Zu Fuß und mit dem Fahrrad: eine Stilfrage?

Neben den Erfordernissen einer qualitätvollen und durchdachten Stadt- und Verkehrsplanung ist die Beachtung von Einstellungen, Emotionen und Werten der Fahrradfahrerinnen und Fußgängerinnen wichtig. Nicht nur Gefahrenpotenziale beim Gehen und Fahrrad fahren stellen für ältere VerkehrsteilnehmerInnen eine Herausforderung dar (vgl. Dirk Böhnke in mobilogisch! 4/06). Sie haben unabhängig von ihren physischen Fähigkeiten nicht unbedingt dieselben Präferenzen in Bezug auf ihre nichtmotorisierte Verkehrsteilnahme.

Fuß- und Rad-Mobilität im Alter

Der Anteil der über 55-Jährigen wird in den nächsten Dekaden deutlich zunehmen, insgesamt wird die Bevölkerung jedoch abnehmen. Dabei stellt sich unweigerlich die Frage, wie in einer älter werdenden Gesellschaft die Bereitschaft und Fähigkeit erhalten werden kann, sich zu Fuß oder mit dem Rad fortzubewegen. Ein hoher Anteil des nichtmotorisierten Verkehrs hat in mehrfacher Hinsicht eine wichtige Bedeutung: Er trägt dazu bei, weniger umwelt- und gesundheitsbelastende Auswirkungen zu erzeugen. Gleichzeitig erhält Gehen und Fahrrad fahren die Gesundheit und Beweglichkeit.

Sind aber die zukünftigen Alten genauso unterwegs, wie die Heutigen? Wie werden sie sich (wir uns) fortbewegen (wollen)? Um hierzu ein Bild zu erlangen, müssen einerseits das heutige Verkehrsverhalten, Szenarien einer zukünftigen Entwicklung und lebensstilspezifische Aspekte nichtmotorisierter Mobilität einbezogen werden.

Mobilität ist nicht nur Verkehr

Wird Mobilität umfassend verstanden, ist sie nicht nur Fortbewegung und Aktivität im Raum, sondern

  • spiegelt vielfältige soziale Aspekte der Verkehrsteilnahme,
  • ist sozial-räumliche Bewegung (zweckbezogene Ativitäten) sowie
  • sozio-kulturelle Bewegung (in oder zwischen gesellschaftlichen Gruppen, Orten).

Mobilität ist Teil unseres Alltagshandelns und zeigt sich in Routinen und Handlungsmustern. Darin spiegeln sich z.T. so genannte kulturelle Orientierungen und unser sozialer Kontext. Das Verkehrsverhalten ist nur ein Teil des Alltagsbedürfnisses ‚Mobilität’. Es ist dabei geprägt von Vorlieben und Präferenzen.

Als Mobilitätsstile werden relativ stabile Muster aus Routinen, Einstellungen, Werten und Handlungen verstanden. Sie können sich im Laufe verschiedener Lebensphasen durchaus verändern oder sich in ihrer Ausprägung verstärken oder abschwächen. Bestimmte Grundorientierungen bleiben aber oft erhalten. U.a drückt sich zum Teil aus, wie wir zu Verkehrsmitteln und zu unserer Verkehrsteilnahme stehen. Mobilitätsstile helfen dabei, das Verkehrsverhalten zu erklären und liefern wichtige Hinweise für die symbolischen Facetten der Mobilität des Einzelnen.

Rad- und Fußmobilität in Deutschland

In der Studie ‚Mobil in Deutschland 2002’ ließ das Bundesverkehrsministerium das Verkehrsverhalten in Deutschland genau untersuchen.

Insgesamt werden 32% aller Wege und 6% der Verkehrsleistung (Personen-km) über nichtmotorisierte Verkehrsarten erbracht (im Vgl. Pkw: 57% bzw. 77%). Der Fußverkehr nimmt dabei innerhalb aller Wege den größten Part ein: 23% aller Wege werden zu Fuß unternommen, mit einer durchschnittlichen Länge von 1,7 km. Die überwiegenden Wegezwecke sind Einkaufen und Erledigungen mit 38% und Wege zu Freizeitaktivitäten (40%). Ausbildungs- und Arbeitswege spielen nur eine untergeordnete Rolle (6-7%). Hinter diesen Aktivitäten verbirgt sich aber auch die sozio-kulturelle Bedeutung des zu Fuß Gehens – sowohl Einkaufen als auch Freizeitaktivitäten dienen nicht nur ganz konkreten Alltagsnotwendigkeiten, sondern der Teilnahme am sozialen Leben, der Zerstreuung, dem Kontakt mit Anderen, dem Kontakt zu Natur und Umfeld.

