Konsequente Fußgängerverkehrsförderung in Großbritannien

Die Fußgängerverkehrsförderung in London zeichnet sich mittlerweile durchaus federführend in Europa durch politischen Willen, strategischen Ansätzen, eine systematische Herangehensweise, behördenübergreifende Zusammenarbeit, Kommunikation und Werbung und die Höhe der bereit gestellten Mittel aus. Die unter Einsatz moderner Technologien entwickelten Audit-Systeme ermöglichen eine systematische und objektive Bestandsaufnahme und Bewertung der Ausgangslage und eine kontinuierliche Überwachung von Erfolgen und Problemen. Die Bedingungen für den Fußgängerverkehr in London haben sich in den letzten Jahren wesentlich verbessert. Durch die Kombination baulicher Maßnahmen mit einem durchgängigen Vermarktungskonzept sowie die Bereitstellung entsprechender Finanzierungsmittel hat London den meisten Städten Europas in punkto Förderung des Fußgängerverkehrs Einiges voraus.

Einleitung

London liefert ein gutes Beispiel für eine strategische Planung mit dem Ziel der konsequenten Förderung des Fußgängerverkehrs. Der vorliegende Beitrag befasst sich mit den Handlungsansätzen und Maßnahmen, mit denen London „sich auf den Weg macht“, bis zum Jahr 2015 die Fußgängermetropole Europas zu werden. Die britische Hauptstadt setzt dabei auf zahlreiche technische und infrastrukturelle Maßnahmen, legt aber auch besonderen Wert auf Werbung und Kommunikation. Mit einem umfassenden Handlungskonzept will London die Bedingungen für Fußgänger verbessern. Der Fußgängeranteil in London soll sich bis 2015 um 10% erhöhen.

Das Flaggschiff der Fußgängerförderung in London ist dabei das sogenannte „Strategic Walk Network“ (SWN), ein Fußwegenetz, das bereits heute mit knapp 600 km alle 33 Londoner Stadtbezirke (boroughs) durchkreuzt.

Das Londoner Handlungskonzept zur Förderung des Fußgängerverkehrs basiert auf einer fundierten Grundlagenarbeit, die einen zielgerichteten Einsatz der Mittel, wie auch längerfristig eine Qualitätssicherung und Wirkungsmessung der Maßnahmen ermöglicht. Hierzu zählen u.a. klar definierte Qualitätsstandards für die Fußgängerinfrastruktur und die Entwicklung von Audit-Systemen.

Ausgangslage

Im Stadtgebiet von Groß-London (Greater London) leben rund 7,4 Mio. Einwohner. London gliedert sich dabei in 32 Stadtbezirke und „London City“. Groß-London wird weiterhin in „Inner London“ (zentrale Stadtbezirke) und „Outer London“ (äußere Stadtbezirke) unterteilt. Gegenwärtig werden 31% der Wege in „Inner London“ bzw. 27 % der Wege in „Outer London“ werktags zu Fuß zurückgelegt [1].

Zur Planung, Umsetzung und zur Vermarktung des strategischen Fußwegenetzes haben sich die Bezirke unter Förderung und Mitwirkung von „Transport for London“ zur sogenannten „Walk London Borough Partnership“ zusammengeschlossen, um bezirksübergreifend geschlossen agieren zu können.

Im Jahr 2004 wurde ein Handlungskonzept zur Fußgängerförderung in London erlassen („Making London a walkable city“ [2]). Dort sind folgende quantitative Ziele bis 2015 hinterlegt:

  1. eine Zunahme des Modal Split-Anteils der Fußwege bis 2 Meilen um 10%
  2. eine Zunahme der durchschnittlichen täglichen Fußwege um 10%
  3. eine deutliche Verbesserung des Fußgängerverkehrs in der Wahrnehmung der Verkehrsteilnehmer; London soll sich hierbei auch im Vergleich zu anderen Weltstädten deutlich hervorheben.

Erreicht werden sollen diese Ziele durch zahlreiche Einzelmaßnahmen aus Straßenbau und -erhaltung sowie aktuelle Sonderprogramme und Initiativen, wie z.B.

