Rezension aus dem Kritischen Literaturdienst Fußverkehr (Krit.Lit.Fuss), Ausgabe 11/1996
Unter Federführung des Amtes für Umweltschutz der Stadt Leipzig wurden 12 Umweltqualitätsziele für den Fußgängerverkehr in Leipzig - und im Grunde auch anderen Städten - erarbeitet. Die Voraussetzungen, daß diese Umweltqualitätsziele tatsächlich in der Planung umgesetzt werden, sind in einer Hinsicht in ostdeutschen Städten möglicherweise besser als in westdeutschen Städten: Die laufende oder noch ausstehende Instandsetzung des (Haupt-)Straßennetzes ermöglichte es an vielen Stellen, die Bedingungen für Fußgänger grundlegend zu verbessern. Allerdings haben sich nach der Wende in Leipzig und sicher auch in anderen ostdeutschen Städten vielerorts aufgrund von Neueinrichtungen noch einmal deutliche Verschlechterungen für Fußgänger ergeben.
In den 12 Umweltqualitätszielen werden die anzustrebenden Bedingugen für den Fußgängerverkehr definiert und anhand von Beispielen, z. T. mit Fotos und Planskizzen, erläutert. Diese Ziele decken zwar nicht alle Einzelaspekte einer fußgängerfreundlichen Verkehrsplanung ab. Aus ihnen können jedoch für die meisten der aktuellen Planungsmaßnahmen konkretere Handlungsanweisungen abgeleitet werden.
Ziel 1 - qualifizierte Wegenetzplanung, vergleichbar mit der Netzplanung für andere Verkehrsmittel: mit Festlegung der Qualitätsstandards, Entwicklung eines Hauptfußwegenetzes, Defizitanalyse und Maßnahmenableitung, Erstellung einer Prioritätenliste.
Ziel 2 - fußgängerfreundliche Mindestmaße für Gehwege: Sammelstraßen 2,50 m, Hauptverbindungsstraßen 3,50 m, Hauptgeschäftsstraßen in Stadtteilzentren 4,00 - 6,00 m, gemeinsame oder getrennte Rad-/Gehwege 3,50 m. Der Praxis, daß eine dringend notwendige Gehwegverbreiterung verhindert wird, weil bei der Straßenausbauplanung Kfz-freundliche Entwurfsgeschwindigkeiten realisiert werden, soll gemäß der Qualitätsziele entgegengewirkt werden.
Ziel 3 - Gehwegparken: Das legalisierte und das illegale Parken von Kfz auf Gehwegen soll schrittweise vollständig abgeschafft werden.
Ziel 4 - Fußgängerfurten an Kreuzungen und Einmündungen: Die Fußgängerfurten sollen möglichst nahe am Knoten liegen; alle Äste, die im Verlauf einer Fußwegeverbindung liegen, sollen mit einer Fußgängerfurt ausgestattet sein; Dreiecksinseln mit freiem Rechtsabbieger sollen nur in Ausnahmefällen und dann besonders gesichert zugelassen werden.
Ziel 5 - Abstand von Querungshilfen: Der Abstand von Querungshilfen soll bedarfsorientiert geplant werden; in Gebieten mit großer Nutzungsdichte und hohem Aufenthaltsanspruch sollen Querungshilfen z. T. in weniger als 100 m Abstand angelegt werden.
Ziel 6 - Typ der Querungshilfe: Dem Fußgängerüberweg als komfortabelster Querungshilfe soll Priorität bei der Planung eingeräumt werden. In großem Umfang sollen Gehwegnasen, Mittelinseln und andere die Sicherheit erhöhende Hilfen angelegt werden, auf Unter- und Überführungen soll bei Neueinrichtungen ganz verzichtet werden.
Ziel 7 - Wartezeiten an Lichtsignalanlagen: Die Wartezeiten für Fußgänger sollen 30, in Ausnahmefällen maximal 40 Sekunden nicht überschreiten; dies soll z. B. durch Verkürzung der Gesamtumlaufzeit der Anlage oder Doppelanwurf des Fußgängersignals erreicht werden.
Ziel 8 - Gestaltung der Einmündungsbereiche von Wohngebiets-/Nebenstraßen: Beim grundhaften Ausbau des Straßenhauptnetzes sollen die Einmündungsbereiche der genannten Straßentypen durch bauliche Maßnahmen (z. B. Einengung, Aufpflasterung) als "Einfahrttore" gestaltet werden.
Ziel 9 - Verkehrsberuhigung: Zur Steigerung der Aufenthaltsqualität sollen je nach Gebietstyp Tempo-30-Zonen (in Wohnquartieren), verkehrsberuhigte Bereiche (in Stadtteilzentren und Wohngebieten) und Tempo-20-Zonen (Geschäftsstraßen mit Kfz-Verkehr) eingerichtet werden. Auch vor Schulen soll durch Einrichtung von verkehrsberuhigten Bereichen wieder der früher vorhandene Schutz der Schüler erreicht werden.
Ziel 10 - Schulwegsicherung: Um der großen Zahl an Unfällen von Schulkindern entgegenzuwirken, sollen Parkverbote und eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h in allen Straßenabschnitten mit unmittelbaren, von Kindern benutzten Zuwegen zu Schulen, Kindertagesstätten, Spielplätzen und Sportstätten präventiv eingerichtet werden. Verwiesen wird hierbei auf Regelungen in Nordrhein-Westfalen und Brandenburg sowie die Schulweg-Sicherungszonen in Japan .
Ziel 11 - Reduzierung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit: Eine maximal zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h soll auf allen Straßen mit maßgeblichem Aufenthaltsanspruch oder erhöhter Unfallgefährdung eingeführt werden.
Ziel 12 - Zugang zur Straßenbahn: Der - generell ebenerdige - Zugang zur Straßenbahn soll mit besonderen Maßnahmen gesichert werden: Zeitinseln bei Ankunft der Straßenbahn, Haltestellenkaps und eine geeignete Anordnung von Kfz-Stellplätzen zur Verhinderung der Vorbeifahrt an haltenden Straßenbahnen.
Die formulierten Umweltqualitätsziele stellen in ihrer knappen und gut begründeten Form eine gute Grundlage für die verkehrsplanerische Zieldiskussion und eine Konkretisierung von Planungsmaßnahmen dar. Die beigefügte Dokumentation zu Einzelthemen gibt Anregungen für die Detailplanung und kann wiederum anderen Städten als Beispiel für ein mit relativ geringem Aufwand zu erstellendes Dossier zu Einzelaspekten der Fußwegeplanung dienen. Ein Planungshandbuch wird dadurch allerdings noch nicht ersetzt. Die Liste der Ziele hätte - wie fast jeder Zielkatalog - noch ergänzt werden können: z. B. um Ziele, die Anforderungen von Mobillitätsbehinderten betreffen oder weitere Teilziele zur fußgängerfreundlichen Lichtsignalsteuerung.
Umweltqualitätsziele für Fußgänger. Ansprüche und Realitäten in einer ostdeutschen Großstadt. Unterlagen zum Vortrag auf dem Seminar "Verkehrsplanung vor Ort" am 10. Febr. 1994 an der GH Kassel.
Ulrich Patzer
Umweltinformationszentrum (UIZ) Leipzig, Sachsenplatz 1, 04109 Leipzig, Tel: 0341/7104350, kostenlos
Erstveröffentlichung dieses Beitrages im InformationsDienstVerkehr IDV, Juli 1996. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.
Autor dieser Ausgabe: Helmut Schad.
Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.fuss-eV.de
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