Rezension aus der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Ausgabe 59/2009
Die EU-Arbeitsgruppe „Sport und Gesundheit“ erhielt im Jahr 2006 auf dem Treffen der EU-Sportminister das Mandat, Leitlinien für körperliche Aktivität zu erarbeiten. Diese Leitlinien sollten Prioritäten für Maßnahmen enthalten und sich an politische Entscheidungsträger wenden. Es werden darin die Vorschläge des internen „Weissbuchs Sport“ der EU-Kommission aus dem Jahr 2007 aufgegriffen und in konkretere Maßnahmen überführt. Darüber hinaus wird auch auf das von der Kommission angenommene strategische Weißbuch „Ernährung, Übergewicht, Adipositas“ Bezug genommen, worin die Auffassung vertreten wird, „dass die Mitgliedstaaten und die EU proaktive Schritte unternehmen müssen, um den Rückgang an körperlicher Bewegung in den letzten Jahrzehnten, der durch zahlreiche Faktoren begründet ist, wieder umzukehren“.
Als körperliche Aktivität wird jegliche Körperbewegung bezeichnet, die mit einer Muskelkontraktion verbunden ist und bei der der Energieverbrauch höher als im Ruhezustand ist. Diese weit gefasste Definition bezieht sich auf viele Formen körperlicher Aktivität - unter anderem auf die Bewegung aus eigener Kraft im Verkehr.
Ein körperlich aktiver Lebensstil bringt zahlreiche gesundheitliche Vorteile mit sich: ein verringertes Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, eine Verzögerung des Auftretens von arteriellem Bluthochdruck und eine verbesserte Kontrolle des Blutdrucks bei Personen, die unter Bluthochdruck leiden. Weitere positive Effekte sind eine gute Herz-Lungen-Funktion, eine geringe Häufigkeit von Typ-2-Diabetes, ein geringeres Risiko bestimmter Krebserkrankungen, die Verhütung von Osteoporose im höheren Alter und ein geringeres Risiko von Depressionen und Demenz.
Für gesunde Erwachsene im Alter zwischen 18 und 65 Jahren und Senioren werden als Ziel mindestens 30 Minuten gemäßigte körperliche Aktivität an fünf Tagen in der Woche oder mindestens 20 Minuten intensive körperliche Aktivität an drei Tagen in der Woche empfohlen; für Kinder und Jugendliche dagegen 60 Minuten gemäßigter körperlicher Aktivität pro Tag. Zu den gemäßigten körperlichen Aktivitäten zählt auch mäßiges und zügiges Zufußgehen auf Wegen zur Schule, zur Arbeit, zum Einkaufen und zur Erholung. Laufen als Fortbewegungsmittel allein kann bereits die Sterblichkeitsrate senken; noch mehr gilt dies für Radfahren.
Die Leitlinie empfiehlt ein sektorenübergreifendes Vorgehen, das neben Maßnahmen in den Bereichen Sport, Gesundheit und Bildung auch solche in den Bereichen Verkehrswesen, Umwelt, Städteplanung und öffentliche Sicherheit umfassen soll.
Es wird darauf hingewiesen, dass die Bedingungen des Umfeldes, in dem die Menschen leben, einen entscheidenden Einfluss auf die Herausbildung bestimmter Bewegungsgewohnheiten haben. In Umfeldern, die auf die Nutzung von Kraftfahrzeugen ausgerichtet sind, nimmt z.B. die Tendenz zu Übergewicht und Fettleibigkeit zu. Eine negative Einstellung der Eltern zur Sicherheit in der Wohngegend wirkt sich ungünstig auf die Bewegung von Kindern aus. Dies betrifft auch die wahrgenommene Verkehrssicherheit für Zufußgehende und Radfahrende. Einen positiven Faktor stellen attraktive Grünflächen und für den Aufenthalt abgeteilte Straßenbereiche dar. Auch eine intakte, attraktive Umwelt wird als bewegungsfördernd eingestuft, weil sie mehr Spaß bei der körperlichen Bewegung bietet.
