Beiträge der WALK 21−Konferenz in Zürich

In Planungsprozessen wird der Fußverkehr üblicherweise gar nicht oder wenig professionell behandelt. Daten zum Verkehrsaufkommen und Prognosen zum Fußverkehr stehen meistens nicht in geeigneter Form zur Verfügung, mit Verkehrsmodellen wird nur der Strassen- und der öffentliche Verkehr modelliert, auf eine verlässliche Bewertung der Qualität von Infrastrukturen und Netzen für FußgängerInnen wird oft verzichtet, die Auswirkungen von Planungsvorhaben auf den Fußverkehr und der damit geschaffene Nutzen werden selten ermittelt. Dies meistens mit dem Argument, dass die Datengrundlagen nicht vorhanden und entsprechende Methoden und Planungsinstrumente nicht verfügbar seien. Eine Reihe von Beiträgen der WALK 21-Konferenz im September 2005 in Zürich zeigt, dass dem nicht so ist. Heutzutage kann der Fußverkehr genauso professionell wie der motorisierte Verkehr geplant werden.

Erhebung des Verkehrsaufkommens im Fußverkehr

Die Daten zum Fußgängeraufkommen auf Wegen und bei der Nutzung des öffentlichen Raums sind in vielen Städten ungenügend. Das führt dazu, dass die Bedeutung des Fußverkehrs von Verkehrspolitikern und oft auch von Verkehrs-, Stadt-und Raumplanern unterschätzt wird. Thomas Schweizer hat mehrere Möglichkeiten vorgestellt, wie die Datenlage ohne grossen Aufwand verbessert werden kann.

Relativ kostengünstig sind Handzählungen. Ein Zähler kann 2.000 bis 4.000 Personen pro Stunde zählen. Wichtig ist die Wahl der Zählstellen und auch eine gewisse Qualitätskontrolle. Beim Einsatz von Video-Geräten können über das reine Zählen hinaus mehr Sachverhalte beobachtet und ausgewertet werden, so z.B. auch Verkehrssicherheitsfragen. Die Auswertungen können wiederholt und von Dritten kontrolliert werden. Allerdings müssen gute Standplätze für die Kamera gefunden werden (idealerweise 4-6 Meter über Grund). Der Auswertungsaufwand ist im Vergleich zu Handzählungen deutlich höher.

Auch mit Hilfe von Laser-Sensoren können Zählungen von Fußgängern sowie Fahrzeugen vorgenommen werden. Diese Methode bietet den Vorteil, dass auch Geschwindigkeiten sowie Laufund Fahrwege (z.B. an Fußgängerquerungen) aufgezeichnet und kartografisch dargestellt werden können. Der Einsatz ist wetter- und zeitunabhängig. Es können sich allerdings Vandalismus- Probleme stellen, der Einsatzradius ist auf 15 m Entfernung der Personen begrenzt und es ist noch keine Standardsoftware vorhanden.

Um den Aufwand bei Zählungen zu begrenzen, können Hochrechnungen auf Basis zeitlich verkürzter Zählungen vorgenommen werden. Als Mindestzeitraum empfiehlt Schweizer 15, besser 30 Minuten und mindestens 100 gezählte FußgängerInnen. Will man die Maximalbelastung in (städtischen) Wegenetzen erfassen, empfiehlt er die Nachmittag-Stunden zwischen 16 und 18 Uhr. Er spricht sich für den Aufbau eines Zählstellennetzes für den Fuß- und Radverkehr, insbesondere in stark frequentierten Zentren und an Knoten des öffentlichen Verkehrs, aus.

Rob Methorst aus Rotterdam hat ein Modell für qualitative Prognosen zum Fußverkehr vorgestellt, das absehbare Trends und einen sich daraus ergebenden Handlungsbedarf aufzeigen kann oder das in Verkehrsszenarien eingebunden wird. Betrachtet werden Entwicklungen von folgenden Systemelementen: gesellschaftlicher Kontext, Transportsystem, physische Umwelt (z.B. Art der Flächennutzung) sowie die Funktion des ZuFußgehens selbst (z.B. im Zeitablauf ein Rückgang eigenständiger Wege und ein Anstieg von intermodalen Wegetappen zu Fuß). Prognostiziert wird, dass das Gehen in Zukunft vor allem für die wachsende Zahl von Personen mit geringen Chancen der Mobilitätsteilnahme schwieriger und riskanter sein wird.

Beurteilung der Qualität von Wegen und öffentlichen Räumen

David Allen vom englischen Planungsbüro TRL Limited hat zusammen mit Behörden ein Tool (die PERS-Software) für die standardisierte Beurteilung der Qualität von Fußwegen, Warteräumen an Haltestellen und öffentlichen Räumen entwickelt, das für die Defizitanalyse und die Priorisierung von Maßnahmen eingesetzt wird. Es umfasst ein Handbuch mit Beurteilungsanleitung, einen Erhebungsbogen für Netzabschnitte sowie Plätze und eine Auswertungssoftware. Vor Ort wird die Situation von geschulten Erhebern anhand mehrerer Qualitätsparameter auf einer Skala von minus bis plus 3 bewertet. Die Software ermittelt mit Hilfe einer Gewichtung der Parameter eine Gesamtbeurteilung. Die Ergebnisse werden in Säulendiagrammen je beurteiltem Gebiet und als Option auch in Karten dargestellt.