3/4 der Einwohnerinnen und Einwohner in Deutschland haben ein Fahrrad. Damit werden 9% aller Wege zurückgelegt. Fahrrad fahren ist bekannter Maßen stark jahrezeitlichen Schwankungen unterworfen, im Sommer sind es ca. 10%, im Winter 5-6% aller Wege. Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung kombiniert das Fahrrad und ÖPNV (Bike & Ride oder Fahrradmitnahme), nämlich 3%. Zurückgelegt werden mit dem Fahrrad hauptsächlich Wege zum Einkauf und für Erledigungen (32%) sowie Freizeitaktivitäten (37%). Arbeits- und Ausbildungswege werden etwas öfter als zu Fuß zurückgelegt (9-15%).

Alterspezifische Unterschiede

Beim zu Fuß gehen schwankt über die Lebensphasen hinweg die Intensität kaum – der Grundbedarf an Mobilität wird zu Fuß gedeckt. Die Anzahl der Fußwege ist bei Rentnern überdurchschnittlich hoch, in höheren Altersklassen etwas geringer, jedoch immer noch über dem Durchschnitt.

RentnerInnen unter 75 Jahren sind mehr mit dem Rad unterwegs als Erwerbstätige, über 75 Jährige aber ca. genauso oft wie Erbwerbstätige (ca. 7%). Die Fahrradnutzung ist abhängig von der Pkw-Verfügbarkeit – mit zunehmendem Alter jedoch nicht mehr so extrem. Insgesamt legen Senioren im Vergleich zu Erwerbstätigen weniger Wege zurück, v.a. weniger Pkw-Wege.

Szenarien für die Zukunft

Im Jahr 2006 erstellte eine Forschergruppe des Difu im Auftrag des Verkehrsministeriums eine Studie mit Szenarien zur Verkehrsentwicklung bis zum Jahr 2050. Unabhängig von der Wahl des Szenarios zeigt sich bei der Verkehrsleistung des Fahrrades und zu Fuß Gehens folgendes:

  • Die Verkehrsleistung (Personen-km) von Senioren im nichtmotorisierten Verkehr steigt um rund 50%.
  • Der Pkw-Besitz ist voraussichtlich höher als bei den heutigen Senioren.
  • Die Unterschiede im Führerscheinbesitz (Frauen/Männer) flachen ab.

Daraus lässt sich folgern, dass sich eine leichte Zunahme der Fußwege fortsetzt. Auch setzt sich die leichte Zunahme der Wege mit dem Rad, v.a. bei Rentnern und Arbeitslosen fort. Insgesamt steigt die Bedeutung des nichtmotorisierten Verkehrs. Siedlungsstrukturelle Effekte, wie die Reurbanisierung führen abhängig nach der Ortsgröße zu einem Rückgang der Gesamtverkehrsleistung.

Es findet demnach eine Verschiebung statt, die sich vermutlich nicht nur durch finanzielle und strukturell gegebene Randbedingungen erklärt werden kann. Es ist daher anzunehmen, dass sich heutige Mobilitätsgewohnheiten in Zukunft etwas verändern werden.

Stile nicht-motorisierter Mobilität

Die Rolle lebens- und mobilitätsstilspezifischer Aspekte auf das zu Fuß Gehen und Fahrrad fahren wurde in einer Studie in Berlin untersucht. Dabei wurde eine Typologie nichtmotorisierter Mobilitätsstile entwickelt. Die folgende schlagwortartige Darstellung fokussiert nicht nur die Stile, in denen sich überwiegend Ältere finden. Vielmehr soll die gesamte Breite aufgezeigt werden, denn es ist davon auszugehen, dass Ausschnitte der Grundorientierungen unabhängig vom Alter bedeutsam sind. Lediglich ein explizit auf Jugendliche beschränkter Typ wird hier nicht dargestellt.

Die Selbstbestimmt Aktiven

  • schätzen Selbstständigkeit und „kreative“ Selbstorganisation im Bereich der Mobilität.
  • Hohe Aktivität, implizite Einschränkungen (v.a. gesundheitlich), empfinden sich meist nicht als mobilitätseingeschränkt.
  • Verkehrsverhalten: Gehen viel zu Fuß und nutzen oft den ÖPNV, Autonutzung selten, keine Fahrradnutzung
  • Reagieren beim zu Fuß gehen sensibel auf: Enge Wege, Nutzungskonflikte, Interaktion zwischen Autofahrenden und Fußgängern
  • 40-60+, mittlere - hohe soziale Lage

Die Resignierten GeherInnen

  • Sind geprägt durch Mobilitätsverzicht und scheinbare ‚Bescheidenheit’
  • Abhängig von/ angewiesen auf Mitnahmedienste Anderer; Finanzielle und körperliche Einschränkungen
  • Verkehrsverhalten: Kombinationen von zu Fuß gehen und ÖPNV-Nutzung, kaum Pkw verfügbar, keine Radnutzung
  • Zu Fuß gehen hat ablenkende, unterhaltende Funktion, idyllische Orte
  • 50-60+, mittlere - untere soziale Lage

Die Sicherheitsorientierten

  • Organisieren den Alltag meist nach einem ‚inneren Fahrplan’, und mit geringer Spontanität. Bedürfnis nach Verkehrssicherheit ist Ausprägung eines insgesamt stark sicherheitsbezogenen Lebensstils.
  • Verkehrsverhalten: Keine Fahrradnutzung in der Stadt, viel zu Fuß und mit Pkw (Mitfahrer)
  • Sicherheit in öffentlichen Verkehrsmitteln und auf Plätzen wichtig, Überschaubarkeit, Beschaulichkeit
  • 18-60+, mittlere soziale Lage

