Rezension aus dem Kritischen Literaturdienst Fußverkehr (Krit.Lit.Fuss), Ausgabe 21/1999

Ausgangslage

Im Rahmen des Schweizer Nationalen Forschungsprogramms "Verkehr und Umwelt" wurde ein interdisziplinäres Forschungsprojekt zum Fuß- und Fahrradverkehr gefördert. Als Teil dieser Grundlagenstudie (mit Berichts- und Tagungsband) untersuchte Daniel Sauter mit Hilfe einer Co-Finanzierung von zwei Schweizer Bundesämtern die institutionellen Hindernisse im Fuß- und Fahrradverkehr. Ausgangspunkt ist die Erkenntnis, daß die Verhältnisse für Fußgänger und Radfahrer unbefriedigend sind, obwohl das Wissen, was gemacht werden müßte, vorhanden ist. Es stellt sich die Frage, wo die Ursachen für diese Umsetzungsprobleme liegen. Der Autor untersucht daher, unter welchen Rahmenbedingungen und durch welche Akteurskonstellationen verkehrspolitische Entscheidungen zustandekommen und in welcher Weise dadurch jeweils die Realisierung der erforderlichen Umsetzungsmaßnahmen blockiert wird.

Inhalt

Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen acht verschiedene Rahmenbedingungen für verkehrspolitische Entscheidungen, auf die Daniel Sauter jeweils in einzelnen Kapiteln eingeht: Begriffe, Definitionen und (verkehrsstatistische) Datengrundlagen; die Wahrnehmung von Mobilität und die damit verbundenen Images; die Ausrichtung der Prioritäten in der Verkehrspolitik; Investitions- und Finanzierungspolitik; die institutionelle Verankerung der einzelnen Verkehrsträger und Modi; das Verkehrsrecht, die Zuständigkeiten der verschiedenen staatlichen Ebenen und die Interessenorganisation. Zu jedem Thema werden jeweils Maßnahmen vorgeschlagen, die beitragen können, den Fußverkehr künftig besser in Entscheidungen zu berücksichtigen. Zudem wird jeweils der weitere Forschungsbedarf benannt. Methodische Grundlagen der Analysen sind eine Literaturauswertung, die Analyse von Medienberichten und Erfahrungen aus der Praxis, die der Autor als Mitarbeiter der Fachorganisation "Fussverkehr Schweiz" gesammelt hat, sowie Kommentare von weiteren Fachleuten. Ausgewählte Argumente und Maßnahmenvorschläge werden nachfolgend exemplarisch für vier dieser Rahmenbedingungen dargestellt:

Begriffe und Datengrundlagen: Vernachlässigbar gering erscheint der Fussverkehr, wenn die Verkehrsleistung (Personen-km) betrachtet wird. Als Alternativkonzept wird die "Verkehrseffizienz" vorgeschlagen, die ein Verhältnis der ausgeübten Aktivitäten und der zurückgelegten Kilometer mißt und zusätzlich auch die volkswirtschaftlichen Schäden des jeweiligen Verkehrsmittels einbeziehen soll. In Gemeinden liegen in der Regel gar keine Daten zum Fußverkehr vor. Hier soll ein Leitfaden für regelmäßig durchzuführende Erhebungen Abhilfe schaffen. In landesweiten Erhebungen muß die Erreichbarkeit von Aktivitätszielen zu Fuß und mit dem Rad erfaßt werden, weil sie ein wesentliches und heute nicht beachtetes Qualitätskriterium für den Langsamverkehr ist. Im Bereich der Unfallstatistik besteht der Bedarf, die (verkehrs)strukturellen Ursachen der Unfälle (also z.B. verkehrliche Mängel) zu erfassen.

Wahrnehmung des Verkehrsverhaltens: Forschung, nationale Verkehrspolitik wie die Medien konzentrieren sich auf den Fernverkehr. Der Nahbereichsverkehr erscheint als vernachlässigbare Restgröße. Die Bedeutung und Struktur der Nahmobilität und damit der Aktionsräume der meisten Menschen ist den meisten Entscheidern nicht bekannt. Gleiches gilt für den Anteil der autofreien Bevölkerung (in der Schweiz insgesamt 44%). Hier haben Verkehrsstatistik und Forschung noch eine Reihe von Aufgaben zu erledigen; zudem müssen Bewußtseins- und Imagekampagnen für den Langsamverkehr lanciert werden.

