintages- oder Mehrtagesetappen zu Fuß oder mit den anderen Verkehrsmitteln des Langsamverkehrs erkun-den wollen. Der Bund unterstützte dieses Vorhaben finanziell (www.schweizmobil.ch).

Ein Rückschlag erhielt die Fußverkehrspolitik im Jahr 2004 im Rahmen der Aufgabenverzichts-planung des Bundes, als der ASTRA-Bereich Langsamverkehr um eine Stelle auf 440 Stellenprozente gekürzt werden musste. Hinzu kam ein Rückzug des Energieeffizienz-Programms EnergieSchweiz aus der Förderung des Fuss- und Radverkehrs. Auch der „Aktionsplan Umwelt und Gesundheit“, der intersektoral Bewegung und Gesundheit verknüpfte, wurde nicht weiter verlängert.

Allerdings intensivierten sich 2005 die Diskussionen im Kontext der Agglomerationspolitik des Bundes zu Gunsten einer Förderung des Verkehrs in Agglomerationen. Der Bund nahm sich der Aufgabe an, Verkehrsinvestitionen in den Schweizer Agglomerationen (Ballungsräumen) erstmalig subsidiär zu unterstützen, wobei der Fuß- und Radverkehr als integraler Bestandteil angesehen wurde.

Das die Finanzierung regelnde Infrastrukturfondsgesetz wurde 2006 vom Parlament verab-schiedet. Darin wurde eine Programmfinanzierung von „Agglomerationsprogrammen Verkehr und Siedlung“ etabliert. Agglomerationen, die die in Form einer Co-Finanzierung gewährten Bundesmittel in Anspruch nehmen wollen, müssen ein Programm einreichen, dass eine integrierte Raum- und Verkehrsentwicklung mit dem Ziel der Innenentwicklung der Agglomerationen vorsieht. Investitionen in den Fuß- und Radverkehr sind eine der Voraussetzungen, die der Bund an die Mittelvergabe knüpft. Die Anforde-rungen dazu wurden 2007 in einer Planungshilfe des Bundes für die Agglomera-tionen festgehalten (siehe Kritischer Literaturdienst Fußverkehr, Nr. 54/2008).

Im Jahr 2007 wurden solche Programme von 30 Agglomerationen beim Bund eingereicht. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist damit zu rechnen, dass der Anteil der Investitionen für den Fuß- und Radverkehr in diesen Programmen rund 10% betragen wird, wobei allerdings auch Maßnahmen auf Ortsdurchfahrten enthalten sind.

Der Fuß- und Radverkehr findet Eingang in die Raumplanung der Kantone, weil die Agglome-rationsprogramme obligatorisch in die kantonale „Richtplanung“, d.h. das raumplanerisches Instru-mentarium der Kantone, überführt werden müssen. Bereits im Jahr 2006 war der Fuß- und Radver-kehr in den Teil „Programm“ des „Sachplans Verkehr“ des Bundes aufgenommen worden, der als Instrument der Bundesraumordnung den Rahmen für die gewünschte Raum- und Verkehrsentwick-lung der Schweiz absteckt.

Das Leitbild Langsamverkehr kam über den Status eines Entwurfs nicht hinaus. Insbesondere Straßenverkehrsverbände sprachen sich gegen seine Zielsetzungen aus. Seine Leitsätze und Aktio-nen für die Jahre 2008-2011 fanden allerdings Eingang in die 2008 vom Bundesrat (der Schweizer Regierung) verabschiedete Schweizer „Strategie Nachhaltige Entwicklung“. Sie haben damit einen hohen Verbindlichkeitsgrad.

Der Bund verfolgt bei der Umsetzung seiner Politik das Prinzip der Subsidiarität: Er schafft Rah-menbedingungen; die Kantone, Agglomerationen und Gemeinden ergänzen diese und überneh-men die Umsetzung gemäß ihren lokalen Gegebenheiten. Seine rahmensetzende Kompetenz nutzt der Bund insbesondere auf folgenden Handlungsebenen (siehe auch Tabelle):

  • im konzeptionellen Bereich, z.B. in der Strategie Nachhaltige Entwicklung und dem Aktions-plan, im programmatischen Sachplan Verkehr sowie im Bereich der Verkehrsstatistik;
  • bei der Rechtsetzung, z.B. im Infrastrukturfondsgesetz und bei der Zweckbindung der Mittel der Agglomerationsprogramme Verkehr und Siedlung;
  • beim Formulieren nationaler Anforderungen und Empfehlungen für Planung, Bau, Signalisa-tion und Betrieb von Verkehrswegen;
  • bei der Aufsicht, z. B. der Beurteilung von kantonalen Richtplänen sowie Agglomerationspro-grammen;
  • bei der Inventarisierung und dem Erhalt historischer Verkehrswege (mit Finanzhilfen).

Übertragbarkeit auf Deutschland?

Die Arbeitsgruppe diskutierte, inwieweit die vorgestellten Schweizer Ansätze auf Deutschland übertragen werden können. Es bestand Einigkeit darüber, dass das Engagement des Schweizer Bundes beispielhaft für Deutschland sein kann. Analog zur Schweiz besitze der Bund auch in Deutschland eine Rahmenkompetenz für die Förderung einer nachhaltigen Mobilität und könne Akti-vitäten, die subsidiär auf den Ebenen der Länder, Kreise und Gemeinden unternommen werden, anstoßen und unterstützen. Dazu solle er auch seine gesetzgeberische Kompetenz nutzen.