Die Bequemlichkeitsorientierten

  • sind auffällig indifferent gegenüber nichtmotorisierter Fortbewegung.
  • Langanhaltende und eher starre Routinen, nicht experimentierfreudig
  • Verkehrsverhalten: häufige Pkw- und ÖPNV-Nutzung, Fahrrad fast nur in der Freizeit, auch viel zu Fuß
  • 30-60+, mittlere - hohe soziale Lage

Die StadtgenießerInnen

  • halten ihre Flexibilität, ihr Unabhängigkeitsbedürfnis und den Spaß am unterwegs sein hoch; Differenzierte Wahrnehmung des Stadtraumes (physisch/sozial)
  • Spontan, effizient, wenig festgelegt, viele Aktivitäten und Netze
  • Verkehrsverhalten: Mobilitätsmix, sehr viel Fahrrad und zu Fuß
  • 25-45, mittlere soziale Lage

Bei den begeistert, aber pragmatisch Umweltorientierten

  • spielen Umweltgesichtspunkte im Alltagsvekehr eine große Rolle, sie sind engagiert aber nicht dogmatisch; die Stadt wird als vielfältige Gelegenheitsstruktur wahrgenommen.
  • Effiziente und Kosten-Nutzen-orientierte Mobilitätsorganisation
  • Verkehrsverhalten: Mobilitätsmix – viel Rad, zu Fuß, mit dem Pkw, wenig ÖPNV
  • 30-40, mittlere - gehobene soziale Lage

Die Identifier

  • identifzieren sich mit einem Individualverkehrsmittel um Erlebnis, Selbstdarstellung und Unabhängigkeit auszudrücken.
  • Handlungsroutinen: eingespielte Wege, Alltagsannehmlichkeiten
  • Verkehrsverhalten: hohe Pkw oder Fahrradnutzung, teilweise ÖPNV, kaum zu Fuß
  • 20-40, alle soziale Lagen

Folgerungen

Die verschiedenen Typen haben spezifische Ansprüche an die nichtmotorisierte Fortbewegung, unabhängig vom Alter. Eine Alterung innerhalb der verschiedenen Stile bedeutet nicht, dass sich deren Mobilitätseinstellungen umkehren werden. Die Ergebnisse zeigen, dass die Stile nichtmotorisierter Mobilität dazu herangezogen werden können, um Potenzialgruppen und Handlungsschwerpunkte abzuleiten.

Die häufig zu beobachtende Fokussierung auf die technische Ausgestaltung von Verkehrssystemen und deren Benutzbarkeit sollte auch bei Senioren nicht die symbolischen Bedeutungen von Mobilität außer Acht lassen.

Als Forderung an eine zukunftsorientierten Verkehrs- und Stadtplanungspolitik muss Rad- und Fußmobilität auf jeden Fall weiterhin vor allem zugänglich sein. Das bedeutet für ältere Menschen zu Fuß und auf dem Fahrrad z.B.

  • für die Einen Sicherheit und Barrierefreiheit,
  • für die Anderen schnelleres, reibungsloses Gehen oder radeln,
  • für Dritte ein besonders grünes und ruhiges Umfeld mit hoher Aufenthaltsqualität
  • für Vierte Spaß und unterschiedliche Eindrücke.

In Kürze

Daten zum Verkehrsverhalten der jetzigen älteren Bevölkerung werden herangezogen, um zukünftiges Verhalten abzuschätzen. Unterstützend können Mobilitätsstile aufzeigen, welche Herausforderungen für den nichtmotorisierten Verkehr in einer alternden Gesellschaft liegen.

Weitere Informationen:

  • Mobilität in Dtl. (MID) (2003) - Kontinuierliche Erhebung zum Verkehrsverhalten 2002. Endbericht Bonn/Berlin
  • Kloas, Jutta/Kuhfeld, Hartmut (2006): Fußgänger- und Fahrradverkehr gewinnen an Bedeutung. DIW Wochenbericht 44/2006
  • Oeltze, Stefan/Bracher, Tilman et al.(2007): Mobilität 2050. Berlin
  • Die Studie wurde im Rahmen des Graduiertenkollegs „Stadtökologische Perspektiven europäischer Metropolen“ erstellt. Als Dissertation befindet sie sich derzeit im Begutachtungsverfahren. Nähere Infos zur Veröffentlichung bei der Autorin.
  • Wichtig zum Verständnis: es sind keine Aussagen bzgl. des Anteils der verschiedenen Gruppen an der Bevölkerung möglich.
  • www.isoe.de

 

Dieser Artikel von Jutta Deffner, Mitarbeiterin an der Studie „Mobilität und Lebensstilanalysen“ am Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE), Frankfurt/Main, www.isoe.deDiese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! , ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 2/2007, erschienen.

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