„Alt wird man wohl,
wer aber klug?“(1)

Zahlreiche Senioren von heute gehören zu den Pionieren des Kfz-Verkehrs von gestern. Als Überlebende des 2. Weltkrieges haben sie größtenteils die Massenmotorisierung begrüßt und viele, ja sehr viele von ihnen haben schon vorher jede neue Straße voller Freude registriert. Es soll noch heute Menschen unter den Senioren geben, die einem gerade mal 12 Jahre lang regierenden ”Führer” trotz aller scheußlichsten Untaten zugute halten, dass er ”Autobahnen” gebaut hat.

Aber gleich nach dem Wegräumen des Schutts von der Straße ging es auch schon los mit der Totalmobilisierung. Der Slogan ”Freie Fahrt für freie Bürger” war ein Befreiungsakt, das eigene Auto das höchste Glücksgefühl. Mann wollte vergessen und hielt sich am Steuerknüppel fest. Die Frau hatte sich Steine klopfend am Aufbau ausreichend emanzipiert, jetzt wurde sie wieder zur ”Mit”fahrerin.

Betrachtet man die Statistiken der Autofahrer nach der Altersstruktur, ist erkennbar, dass viele Senioren noch heute an dieser ”Freiheit” festhalten, obwohl oder vielleicht auch gerade weil sie nicht mehr richtig gehen, sehen oder hören können; das Autofahren ist für sie selbst immer noch das Sicherste. Auch wegen der vielen Kriminellen und Ausländer, die bei eintretender Dunkelheit sofort zuschlagen würden, wenn man als Senior kein Schutzblech hätte. So sind unsere Senioren. Sind sie so?

Die ältere Generation hat versucht, die Leiden im Krieg und in den Nachkriegszeiten durch Konsum und Auto auszugleichen. Das ist sehr verständlich. Doch muss hinzugefügt werden, dass sie der Fluch der Autobesessenheit nun einholt, so dass sie wiederum die Leidtragenden sind. Eine mehrfach betrogene Generation bekommt die Folgen der Massenmotorisierung zu großen Teilen als Fußgänger zu spüren: Auf den Bürgersteigen ist kein Durchkommen, die Zebrastreifen sind nahezu abgeschafft, die Wege zur nächsten Ampel oder zur Haltestelle sind weit und vor allem, das Queren der Straße ist gefährlich, lebensgefährlich.

Da hilft der Hinweis nur wenig weiter, dass die Menschen im Alter von 65 Jahren aufwärts rein statistisch bei den Verkehrsverletzten unterrepräsentiert und beim Anteil der Verkehrstoten mit ca. 16 % fast genau mit ihrem Bevölkerungsanteil betroffen sind. (2) Wieso sollte sich auch eine ängstliche 80jährige Frau beim Versuch einer Fahrbahnquerung dafür interessieren, dass der vor Lebenskraft nur so sprühende 30jährige Lenker des Motorrades ein dreimal so hohes Todesrisiko hat? (3)

Auf die Gefahren des Straßenverkehrs, auf Barrieren und Beschwernisse reagieren ältere Menschen in der Regel mit dem Rückzug. Die Tatsache, dass die Verkehrsteilnahme im Alter sehr stark abnimmt, lässt die Risikobetrachtungen in einem ganz anderen Licht erscheinen:

Das Fußgänger-Unfallrisiko der erwachsenen deutschen Wohnbevölkerung nimmt etwa bis zum 65. Lebensjahr kontinuierlich ab, steigt etwa bis zum 75. Lebensjahr wieder an und nimmt dann für Menschen im Alter von über 75 Jahren erschreckende Höchstwerte an.

Bezogen auf die Einwohnerzahl der Altersgruppe steigt die Zahl der Verunglückten etwa ab dem 65. Lebensjahr auf das Doppelte. Viel dramatischer ist die Entwicklung bei der Zahl der Verunglückten, bezogen auf die Zeit der Verkehrsteilnahme. Als Fußgänger gehören ältere Menschen ab 65 Jahren zu den am stärksten unfallgefährdeten Verkehrsteilnehmern. Die Angst dieser Generation vor einem Verkehrsunfall ist also mehr als berechtigt.

Etwa 35.000 Menschen im Alter ab 65 Jahren verunglücken jährlich im Straßenverkehr. In den Mobilitäts-Tageszeiten älterer Menschen wird ca. alle 10 Minuten in Deutschland ein Mensch ab 65 verletzt oder getötet. Warum gibt es keinen Aufschrei, dass es so nicht weitergehen darf?

Die Verminderung der Kraftfahrzeug-Geschwindigkeiten im Stadtverkehr und Einschränkungen des Kfz-Verkehrs auf ein stadtverträgliches Maß hätten für ältere Fußgänger große Vorteile:

  • Auf freien Bürgersteigen geht es sich angenehmer und sicherer.
  • Mehr Straßenbahnen und Busse könnten ihnen längere Fußwege abnehmen.
  • Gibt es wieder mehr Geschäfte in der Nachbarschaft, so sind Selbstversorgung und Unabhängigkeit länger möglich.

Wäre das Gehen in unseren Straßen angenehmer, könnten sich vereinsamte Senioren leichter ”unter´s Volk mischen”. Gibt es mehr Fußgänger, können Senioren sich sicherer vor Überfällen fühlen. Sie finden dann auch häufiger Hilfestellungen beim Überqueren der Straße. Sicher lassen sich nicht alle Unannehmlichkeiten des Alters beseitigen. Aber die schöneren Seiten des Alters sind dann eher zu erleben, wenn wir uns öfter ohne Blechpanzer begegnen.

Im Sinne des von den Seniorenverbänden eingebrachten Manifestes ”Schafft den Ruhestand ab!” brauchen wir querdenkende Senioren, die noch unruhig genug sind, um diese Dinge mit anzupacken. Für sich selbst, für ihre Kinder, für die Enkelkinder.

Quellennachweise:

  1. Johann Wolfgang von Goethe: Faust
  2. Verkehr in Zahlen 1998 für das Jahr 1997
  3. vgl. A.F. Fritzsche: Wie gefährlich leben wir? Risikokatalog. Verlag TÜV Rheinland, 1992

 

Dieser Artikel von Angelika Schlansky und Bernd Herzog-Schlagk ist ein Auszug aus der Veröffentlichung: SENIOREN zu FUSS - Aufsätze, Dokumente und Zwischenrufe, FUSS e.V. (Hrsg.), 2000

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