Auf dem Weg zu einer neuen Kultur der Mobilität

Die Lebensqualität in Ballungsräumen und Großstädten, wo rund 80% aller Europäer leben, wird erheblich durch den Straßenverkehr gemindert, der die Gesundheit der Bevölkerung gefährdet sowie die natürliche und die bebaute Umwelt schädigt. Auf den Straßenverkehr entfallen nach EU-Angaben 40% der CO2-Emissionen und 70% der Emissionen sonstiger Schadstoffe. Der Europäische Rat hat demgegenüber das Ziel festgelegt, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 20% zu reduzieren. Ohne Anstrengungen im Stadtverkehr ist das nicht zu erreichen.

Ohne Unterstützung und Zusammenarbeit auf regionaler, nationaler und europäischer Ebene können Städte allein die ihnen gemachten Vorgaben, die teils wie bei Lärm und Feinstaub einklagbar sind, nicht einhalten. Zur Halbzeit bislang des fast ausschließlich am Fernverkehr ausgerichteten Weißbuches Verkehr kündigte die EU-Kommission deshalb im vergangenen Jahr das Grünbuch Stadtverkehr an. Auf seiner Grundlage wird jetzt ein Aktionsplan ausgearbeitet. Er soll nach der Konsultation von Bürgern und Interessengruppen im Herbst 2008 mit einer Reihe konkreter Maßnahmen – einschließlich Terminen und Zuständigkeiten- veröffentlicht werden.

Worum es geht im Grünbuch Stadtverkehr ?

Obwohl für die größten Umweltprobleme Kraftstoffe aus Öl klar benannt werden, weil deren Verbrennung CO2, Luftschadstoffe und Lärm erzeugt, ist das Diskussionspapier keine Kampfansage an das Auto. Vielmehr wird die Optimierung aller Verkehrsarten - einschließlich PKW und LKW- angestrebt. Die Vorschläge decken den Personen- und Güterverkehr gleichermaßen ab. Saubere und energieeffiziente Fahrzeugtechnologie, alternative Kraftstoffe und intelligente Verkehrslenkungssysteme werden ausführlich erörtert.

Alle Beteiligten sind eingeladen, bis zum 15. März 2008 die Grundzüge der Mobilitätspolitik europäischer Städte mitzugestalten. Die EU-Kommission hat hierfür 25 Fragen formuliert, um Stellungnahmen zu erleichtern. Für verkehrsökologische Initiativen dürften folgende Fragen besonders wichtig sein:

1. Was kann getan werden, um Gehen, Radfahren und den ÖPNV als echte Alternativen zum Auto zu fördern? Gehen und Radfahren sollten vollständig in die Entwicklung und Beobachtung der städtischen Mobilitätspolitik integriert werden. Das schließt den Ausbau angemessener Infrastruktur für Radfahrer und Fußgänger ein. Die Zugänglichkeit zum ÖPNV muss auch für Behinderte, ältere Menschen und Familien mit kleinen Kindern gewährleistet sein. Die besonderen Anforderungen von Touristen, die Städte häufig bereisen, sind bei der Planung einzubeziehen.

2. Sollten für die Festlegung „grüner Zonen“ europaweite Kriterien gelten? Zahlreiche Städte haben Fußgängerzonen, Tempolimits, Stadtmautgebühren u.v.m. zum Schutz von Lebensqualität und Umwelt eingeführt. Einige Interessengruppen sehen darin die Gefahr, einen Flickenteppich von Gebieten mit neuen „Grenzlinien“ in Europa zu schaffen und fordern einheitliche Regelungen.

3. Wie kann eine bessere Koordinierung zwischen dem Nah- und Fernverkehr und der Flächennutzungsplanung erreicht werden? Der Trend zur Stadtrandbesiedlung erhöht das Verkehrsaufkommen. Eine geringe Bevölkerungsdichte verteuert zudem den Betrieb des öffentlichen Personenverkehrs. Die EU-Kommission fragt deshalb, wie eine bessere Integration von Stadt-, Sozial, Wirtschafts- und Verkehrsentwicklung möglich ist.

4. Wie können Städte bei der Verbesserung der Straßenverkehrssicherheit unterstützt werden? Alle Menschen sollten in Städten sicher leben und sich sicher bewegen können. Das persönliche Risiko als Fußgänger, Radfahrer, Fahrer eines PKW oder LKW sollte minimal sein. Derzeit sind die Unfallrisiken ungleich verteilt. Besonders betroffen sind die Schwächsten - Fußgänger und Radfahrer. Ihr Risiko, bei einem Unfall getötet zu werden, ist sechsmal höher als das von Autoinsassen.

5. Welchen Mehrwert könnte die zielgerichtete Unterstützung zur Finanzierung eines umweltfreundlichen Nahverkehrs längerfristig haben? Alle Beteiligten auf lokaler, regionaler, nationaler und europäischer Ebene müssen zur Finanzierung des umweltfreundlichen und stadtverträglichen öffentlichen Verkehrs beitragen. Parkgebühren und Stadtmautgebühren werden ausdrücklich als ein nützliches Finanzierungsinstrument neben anderen genannt. Die erforderlichen Investitionen in den ÖPNV werden jedoch im wesentlichen von den Kommunen gedeckt. Auch die Nutzer des Nahverkehrs müssen einen angemessenen Preis entrichten.

Fazit

Im Grünbuch Stadtverkehr werden noch keine konkreten Maßnahmen vorgestellt. Vielmehr soll eine Debatte in Gang gesetzt werden, um Mehrheiten für bestimmte Lösungen zu gewinnen und neue Koalitionen zu bilden. Niemand sollte deshalb darüber enttäuscht sein, dass in diesem Diskussionspapier keine Strategie im Clausewitz'schen Sinne als planmäßiges Handeln zur Umsetzung von Zielen zu erkennen ist.

Weitere Informationen:

 

Dieser Artikel von Christian Kölling ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 4/2007, erschienen. 

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