Rezension aus der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Ausgabe 55/2008
In der verkehrsplanerischen Praxis werden selten größere Maßnahmenpakete zum Fußverkehr umgesetzt. Charakteristisch sind in vielen Städten kleinere Einzelmaßnahmen, die für sich genommen aber meistens nur eine geringe Wirkung entfalten. In einer Arbeit für das Forschungsprogramm des Schweizer Bundesamtes für Strassen wurde daher untersucht, mit welcher Methodik man eine Fülle denkbarer Einzelmaßnahmen zu wirkungsvollen Maßnahmenprogrammen bündeln könnte. Es wurde dabei ein Bezug zum Vorgehen beim Marketing für Konsumgüter hergestellt und ein Marketingansatz für den Fußverkehr entwickelt. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf methodisch-konzeptionellen Fragen.
Im Arbeitsschritt Analyse sollen die relevanten Rahmenbedingungen für die Entwicklung des Fußverkehrs identifiziert werden. Danach werden strategische „Geschäftsfelder“ definiert: Nach den Autoren ergeben sich diese aus einer Kombination der Verkehrszwecke mit den Verkehrsräumen „städtisch“, „ländlich“ und „peripher“. Für den Zweck einer Zielgruppenbildung wird auf eine vorliegende psychografische Segmentierung zurückgegriffen, die auf den Dimensionen progressiv-konservativ und innen-außen basiert. Analytisch (nicht empirisch) werden daraus vier Zielgruppen abgeleitet: hedonistische, kleinbürgerliche, religiös-wertkonservative und intellektuelle Fußgänger.
Die Strategiebildung erfolgt mit Hilfe einer Marktanalyse sowie einer Analyse des Verkehrsmittelwettbewerbs in diesen Geschäftsfeldern. Jedes strategische Geschäftsfeld wird in Bezug auf Marktattraktivität und relative Wettbewerbsstärke des Fußverkehrs mit Hilfe von Expertenwissen in einem Portfolio eingeordnet. Gut platziert sind dabei z.B. die strategischen Geschäftsfelder „städtischer Berufsverkehr“, „städtischer Ausbildungsverkehr“ und „städtischer Freizeitverkehr“. Für ausgewählte Geschäftsfelder werden daraufhin wichtige Erfolgsfaktoren, die angestrebte Marktpositionierung und messbare Ziele (z.B. bezüglich Modal Split) formuliert.
Der Marketing-Mix strukturiert die von den Autoren für den Fußverkehr entwickelten 114 Fördermaßnahmen danach, ob sie sich z.B. auf das „Produkt“ (z.B. die Infrastruktur), den Vertrieb, den Preis, Werbe- und Kommunikationsaktivitäten und einige andere Attribute beziehen. Die Autoren vertreten die Position, dass in Maßnahmenpaketen ein ausgewogenes Verhältnis dieser Maßnahmen-Elemente bestehen solle.
Die Bündelung von Maßnahmenpaketen ist ein komplexer Vorgang. Die Autoren berücksichtigen, wer Träger der jeweiligen Maßnahme sein kann, welche Zielgruppen angesprochen werden, welche Ziele bestehen und wie hoch die Kosten sind. Außerdem wird für jede Maßnahmen eine potenzielle Wirkungsstärke („Förderbeitrag“) berechnet, indem der geschätzte Beitrag zur Verbesserung der Wettbewerbsstärke des Fußverkehrs mit dem vermuteten Beitrag zur Ansprache neuer Zielgruppen multipliziert wird. Geschnürt werden daraufhin Maßnahmenpakete, die relativ wirkungsvolle Maßnahmen enthalten, die verschiedenen Elemente des Marketing-Mix abdecken und gut an lokale Anforderungen angepasst sind.
Die Autoren bewerten am Schluss die entwickelte Vorgehensweise. Sie weisen u.a. auf die Schwierigkeit hin, die lokalen Bedingungen in geeigneter Weise in die Maßnahmenbewertung einzubeziehen.
Die Arbeit orientiert sich vor allem an der „klassischen“ Schule des strategischen Marketings und der angebotsorientierten Vermarktung von „Produkten“ auf Basis eines Marketingmix. Neuere Ansätze, die die Beziehungen zwischen Kunden und den Produzenten oder Dienstleistern zum Ausgangspunkt der Produktentwicklung machen und sich dabei explizit an den Kundenerwartungen orientieren, werden nicht thematisiert. Ohne Kenntnis der Kundeneinschätzungen und des Kundenverhaltens muss die Bewertung der zu erwartenden Effektivität von Einzelmaßnahmen daher analytisch vorgenommen werden, zumal zum Zeitpunkt der Projektbearbeitung auch noch Informationen über die möglichen Zielgruppen der Maßnahmen fehlten. Die auf Basis einer allgemeinen psychografischen Kundensegmentierung abgeleiteten vier Zielgruppen haben erst einen provisorischen Charakter.
Der Bezug der konzeptionellen Überlegungen auf einzelne Wegzwecke und Raumtypen schärft das Bewusstsein für die vorhandenen Handlungschancen und zeigt prioritäre Ansatzpunkte für Verbesserungen auf. Dieses Vorgehen ist aber an das Vorhandensein differenzierter Daten zum Fußverkehr geknüpft und setzt voraus, dass die Planung zu Gunsten des Fußverkehrs von einer übergeordneten Warte aus vorgenommen wird - z.B. im Sinne einer gebietsübergreifenden Fußverkehrsentwicklungsplanung, für die in vielen Städten und Regionen institutionell aber noch die Voraussetzungen zu schaffen sind. Der Marketingansatz ist in sich stimmig und fördert ein systematisches Vorgehen bei der Planung von Verkehrsinfrastrukturen und Dienstleistungen. Er legt nah, den Fußverkehr nicht rein infrastrukturbezogen, sondern umfassender zu fördern.
Die Studie lässt erkennen, dass für eine marketingorientierte Vorgehensweise im Verkehr noch einige Grundlagen zu schaffen sind: mehr Informationen über die Erwartungen verschiedener Gruppen von Fußgängern; Wirkungsanalysen realisierter Maßnahmen, um Aussagen zur Effektivität von Maßnahmen besser abstützen zu können; letztlich auch das Vermitteln von Marketing-Know how im Bereich der Verkehrsplanung, um einen Marketingansatz dauerhaft verankern zu können.
Überlegungen zu einem Marketingansatz im Fuss- und Veloverkehr, Forschungsauftrag SVI 2001/504, Bern 2007, 62 S.
A. Blumenstein, M. Wälti, P. Hasler, P. Kissling, P. Masciadri
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Erstveröffentlichung in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Mai 2008. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.
Autor dieser Ausgabe: Helmut Schad.
Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.fuss-eV.de
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