Rezension aus dem Kritischen Literaturdienst Fußverkehr (Krit.Lit.Fuss), Ausgabe 13/1997
Im Auftrag des Senators für Bau, Verkehr und Stadtentwicklung werden in dieser von Angelika Schlansky angefertigten Studie die Situation für Fußgänger im Stadtteil Östliche Vorstadt dokumentiert und Planungsempfehlungen zur Förderung des Fußgängerverkehrs entwickelt. Der Handlungsbedarf ist u.a. darin begründet, daß 43 % der im Bremer Stadtverkehr getöteten Menschen Fußgänger sind. Von den zwischen 1991 und 1994 im Stadtteil Östliche Vorstadt polizeilich gemeldeten 56 Unfällen mit Fußgängern, waren bei 66 % der Unfälle Kfz und bei 29 % Fahrradfahrer die Unfallgegner. Im Falle eines Konfliktes zwischen Fußgängerverkehr und Pkw-Verkehr haben sich in einer Umfrage 86 % der Bremer Bürger für eine Lösung ausgesprochen, die den Fußgängerverkehr bevorzugt. Eine günstige Bedingung für das Zufußgehen im Stadtteil kann darin gesehen werden, daß der Pkw-Bestand mit 372 Pkw/1000 Einw. im Jahr 1995 deutlich unter dem Bremer Durchschnitt lag.
Die Studie gibt am Anfang einen Überblick über den Raumbedarf von Fußgängern, benennt Vor- und Nachteile des Gehens und zeigt eine Fülle von technischen und administrativen Maßnahmen zur Förderung des Fußgängerverkehrs auf. Darüber hinaus werden auch mögliche Aktivitäten sogenannter "Bündnispartner" (z.B. Medien, Kirchen, Krankenkassen, örtlicher Einzelhandel) benannt, die mit nicht-technischen, unterstützenden Maßnahmen einen Beitrag zur Förderung des Zufußgehens im Stadtteil leisten können: etwa durch Werbung für das Zufußgehen (Krankenkassen), Public Awareness-Aktivitäten, Stärkung des Verantwortungsgefühls (Kirchen, Schulen), Kontrolle des illegalen Parkens und Information über Verhaltensalternativen (Ortspolizei).
Ein kurzer Abriß der Baugeschichte zeigt, daß im Stadtteil bis in die 30er Jahre dieses Jahrhunderts hinein relativ fußgängerfreundliche Bedingungen vorhanden waren. Danach wurden Fußgängern durch die Verbreiterung von Fahrbahnen, das Fällen von Straßenbäumen und die Anlage von Parkraum auf Gehwegen sukzessive Raum und Aufenthaltsqualität genommen.
Die Bestandsaufnahme von Angelika Schlansky, die sich auf eine sehr gründliche Erhebung der Gehweg- und Fahrbahnbreiten sowie des Parkverhaltens gründet, bezieht sich auf Wohnstraßen, übergeordnete Straßen, Quartiersplätze und das Naherholungsgebiet Weserpromenade/Pauliner Marsch. In Wohnstraßen ist das dominierende Problem das beidseitige Parken auf Bürgersteigen (in 65 Prozent der Wohnstraßen). In übergeordneten Straßen fallen insbesondere die Trennwirkung der Straßen, aber auch die Anlage von Radwegen auf Gehwegen ins Gewicht. Einige der untersuchten Quartiersplätze erfüllen heute schon die gewünschte Funktion eines Kommunikationspunktes. Im Naherholungsgebiet Weserpromenade sind nur 7 % der Wege reine Fußwege, 56 % kombinierte Fuß- und Radwege, 24 % werden zusätzlich noch vom Kfz-Verkehr benutzt. Sowohl der Kfz- als auch der Radverkehr behindern in diesem Naherholungsgebiet das Zufußgehen.
Als Instrument zur Verbesserung der Situation für Fußgänger entwickelt Angelika Schlansky ein Fußwegenetz für den Stadtteil. Die Fußwegeachsen haben mehrere Funktionen: Sie garantieren Bewohnern die Erreichbarkeit wichtiger Stadtteilziele, binden heute eher isolierte Quartiere besser in den Stadtteil ein; Wegeverbindungen abseits der Hauptverkehrsstraßen sollen Bewohner dazu anregen, Alltagswege vermehrt im Stadtteil zurückzulegen. Damit ist das Fußwegenetz auch ein Instrument zur Sicherung der Überlebensfähigkeit von Stadtteilgeschäften.