  1. das "Strategic Walk(s) Network" (SWN, Strategisches Fußwegenetz),
  2. "Legible London" ("Lesbares London", neues einheitliches Wegweisungssystem in ganz London, bis jetzt in West End getestet),
  3. "Streets of Gold", ein Programm, das in Kooperation mit den Stadtbezirken für kleinere Einzugbereiche greift und den fußgängerfreundlichen Umbau von Straßenräumen beinhaltet und
  4. "100 public spaces programme", ein Programm, welches den fußgängerfreundlichen Umbau von 100 öffentlichen Plätzen in London beinhaltet.

Hinzu zählen weitere Maßnahmen, die im Rahmen der laufenden Straßenerhaltung von Transport for London bzw. den einzelnen Stadtbezirken durchgeführt werden, wie z.B.

  1. neue Überquerungsanlagen,
  2. Überquerungshilfen, wie Verkehrsinseln,
  3. bessere Fußgängersignalisierung,
  4. bessere Beschilderung und Beleuchtung,
  5. Einrichtung von "Home Zones" (entspricht in etwa dem "Verkehrsberuhigten Bereich") und
  6. fußgängerfreundlicher Umbau von Straßen.

Durch „Transport for London“ werden nach eigenen Angaben alleine für Straßenerhalt und -umbau an den übergeordneten Straßen jährlich rund 15 Mio. Pfund für Fußgängeranlagen zur Verfügung gestellt. Für das SWN wird ein jährliches Budget von zusätzlich 1 Mio. Pfund bereit gestellt.

Ferner gibt „Transport for London“ an, für den Zeitraum 2003 – 2010 insgesamt rund 100 Mio. Pfund in den Fußgängerverkehr zu investieren [3].

Das strategische Fußwegenetz (SWN)

Das „Strategic Walk Network“ ist das Flaggschiff der Londoner Fußgängerverkehrsförderung. Dieses Fußwegenetz umfasst ländliche Wanderwege in Londons Außenbezirken, wie auch straßenbegleitende Gehwege, die u.a. auch Londons Hauptattraktionen erschließen. Fast 1.000 km soll dieses „strategische Fußwegenetz“ bis 2015 umfassen und durchgängig hohen Qualitätsstandards entsprechen.

Für jede der bisher eingerichteten sechs Routen ist ein eigener „Routen-Manager“ zuständig, er dient als Ansprechperson und Koordinator. Bauliche Maßnahmen werden entsprechend ihrer Dringlichkeit vor dem Hintergrund einer eigens entwickelten Kosten-Nutzen-Bewertung durchgeführt. Das SWN wird kontinuierlich und systematisch baulich ausgebaut und verbessert, zudem wird es professionell vermarktet und beworben. Das Netz soll insbesondere auch für mobilitätseingeschränkte Personen geeignet sein und die fußläufige Erreichbarkeit von ÖPNV-Haltestellen, Geschäften, Büros, Parks und öffentlichen Einrichtungen sicherstellen. Zentrale Informationsplattform ist die Internetseite: www.walklondon.org.uk [4].

Zum heutigen Stand umfasst das SWN rund 600 km und erstreckt sich über alle 33 Londoner Bezirke. Das heutige Fußgängernetz besteht aus sechs Routen.

Diese Routen sind einzeln ausgeschildert und werden in zahlreichen Informationsmedien beschrieben und beworben. Zum Zustand und zur Beschaffenheit der Wege wurden neben existierenden Richtlinien von „Transport for London“ eigene Qualitätsstandards entwickelt (vgl. [5]), so z.B.:

  1. eine Mindestbreite von 1,00 m (die nach deutschen Qualitätsmaßstäben und Regelwerken allerdings als viel zu gering zu bezeichnen ist - hier wäre eine Mindestbreite von 2,50 m angemessen),
  2. die Verwendung des gleichen Materials bei Reparaturen,
  3. die Aufpflasterung von Fußgängerüberquerungen an Straßen,
  4. das Anbringen von Bänken insbesondere an Fußwegekreuzungen,
  5. eine eindeutige Wegweisung aller Routen,
  6. die Freihaltung der Wegweisung von Beeinträchtigungen z.B. durch Bäume etc.,
  7. eine eindeutige Beschilderung der barrierefreien Bereiche
  8. eine anspruchsvolle Gestaltung insbesondere von Eingängen sowie
  9. eine Maximalhöhe von Treppenstufen von 15 cm.

