Nach dem es einige Jahre um die ADAC-Kampagne gegen den „Schilderwald“ ruhig blieb, ist sie jetzt von den Medien wieder entdeckt worden. Leider wird in der Berichterstattung diese Kampagne oft in einen inhaltlichen Zusammenhang mit dem neuen Verkehrskonzept „Shared space“ des niederländischen Verkehrsplaners Hans Monderman gebracht. Der hat diese Nachbarschaft aber nicht verdient.
1997 startete der ADAC eine Kampagne, mit der er Kommunen aufforderte, für eine gewisse Zeit möglichst viele Verkehrszeichen zu verdecken, um so zu erproben, welche Schilder tatsächlich nötig seien. Das klingt und klang sehr vernünftig, zumal der ADAC nicht vergaß, Polizei, Straßenverkehrsbehörden und Unfallkommissionen dabei einzubinden.
In diesem Sinne wurde auch im selben Jahr die StVO verändert. Dort taucht nun im Text für die Verkehrsteilnehmer eine Vorschrift für die Verwaltungen auf, dass „Verkehrszeichen... nur dort anzuordnen (sind), wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend geboten ist“. (1) Mit Hilfe dieser Vorschrift kann und konnte viel Gutes bewirkt werden: So mussten viele Kommunen die Benutzungspflichtschilder für schlechte Radwege demontieren, nachdem Radfahrer rechtlich dagegen vorgingen. (2) Vom Aufwand der Schilder kann diese Vorschrift jedoch zweischneidig wirken: Es werden ja nicht nur Gebotsschilder an Radwegen demontiert, sondern stattdessen „Radfahrer frei“- oder andere Zeichen angebracht.
Seit der StVO-Novelle sind viele Behörden sehr vorsichtig bei den Anordnungen für neue Schilder geworden. Konkret beteiligten sich an der Kampagne laut Angaben des ADAC rund 150 Städte und Gemeinden, wobei die mediale Ausstrahlung noch deutlich höher einzuschätzen ist.
Das vom holländischen Verkehrsplaner Hans Monderman in seiner Heimatstadt Drachten bereits umgesetzte Konzept „shared space“ wird nun im Rahmen eines EU-Projekts in mehreren Städten in Europa angewendet (die niedersächsische Kleinstadt Bohmte ist z.B. auch dabei). Shared space verzichtet insbesondere an Kreuzungen auf getrennte Verkehrsflächen, Beschilderung und Ampeln und setzt stattdessen auf „Rechts vor Links“ – oder eine individuelle Lösung: Da die Leute irritiert sind, fahren sie langsamer und einigen sich an den Kreuzungen per Augenkontakt, wer von ihnen Vortritt hat. Das funktioniert: Die Unfallzahlen sind gesunken und die Autos kommen dennoch zügiger durch die Stadt als vorher.
Während shared space als klassische Verkehrsberuhigungsmaßnahme angesehen werden kann, trifft dies auf die „Schilderwald“-Kampagne des ADAC nicht zu. Bei letzterer wird die pauschale Aussage: „Ein Drittel aller Schilder sind überflüssig“ als Zielvorgabe zur Demontage genommen. Im Visier hat der Automobilistenklub bei der Kampagne natürlich seine Klientel, denn diese würden „unter der Schildermenge stöhnen“. (Angeregt dazu werden die Autofahrer natürlich durch die Stimmungsmache des ADAC. Ein perfekter Selbstläufer!)
Gestöhnt wird verständlicherweise nur über Schilder, die einem unangenehme Vorschriften machen, handelt es sich um Service in jedweder Hinsicht, kann man davon selten genug bekommen. So führt der ADAC zwar häufig die 32 Zeichenvarianten an, mit denen das Parken auf Gehwegen geregelt wird. In der Tat sind jedoch nur zwei Prozent der im Rahmen der „Schilderwald“- Kampagne „gefällten“ Verkehrszeichen aus diesem Sortiment. 40-60 Prozent der demontierten Schilder vor Ort sind dagegen Halt- und Parkverbotsschilder. Und diese Anordnungen sollen ja nicht nur andere Verkehrsteilnehmer vor Behinderungen bewahren, sondern haben meist sicherheitsrelevante Beweggründe.
Hätte der ADAC wirklich etwas gegen zu viele Verkehrsschilder, würde er die Abschaffung aller Gehweg-Park-Schilder fordern und stattdessen die klare Vorschrift verlangen: „Das Parken ist auf Gehwegen untersagt“. Ebenso wäre ein generelles Tempo 30 in Kommunen sehr schildersparend, denn dann müssten nur noch die wenigen Ausnahmen per Verkehrszeichen geregelt werden. Solche Lösungen will der ADAC jedoch nicht. Er verlangt sogar nach mehr und größeren Verkehrszeichen: Wegweisungs- und Informationstafeln sollen nach seinem Willen gerne auch mit Übergröße aufgestellt werden. Das jedoch macht den Autoverkehr noch schneller. Ein weiterer wesentlicher Unterschied zu shared space!
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Dieser Artikel von Stefan Lieb ist in mobilogisch! , der Vierteljahres-Zeitschrift für Ökologie, Politik und Bewegung, Heft 4/2006, erschienen.
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