Im Zusammenhang mit den bundesweiten Bemühungen zur Förderung des Fahrradverkehrs steht die Freigabe aller Wege in öffentlichen Grünanlagen auf der Agenda von Fahrradinitiativen und Verbänden, aber auch von kommunalen Planern und Politikern. FUSS e.V. hat sich mehrfach für die Zulassung des Radfahrens in Grünanlagen eingesetzt, hält aber eine entsprechende Gesetzesänderung für unsinnig und nicht im Sinne der Erholungssuchenden. Dies soll am Beispiel Berlin aufgezeigt werden.
Obwohl die Grünanlagenregelungen kommunal unterschiedlich sein können, dienen Grünflächen grundsätzlich der Erholung der Bevölkerung und sind in der Regel mit Ausnahme von Krankenfahrstühlen nicht zu befahren. Radfahren und andere Nutzungen können auf besonders ausgewiesenen Wegen und Flächen zugelassen werden. Durch das Berliner Grünanlagengesetz aus dem Jahre 1997 sind die Bezirke sogar „verpflichtet, Flächen für entsprechende Nutzungen (auch zum Radfahren) in angemessenem Umfang auszuweisen“, was in den letzten Jahren auch in einem zunehmenden Maße geschah.
Dennoch kämpft in der Hauptstadt die Regierungskoalition des Bundeslandes seit Monaten an diesem Punkt gegeneinander: Die SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus (Landtag) vertritt vehement den Standpunkt, dass das Grünanlagengesetz in seiner Aussage zum Radfahren umgekehrt werden muss; die LINKE unterstützt die Grünflächenämter der Bezirke, die Schlosspark-Verwaltung und die Fußgänger-, Flaneure- und Stadtpark-Inittiativen, die das Grünanlagengesetz im Kern - keine Verkehrsflächen - erhalten wollen.
Auch in der entsprechenden Senatsverwaltung ist man sich in Sachen Grünanlagengesetz nicht grün: Auf der einen Seite stehen der Radverkehrsbeauftragte, der in Berlin - ein Kuriosum - gleichzeitig der Vorsitzende des ADFC und damit Lobbyist ist, und die Verkehrsabteilungen. Auf der anderen Seite steht die gegen die Verkehrsabteilung recht bescheiden aussehende Grünplanungs-Abteilung.
Leider geht der Riss auch quer durch die Verbände und kostete den Aktiven in den letzten Monaten teilweise enorme Zeit und Schaffenskraft.
Die SPD-Fraktion hat einen recht kurzen Antrag zur Änderung des Gesetzes eingebracht, in dem bei der Aufzählung besonders zuzulassenden Nutzungen das Wort „Rad-“ gestrichen werden soll. Damit müssten „Skateboardfahren, Ballspielen, Baden, Bootfahren, Reiten und Grillen“ weiterhin auf Flächen gesondert zugelassen werden, Radfahrerinnen und Radfahrer wären dagegen per se „Erholungssuchende“, egal, ob sie gerade als radfahrende Familie auf dem Weg zu einem Liegeplatz sind oder mit Tempo die Grünanlage als sichere oder kürzere Verbindung eines Alltagsweges benutzen.
Interessant ist der Absatz, der nach dem Entwurf neu eingefügt werden soll: „Die zuständigen Behörden sollen durch Anbringen von gut sichtbaren Verbotsschildern das Radfahren auf Wegen in öffentlichen Grün- und Erholungsanlagen untersagen, soweit insbesondere auf Grund einer nicht ausreichenden Wegebreite, oder der Beschaffenheit und Lage, oder aus sonstigen Gründen, die sich aus der besonderen Örtlichkeit, Gestaltung oder Nutzung der Anlage ergeben, das Radfahren zu einer nachhaltigen Beeinträchtigung der Anlage oder Teilen davon oder zu einer erheblichen Gefährdung anderer Anlagenbesucher führt.“
Das ist nicht zufällig eine Formulierung, wie man sie aus der Straßenverkehrs-Ordnung kennt. §1(2) der StVO: „Jeder Verkehrsteilnehmer hat sich so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.“ In Berlin soll, zur Förderung des Radverkehrs, der §1(2) als eine „Errungenschaft“ der StVO in Erholungsflächen aufgehoben werden. Wenn man davon ausgeht, dass die Wege in Grünanlagen so beschaffen sein müssen, dass das „Unvermeidbare“ vermieden werden kann (z.B. durch Absteigen und Schieben), müssen Radfahrer schon die Anlagen „nachhaltig“ ungünstig beeinflussen und, was völlig unverständlich ist, sie müssen die Spaziergänger „erheblich gefährden“. Das wäre ein schlechterer rechtlicher Status für Fußgänger in Grünanlagen als in den Stadtstraßen nach der StVO. Ein mit der Zielvorstellung, den Umweltverbund fördern zu wollen, kaum zu vereinbarendes Signal.
