Rezension aus dem Kritischen Literaturdienst Fußverkehr (Krit.Lit.Fuss), Ausgabe 23/2000
Aus vielen Städten liegen Einzeluntersuchungen zum Fußverkehr in städtischen Teilräumen vor (siehe frühere Ausgaben des KLF). Kurzgefasste allgemeine Darstellungen zu Planungsansätzen im Bereich der Fußverkehrsplanung in Ergänzung der „Standardwerke“, wie dem VCÖ-Handbuch „Vorrang für Fußgänger“ (siehe KLF 6/94) und dem umfangreichen Fußverkehrskapitel in Heiner Monheims „Straßen für alle“, liegen bisher erst wenige vor. In einem Beitrag für das 1999 erschienene Handbuch „Umweltschutz - Grundlagen und Praxis“ haben Dirk Bräuer und Andrea Dittrich auf rund 30 Seiten die wichtigsten Ansatzpunkte einer Förderung des Zufußgehens dargestellt.
Die rein quantitative Bedeutung des Zufußgehens, gemessen an „eigenständigen“, nicht mit anderen Verkehrsmitteln auf einem Weg verknüpften Fußwegen hat in den letzten dreißig Jahren recht stark abgenommen: deren Anteil sank in Deutschland nach Socialdata von 41% im Jahr 1972 auf rund ein Viertel in den 90er Jahren (nach einer in dem besprochenen Beitrag nicht zitierten aktuellen Socialdata-Studie waren es im Jahr 1995 24%). Nimmt man jedoch nicht die Hauptverkehrsmittel, sondern die Wegeetappen als Basis, zeigt sich, dass rund drei Viertel aller Wegeetappen Fußwege sind.
Schließlich sind auch ÖPNV-NutzerInnen oder AutofahrerInnen, die von und zur Haltestelle oder von und zum Parkplatz gehen, auf Etappen ihres Weges FußgängerInnen. Bräuer und Dittrich verweisen allerdings darauf, dass die Bedeutung des Zufußgehens nicht nur mit solchen rein quantitativen Kennziffern eingeschätzt werden kann. „Denn tägliche Fußwege schaffen [auch] Identität und Identifikation mit der Umwelt und können so dazu beitragen, daß Menschen sich engagieren und verantwortlich fühlen.
Als grundsätzlichen Ansatzpunkt der Planung verweisen die Autoren auf die Notwendigkeit, mit Hilfe der Bauleitplanung, Standortplanung und Bebauungsplanung wohnungsnahe Aktivitäten zu ermöglichen und attraktiv machen („Stadt der kurzen Wege“). Die eigentliche Verkehrsmittelwahl hänge jedoch nicht nur von der Entfernung zu den Zielen, sondern auch von der Ausgestaltung der Wege, von ihrer Sicherheit und Attraktivität ab. Heute schon hat rund ein Drittel der Wege im Binnenverkehr der Städte eine Länge von bis zu einem Kilometer, liegt also in einem Entfernungsbereich, der einem durchschnittlichen Fußweg entspricht.
Eine Steigerung der Attraktivität des Gehens sollte nach dem von den Autoren vorgeschlagenen Konzept mit vier Bausteinen erreicht werden, die unter folgenden Mottos beschrieben werden:
zu 1. Raum geben:
Das Ziel soll hierbei sein, den Fußverkehr mit einer über die Erfüllung von Grundansprüchen hinausgehenden offensiven Angebotsplanung zu fördern. Für den Seitenraum der Straßen wird eine Untergliederung in eine mittige, den Fußgängern vorbehaltene Gehbahn, einen Oberstreifen zu den angrenzenden Gebäuden (in dem z.B. Schalt- oder Briefkästen untergebracht werden) und einem Unterstreifen zur Fahrbahn (mit Raum für Bäume oder Fahrradstände etc.) vorgeschlagen.
Dabei soll als Grundsatz eine für das Gehen nutzbare Breite von mindestens 2,50 m realisiert sein, in Straßen mit geschlossener Bebauung oder stärkerem Fußverkehr sind Seitenraumbreiten von mindestens 3,50 m, bei starkem Fußverkehr 4,00 bis 6,00 m, anzustreben.