Entlang der Routen angebrachte Informationsstationen dienen zur Orientierung. Die Informationstafeln sind barrierefrei gestaltet und bieten sowohl Rollstuhlfahrern (Höhe der angebrachten Tafeln), als auch Blinden bzw. Sehbehinderten (taktile Elemente) Zugangsmöglichkeiten. An den Informationsstationen sind auch Audioinformationen verfügbar. Mit der „Walk London Information Line“ haben Anrufer die Möglichkeit, die Informationen einer Informationstafel anzuhören. Jede Informationstafel besitzt einen bestimmten Code, des Weiteren können die Informationen als MP3 runter geladen oder als CD bestellt werden.

Audit-Systeme

„Walk London“ entwickelte das London Access Management System (LAMS), eine internet-basierte Plattform für die Zuordnung, Abfrage und Verwendung von Informationen für und über das SWN. Derzeit wird es als Hilfsmittel für die Umsetzung und die Aufrechterhaltung der gesetzten Standards auf dem SWN genutzt. LAMS basiert auf einem GIS-System.

Zur Bestandsaufnahme wurden zunächst Vor-Ortbesichtigungen an allen Strecken des SWN durchgeführt. Die Abschnitte wurden fotografiert und gemäß den Qualitätsstandards bewertet, geocodiert und anschließend einer digitalen Karte zugeordnet. Mit dem LAMS werden somit die erforderlichen Maßnahmen auf den Strecken festgestellt. In Zusammenarbeit mit den Stadtbezirken werden dann unter Berücksichtigung der Kosten/Nutzen-Relationen die vorhandenen Mängel nach und nach beseitigt.

Bislang wird dieses System insbesondere zur Steuerung der Umbau- und Ausbaumaßnahmen verwendet, zukünftig soll es vollständig über das Internet auch für die Öffentlichkeit zugänglich sein – Teile davon stehen heute schon zur Verfügung. Hiermit wird eine Möglichkeit für realitätsnahe virtuelle Sparziergänge durch London geschaffen, die z.B. die Planung eines Fußweges erleichtern können. Bereits heute sind Informationen zu Service-Einrichtungen, öffentlichen Toiletten oder Rastplätzen verfügbar.

In England wurden darüber hinaus in den letzten Jahren verschiedene Audit-Systeme speziell für Fußgänger entwickelt. Das PERS-Audit (Pedestrian Environment Review System) wurde für stark frequentierte Strecken und Strecken mit hoher Unfallhäufigkeit entwickelt. Dieses Audit-System liegt heute bereits in der zweiten Version vor. Seit 2006 wurde das Verfahren in London an 55 Stellen durchgeführt. [6]

Ergebnisse dieses Audits sind konkrete Mängel, wobei dieses Audit einen breiteren Ansatz (als z.B. das LAMS) verfolgt und neben Ausstattung und Qualität insbesondere die Verkehrssicherheit, aber auch das subjektive Sicherheitsgefühl berücksichtigt. Zur Durchführung des Audits wurden ein Handbuch, für verschiedene Ausgangssituationen passende Datenblätter sowie eine spezielle Software entwickelt, mit der die Mängel verortet und veranschaulicht werden können.

Kommunikation und Werbung

Zur Ansprache der Einwohner und Besucher Londons wird das SWN beworben. Zentrale Plattform ist hierfür die Webseite: www.walklondon.org.uk. Dort können detaillierte Informationen zu den einzelnen Routen, zu Veranstaltungen aber auch Hintergrundinformationen zum Zu Fuß Gehen abgerufen werden.

Mit dem „Walk Finder“ im Internet wird eine moderne Form der Fußgängerroutenplanung ermöglicht. Es steht ein breites Angebot an Informationen z.B. zur Qualität der Wege, zu „Einkehrmöglichkeiten“ und Toiletten wie auch zu den angrenzenden Sehenswürdigkeiten zur Verfügung, die dazu ermutigen, die eigene Stadt zu Fuß zu entdecken und zu erforschen.

Neben einer Vielzahl an Karten- und Informationsmaterial zu den Routen, das u.a. auch über die Internetseite bestellt werden kann, werden sog. „Walking Events“ organisiert, mit denen man insbesondere auch solche Verkehrsteilnehmer vom Gehen überzeugen will, die sonst eher wenig zu Fuß gehen. Weiteren Anreiz sollen z.B. auch Zertifikate (Completion Certificates) geben, die für jede Route, die vollständig „erlaufen“ wurde, ausgestellt werden.

