Rezension aus dem Kritischen Literaturdienst Fußverkehr (Krit.Lit.Fuss), Ausgabe 31/2002

Ausgangslage

Im Jahr 2001 wurde die Neufassung der Richtlinien für die Anlage und Ausstattung von Fußgängerüberwegen (R-FGÜ) bekannt gegeben. Gegenüber der alten Fassung der R-FGÜ aus dem Jahr 1984 wurden die Grundsätze und die verkehrlichen Voraussetzungen für die Anlage von Fussgängerüberwegen (FGÜ) modifiziert. Bei dieser Neufassung wurden Ergebnisse verschiedener wissenschaftlicher Studien berücksichtigt.

Eine dieser Studien ist eine Untersuchung von Carola Mennicken, die im Rahmen eines vom Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen geförderten Forschungsprojektes erstellt wurde. Diese Studie hat für die aktuelle Planung insofern Bedeutung als die Bewertung der Einsatzmöglichkeiten von Zebrastreifen nicht nur in Abhängigkeit von den Verkehrsstärken, sondern der Gesamtheit verkehrlicher, baulicher, umfeldbezogener und sonstiger Komponenten untersucht wurde. Daraus wurden Empfehlungen zu Einsatzkriterien für Fussgängerüberwege abgeleitet, die an mehreren Stellen über die letztlich in der R-FGÜ getroffenen Festlegungen hinaus reichen und zeigen, wie wichtig ein massgeschneiderter, ganzheitlicher Strassenraumentwurf ist.

Inhalt

Die als Dissertationsschrift veröffentlichte Studie geht von einer Literaturanalyse und einem Vergleich der Regelungen in der Schweiz, Österreich und Großbritannien aus. Darauf bauen sich mehrere eigene empirische Analysen auf: eine makroskopische und mikroskopische Unfallanalyse (letztere für die Untersuchungsorte Rostock, Hannover, Karlsruhe, Augsburg und ländliche Gemeinden im Augsburger Umland) sowie eine qualitative und eine quantitative Verkehrssituationsanalyse.

Die Unfallanalysen zeigen, dass Unfälle mit Fußgängerbeteiligung vom Typ „Überschreitenunfall“ im Vergleich zu allen anderen Unfalltypen mit dem höchsten Anteil Getöteter und Schwerverletzter als besonders schwer einzustufen sind. Nur 4% der Unfälle dieses Typs fanden in den ausgewählten Orten an Zebrastreifen statt, deutlich mehr (18%) auf Fußgängerfurten und 70% an beliebigen Stellen auf der Fahrbahn. Dabei war die Verletzungsschwere auf Fußgängerüberwegen tendenziell geringer als an den anderen Stellen. Die Verkehrssituation wurde für 466 Zebrastreifen detailliert erhoben (davon 70 mit Fußgängerunfällen).

Die Ausstattung mit Teilaufpflasterungen oder Einengungen, die Lage an Knotenpunkten neben Dreiecksinseln sowie eine zulässige Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h wirkten sich positiv auf die Unfälle an FGÜ aus. FGÜ mit mehr als 900 Kfz/Spitzenstunde traten wesentlich häufiger als Unfallstellen auf als FGÜ mit Kfz-Verkehrsstärken, die im Rahmen oder unter dem Einsatzbereich der R-FGÜ 84 lagen. FGÜ mit Fußgängerunfällen lagen überproportional häufig in Nähe von Nahverkehrshaltestellen.

Geschwindigkeitsmessungen zeigten, dass immerhin 51% der Kfz im Falle einer Notreaktion an FGÜ nur noch auf oder hinter dem Zebrastreifen zum Halten kommen könnten. Gut ein Drittel der Fußgängerquerungen fand ohne Interaktionen mit Kraftfahrern statt, bei den beobachteten rund 21.000 Interaktionen handelte es sich nur zu einem geringen Teil um verkehrsunsichere Interaktionen; der niedrige Anteil kam aber auch dadurch zustande, dass Fußgänger auf ihr Vortrittsrecht verzichteten. Aus Sicht der Autofahrer führte das Vorhandensein eines Zebrastreifens nur selten zu einer Einschränkung des Verkehrsablaufs.

Aus den Analysen werden differenzierte Einsatzkriterien für Fußgängerüberwege abgeleitet. Die Empfehlungen enthalten einige Unterschiede zur später (2001) erfolgten Neufassung der R-FGÜ: Der Einsatz von FGÜ muss nach der Autorin aus Sicherheitsgründen nicht an Mindest- oder Maximalbelastungen im Fußgängerquerverkehr gebunden werden. Als oberer Richtwert für die Kfz-Belastung in der Spitzenstunde werden 900 Kfz genannt. FGÜ mit Mittelinsel werden insbesondere für stärker belastete Straßen (unter 900 Kfz/Spitzenstunde pro Fahrtrichtung) als geeignet angesehen, wenn gleichzeitig die Fahrstreifenbreite neben der Insel minimiert wird. In Fällen mit zulässiger Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h soll durch betriebliche oder bauliche Massnahmen sicher gestellt werden, dass die V85 unter 40 km/h liegt.

Bewertung

Die Studie umfasst einen umfangreichen Analyse- und Dokumentationsteil. Die Empfehlungen der Autorin sprechen dafür, situationsabhängig zu prüfen, FGÜ auch ausserhalb der verkehrlichen Einsatzkriterien gemäss R-FGÜ anzuordnen, was die R-FGÜ in Ausnahmefällen auch zubilligt. Die Unfallanalysen zeigen, dass der Anlage von FGÜ in Nähe von Haltestellen des ÖPNV besondere Beachtung beizumessen ist. Zentral ist nach den Analysen zudem, die Geschwindigkeit des Kfz-Verkehrs vor FGÜ, noch stärker als es die R-FGÜ nahe legt, auf ein sicheres Niveau zu senken.

 

Titel:

Sicherheits- und Einsatzkriterien für Fussgängerüberwege. (Veröffentlichungen des IvH der Universität Hannover, Band 24), Hannover 1999, 214 S. plus ca. 300 S. Dokumentation.

Verfasser:

Dr. Carola Mennicken

Bezug:

Institut für Verkehrswirtschaft, Strassenwesen und Städtebau, Appelstrasse 9A, 30167 Hannover. ISBN 3-922344-24-0. Preis: 26 ?

 

Impressum:

Erstveröffentlichung dieses Beitrages im InformationsDienstVerkehr IDV, Juni 2002. Der Kritische Literaturdienst Fußverkehr Krit.Lit.Fuss erscheint seit 1992 als Beilage des InformationsDienstes Verkehr IDV und nach der Namensumbenennung ab dem Jahr 2002 vierteljährlich in der mobilogisch! Zeitschrift für Ökologie, Politik & Bewegung.

Autor dieser Ausgabe: Helmut Schad.

Herausgeber: FUSS e.V. Fachverband Fußverkehr Deutschland, Exerzierstraße 20, 13357 Berlin, Tel. 030/492 74 73, Fax 030/492 79 72, eMail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.fuss-eV.de

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