Mit dieser Gesetzesänderung würde also das Prüfungsverfahren umgekehrt ablaufen. Es müssten voraussichtlich mehr Verbotsschilder aufgestellt werden als derzeit Erlaubnisschilder vorhanden sind. Die Bezirke, so z.B. auch die Leiterin des Grünflächenamtes Spandau, Elke Hube, weisen daraufhin, dass „im Gegensatz zu den Gebotsschildern, Radfahr-Verbotsschilder in der Regel sehr schnell beschädigt oder zerstört werden.“
Die Befürworter der Gesetzesänderung betonen, dass Radfahrerinnen und Radfahrer von sich aus auf die Benutzung kleinerer Wege und Pfade in Grünanlagen verzichten werden. Das ist unsinnig, weil Radfahrer wie auch die Fußgänger bei Alltagswegen in der Regel die kürzesten Verbindungen bevorzugen.
Die beiden Verbände FUSS e.V.-Berlin und Per Pedes e.V. haben immer wieder darauf hingewiesen, dass die bestehende Gesetzeslage den Bezirken erlaubt, geeignete Wege in Grünanlagen für den Fahrradverkehr freizugeben. Die Bezirke haben das Radfahren nach sorgfältiger Einzelfallprüfung in sehr vielen Fällen ermöglicht, halten aber zahlreiche Wege für ungeeignet. Mitunter sind auch kleinere Parkanlagen generell für den Radverkehr freigegeben worden, weil das Miteinander dort funktionieren könnte.
Dieses Vorgehen entspricht der Koalitionsvereinbarung des Senats, dass Radfahren „auf geeigneten breiten Wegen erlaubt“ werden soll. Der Berliner Fahrradbeauftragte hat bisher keine Liste der Wege vorgelegt, über deren Freigabe für den Fahrradverkehr vor Ort unter Einbeziehung der Bürger und der Betroffenenverbände zukünftig diskutiert werden sollte.
Die Fußgängerlobby hält das Radfahren in Grünanlagen - obwohl man das in den Medien gerne anders darstellen würde - auf ausgewiesenen Wegen durchaus für sinnvoll, wenn die Wegequalität dies zulässt und für den Radverkehr nur gefährliche oder unzumutbare Alternativen zur Verfügung stehen. Die von der SPD vorgeschlagene Gesetzesänderung würde die Diskussion über „Rüpel-Radler“ eher anheizen. Das aber ist eine kontraproduktive Vorgehensweise, weil damit die Verkehrsteilnehmer des Umweltverbundes gegeneinander ausgespielt werden, anstatt sich gemeinsam für bessere Verkehrsbedingungen für Fußgänger, Radfahrer und den öffentlichen Verkehr in der Stadt einzusetzen.
Nachdem Gehwege und Fußgängerzonen in den Städten Deutschlands zu Mehrzweckstreifen für alle möglichen gehenden und fahrenden Verkehrsteilnehmer umgewidmet wurden und die bundesweite Zulassung sogar von Motorfahrzeugen unmittelbar bevorsteht, bleiben den Menschen zur sicheren und unbekümmerten Bewegung und als Rückzugs- und Erholungsfläche nur noch die Grünanlagen. Mit der generellen Freigabe des Radfahrens gäbe es bald kaum noch innerstädtische Flächen, auf denen Menschen einfach ungestört die Natur genießen können, keine kontinuierliche Aufmerksamkeit notwendig ist und auch Kinder nicht ständig beobachtet werden müssen.
Wenn die Berliner über den Tellerrand sehen wollen, sollten sie sich nicht an die Provinzposse in Potsdam orientieren: Als der in Begleitung seiner frei laufenden Hunde radelnde Modeschöpfer Wolfgang Joop im Weltkulturerbe-Park Sanssouci von einem Parkwächter zur Rede gestellt wurde, erstattete er gegen ihn Anzeige. Das Vergehen des Parkwächters brachte auch seinen Prominentenkollegen in Rage, der Chefredakteur des Magazins „Cicero“ Wolfram Weimer forderte „Freiheit für die Parks“. Und so weiter... die Story läuft zur Zeit noch (Tagesspiegel 24.1.2008).
In der Schweiz, die auch in anderen Mobilitäts-Themen eine Nasenlänge voraus ist, setzten sich die Verbände „Pro Velo Schweiz“ und „Fussverkehr Schweiz“ zusammen und brachten u.a. zu Papier, was für Benutzer von Grünanlagen verträglich ist: „Park- und Grünanlagen dienen der Erholung. Velofahrende werden hier vielfach als Störung empfunden. Insbesondere Kinder sollten ungestört spielen können, weshalb eine Freigabe für Velos eher zu vermeiden ist... Als Durchgangsroute sind Park- und Grünanlagen nur geeignet, wenn der Veloverkehr konfliktfrei auf breiten oder eingegrenzten Flächen verkehren kann. Gegebenenfalls müssen Velofahrende absteigen und das Velo schieben.“
Bei der Förderung des Radverkehrs schießen Städte wie z. B. Berlin mitunter übers Ziel hinaus und verlieren dabei die Maßstäbe aus dem Auge. Die Radförderung sollte in Deutschland konsequent vorangetrieben werden als ein wesentlicher Baustein der Förderung des Umweltverbundes. Signale, dass die Umsetzung auch bei einem Nachteil für Fußgänger durchgesetzt wird, sollten zum Wohle aller Teilnehmer einer nachhaltigen Mobilität mit Augenmerk vermieden werden.
Dieser Artikel von Bernd Herzog-Schlagk ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 1/2008, erschienen.
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