Evaluation

Auf verschiedenen Ebenen werden die Maßnahmen zur Fußgängerverkehrsförderung in London evaluiert. Seit 2007 soll das System „London Travel Demand Survey – LTDS“ zu Grundparametern des Verkehrsverhaltens jährliche Daten bereitsstellen (vgl. [1]). Zur Evaluation des SWN wurden schon früher bei der Konzeption Schlüsselparameter definiert [5]. Seit 2002/ 2003 wird jährlich über diese Schlüsselparameter berichtet. Neben absoluten Nutzerzahlen werden Befragungen zur Zufriedenheit und der Abruf und die Nutzung von Informationen, z.B. über das Internet, ausgewertet. Der Streckenerfolg des SWN wird sowohl durch Handzählungen als auch durch 30 automatische Zählschleifen dokumentiert und durch GSM direkt auf einer Website bereitgestellt. Mit einer Genauigkeit von + / -5% wird durch Sensorenblöcke und Infrarotdetektoren die Anzahl der Benutzer ermittelt.

Der letzte Evaluationsbericht vom September 2008 [7] dokumentiert den Erfolg des Projektes. Insgesamt ist gegenüber dem Vorjahr eine Zunahme der Anzahl der Nutzer festzustellen, ebenso haben die Zugriffszahlen im Internet zugenommen, wie auch die durch Befragung ermittelte Zufriedenheit mit dem Wegenetz.

Fazit

Während in deutschen Städten der Fußgängerverkehr bisher weitestgehend stiefmütterlich behandelt wird, überraschen jüngste Entwicklungen in der Verkehrsentwicklung von Städten anderer Länder. Das Beispiel London zeigt, dass Fußgängerförderung mit hohem Engagement vorangetrieben werden kann und sich spürbare Erfolge einstellen können. Sicherlich ist noch einiges zu tun und es wird sich erst im Zeitverlauf zeigen, ob die hochgesteckten Ziele auch erreicht werden können, insbesondere ob es auch tatsächlich zu einer Verlagerung von Wege z.B. aus dem MIV kommen wird (Ziele hierzu werden z.B. bei Bell genannt, [3]).

Die Londoner Vorgehensweise kann ein gutes Vorbild für deutsche Städte sein, die für die zukünftigen Anforderungen und Rahmenbedingungen der demographischen, gesellschaftlichen, umweltbezogenen und wirtschaftlichen Entwicklungen gewappnet sein möchten. Jüngste Entwicklungen wie z.B. in Berlin deuten auf „Nachahmerprojekte“ bzw. ähnliche Projekte auch in Deutschland hin.

In Kürze

London liefert ein gutes Beispiel für eine strategische Planung mit dem Ziel der konsequenten Förderung des Fußgängerverkehrs. London möchte eine der fußgängerfreundlichsten Städte der Welt werden und bis 2015 den Fußgängerverkehrsanteil um 10% steigern. Mit Investitionen von 16 Mio. Pfund pro Jahr, einem umfassenden Handlungskonzept und vielen Maßnahmen verbessert London die Bedingungen für Fußgänger. Flaggschiff der Londoner Fußgängerverkehrsförderung ist dabei das sog. „Strategische Fußwegenetz“ (Strategic Walk Network - SWN), das bereits heute rund 600 km Fußwege auf sechs Routen umfasst.

Quellennachweise:

  1. Transport for London (2007): London Travel Demand Survey supplement, März 2007
  2. Mayor of London/Transport for London (2004): Making London a walkable city - The Walking Plan for London
  3. Bell, A. (2007). London: Building a Business Case for Walking; presentation on walk 21 conference in Toronto
  4. http://www.walklondon.org.uk/
  5. Walk London Borough Partnership (2008): Delivering the London Strategic Walk Network; A design guide manual, London
  6. Allen, D.; Clark, S. (): New Directions in Street Auditing: Lessons from the PERS Audit , presentation at the walk 21 conference in Toronto, Toronto 2007
  7. Walk London (2008): Key Performance Indicators 2008

Weitere Informationen:

 

Dieser Artikel von Univ.-Prof. Dr.-Ing. Jürgen Gerlach; Bergische Universität Wuppertal, www.traffic-transport.org und Dr.-Ing. Iris Mühlenbruch Büro für Evaluation, Planung und Forschung, www.evaluation-verkehr.de ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 3/2009, erschienen. 

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