Rezension aus der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Ausgabe 68/2011
Auf der Ebene der Schweizer Kantone sind Richtpläne das zentrale Instrument der Raumplanung. Mit ihnen wird eine koordinierte räumliche Entwicklung der verschiedenen Sachgebiete (Verkehr, Siedlung, Infrastrukturen etc.) vorgenommen und ein Rahmen für die Entwicklung der Gemeinden gesetzt. Als Bestandteil dieses Planungsprozesses erarbeiten einige Kantone für das Gebiet der Verkehrsplanung eigene Verkehrsrichtpläne, die den Gesamtverkehr oder einzelne Verkehrsträger zum Gegenstand haben.
Im Kanton Genf hat die Regierung am 31. März 2011 einen Richtplan (plan directeur) für den Fuß- und Radverkehr (mobilité douce = sanfte Mobilität) angenommen. In ihm sind die Strategie und wichtige Aktionsfelder für die Jahre 2011 bis 2014 festgelegt. Er ergänzt die beiden schon bestehenden Teilpläne für den öffentlichen Verkehr und den Straßenverkehr. Der Plan wurde von einer Regierungsdelegation und Verwaltungsstellen unter Mitwirkung eines Planungsbüros erarbeitet. Es erfolgte dabei eine Konsultation der Gemeinden; in einer technischen Arbeitsgruppe waren außerdem die Fachverbände für den Fuß- und Radverkehr sowie die ÖPNV-Betriebe einbezogen. Das Dokument wird noch dem Kantonsparlament zur Abstimmung vorgelegt. Die hier besprochene, attraktiv aufgemachte Broschüre informiert über die Ausgangslage, die Strategie und wichtige Aktionsfelder der Planung zu Gunsten des Fuß- und Radverkehrs. Sie richtet sich an die 465.000 Einwohner in den 45 Gemeinden des Kantons (davon 190.000 in der Stadt Genf) sowie an Behörden und Unternehmen.
Die Planung wird mit der Feststellung einer zu geringen Berücksichtigung des Fuß- und Radverkehrs in mehreren Bereichen begründet: Bei den geplanten Verkehrsprojekten, im Bewusstsein der Bevölkerung, in den kantonalen Gesetzen sowie im alltäglichen Umgang mit Fußgängerinnen und Fußgängern auf den Verkehrsflächen. Als Kernelement der formulierten Strategie wird denn auch eine Einstellungsänderung bei den maßgeblichen Akteuren im Verkehrsbereich angestrebt. Es werden drei allgemeine strategische Ziele formuliert:
(1) Der Fuss- und Radverkehr soll neben dem motorisierten Individualverkehr (MIV) und dem öffentlichen Verkehr (ÖV) als eine gleichrangige dritte Säule behandelt werden. (2) Er soll so attraktiv gestaltet werden, dass er einen Beitrag zur Entlastung der Infrastrukturen des MIV und des ÖV insbesondere in den Spitzenstunden leistet und außerdem dabei hilft, das Potenzial für den öffentlichen Verkehr besser auszuschöpfen - dies auch, um die Wirksamkeit aktueller Bahnbauten zu garantieren. (3) In der Planung soll die Koordination zwischen den Akteuren auf kantonaler und kommunaler Ebene verbessert werden.
In der Strategie werden quantitative Wirkungsziele formuliert: Kurzfristig soll der Anteil des Fußverkehrs an den Wegen der Bevölkerung bis 2014 um 0.5 Prozentpunkte auf 36.5% gesteigert werden. Bis 2030 wird ein Anteil von 39% angestrebt (Rad: 7.7%).
Der formulierte Aktionsplan umfasst bis zum Jahr 2014 umsetzbare Maßnahmen in sieben Feldern; vier davon betreffen den Fußverkehr. Die Maßnahmen werden in Maßnahmenblättern beschrieben, in denen jeweils das Ziel, die bestehenden Grundlagen, die neuen Maßnahmen und die nächsten Umsetzungsschritte dargestellt werden.
Qualitätsverbesserung: Der Richtplan soll gewährleisten, dass überall im Kantonsgebiet hohe Standards für den Fußverkehr erfüllt werden und das Wegenetz über die Gemeindegrenzen hinweg kohärent ist. Dazu dient ein GIS-Tool, in dem alle Planungen für den Fußverkehr dargestellt werden. Die Lichtsignalsteuerung an Knoten sowie die Gestaltung öffentlicher Räume sollen überprüft werden. Überlegungen werden auch zur Planung an Schnittstellen des ÖV und zur Überquerung großer Verkehrsinfrastrukturen (Autobahnen etc.) angestellt. Das Wanderwegenetz wird bis in die Stadtzentren hinein fortgeführt.
Erhalt der Funktionsfähigkeit: Eine Informationskampagne bereitet verstärkte Kontrollen des Gehwegparkens vor. Eine Kommission nimmt sich der Behinderungen an Baustellen sowie denen durch den Lieferverkehr an. Auch die Standards zum Unterhalt der Wege (Winterdienst etc.) werden überprüft.
Koordination und Partizipation: Im Internet soll für Gehende eine Möglichkeit zum Vorbringen von Reklamationen und Vorschlägen geschaffen werden. Zudem wird eine Plattform für den Dialog zwischen Kanton, Gemeinden, Verbänden und Verkehrsbetrieben während der Umsetzung des Plans eingerichtet. In einem Leitfaden für Planer werden die Grundsätze für eine neue gemeinsame Planungskultur zu Gunsten des Fuß- und Radverkehrs festgehalten.
Projektstruktur: Im Amt für Mobilität (direction général de la mobilité) wird eine Leitung für den Fuß- und Veloverkehr etabliert; deren Aufgaben werden in einem Pflichtenheft festgelegt und Budgets für die Begleitung bestimmt.
Mit den vergleichsweise geringen Ausgaben des Aktionsplans verspricht man sich, die vorhandenen Verkehrsflächen effizienter nutzen zu können. Neben diesem verkehrlichen Nutzen werden positive Wirkungen auf die Gesundheit der Bevölkerung erwartet.
Als etabliertes kantonales Planungsinstrument hat das Dokument einen hohen Grad an Verbindlichkeit. Das Schaffen einer eigenen Verwaltungsstelle vergrößert die Chancen einer wirkungsvollen Umsetzung der geplanten Maßnahmen. Zu begrüßen ist die Festlegung von Zielwerten für den Anteil des Fußverkehrs am Gesamtverkehr der Bevölkerung. Der Zeitraum für die Umsetzung der entwickelten Maßnahmen bis 2014 ist allerdings anspruchsvoll und scheint eher knapp bemessen zu sein. Unklar ist, inwieweit die finanziellen Ressourcen hierfür tatsächlich bereitgestellt werden. Die Strategie ist dort noch defensiv formuliert, wo sie die Förderung des Fuß- und Radverkehrs vor allem als Instrument zur Entlastung des MIV und des ÖV ansieht. Das Herausstellen dieses Arguments kann mit Blick auf die Vorlage im Parlament politisch-taktische Gründe gehabt haben. Man hätte sich aber noch weitere Argumente gewünscht, die eigenständige Nutzen des Fußverkehrs herausstellen.
Plan directeur de la mobilité douce. 34 S., Genf 2011
Etat de Genève, Direction générale de la mobilité(Hrsg.)
download:www.ge.ch/mobilite. Preis: gratis
Erstveröffentlichung in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, August 2011. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.
Autor dieser Ausgabe: Helmut Schad.
Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.fuss-eV.de
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