Modellvorhaben-fussgaenger-und-fahrradfreundliche-stadt Modellvorhaben "Fußgänger- und Fahrradfreundliche Stadt“

Rezension aus der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Ausgabe 47/2006

Ausgangslage

Das Umweltbundesamt sucht nach Möglichkeiten der Umweltentlastung durch innovative Ansätze im Verkehrsbereich. Zu diesem Zweck hat es zwischen 2001 und Herbst 2003 in den Mittelstädten Lingen, Plauen und Wittenberg Modellvorhaben gefördert, in denen Aktionen und Infrastrukturprojekte zu Gunsten des Fuß- und Radverkehrs entwickelt, umgesetzt und wissenschaftlich begleitet wurden. Die Vorgehensweise und die Ergebnisse sind in einem umfangreichen Bericht veröffentlicht worden.

Inhalt

Dieser Bericht stellt ausführlich die Situation in den Modellstädten, die Organisation der Modellvorhaben, die realisierten Maßnahmen und deren Ergebnisse dar. Darüber hinaus beurteilt er stadtübergreifend die Schwierigkeiten und Erfolge des gesamten Modellvorhabens und gibt Empfehlungen für andere Gemeinden, den Bund und die Länder. In ausführlichen Anhängen sind ausgewählte Aktivitäten der Modellstädte dokumentiert.

In allen drei Städten war die Qualität der Infrastrukturen für den Fuß- und Fahrradverkehr in der Ausgangslage mittelmäßig bis schlecht. Die drei Städte hatten zu Beginn keine spezifisch auf den Fußverkehr ausgerichtete Teil-Verkehrsplanung (Ausnahme Wittenberg zum Ausbau der Fußgängerzone).

Die Umsetzung der Modellvorhaben erfolgte jeweils mit Hilfe einer Lenkungsgruppe, einer Arbeitsgruppe und einem ortsspezifischen Beirat sowie den beauftragten beratenden Ingenieur-Büros plan+rat und PGV. Diese Organisationsform wird anderen Kommunen für die Umsetzung größerer Aktionspläne empfohlen. Zeitaufwändig, aber nach Einschätzung der Projektbegleitung notwendig, war die partizipative Entwicklung von konkreten Zielen und Handlungskonzepten. Modellhaft umgesetzt wurden in jeweils stadtspezifischen Handlungsfeldern zum einen vielfältige Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit, zum anderen überwiegend kleinere, kostengünstige Infrastrukturvorhaben. In beiden Bereichen dominierten Maßnahmen für den Radverkehr.

Für den Fußverkehr wurden vor allem Attraktivitätssteigerungen in den Innenstädten und Aktionen mit den Zielgruppen Kinder bzw. Senioren realisiert, so z.B. folgende Maßnahmen: in Lingen eine Mängelbewertung durch Senioren zur Verbesserung der Aufenthaltsqualität in der Innenstadt, eine Zukunftswerkstatt kinder- und jugendfreundliche Stadt und barrierefreie Bordsteinkanten; in Plauen die Verbesserung der Erreichbarkeit der Straßenbahn, Mängelbewertungen durch Kinder, die Installation von Ruhebänken, aber sonst kaum Infrastrukturmaßnahmen; in Wittenberg u.a. die Kampagne mit „Kinderfüßen durch die Welt“, ein Konzept kinderfreundliche Fußgängerzone u.a. mit Spielpunkten und im Pflaster integrierten Hüpfspielen, eine Mittelinsel zur Anbindung der Innenstadt, eine behindertenfreundliche Rampe und ein Konzept für Tempo-30-Zonen. Außerdem wurden Qualitätsziele und eine Dienstanweisung zum Fuß- und Radverkehr erstellt, aber nicht konsequent umgesetzt.