Neben dem Bereitstellen von Raum muss zudem auf eine reichhaltige Gestaltung der Fußwege und des näheren Umfeldes geachtet werden, um einen Anreiz zum Gehen zu geben. Hier gilt es, viele bereits vergessene Gestaltungsprinzipien wieder zu beleben. Die einzelnen Wegabschnitte sollen sich zu einem durchgängigen Wegenetz mit unterschiedlichen Wegtypen zusammenfügen.
zu 2. Schutz bieten:
1993 waren 40% der innerorts im Verkehr getöteten Personen FußgängerInnen. Das Queren von Fahrbahnen durch FußgängerInnen muß als selbstverständliches Bedürfnis verstanden werden. Die Autoren empfehlen den vermehrten Einsatz von Zebrastreifen, v.a. in Kombination mit geschwindigkeitsdämpfenden Maßnahmen (z.B. Teil- oder Plateauaufpflasterungen, der Gewährleistung besserer Sichtverhältnisse und der Verkürzung der Querungswege mit Mittelinseln oder „Gehwegnasen“).
An Fußgängerfurten stehen je nach Situation verschiedene sicherheitssteigernde Maßnahmen zur Verfügung: die Einrichtung von kurzen Sperrzeiten (weniger als 60 Sekunden), ein “Rundum-Grün” (für die verschiedenen Arme einer Kreuzung innerhalb eines Hauptwegenetzes), konfliktfreie Schaltungen (an kompakten Kreuzungen, v.a. bei hohem Lkw-Aufkommen), Alles-Rot/Sofort-Grün-Schaltungen zu verkehrsschwachen Zeiten, sofortige Grün-Freigabe an separaten Fußgängerampeln. Sicherheitssteigernd sind außerdem Querungshilfen, wie z.B. Aufpflasterungen, Mittelinseln und vorgezogene Seitenräume. Die Sicherheit im öffentlichen Raum läßt sich mit Maßnahmen steigern, die öffentliche Räume zugänglicher und übersichtlicher machen und letztlich auch beleben.
zu 3: Ordnung schaffen:
Das Parken auf Gehwegen wird auch wegen zu seltener Ahndung in der öffentlichen Meinung bagatellisiert. In den meisten Gemeinden ist eine konsequentere Ahndung notwendig. Gleiches gilt für das Nichtbeachten des Fußgängervorrangs an Zebrastreifen sowie von Geschwindigkeitsüberschreitungen in Bereichen mit hohem Querungsbedarf.
zu 4: Bewußtsein bilden:
Über Maßnahmen zugunsten der FußgängerInnen sowie über gute Bedingungen für das Zufußgehen sollten Städte die Öffentlichkeit (inklusive Multiplikatoren) informieren. Unerlässlich ist aber auch eine Öffentlichkeitsarbeit „nach innen“, die sich an die verschiedenen Verwaltungsstellen (z.B. mit Fortbildungsmaßnahmen, Arbeitskreisen) und politische Vertreter wendet. Letztlich schafft dies erst die Voraussetzungen für die nachhaltige Wirksamkeit der Planungen.
Aus diesem Grund ist auch der Einsatz von finanziellen Ressourcen in bewußtseinsbildende Maßnahmen gerechtfertigt. Es wird empfohlen, in der Kommunikation einen Bezug zum Alltag der Menschen herzustellen, das Gehen in Verbindung mit positiven Empfindungen (Lust, Individualität oder Bequemlichkeit) zu bringen und das bürgerschaftliche Engagement (z.B. mit Foren, Bürgergutachten) zu fördern.
Der Beitrag bietet eine gute Einführung in Planungsansätze zugunsten des Fußverkehrs. Er richtet sich damit vor allem an Bürger und politisch Engagierte, die sich einen ersten, knappen Überblick über die unterschiedlichen Möglichkeiten verschaffen wollen. Insgesamt 25 Abbildungen verdeutlichen beispielhaft die Ausführungen.
Für mehr Bewegung in den Städten - Konzepte zur Förderung des Fußverkehrs. In: Umweltschutz - Grundlagen und Praxis, Bd. 16.1 (Hg.: K. Buchwald, W. Engelhardt), Bonn 1999, S. 204-235
Dirk Bräuer, Andrea Dittrich
Economica Verlag, 78 DM für den erwähnten Band
Erstveröffentlichung dieses Beitrages im InformationsDienstVerkehr IDV, Juni 2000. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.
Autor dieser Ausgabe: Helmut Schad.
Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.fuss-eV.de
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