Rezension aus der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Ausgabe 74/2013
Das Internationale Transport Forum (ITF) arbeitet als zwischenstaatliche Organisation von 54 Mitgliedsländern unter dem Dach der OECD. Es sieht sich als „strategischer Think Tank“ in Bezug auf die globale, länderübergreifende Verkehrspolitik und will die Politiken in den einzelnen Mitgliedsländern unterstützen. Im Jahr 2012 wurde ein ITF-Forschungsbericht zum Themenkreis „Fussgängersicherheit, städtischer Raum und Gesundheit“ herausgegeben, der auf der Arbeit eines interdisziplinären Gremiums von über 30 Experten aus 19 Ländern beruht. Ausgewertet wurden von dieser Gruppe Veröffentlichungen, die sich mit der Verbesserung von Umwelten für das Zufußgehen auseinandersetzen (so unter anderem die COST-Studie 358 zu den Qualitätsanforderungen von Zufussgehenden, siehe Krit. Lit. Fuss 69/2011). Das Zielpublikum des Berichts wird in Fachleuten sowie Entscheidungsträgern auf den Ebenen der Mitgliedsstaaten gesehen.
Der Bericht behandelt in acht Kapiteln die Ausgangslage für die Förderung des Zufußgehens, stellt vergleichend die aktuelle Situation in einer Reihe von Ländern dar, zeigt die verschiedenen Nutzen des Fußverkehrs auf, dokumentiert umfassend die wichtigsten Planungsprinzipien und steckt den Rahmen für eine Fußverkehrsstrategie ab. In einem abschließenden Kapitel werden die wichtigsten Empfehlungen griffig in einem 12-Punkte-Programm zusammengefasst.
Bemerkenswert ist die zentrale These des Berichts, wonach der Fußverkehr aufgrund seiner Potenziale und gesellschaftlichen Nutzen eine wichtige Position auf der politischen Agenda der nationalen staatlichen Ebenen einnehmen sollte (in Deutschland also der Bundesebene). Damit wird der Behauptung widersprochen, der Fußverkehr sei lediglich ein lokales Thema, das nur die Gemeinden anpacken sollten. Begründet wird dies damit, dass der Fußverkehr ein Kern-Element einer Verkehrspolitik ist, die auf Probleme wie den Klimawandel, die Abhängigkeit von fossilen Treibstoffen, Umweltverschmutzung und die starke Zunahme des motorisierten Verkehrs reagieren muss. Zudem wird der positive Beitrag für die Gewährleistung der Mobilität einer alternden Bevölkerung und den Erhalt der Gesundheit der Bevölkerung hervorgehoben. Und der Fußverkehr wird als eine Voraussetzung für belebte und lebenswerte Städte angesehen.
Aufgrund dieses vielfältigen Nutzens wird von den Mitgliedsländern mit Nachdruck („imperativ“) die Entwicklung und Umsetzung von Fußverkehrsstrategien gefordert. Staatliche Stellen und Verwaltungen werden aufgefordert, im Prozess der Strategieentwicklung und -umsetzung eine aktive und führende Rolle zu übernehmen. Ihre Aufgabe soll darin liegen, den Rahmen für alle fußverkehrsbezogenen Aktivitäten in den jeweiligen Ländern zu setzen. Auf dieser Basis soll jeweils auf der nationalen Ebene ein Prozess der Zusammenarbeit zwischen allen relevanten Ministerien und Fachstellen etabliert werden, der idealerweise von einer koordinierenden Organisation geführt wird. Als Produkt dieser Arbeit soll ein nationaler Fußverkehrsplan entwickelt werden, der auf der Bundesebene koordinierend wirkt und eine Leitlinie für Verwaltungen der Kommunen darstellt.
Er soll dazu führen, dass auch auf der Gemeindeebene Fußverkehrspläne von professionellen Fachkräften entwickelt werden. Die Trägerschaft wird bei vorhandenen oder noch zu schaffenden Verwaltungsstellen gesehen. Diese Pläne sollen neben den „technischen“ Inhalten auch die Art der öffentlichen Mitwirkung und die Finanzierung von Maßnahmen bezeichnen. Zudem wird es als notwendig angesehen, Nicht-Regierungsorganisationen finanziell zu unterstützen, damit sie die Interessen und Anforderungen der heterogenen Anspruchsgruppen der Zufußgehenden bündeln und in den Entwicklungsprozess einbringen.
Darüber hinaus soll auf der nationalen Ebene ein Kompetenzzentrum eingerichtet werden, das Wissen in Bezug auf die effektive Förderung des Zufußgehens entwickelt und für den Planungsprozess nutzbar macht (z.B. mittels einer Dokumentation guter Beispiele und der Entwicklung von Normen und Standards).
Diese Kernaktivitäten sollen von begleitenden Politiken unterstützt werden: einer Stadtplanung, die die Abhängigkeit der Menschen vom Auto reduziert; einer starken Berücksichtigung des Fußverkehrs in der Verkehrssicherheitspolitik sowie der Gesundheitspolitik; einer verbesserten Ausbildung und einer Weiterbildung von Fachleuten, inklusive des Schaffens von Arbeitsstellen für Fußverkehrsexperten. Auch eine bessere Integration des Fußverkehrs in Planungsinstrumente, Verkehrsmodelle, Datenerhebungen und Gestaltungsrichtlinien soll erreicht werden.
Die Analysen und Empfehlungen repräsentieren gut den Stand der Fachdiskussion. Inhaltlich wird der Bogen weit gespannt. Die Themen Gesundheit, Wohlbefinden und Sicherheit erhalten ein starkes Gewicht - auch aufgrund des zentralen Arguments, wonach staatliche Stellen eine Verantwortung bei der Entwicklung des Fußverkehrs übernehmen sollen, weil sich auf diese Weise nicht nur ökonomische, sondern auch gesundheits-, gesellschafts- und umweltpolitische Ziele erreichen lassen. Zu den notwendigen Akteuren einer so ausgerichteten Förderpolitik zählen dann nicht nur die Politik und Verwaltung auf der Gemeindeebene. Dies erweitert das Feld der möglichen strategischen Ansätze enorm. Das hohe Renommee der OECD und des ITF kann dabei helfen, eine solche neue strategische Ausrichtung der Fußverkehrsförderung mit Vertretern des Bundes und der Länder zu diskutieren.
Die Empfehlungen sind naturgemäß noch aus einer recht hohen „Flughöhe“ formuliert, denn sie richten sich an einen internationalen Leserkreis. Für die Politik in den einzelnen Ländern müssen sie weiter konkretisiert werden. Eine Hilfe bieten aber die in jedem Kapitel eingefügten „guten Beispiele“ aus einzelnen Ländern. An die wissenschaftlich Interessierten richtet sich die elfseitige Literaturliste. Die wichtigen Botschaften („key messages“) und die zentralen Empfehlungen sind zusätzlich noch einmal in knappen Kapiteln zusammen gefasst.
Pedestrian Safety, Urban Space and Health. Research Report. Paris: OECD Publishing, 113 S.
International Transport Forum (2012)
http://www.oecdbookshop.org, 21 EUR eBook, 30 EUR Brosch.
Erstveröffentlichung in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung, Februar 2012. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.
Autor dieser Ausgabe: Helmut Schad.
Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.fuss-eV.de
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