Ein anderer, weniger technischer Ansatz wird von der NGO „Living Streets“ verfolgt, die ebenfalls Bewertungen von Strassenräumen („community street audits“) im Rahmen ihres Projekt zur Verbesserung des Gehens durchführt („walkability model“; livingstreets.org.uk). Die Audits werden nach einem Bericht von Simon Barnett allerdings nicht von Experten allein, sondern zusammen mit Gruppen von Bewohnern organisiert, um deren lokales Wissen einzubinden. Zuerst werden in einem Treffen mit Bürgern prioritäre Themen und Räume identifiziert. In einem zweiten Schritt finden in kleinen Gruppen unter Begleitung eines Living Streets-Mitarbeiters Begehungen statt, auf denen Qualitätsbewertungen von Wegeverbindungen qualitativ-verbal durchgeführt und anschließend gemeinsam ausgewertet werden. Diese Begehungen finden je Gebiet zwei Mal statt: am Tag und zusätzlich im Dunkeln. Die so gewonnenen Ergebnisse werden durch Befragungen von FußgängerInnen zu deren Gehgewohnheiten und -einstellungen und ausserdem durch Zählungen ergänzt. Aus diesen Informationen werden prioritäre Aktionen bestimmt und mit den lokalen Verantwortlichen werden Möglichkeiten der Finanzierung gesucht.

Simulation− und Modellierung des Fußverkehrs

Verkehrsmodellanwendungen beziehen sich üblicherweise nur auf den motorisierten Verkehr und den ÖPNV. Dass man auch den Fußverkehr modellieren kann, zeigte Jake Desyllas am Beispiel einer in London geplanten neuen Tramlinie. Im Rahmen einer Analyse des öffentlichen Raums wurden die Auswirkungen der neuen Straßenbahn auf die Netzbelastung des Fußverkehrs modelliert. Einbezogen wurden Daten von 300 Zählstellen. Die Modellierung erlaubte es, den mit Änderungen im ÖV-Netz entstehenden neuen Fußverkehr zu ermitteln, die Netze für den Fußverkehr neu zu dimensionieren und Bereiche zu identifizieren, in denen öffentliche Räume aufgewertet werden müssen. Die Modellierung wurde auch eingesetzt, um die Belastung des Fußwegenetzes in einem Gebiet von 25 Quadratkilometern in der Londoner City zu bestimmen.

Für die Optimierung von frequenzstarken Fußgängerströmen - z.B. an Bahnhöfen, in und an Sportstadien sowie in Gebäuden - stehen mittlerweile Simulationstools zur Verfügung, die das Verhalten der Fußgänger personenspezifisch und in Abhängigkeit von der Umgebung simulieren (sogenannte mikroskopische Simulationen). Auf der WALK 21 würde das über Internet vertriebene Produkt simwalk vom Schweizer Entwickler Savannah Simulations AG vorgestellt. Es kann unter anderem beim Entwurf von Gebäuden und Wegeverbindungen mit dem Ziel eingesetzt werden, den Gehkomfort und die Durchlässigkeit für Fußgänger zu optimieren, Hindernisse und Engpässe für FußgängerInnen zu reduzieren und die Sicherheit zu erhöhen. Es lassen sich damit auch Massnahmen zur besseren Betriebsabwicklung an stark frequentierten Haltestellen des öffentlichen Verkehrs bestimmen.

Bewertung des Nutzens von Interventionsmaßnahmen

Breiten Raum nahm an der WALK-Konferenz das Thema der Aktivierung der Bevölkerung zu mehr physischer Bewegung ein. Dabei ging es auch um den gesellschaftlichen Nutzen dieser Massnahmen (Rita Butera). Ein Bewertungstool auf Excel-Basis zur Quantifizierung des monetären (geldwerten) Nutzens wurde in Australien und Neuseeland für das Projekt „walking school bus“ entwickelt. Dieses Tool schließt eine Lücke der meisten Verfahren für Kosten-Nutzen-Analysen: den Einbezug von Gesundheitskosten.

Ein wichtiger volkswirtschaftlicher Nutzen des Fußverkehrs liegt in der Vermeidung von Gesundheitskosten infolge einer Verringerung von Herz-Kreislauf-Krankheiten und von Diabetes. Im entwickelten Bewertungsverfahren werden darüber hinaus als Nutzenkomponenten unter anderem auch die - durch die Wege zu Fuß verringerten - gesellschaftlichen Kosten aus der Emission von Treibhausgasen sowie Einsparungen der beteiligten Haushalte bei den Pkw-Betriebskosten monetarisiert. Das entwickelte Programm ist zwar für die Nutzenbewertung von „walking busses“ konzipiert. Die zugrunde liegenden Ansätze für die Vermeidung von Gesundheitskosten könnten aber auch in Kosten-Nutzen-Analysen von anderen verkehrsplanerischen Vorhaben angewendet werden, wenn mit diesen Vorhaben Fahrten auf den Fußverkehr verlagert werden.

Weitere Informationen:

 

Dieser Artikel von Helmut Schad ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 1/2006, erschienen.

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