Die für dieses Fußwegenetz vorgeschlagenen planerischen Maßnahmen beinhalten die Schaffung neuer Wegeverbindungen, die Anlage zusätzlicher Querungshilfen, die Trennung von Radverkehr und Fußgängerverkehr auf übergeordneten Straßen sowie im Naherholungsgebiet, außerdem die Reduzierung der Fahrgeschwindigkeit im Hauptstraßennetz. Besonderes Gewicht wird auch Maßnahmen zur Verringerung des Parkdrucks beigemessen (Stärkung des ÖPNV, Förderung von Car Sharing in Wohnstraßen). An wichtigen Knotenpunkten des Fußwegenetzes empfiehlt Angelika Schlansky die Einrichtung von Servicestationen für Fußgänger, die Gelegenheit für das Aufbewahren von Taschen bieten und darüber hinaus Telefonzellen, Informationsgelegenheiten über Kulturangebote und eine elektronische Fahrplanauskunft aufweisen.
Die stadtplanerisch ausgerichtete Studie behandelt nicht nur technisch-verkehrsplanerische Aspekte. An mehreren Stellen wird auf die sozialen und wirtschaftlichen Vorteile einer am Fußgängermaßstab ausgerichteten Stadtplanung hingewiesen: Die Aufwertung des öffentlichen Raums bietet Kindern wie Erwachsenen eine neue Aufenthaltsqualität außer Haus; die soziale Kontrolle in öffentlichen Räumen nimmt zu, was u.a. zu einem Sicherheitsgewinn führt; Fußgänger sind potentielle Kunden des ÖPNV sowie Laufkundschaft des Einzelhandels im Stadtteil. Damit soll u.a. dem Kaufkraftabfluß aus den Stadtteilen in die städtische Peripherie entgegengewirkt werden.
Wichtig ist der Hinweis auf die Bündnispartner, die unerlässlich sind, um die Idee des Zufußgehens und entsprechende Maßnahmen voranzubringen. Die Erarbeitung eines von solchen Bündnispartnern getragenen Aktionsprogrammes zugunsten des Fußgängerverkehrs war allerdings nicht Gegenstand dieser Studie.
Die gegebenen Hinweise auf die Möglichkeiten, das Parken im Stadtteil schon vom Aufkommen her zu verringern, finden sich in fußgängerbezogenen Studien bisher selten. Die Chancen des Car Sharing werden in diesem Zusammenhang jedoch überschätzt (Annahme, daß ein Viertel der Pkw-Besitzer zukünftig Car Sharing betreiben könnte).
Im Anhang zu der ansonsten textorientierten Studie finden sich tabellarische Ergebnisse aus - nachahmenswerten - Bestandsanalysen. Farbige Pläne (z.B. zur Infrastruktur des Stadtteils) werten die Studie zusätzlich auf. Der (farbige) Übersichtsplan zum Fußwegenetz und den vorgeschlagenen planerischen Maßnahmen ist ein gutes Beispiel für ähnlich gelagerte Untersuchungen. Es ist zu hoffen, daß die darin enthaltenen Maßnahmen in der Bremer Verkehrsplanung - mit Unterstützung durch die "Bündnispartner" des Fußgängerverkehrs - umgesetzt werden.
Zu Fuss im Stadtteil. Studie zum Fußgängerverkehr am Beispiel Östliche Vorstadt - Bremen. Endbericht. Bremen, März 1996. Hrsg.: Senator für Bau, Verkehr und Stadtentwicklung Bremen.
Dipl.-Ing. Angelika Schlansky, GEKaPLAN, Liebensteiner Str. 36, Bremen
Freie Hansestadt Bremen, Senator für Bau, Verkehr und Stadtentwicklung, (Ansprechpartner: Herr Kotthoff), Postanschrift: Ansgaritorstraße 2, 28195 Bremen, Tel. 0421/361-2757; Preis auf Anfrage.
Erstveröffentlichung dieses Beitrages im InformationsDienstVerkehr IDV, April 1997. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.
Autor dieser Ausgabe: Helmut Schad.
Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.fuss-eV.de
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