Als langfristige Ziele wurden identifiziert:

  • das Verankern des Oberziels einer Förderung von Nahraumstrukturen und seine Konkreti-sierung in einem Gesetz (z.B. einem „Nahversorgungsgesetz“ oder „Dezentralisierungsge-setz“);
  • die deutliche Erhöhung der Bundesmittel für die Förderung des Zufußgehens auf 10% der gesamten Verkehrsinvestitionen;
  • der Aufbau der institutionellen und personellen Kapazitäten auf Ebene der Bundesministeri-en und in den Anstalten des Bundes, mit mindestens 50 Mitarbeitenden für den Bereich Fußver-kehr.

In Anlehnung an das Schweizer Leitbild Langsamverkehr sollten sich die Aktivitäten des Bundes auf einen Nationalen Fußverkehrsplan gründen. Erforderliche gesetzliche Grundlagen wurden ins-besondere in Bezug auf die Fahrgeschwindigkeit in Siedlungen gesehen. Als geeignetes Instrument wurde das Modell der Begegnungszone mit Tempo 20 und einem Vortrittsrecht für Fußgänger ein-gestuft. Außerdem wurde ein Handlungsbedarf bei der Förderung der Intermodalität in Verbindung mit dem öffentlichen Verkehr gesehen; diesbezüglich wurde eine Änderung des Personenbeförde-rungsgesetzes empfohlen. Zudem solle sich der Bund für eine bundesweit einheitliche Signalisation von Fußverkehrsrouten einsetzen.

Als effektiv wurde angesehen, Finanzierungszusagen des Bundes mit planerischen Anforderun-gen an die Gebietskörperschaften zu verknüpfen, wie es bei den Schweizer Agglomerationspro-grammen Verkehr und Siedlung erfolgt. Als eine Voraussetzung für die Vergabe von Fördermitteln des Bundes wurde das Vorhandensein eines kommunalen Fußverkehrsplans und die Stelle eines kommunalen Fußverkehrsbeauftragten erwähnt, weil dies die Effektivität des Mitteleinsatzes erhö-he.

Damit in der Verkehrspolitik und der Verkehrs-planung die quantitative Bedeutung des Fußver-kehrs besser erkennbar ist, wurde ein Engagement des Bundes im Bereich der Verkehrserhebungen und der Verkehrsstatistik als notwendig erachtet: Das Schweizer Wegetappenkonzept soll bei Ver-kehrsbefragungen übernommen werden und die Verkehrsstatistik soll Auskunft über die Bedeutung des Fußverkehrs geben (z.B. mit einem Modal-Split auf Basis von Wegetappen).

Auch die Kompetenz des Bundes im Hinblick auf regelmäßige Imagekampagnen zur Bewe-gung zu Fuß wurde angeführt. Dabei sind mehrere Ministerien angesprochen: neben dem Bundes-verkehrs- und Bauministerium und dem Umweltministerium auch das Gesundheitsministerium. Als eine Voraussetzung für eine bessere Darstellung des Fußverkehrs in den verkehrspolitischen Diskus-sionen und in den Diskussionen mit der Bevölkerung wurde empfohlen, Begriffe zu suchen, die die positiven Aspekte des Zufußgehens zum Ausdruck bringen. Der Schweizer Begriff „Langsamverkehr“ wurde in diesem Zusammenhang als wenig geeignet eingestuft. In die Diskussion wurden mehrere Begriffe eingebracht: Aktivverkehr (in Anlehnung an den englischen Begriff des „active travel“), Nahmobilität und Basisverkehr.

Fazit

Die Schweiz hat bei der Förderung des Fußverkehrs durch den Bund mindestens 10 Jahre Vor-sprung gegenüber Deutschland. Das Zufußgehen wird dort seit längerem durch Aktivitäten in meh-reren Handlungsfeldern (gesetzliche Grundlagen, Finanzierung, Unterstützung von subsidiären Akti-vitäten) angegangen. In Bezug auf Deutschland wurde in der Arbeitsgruppe eine stärkere Inan-spruchnahme der Rahmenkompetenzen, über die der Bund verfügt, empfohlen. Prioritäre Aktionen für die nächsten fünf bis zehn Jahr wurden im Schaffen gesetzlicher Grundlagen zur Förderung der Nahmobilität (in einem Nahversorgungsgesetz, in der Strassenverkehrsordnung und im Personen-beförderungsgesetz) gesehen. Die dazugehörigen Finanzierungsinstrumente des Bundes sollen mit Anforderungen an eine „gute“ Planung verknüpft werden. Die Bedeutung des Zufußgehens soll von Bundesstellen - z.B. mit Imagekampagnen - aktiv kommuniziert werden.

Weitere Informationen:

www.langsamverkehr.ch (offizielle Webseite des Bundesamts für Strassen, Bereich Langsamverkehr)

www.astra.admin.ch (Webseite des Bundesamtes für Strassen)

www.are.admin.ch (Webseite des Bundesamtes für Raumentwicklung)

www.fussverkehr.ch (Webseite des Fussverkehr Schweiz Fachverbandes der Fussgängerinnen und Fussgänger)

www.flaneurdor.ch (Dokumentation/Wettbewerb fußgängerfreundlicher Maßnahmen)

www.begegnungszonen.ch (Datenbank über die Begegnungszonen in der Schweiz)

www.schweizmobil.ch (Webseite für Freizeitangebote für die Bewegung aus eigener Kraft)

Zum Thema «Begegnungszonen» findet am 2. Nationalen Mobilitätssalon am 15. Mai 2009 in Neuenburg eine Tagung statt. Neben diversen Inputreferaten wird im Rahmen von Workshops der Erfahrungsaustausch gepflegt. www.mobilitaetssalon.ch

 

Dieser Artikel von Thomas Schweizer, Geschäftsführer Fussverkehr Schweiz Fachverband der Fussgängerinnen und Fussgänger (www.fussverkehr.ch), und Helmut Schad, Dozent Hochschule Luzern (www.hslu.ch), ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 2/2009, erschienen.

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