Zu einzelnen dieser Aspekte werden Beispiele für gute Maßnahmen in europäischen Ländern aufgeführt. So kooperieren z.B. „Sport England“ und das Gesundheitsministerium mit Stadtplanern, Entwicklern und Architekten bei der Gestaltung neuer Wohngebiete. Mit der Anleitung „active design“ (aktive Stadtgestaltung) sollen körperliche Aktivitäten durch die Prinzipien Zugänglichkeit (zu Fuß und mit dem Rad), komfortable Gestaltung und bessere Bekanntmachung der Angebote gefördert werden.
Die im Bereich Stadt- und Verkehrsplanung empfohlenen Maßnahmen umfassen acht von insgesamt 40 der Leitlinien: Formen des aktiven Pendelns sind in nationalen, regionalen und lokalen Planungsunterlagen zu berücksichtigen (Handlungsmaßnahme Nr. 26); Investitionen in Infrastrukturen für Pendler sollen mit Informationskampagnen über den gesundheitlichen Nutzen aktiven Pendelns einhergehen (Nr. 27). Wenn Planungsbehörden Baugenehmigungen erteilen, haben sie ein sicheres Umfeld und die Möglichkeiten für Wege zu Fuß zwischen Wohnung, Haltestelle, Dienstleistungsstandorten und Erholungsräumen zu berücksichtigen (Nr. 28). Die Verkehrspolizei hat sicherzustellen, dass Fußgängern ein ausreichendes Maß an Sicherheit geboten wird (Nr. 30). Die staatlichen Stellen sollen den Schutz der Umwelt auch im Lichte der körperlichen Betätigung im Freien sehen (Nr. 31) und sicherzustellen, dass dem kindlichen Spielbedürfnis in der kommunalen Städteplanung und beim Städtebau genügend Raum zur Verfügung gestellt wird (Nr. 32).
Im Handlungsfeld „Arbeitsumfeld“ wird Arbeitgebern und Gewerkschaften empfohlen, das Zurücklegen des Wegs von und zur Arbeit zu Fuß und per Rad zu unterstützen. Im Handlungsfeld „ältere Mitbürger“ sollen Infrastrukturen angeboten werden, die körperliche Aktivität für ältere Menschen attraktiver machen - auch im Bewusstsein, dass damit medizinische Behandlungskosten eingespart werden können (Maßnahme Nr. 36). In Maßnahme 38 setzt sich die Leitlinie für eine bessere Überprüfung der Umsetzung und der Wirkung von bewegungsfördernden Maßnahmen ein.
Die EU-Leitlinien räumen der aktiven Bewegung im Verkehr einen hohen Stellenwert ein. Sie setzen sich für die Integration von Maßnahmen der Stadt- und Verkehrsplanung in eine multisektorale Strategie der Bewegungsförderung ein und bezeichnen Aufgaben der staatlichen Stellen in mehreren Maßnahmenfeldern. Die Förderung des Zufußgehens erhält damit eine intensive Unterstützung von Seiten der Sport- und Gesundheitspolitik. Die Leitlinien haben allerdings nur empfehlenden Charakter. Inhaltlich konzentrieren sich die Maßnahmen zu Gunsten des Fußverkehrs noch recht stark auf den Pendlerverkehr.
EU-Leitlinien für körperliche Aktivität. Empfohlene politische Massnahmen zur Unterstützung gesundheitsför-dernder körperlicher Betätigung. 38 Seiten, Brüssel, 10. Okt. 2008
Diverse Autoren (22 Experten) sowie EU-Arbeitsgruppe „Sport & Gesundheit“
http://ec.europa.eu/sport/news/news682_en.htm
Erstveröffentlichung in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Mai 2009. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.
Autor dieser Ausgabe: Helmut Schad.
Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.fuss-eV.de
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