Im Rahmen der Erfolgskontrolle durchgeführte Vorher-Nachher-Untersuchungen ergaben steigende Querschnittsbelastungen des Fußverkehrs in Lingen (+18%) und Plauen (+3%), in Wittenberg aber eine Abnahme (-15%, baubedingt und vermutlich wegen eines Bedeutungsverlusts der Innenstadt). Es wurde auch eine Bewertung von Nutzen und Kosten der umgesetzten Maßnahmen vorgenommen. Nach dem Vermeidungskosten-Ansatz von LITMAN wurden in Lingen und Plauen die Nutzen aus einer Verlagerung von Pkw-Fahrten auf Fahrräder und die Füße berechnet: infolge einer Reduzierung von Staus, Einsparungen beim Straßenbau- und -unterhalt, den Fahrzeugbetriebskosten und Parkkosten, einer Minderung der Luftverschmutzung und des Verkehrslärms, einer Abnahme des Verbrauchs fossiler Energien und dessen Folgeschäden sowie Verkehrssicherheitsgewinnen. Danach liegt der Nutzen eines neuen Wegs zu Fuß (von rd. 1 km Länge), der vorher mit dem Auto durchgeführt wurde, zwischen 36 Cent (außerorts) und 1,28 Euro (innerorts zur Hauptverkehrszeit). Eine Gegenüberstellung mit den sehr grob und evtl. zu niedrig angesetzten Kosten ergibt einen Nutzen-Kosten-Quotienten von 5:2 in Lingen und 1:1 in Plauen. Nicht berücksichtigt wurden dabei Gesundheits- und städtebauliche Nutzen.

In den Modellvorhaben wurde zudem versucht, Elemente eines Qualitätsmanagements der städtischen Verkehrsplanung einzuführen und am Beispiel konkreter Aktivitäten zu testen (so z.B. mit Hilfe von Mängel-Coupons). Das Konzept eines solchen Qualitätsmanagements - angefangen von der Erhebung von Zuständen und Anforderungen bis hin zur Kontrolle von Prozessen und Leistungen der Verkehrsplanung - wurde allerdings in den Modellstädten nicht konsequent umgesetzt.

Die Bewertung der Modellprojekte zeigt, dass die entwickelten Handlungskonzepte noch nicht strategisch mit anderen Handlungsfeldern wie der Stadtentwicklung, der Wirtschafts- und der Gesundheitsförderung verknüpft wurden.

Dem Bund wird empfohlen, die Bestimmungen des GVFG zu ändern: Erweiterung der Fördertatbestände des Fußgänger- und Radverkehrs und Bemessung der Mittelzuteilung an der Einwohnerzahl anstatt den zugelassenen Kfz. Den Ländern wird die Einrichtung von Kompetenzzentren für den Fuß- und Radverkehr empfohlen.

Bewertung

Die Studie zeigt eine Fülle von Aktivitäten im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit auf und gibt nützliche Hinweise für deren Umsetzung. Sie identifiziert als Schwachstelle einer kommunalen Förderung des Fuß- und Radverkehrs insbesondere die mangelnde Absicherung der Investitionen und der Öffentlichkeitsarbeit im kommunalen Haushalt sowie die geringe Vernetzung mit anderen städtischen Leistungsbereichen. Die überschlägige Quantifizierung von Nutzen und Kosten der Aktivitäten ist beispielhaft auch für andere Städte. Sehr nützlich sind die in einer eigenen Broschüre zusammengestellten Verfahren und Bausteine eines Qualitätsmanagements für den Fuß- und Radverkehr.

 

Titel:

Modellvorhaben "Fußgänger- und fahrradfreundliche Stadt". Chancen des Fuß- und Radverkehrs als Beitrag zur Umweltentlastung. Hrsg.: Umweltbundesamt. UBA-Texte 28/05, Forschungsbericht 200 96 133. Dessau, Januar 2006, 164 S. + Anhänge

Verfasser:

Bearb.: Juliane Krause, Edzard Hildebrandt.

Bezug:

kostenlos unter http://www.umweltbundesamt.de

 

Impressum:

Erstveröffentlichung in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Juni 2006. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.

Autor dieser Ausgabe: Helmut Schad.

Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.fuss-eV.de

Möchten Sie, dass eine aktuelle Fachliteratur mit einem deutlichen Fußverkehrs-Bezug im Kritischen Literaturdienst Fußverkehr besprochen wird, nehmen Sie bitte mit FUSS e.V. Kontakt auf.