Ausrichtung der Verkehrspolitik: Auf der nationalen wie der lokalen Ebene existieren meistens seit einem oder zwei Jahrzehnten Zielvorgaben, in denen auch der Langsamverkehr vorkommt; die entsprechenden Maßnahmenprogramme sind jedoch, wie das Beispiel Zürich und Basel zeigt, sehr lückenhaft und werden offensichtlich, anders als die Maßnahmen für den Fernverkehr, nicht abgearbeitet. Hinderlich ist zudem, dass sich die Verkehrspolitik v.a. um die Organisation der Verkehrsabwicklung kümmert und dadurch eine Präferenz für technische Lösungen hat. Empfohlen werden Expertenarbeitsgruppen unter Beteiligung von NutzerInnen des Fuss- und Radverkehrs, die mit den Bundesämtern Strategien und Lösungen für die Aufwertung des Langsamverkehrs erarbeiten. Anzustreben sei eine „neue Mobilitätsverfassung, die eine gerechte Verteilung von Mobilität auf alle Verkehrsteilnahmegruppen zum Ziel hat“.

Investitionen und Finanzierung: Die Investitionen für den Fußverkehr in der Schweiz werden auf 6 bis 15 Franken pro Einwohner und Jahr geschätzt; dies ist nur rund ein Prozent aller Verkehrsinvestitionen (beim Radverkehr ungefähr das Doppelte, pro Einw. und Jahr liegt der Strassenverkehr mit ca. 500 Fr. ohne externe Kosten deutlich höher). Die Investitionen in den Fußverkehr entsprechen in keinster Weise dessen Anteil am Verkehrsaufkommen. Zudem umfassen sie auch Maßnahmen, die nur der Verminderung von MIV-bedingten Belastungen dienen (z.B. Mittelinseln). Finanzierungsregelungen erweisen sich für den Fußverkehr als gravierende Hemmnisse. Es fehlt eine verursachergerechte Finanzierung der verkehrlichen Planungen der Gemeinden, die ca. ein Drittel der Strassenkosten bestreiten, jedoch nur rund 5% der durch die Strassenbenutzer aufgebrachten Mittel erhalten. Obwohl der örtliche Fußverkehr von den Folgen der nationalen und kantonalen Verkehrspolitik beeinträchtigt wird, können die Schweizer Gemeinden kaum auf Mittel zurückgreifen, die Bund und Kantone aus der Mineralölsteuer und der Kfz-Steuer (Kantone) zur Verfügung haben und die quasi zweckgebunden (automatisiert) in den Ausbau und Erhalt der überregionalen Verkehrswege gesteckt werden. Nicht-motorisierte BewohnerInnen finanzieren zudem über Steuern und Abgaben die Infrastruktur für das Auto mit. Die Umwidmung von öffentlichem Raum in Strassenraum stellt eine weitere, indirekte Subventionierung der Motorisierten durch die Unmotorisierten dar. Das Bringen und Holen von Kindern, das aufgrund des unsicheren Strassenverkehrs immer häufiger praktiziert wird, wird unentgeltlich von den privaten Haushalten übernommen (eine Form von externen Kosten); auch Lotsendienste an Zebrastreifen werden nicht abgegolten. Die Vorschläge betreffen die Einführung eines Finanzierungsmodus, bei dem Maßnahmen, die vom Autoverkehr bedingt sind, verursachergerecht auch vom MIV getragen werden; diese Gelder müssen allerdings auch den Gemeinden zur Verfügung stehen. Für den Fuß- und Radverkehr sollen, wie für den Autoverkehr, Fonds eingerichtet werden, so daß Maßnahmen nicht aus einem allgemeinen Etat finanziert werden müssen Die Anliegen des Fuß- und Radverkehrs müssen ausserdem gleichwertig in den Finanzmitteln für die Verkehrsforschung berücksichtigt werden.

Bewertung

Beim Lesen sind viele Analogien zur Situation in Deutschland erkennbar. Sehr wichtig sind die Ausführungen zur Finanzierung des Langsamverkehrs, da hier der Schlüssel für effektive Verbesserungsmaßnahmen liegen dürfte. Die vorgeschlagenen grundsätzlichen und konkreten Maßnahmen zur Verbesserung der Situation gewährleisten die Praxisrelevanz der Forschungsarbeit. Einige wenige Vorschläge bleiben dabei allerdings zu unspezifisch (z.B. zum Weg, wie eine neue Mobilitätsverfassung angesichts der Schwäche der Lobbies für den Langsamverkehr und der auf allen politischen Ebenen und in der Forschung stark auf den Autoverkehr zugeschnittenen Strukturen etabliert werden kann).

 

Titel:

Institutionelle Hindernisse im Fuss- und Veloverkehr. Massnahmen für eine neue Verkehrspolitik.- Zürich 1999

Verfasser:

Daniel Sauter

Bezug:

Fussverkehr Schweiz, Klosbachstrasse 48, CH-8032 Zürich, Tel. 01/383 62 40, e-mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!. Preis: 28 Franken, ISBN: 3-9520290-2-5

 

Impressum:

Erstveröffentlichung dieses Beitrages im InformationsDienstVerkehr IDV, November 1999. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.

Autor dieser Ausgabe: Helmut Schad.

Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.fuss-eV.de

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