Duisburg wertet sein Stadtzentrum auf. Der Fokus auf städtebaulichen Missständen und Potentialen ermöglicht auch die Umsetzung verkehrsbezogener Projekte, die ansonsten kaum Realisierungschancen hätten. Seit 2007 besteht dort der mutigste und interessanteste Anwendungsfall für eine Verkehrsberuhigten Bereich in Deutschland.
Im Rahmen eines Gestaltungswettbewerbs wurde der König-Heinrich-Platz, der Bereich zwischen Fußgängerzone und Theater, unter Einbeziehung der am Platzrand liegenden Landfermannstraße neu gestaltet (vgl. mobilogisch! 01/08). Der Gremienbeschluss, die von ca. 20.000 Kfz/Tag befahrene Hauptverkehrsstraße gestalterisch zu integrieren, wurde von der Verwaltung übertroffen: Sollten ursprünglich Tempo 30 und eine mittig gelegene Fußverkehrsampel eingerichtet werden, wurde stattdessen kurz vor Inbetriebnahme vom Baudezernenten ein Verkehrsberuhigter Bereich (Zeichen 325) angeordnet. Damit hat der Fußverkehr auf ganzer Platzlänge Vorrang vor den Fahrzeugen.
Durch eine Mitteltrennung im Straßenzug treten zwar „nur“ ca. 10.000 Kfz pro Fahrgasse auf. Dennoch handelt es sich um eine Größenordnung, die weit über den Verkehrsmengen der übrigen deutschen Anwendungsfälle liegt – und denen der planerischen Empfehlungen. Juristisch handelt es sich nicht um eine „Fahrbahnteiler“, sondern um den Teil einer Mischfläche. Ausgehend von der eigentlich geplanten Betriebsweise liegt das Platzniveau einige Zentimeter über den gepflasterten Fahrgassen, welche durch Schrägborde abgegrenzt sind. Motivation für den Betrieb als Mischfläche war der Erfolg der niederländischen Shared-Space-Projekte. Während dort der Fahrzeugverkehr bevorrechtigt ist, ist der Duisburger Ansatz fußverkehrsfreundlicher.
Tatsächlich ähneln die Verkehrsabläufe auf der Platzüberfahrt denjenigen bei Shared-Space-Projekten, obwohl die rechtlichen Rahmenbedingungen unterschiedlich sind. Verhaltensbestimmend ist offenbar der optische Eindruck. Viele Fahrzeuge fahren mit einer verträglichen Geschwindigkeit von schätzungsweise 20 bis 35 km/h und verlangsamen bzw. halten, wenn Fußgänger/ innen queren bzw. queren wollen. Wer selbstbewusst quert oder an der Fahrgasse steht und den Arm herausstreckt, kommt auch bei hoher Fahrzeugdichte über die Fahrbahn. Allerdings gibt es auch etliche Fußgänger/innen, die verunsichert sind und je nach Situation warten oder rennen.
Grundsätzlich betritt der Fußverkehr die Fahrgassen bei starkem Kfz-Verkehr lediglich zum Quergehen. Die in Duisburg vorgeschriebene Schrittgeschwindigkeit für den Fahrzeugverkehr wird nur von wenigen unbehinderten Kfz eingehalten (unrepräsentative Stichprobe: ca. zehn Kfz/Stunde). Selten, aber trotzdem noch zu häufig, treten hier Raser auf, die mit Geschwindigkeiten von ca. 40 bis 50 km/h auf querende Fußgänger/innen zufahren und sich dabei offenbar im Recht fühlen (unrepräsentative Stichprobe: ca. 3 Kfz/Stunde).
Weil sich einige Autofahrer/innen so verhalten, als ob sie die (Neu-)Regelung nicht kännten oder nicht erkannt hätten, sollten beide Eingangssituationen besser betont werden. Bislang geschieht dies nur durch Verkehrsschilder, Belagwechsel und „Papp-Polizisten“. Aufgrund der direkt zuführenden großzügigen Straßen sind die bisherigen Elemente zu wenig, um auf die besonderen Verkehrsregeln hinzuweisen.
Zu prüfen wären etwa die Nachrüstung fahrdynamisch wirksamer Aufpflasterungen sowie Veränderungen bei den jeweils hinter dem Verkehrsberuhigten Bereich befindlichen Lichtsignalanlagen (LSA; Abstand ca. 70 bzw. 150 m). Sie sind bislang schon auf der Platzfläche erkennbar. Dies wirkt beschleunigend auf den Fahrzeugverkehr. Zudem lenken grüne Ampelsignale vom Verkehrsgeschehen im Verkehrsberuhigten Bereich und dem dort gegebenen Fußverkehrsvorrang ab. Soweit die beiden LSA nicht ganz entfallen können (z.B. Ersatz durch Kreisverkehrsplätze), sollte erwogen werden, zumindest das grüne Lichtzeichen zu entfernen (Umwandlung in „Dunkelanlagen“, Abweichung von der Ampelrichtlinie RiLSA 1992 / 2003).
Wenn die von FUSS e.V. entwickelte Idee der Flexibilisierung der Höchstgeschwindigkeitsanordnungen in Verkehrsberuhigten Bereichen in die StVO aufgenommen wird (siehe Spalte rechts), könnte dem Fahrzeugverkehr im Duisburger Fall auch gestattet werden, situations-angepasst bis zu 20 km/h zu fahren.
Dieser Bericht basiert auf einer Ortsbesichtigung in der nachmittäglichen Hauptverkehrszeit an einem repräsentativen Werktag im Mai 2008.
Ein neu eingerichteter Verkehrsberuhigter Bereich in Duisburg zeigt erstmals in Deutschland, dass permanenter Fußverkehrsvorrang in einem Straßenabschnitt auch mit hohen Kfz-Mengen kombiniert werden kann. FUSS e.V. macht Vorschläge, den grundsätzlich sehr positiven Ansatz zu optimieren.
Dieser Artikel von Arndt Schwab ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 3/2008, erschienen.
Einzelhefte von mobilogisch! können Sie in unserem Online-Shop in der Rubrik Zeitschrift bestellen.